Archiv für März 2012

Pia Ziefle, Suna

Sonntag, 11. März 2012

Pia Ziefle kenne ich aus dem Internet, als Blogautorin und als Kommentatorin in meinem Blog. So wusste ich schon lange, dass Abstammung aus verschiedenen Kulturen sie beschäftigt. Jetzt ist aus dieser Beschäftigung ein Roman geworden, der wohl das Dichteste, Kräftigste und Kunstfertigste ist, was ich seit Langem an deutscher Literatur gelesen habe.

Westliche Literatur, die aus einer Geschichte von Migration und Mischung verschiedener Historien und Kulturen entsteht, kenne ich aus Großbritannien: Dort hat postcolonial literature seit Jahrzehnten eine auch literaturwissenschaftlich erfasste eigene Tradition. 1 Das Pendant in Deutschland beginnt sich gerade erst zu bilden, ich nennen es testweise Einwandererliteratur. (Ist eine Germanistin im Raum, die mir den Stand der Forschung berichten kann und ob es vielleicht schon einen üblichen Terminus gibt?) Und Pia Ziefles Suna beweist aufs Großartigste, wie groß die literarische Lücke ist, die durch dieses Genre gefüllt werden muss.

Die deutsche Gesellschaft und vor allem die Politik haben sich viele Jahrzehnte lang dem Umstand verweigert, dass Deutschland ein Einwanderungsland war und ist. Die Konsequenzen dieser Verweigerung baden wir gerade aus und werden es noch lange tun. Die literarische Verarbeitung dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit ist sicher nicht der schlechteste Weg, die Komplexität der deutschen Einwanderungsgeschichte sichtbar zu machen.

Suna tut das auf ganz individuelle Art. Die Hauptperson und Erzählstimme, Luisa, erzählt ihre höchst besondere Geschichte. Sie ist einerseits nicht denkbar ohne die Ereignisse im Nachkriegsdeutschland, andererseits aber überhaupt nicht repräsentativ für eine Generation oder auch nur beispielhaft für eine Gruppe von Menschen – und macht dadurch die Vielfalt von Auswirkungen erlebbar. In den sieben Nächten vor ihrer Reise in den Heimatort ihres leiblichen türkischen Vaters erzählt Luisa ihrer kleinen Tochter die Geschichte ihrer Vorfahren, einschließlich ihrer selbst. Luisa ist eine gequälte Seele, die nicht nur die eigenen Narben einer Aufgabe durch die leiblichen Mutter und der Zerrissenheit zwischen verschiedenen Familien trägt, sondern auch die Last ihrer Vorfahren: Der jugoslawischen Seite mit Armut und Existenzkampf bis hin zum Bürgerkrieg. Der türkischen mit Entwurzelung, Enttäuschungen und Abfinden mit Unausweichlichem. Der deutschen Adoptivfamilie, gelähmt vom Trauma des Zweiten Weltkriegs, den Gräueln und der Schuld.

Mir wurde überraschend klar, wie eng deutsche Kriegserlebnisse und Vertreibung mit der Gastarbeiterzeit verwoben sind. Dabei hätte mich das eigentlich nicht wundern sollen, denn mein spanischer Gastarbeitervater hat die 1945 geborene Tochter einer polnischen Zwangsarbeiterin geheiratet, sein bester Freund, ebenfalls Gastarbeiter aus Spanien, eine Vertriebenentochter aus Schlesien. Dennoch ist mir erst durch Suna bewusst geworden, dass es keine Generation dazwischen gab, dass die Einwanderer der 60er und 70er Jahre in Deutschland auf Menschen trafen, die durchwegs vom Krieg traumatisiert waren. (Dabei hatte mir mein Vater doch noch erzählt, wie seine ersten deutschen Kollegen in der Nürnberger Fabrik ihm den Tipp gaben, sich gegen die Kälte mit Zeitungswickeln unter der Hose zu wappnen – das hatten sie im Krieg in Russland gelernt.)

Die Erinnerungen der Erzählerin in Suna sind dicht und reich. Kapitelweise und darin abschnittsweise wechselt die Szene, wechselt die Zeit. Verschiedene chronologische Erzählstränge greifen die Geschichten von deutschen Adoptiveltern, von jugoslawischer Mutter auf und vom türkischen Vater. Dazu kommt Luisas Geschichte ab dem Moment eigener Erinnerungen – je älter und bewusster Luisa wird, desto größeren Raum nimmt ihr Leben in der Erzählung ein. Am Ende des Romans haben alle Erzählstränge zueinander gefunden und verknüpfen sich. Die große Begegnung aber bleibt ausgespart, wir bekommen glücklicherweise keine Erlösung oder Heilung geliefert.

Die sprachlichen Mittel wechseln dabei ebenso reich je nach Zeit und Szene, setzen den Tonfall und die Stimmung. Meist wird sehr mündlich und leicht erzählt, doch es scheinen Märchenwendungen auf (der Rahmen der sieben Nächte lässt ohnehin Sheherazade anklingen), andere Passagen bestehen aus innerem Monolog und fast freier Assoziation.

Ich bin mir nicht sicher, ob der Klappentext die richtigen Leser anspricht: „Was alles aus Liebe geschieht – eine deutsch-türkisch-jugoslawische Familiengeschichte“ – der Roman ist so groß und wichtig, dass er dringend in die Feuilletons der großen Tageszeitungen gehört (Herr Seibt?).

Meine Lektüre hatte auch eine sehr persönliche Seite. Zum einen kenne ich mit meiner spanisch-polnisch-deutschen Herkunft die Arroganz des multikulturellen Hintergrunds: Mich mit keinem dieser Hintergründe zu identifizieren, mich lediglich bei allen Kulturen und Historien zu bedienen, immer schön auf Distanz. Zum anderen erlebe ich als wahrgenommene Halbspanierin immer wieder die Vereinnahmungsversuche von Spaniern: Du bist doch eine von uns. Da beginnen allerdings schon die großen Unterschiede. Ich wehre mich gegen jede Vereinnahmung durch angebliche Wurzeln, schon gleich zweimal, wenn sie an Menschen hängen. Die Geschichte meines Vater, die meiner Mutter finde ich sehr spannend und interessant, ein wenig auch in deren Familien hinein – aber die dazugehörigen Menschen haben für mich keine Anziehungskraft qua gemeinsamem Genpool. Bislang habe ich halt außer dieser genetischen Nähe keine anderen Gemeinsamkeiten entdeckt und interessiere mich nicht für sie.

Ein weiteres Unverständnis gegenüber der Romanfigur resultiert sehr wahrscheinlich aus dem kompletten Fehlen meines Fortpflanzungsdrangs. Das Ergebnis ist dieser Gedankengang: Die Hauptfigur des Romans, Luisa, hadert mit der Last des Lebenmüssens, mit ihrem Geworfensein in die Existenz, sie spürt aufs Schmerzlichste, wie die Leiden ihrer Vorfahren an ihr zerren und ihre Seele vereinnahmen, berichtet von der Kette des Leids, das immer neues Leid hervorbringt. Und dann tut sie dasselbe weiteren Menschen an: Sie erzeugt eigene Kinder. Aus meiner schrägen Perspektive wirkt das wie Rache: Da, nun musst du auch leben, und auf die Familiengeschichte, die mich zerreißt, lege ich zusätzlich mein eigenes Leiden als Erblast. Denn während Luisa in einer Zeit gezeugt wurde, als mangels einfach zu erhaltender Empfängnisverhütung Sex fast automatisch neue Menschen bedeutete, steckt bei ihr Absicht hinter dem Menschenmachen. Auf mich wirkt das wie eine gezielte Gemeinheit.

  1. Beispiele reichen von Doris Lessing über die Bücher von Salman Rushdie bis zu Andrea Levy, Small Island. []

Erste Male in der Stadt

Samstag, 10. März 2012

“Ähm, Entschuldigung.” Aus dem Augenwinkel über meine Lektüre hinweg hatte ich an der Tramhaltestelle die beiden jungen Mädchen bereits ratlos um sich schauen gesehen. Jetzt sprechen sie mich an.
“Welche fährt denn zum Hauptbahnhof? Hier oder gegenüber?”
Die Frage überrascht mich. Ich zeige über meine Schulter: “Das ist der Hauptbahnhof.”
“Ja, aber der andere Eingang.”
“Oh, da gibt es noch zwei,” erkläre ich, “auf beiden Seiten.”
“Und welche Straßenbahn fährt da hin?”
Erneute Verdutzung: “Die eine Minute könnt ihr zu Fuß gehen.”
“Aber wir sind noch nie Straßenbahn gefahren.”
Jetzt haben sie mein volles Verständnis. Sofort sehe ich mich um, auf welcher Seite die nächste Tram kommt. Gegenüber quietscht gerade ein uraltes Modell um die Ecke (ich liebe diese kugeligen Oldtimer und freue mich an jedem, auch wenn sie für mich den Beinamen “Omaquäler” haben, weil sehr alte Menschen die drei riesigen Einstiegsstufen der Wagen schier nicht bewältigen): “Da, die 17 bringt euch auf die Nordseite.”
Und schon springen die zwei mit einem Dank über die Geleise. Ich bin ganz gerührt.

Samstagsguck, -les und -denk

Samstag, 10. März 2012

Eine kleine Geschichte der gif-Animation:

Der Inhalt ist nicht verfügbar.
Bitte erlaube Cookies, indem du auf Übernehmen im Banner klickst.

Das Allerallerwichtigste ist der Schluss des Filmchens: Wie spricht man gif aus, gif oder jif? (HAHAHA, die Englischsprecher haben also auch ihre der/das-Blog-Debatte!)

via wirres

§

“The most interesting underpants in London”: Vor 13 Jahren hat Brian Moore seinen kleinen Kleiderladen an der Londoner Myddleton Road zugemacht – und nichts weiter. Er hat alles so gelassen wie es war, wohnt weiter in der Wohnung darüber und überlässt alles andere dem vielbesungenen Zahn der Zeit. Ich musst sehr an Peter Greenaways A Zed & Two Noughts denken: Brian Moores verfallendes Schaufenster bringt die Idee auf neue Ebenen.

via swissmiss

§

Despite the best efforts of skeptics and teachers to advance scientific thinking, paranormal beliefs and pseudoscientific thinking continue to be commonplace. It is a common popular stereotype that knowledge of science and belief in the paranormal are like opposite ends of a teeter totter: with one tending to rise as the other falls. However, the landscape of belief is considerably more complicated than that. Science education may not be enough when we lack the ability to critically evaluate the evidence for claims.

In ihrem Artikel Science Education is No Guarantee of Skepticism legen Richard Walker, Steven J. Hoekstra, und Rodnet J. Vogl dar, dass das reine Lernen wissenschaftlicher Fakten keineswegs den Glauben an Hokuspokus verhindert.

via +Aleks Scholz

Überrascht mich nicht, schön finde ich vor allem den empirischen Beleg. Es könnte also sein, dass ein paar Jahre Altgriechisch-Unterricht inklusive der Analyse und Übung platonischer Dialoge deutlich nützlicher sind als Experimente im Chemieunterricht.

Oder der Einsatz dieses zauberhaften Baloney Detection Kit.

Wohltätigkeit und Effektivität

Donnerstag, 8. März 2012

Gestern wurde in meinem Eck des Internets der Link zu einem Film über die Untaten des ugandischen Massemörders Kony lawinenartig verbreitet. Der Film war von der Organisation Invisible Children hergestellt und veröffentlicht worden und enthielt eine Spendenaufforderung. In meinem Eck des Internets gibt es viele Menschen, die bei Missständen nicht wegsehen können, das erklärt den Drang, auf dieses Video hinzuweisen.

In meinem Eck des Internets gibt es aber gleichzeitig viele Menschen, die diesem Hilfeimpuls nicht unreflektiert nachgeben und sich gerade bei derart schneller und großer Verbreitung von Aufrufen für Hintergründe interessieren. Bald las ich, dass Invisible Children sehr wahrscheinlich nicht die effektivste Hilfe bietet. Johnny Häusler hat das auf Spreeblick gut zusammengefasst.

Im Grunde ist das aber lediglich der neueste Fall einer Erscheinung, die mich schon lange umtreibt: Dass Wohltätigkeit meist von Subjektivität, Emotionen und Impulsen getrieben wird – und damit sehr leicht zu manipulieren ist. Nüchterne Überlegungen, wo welche Missstände auf welche Art und Weise möglichst effektiv und langfristig erleichtert werden können, sind selten. Das hat mannigfaltige Ursachen, zum Beispiel:
– In der Empörung über Missstände klingt der Ruf nach nüchternen Überlegungen zynisch.
– Die Menschheit ist sich nicht einig, was sie unter Effektivität und Langfristigkeit versteht.
– Die Menschheit ist sich ja nicht mal einig, was sie unter Missstand versteht.
– Wohltätigkeit ist nie ganz altruistisch (siehe Friends-Folge “The one where Phoebe hates PBS”), die Wohltäterin will sich immer durch die Wohltat auch besser fühlen. Gerade die Impulswohltätigkeit läuft nach einem Ventilmechanismus ab: Ich erfahre von einem Missstand, der mich empört, der mich sehr schlecht fühlen lässt. Mir wird gleichzeitig mit der Information eine Möglichkeit angeboten, etwas gegen den Missstand zu tun. Ich nehme die Möglichkeit wahr und fühle mich ein wenig besser, weil ich überzeugt bin, etwas gegen die Empörungsursache getan zu haben.

Deswegen ist es eine gute Sache, unabhängig von aktueller Empörung darüber zu reflektieren, wie man helfen möchte und warum. Die einen kommen zum Ergebnis, dass sie in erster Linie selbst etwas tun wollen. Im schlimmsten Fall fahren sie als Konsequenz auf eigene Faust in Katastrophengebiete und bereiten in fast jedem Fall den Hilfsorgansisationen noch mehr Arbeit (zum Beispiel nach dem Tsunami in Thailand 2004). Im deutlich besseren Fall schaun sie sich in ihrer Nachbarschaft nach Möglichkeiten um (und helfen zum Beispiel Einwandererkindern beim Lesenlernen oder kaufen für die alte Frau nebenan ein).

Die anderen möchten gerne spenden. Auch die Entscheidung, wieviel wofür ist meistens von Impuls und Emotion geleitet. Im Blog Less Wrong legt der Artikel “Efficient Charity: Do Unto Others…” meiner Ansicht nach einleuchtend dar, welche Art der Spende auf welchen Motiven basiert und was die Konsequenzen sind.

Deciding which charity is the best is hard. It may be straightforward to say that one form of antimalarial therapy is more effective than another. But how do both compare to financing medical research that might or might not develop a “magic bullet” cure for malaria? Or financing development of a new kind of supercomputer that might speed up all medical research? There is no easy answer, but the question has to be asked.

Der Link war eine Leseempfehlung von Kathrin Passig, die ich über Google Reader abonniert hatte. Kathrin Passig befasst sich immer wieder mit der Komplexität von Hilfe in großem Rahmen und kommt von einer Facette zur anderen. Von ihr habe ich auch den Verweis auf Give Well, eine Organisation, die die Effektivität von Wohltätigkeitsorganisationen analysiert:

GiveWell is an independent, nonprofit charity evaluator. We find outstanding giving opportunities and publish the full details of our analysis to help donors decide where to give.
Unlike other charity evaluators, which focus solely on financials (assessing administrative or fundraising costs), we focus on how well programs actually work – i.e., their effects on the people they serve.

Für mich ist die Selbstbestimmung der Menschen ein ausgesprochen hoher Wert, selbstverständlich auch, wenn es ihnen schlecht geht, wenn sie unterprivilegiert sind. Deswegen (ich kürze einen langen und verzweigten Gedankengang brutal ab) fühlte ich mich vom Konzept Mikrokredit sehr angezogen: Zum einen wird nicht von oben herab gespendet, sondern über eine Geldleihe auf Augenhöhe an jemanden herangetreten, zum anderen ist es ja in die Selbstverantwortung der Kreditnehmerin gelegt, was sie mit dem Geld tun möchte. Aber auch das ist, wir ahnten es, nicht so einfach. Wie wiederum Kathrin Passig aufdröselt, diesmal in einem Artikel für das Süddeutsche Magazin: “Was tun wir da?
Seit Jahren heißt es: Mikrokredite helfen Menschen in Entwicklungsländern, eigenes Geld zu verdienen. Aber die Realität ist um einiges komplizierter.”

Ich sehe mich mit meinen Gedanken zum Thema Hilfe, vom Wohlstand abgeben, erst ganz am Anfang. Um aber nicht gelähmt gar nichts zu tun, spende ich zwei Organisationen, die für mich die meisten Menschheitsübel an der Wurzel bekämpfen:
– Amnesty international, denn ohne Menschenrechte geht gar nichts
– Ärzte ohne Grenzen, die allen Überprüfungen von Effizienzektivität und verantwortlichem Handeln standhalten

(Bei dieser Gelegenheit mal wieder der Appell, nicht zweckgebunden zu spenden: Die Hilfsorganisationen haben einen erheblich besseren Überblick als wir Spender, wo gerade Hilfe am nötigsten ist, auch wenn diese Not nicht in der Tagesschau auftaucht. Bei zweckgebundenen Spenden dürfen sie das Geld nur für diesen Zweck verwenden – und so sitzen sie bis heute zum Beispiel auf sehr viel Geld, das nur für die Schäden des Tsunami in Thailand verwendet werden darf. Informieren Sie sich so lange, bis Sie eine Hilforganisation finden, der sie vertrauen, und legen Sie die Verantwortung für die Verwendung Ihres Geldes in deren Hände.)

Die Deern in München

Mittwoch, 7. März 2012

Halt, Moment, erst mal muss ich mir selbst einen Platz sichern.

So, jetzt kann ich für die restlichen Plätze Werbung machen:

Anke Gröner kommt mit ihrem Buch Nudeldicke Deern. Free your mind and your fat ass will follow nach München ins Hukodi. Zauberhafter- und köstlicherweise gibt es an diesem Donnerstag, 29. März, nicht nur Lesung, sondern auch Speisung, nämlich eine Lesung mit Menü.

Sollen wir das nächstgelegene Weightwatcherstreffen (zufällig immer donnerstags um 19 Uhr) aufmischen und die Teilnehmerinnen gesammelt zur Deern-Lesung umlotsen?

Thatcherism

Montag, 5. März 2012

Sehen Sie, dann doch noch etwas zum Thatcherism, wenn auch nicht aus The Iron Lady, sondern aus A Bit of Fry and Laurie:

Der Inhalt ist nicht verfügbar.
Bitte erlaube Cookies, indem du auf Übernehmen im Banner klickst.

via @stephenfry

Journal Wochenende 3./4. März – sonnig bis neblig

Montag, 5. März 2012

Am Samstag nach unruhigem Schlaf um fünf aufgewacht. Eine halbe Stunde Einmummeln, Umdrehen, Betthimmelbetrachten bewiesen mir: Schlaf zu Ende. Also stand ich auf und backte einen Zitronenkuchen.

Abgebrochener Versuch, mein Betriebssystem um zwei Stufen auf das aktuelle Lion hochzuinstallieren. Abgebrochen deshalb, weil Erfahrungsberichte im Web auf zahlreiche Risiken verweisen, die ich erst mal ausgeräumt haben will.
Das Betriebssystem hatte ich am Freitagabend einem quietschjungen Mann im Apple-Schtohre abgekauft. Ich bat um den USB-Stick damit, er bestellte und meinte, bis es gebracht würde, könnten wir uns ja ein bisschen unterhalten. Nun, dann könne er mir ja erzählen, was es so könne, dieses Lion. „Oh, auf technische Details war ich jetzt aber nicht eingestellt“, seufzte er dramatisch. „Tja, so sind wir Frauen“, entschuldigte ich mich, „immer auf die Technik.“ In den folgenden Minuten brachten wir noch die Themen Twitter und Internet unter (wenn ich ernst geblieben wäre, hätte er mir geglaubt, dass ich das Internet miterfunden habe – dafür war er jung genug und bin ich grau genug), Witze über Whitney Houston, Politikstudium, das Schicksal, aus dem Allgäu zu stammen oder überhaupt aus der Provinz, und vielleicht habe ich ihn als Werkstudenten für den Noch-Arbeitgeber abgeworben.

Spazierenschwimmen im Olympiabad auf einer komplett Schwimmflügerl-freien Bahn – schön. Der aufreißende Himmel hätte eher zum Isarlauf eingeladen, aber letzten Donnerstag hatte ich mir beim Stepaerobic wieder die rechte Wade gerissen und humpelte.

Auf dem Rückweg eine Runde Einkäufe beim Basitsch, nichts Besonderes. Wundervolles Frühlingswetter, die Krokusse spitzen ihre Köpfe um die Wette aus den begrünten Verkehrsinseln.

Berliner Landbrot gebacken. Nach einer langen Pechsträhne mit Broten ging der Teig diesmal fast explosionsartig auf – ich hatte den Roggensauerteig in der Woche davor zweimal aufgefrischt. Die Pechsträhne scheint beendet.

Wäsche gewaschen, viel Wäsche gewaschen – mich am schönen Wetter durch die offene Balkontür gefreut – für einen Spaziergang war mein Gang zu unrund.

Zeitung und Internet leergelesen, und dann war erst sechs – so ein Samstag ist schon lang, wenn man ihn um fünf beginnt.

Zum Abendbrot servierte der Mitbewohner Blut- und Leberwurst mit Sauerkraut und Apfelkompott, dazu gab es einige Folgen Big Bang Theory.

§

Sonntagmorgen The Iron Lady gesehen: Meryl Streep sensationell, alles andere nicht. Nun kann ich mit Biopics eh nicht viel anfangen, doch in diesem Fall habe ich dem Drehbuch eine Menge vorzuwerfen. Vor allem: zu viel telling, zu wenig showing. Und wenn mal gezeigt und nicht behauptet wurde, dann mit einem solch großen Holzhammer, dass man es gleich hätte auf Plakate schreiben können (z.B. der Einfluss von Margarets Vater). Viel, viel reingestopft und doch hätte mich Anderes interessiert: Wir bekommen das Leben der Frau erzählt, die das Großbritannien der Nachkriegszeit wahrscheinlich wie kein zweiter Mensch politisch geformt hat, im Guten (was auch immer das gewesen sein mag) wie im Schlechten – und es taucht kein Fitzelchen ihrer Theorien auf, ihrer wirtschaftspolitischen Ansätze und Haltung? Dabei gibt es sogar einen eigenen Namen dafür: Thatcherism (nein, liebe Kinder, damit ist nicht ihr Kleidungsstil mit Betonfrisur und Schleifenblusen gemeint). Ich bin versucht, das sexistisch zu nennen: Bei einer Frau interessiert halt doch mehr das Persönliche, gell? Auch wenn sie elfeinhalb Jahre lang Regierungschefin war. Beim Persönlichen musste dann aber alles rein, anscheinend gab es eine lange Liste von Aspekten abzuhaken. Dabei wäre es viel erhellender gewesen, einen begrenzten Schlüsselzeitraum darzustellen.

§

Den hochnebligen Nachmittag über Kathrin Passig, Aleks Scholz, Kai Schreiber, Das neue Lexikon des Unwissens verbracht. Allerlöblichstes Feature: das Lesebändel. Mir konnte mal jemand vorrechnen, wie viel das in der Herstellung pro Buch kostet, und es waren doch einige Cents, aber ich schätze es so sehr! Auch wenn ich es noch nicht ausgelesen habe: Empfehlung. Kai Schreiber ist als dritter Autor ein Gewinn, seine besondere Art der Albernheit passt sehr gut zu der von Passig und Scholz. Die Kapitel sind nicht namentlich gezeichnet, doch ich bilde mir ein, sie anhand des Schreibstils zuordnen zu können – demnach müsste Schreiber das Meiste geschrieben haben. Außerdem bereichert er das Buch mit Aspekten von Unwissen aus der Philosophie. Es gibt wenige Bücher, deren Lektüre mich immer wieder zum lauten Auflachen bringen – eigenartigerweise sind es fast immer Sachbücher. Dieses gehört dazu.


Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen