Einkaufen im Aroma

Sonntag, 15. April 2007 um 18:44

Genau auf Leute wie mich zielt der Gute-alte-Zeiten-Mythos, den die Firma Manufactum so erfolgreich aufgebaut hat: Vorgebliche Konsumverweigerung und Anti-Oberflächlichkeit, Gebrauchsgegenstände mit kunstvoll ausformuliertem Herkunftsnachweis statt anonymer industrieller Massenware – auch wenn Industrialisierung und Arbeitsteilung genau den Wohlstand hervorgebracht haben, auf dessen Basis wir Manufactum-Preise überhaupt erst zahlen können. Weil ich aber ein Vernunftwesen bin, gell, kann ich dem mindestens ebenso erfolgreich gegensteuern. Außer…, ja außer dieser Mythos kommt mit einem postmodernen Augenzwinkern daher. Als ich also von einem seltsamen kleinen Lebensmittelladen nicht weit von meiner Wohnung magisch angezogen wurde, in dem lauter Dinge herumstanden, wie ich sie aus Erzählungen meiner Mutter oder aus Filmen mit James Stewart kenne, war ich verratzt: Aroma heißt der Laden, und er ist in der Pestalozzistraße zu finden, kurz vor dem Obertonhaus.

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Erst gab es ein winziges Café Aroma nach Vorbild der italienischen hole-in-the-wall Cafés, die neben Espresso und dessen Derivaten auch liebevoll hausgemachte Snacks anbieten. (Die Kuchen! Die Sandwichs! Jeden Tag eine andere Überraschung, bei meinem jüngsten Besuch wurde frischer Scheiterhaufen angeboten.) Seit einiger Zeit liegt daneben, durch eine Tür mit dem Café verbunden, ein Laden, der hauptsächlich Feinkost verkauft. Die Ware scheint aber nicht nur wegen ihres Wohlgeschmacks ausgesucht, sondern auch wegen ihres altmodischen Verpackungsdesigns (Freunde der Typographie dürften umgehend ins Hyperventilieren geraten). Es gibt unter anderem russische Tees, spanische Trinkschokolade, englische Kekse, französische Patés im Glas, Regensburger Konditorschokolade Pernsteiner, österreichische Obstbrände, Gewürze, ein wenig Wein, zudem selbst hergestellte Konfitüren und eingemachtes Gemüse. Dazwischen fand ich aber zu meiner Überraschung Gelatine zur Herstellung von Bratensülze, wie ich sie aus dem Supermarkt kenne – erst in dieser Umgebung fiel mir das herrliche 60er-Jahr-Produktdesign auf. Dieses Retro-Aussehen ist auch die Brücke zur nicht-essbaren Ware, die es im Aroma gibt: Neben Teppichklopfer und Staubwedel sind das Kochbücher, Schneidebrettchen mit Hawaiibedruck, aber auch schöne Küchenmesser. Eine Theke bietet einige wenige Käsesorten und Wurstwaren an, ergänzt zudem das Snack-Angebot des Cafés mit interessanten Salätchen im Weckglas (und an der Kasse gibt es selbst gemachte Karamellwürfelchen). Die Ladeneinrichtung selbst besteht fast ausschließlich aus Flohmarkt- (oder sonst woher) Fundstücken, es stehen auch Grundschulmöbel aus meiner Grundschulzeit herum, die von den Cafégästen genutzt werden. So abgenutzt es klingt: Das Aroma ist urgemütlich. Und bei schönem Wetter werden die großen Fenster zusammengeklappt, zudem Tische und Stühle nach draußen gestellt.

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Die Preisstruktur des Ladens würde meine Mutter als „Apothekerpreise“ bezeichnen (ein bunter Lutscher für 2,50 Euro, die 70-Gramm-Pernsteiner-Schokolade für 4,60 Euro), aber hier zahle ich das immer noch lieber, als es der Manufactum-Industrie in den bigotten Rachen zu werfen.

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die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Einkaufen im Aroma

  1. Hufi meint:

    Das ist WAHNSINN! Ich kann das nicht gutheißen. In Regensburg um die Ecke kostet die gleiche Pernsteiner-Schokolade im Laden 2,50! Online vielleicht 2,70! + Versand. Ich muss meinen Nachbarn davon einmal in Kenntnis setzen.

    Das ist Wahnsinn. 4,60? Das ist nicht nett. Das ist nicht einmal mehr schön! Das ist zu teuer!

  2. Stefan meint:

    Das ist Marktwirtschaft und Marktwirtschaft muss nicht immer nett sein ;-)

  3. Hufi meint:

    Aber doch echt. Das ist nicht feierlich. Für mich ist das Betriebswirtschaft und Aroma muss das kalkulieren.

    Ich habe so teure Schokoladen auch woanders gesehen. Ich finde das ziemlich spinnert. Aber, wenn ich das jetzt übretrage, kann ich mir einen Reim darauf machen, was das kosten würde, wäre es um die Ecke. Wir reden hier ja nicht von DM sondern von €uros. Waaahnsinn.

  4. Stefan meint:

    Ich bin kein Einzelhändler, aber soweit ich als Kunde etwas davon verstehe, ist es doch so: Der Händler macht immer eine Mischkalkulation. Er wird irgendwann merken, dass die feine Schokolade zu diesem Preis nicht verkauft werden kann. Dann hat die Schokolade eben Kapital und Verkaufsfläche gebunden, ohne dass der Händler damit Gewinn erzielen konnte. Dann muss er reagieren.

    Dass es teurere Schokoladen-Arten gibt, kann unterschiedliche Gründe haben: besonders guter Kakao (gegebenenfalls BIO-Anbau), besondere Herstellungsverfahren, besondere weitere Zutaten … Ich gönne mir Schokolade nur einmal in der Woche und dann soll es auch sehr gute Schokolade sein. Ich werde mal in meinen Quellen speziell nach der Pernsteiner-Schokolade schauen und über den Preis berichten.

    Aber all das ist trotzdem faszinierende Marktwirtschaft: man muss ja nichts kaufen ;-)

  5. Lila meint:

    Ich will so einen Staubwedel!!! ich WILL aber!!!

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