Roh, vegan und ALLES SUPER!

Freitag, 18. Januar 2013 um 8:34

Raw Food auf Speisekarten von Restaurants lernte ich vor drei Jahren in Brighton kennen: Rein pflanzliche Speisen, die bei Temperaturen unter 42 Grad zubereitet waren, meist völlig unerhitzt serviert wurden. So ähnlich wie Rohkost, doch, wie ich aus zahlreichen Foodblogs weiß, mit raffinierten getrockneten Speisen ergänzt, zum Beispiel Crackern. Bislang hatte ich aber nie Gelegenheit, mir solche Gerichte servieren zu lassen.

Bis gestern. Da wurde ich nämlich mitgenommen auf die Presseveranstaltung des im Dezember eröffneten Lokals Gratitude in der Münchner Türkenstraße, das sich als “erste Münchner Raw & Vegan Eatery” bezeichnet.

Die vier Herren dahinter, die sich das Gratitude als Hobby zugelegt haben, zeigten sich (drei davon, der vierte lag krank im Bett) ganz beseelt von ihren Selbsterfahrungen mit veganem Essen, mit Rohkost, dem daraus resultierenden Gewichtsverlust, der positiven Energie, dem Vorbild-Konzept des Café Gratitude in Kalifornien. Klugerweise hatte ihre PR-Frau allerdings eine Rede für die Presseveranstaltung geschrieben, die die Ideologiefreiheit des Lokals betonte: Es solle einfach schmecken, jeden Typ Esser ansprechen, mit positiver Energie erfüllen, leistungsstark machen. Die Gerichte heißen zum Beispiel “I am healthy”, “I am beautiful”, “I am coraguous” (Nachtrag: sic!). Die offizielle Erklärung in der Presse-Info:

Für uns haben diese positiven Selbstbestärkungen einen tiefer gehenden Sinn: Im Gratitude kann sich jeder selbst und ganz bewusst ein Kompliment machen. Und wir alle kennen die Kraft von Worten …

An dieser Stelle fiel uns auf, dass wir vergeblich nach Angeboten suchten, die “I am lazy” hießen oder auch nur “Mellow”.

Leistungsorientiert, energiegeladen, positive thinking – ein neues Stück USA für München. Denn amerikanische Wissenschaftler haben ja herausgefunden, dass das life bei genügend Konsequenz früher oder später der positiven fiction schon folgen wird. Wie propagierte vor gar nicht langer Zeit Über-Fiktionator kid37? ALLES SUPER!

Dahinter steckt eine Ernährungsphilosophie, die (meine Interpretation) perfekt in den Teil Münchens passt, in dem allmählich wie in Manhattan oder London der regelmäßige Besuch beim nutritionist und monatliches detox zum Lebensstil gehören wie Yoga und Pilates. Kompliment an die vier Gründer: Das war wirklich eine Lücke in der hiesigen Gastro-Landschaft.
(Die Alternative ist anderen Experten zufolge der Food-Trend “Einfach locker bleiben”, aber das mag sich jede selbst aussuchen.)

Aber nun zum wichtigsten: Wie das Essen schmeckte, das uns serviert wurde. Und das war richtig, richtig gut.
Wir bekamen zwei Sorten Smoothies, eins in Grün eins in Creme, die noch eher auf der sehr milden Geschmacksseite waren. Doch dann gab es Häppchen aus getrocknetem Brot, die schon mal sehr schmackhaft waren, dazu Grünkohl-Chips, die vor zwei Jahren als Kale Chips durch die Foodblogs diesseits und jenseits des Atlantiks gingen.
Hauptteller war dieser:

130117_Gratitude

Links Zucchini-Pasta mit zwei Sößchen, von denen mir besonders die helle mit Pilzen schmeckte.
Im Schälchen oben Karottenpüree mit sehr würzigem Quinoa, den ich eh sehr mag.
Rechts ein zu Recht angepriesenes rohes Sandwich.
Insgesamt Gemüseküche vom Wohlschmeckendsten, und nach dem Max Pett für mich das zweite Lokal in München, das mit den vegetarischen Restaurants mithalten kann, die ich in Südengland so liebe.

Da ich aufbrechen musste, wurde mir das Dessert mitgegeben: Ein Stück Mango- und ein Stück Schokoladentart, die ebenfalls sehr gut schmeckten, aber typisch für vegane Tarts heftige Schwergewichte waren.

Heimweg zu Fuß.

130117_Schnee_Odeonsplatz

die Kaltmamsell

17 Kommentare zu „Roh, vegan und ALLES SUPER!“

  1. Mel meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

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  2. Connie meint:

    die Namen der Speisen würden mich schon vom Bestellen abhalten.

    Nun zieht der Ego-Kult auch in die Küche. Ich bin wohl nicht die Zielgruppe eines solchen Restaurants, mir fehlt der eifrig-eifernde Blick und die “weil ich es mir wert bin”-Polung…

  3. kecks meint:

    …uah. ich esse das und muss mich gut fühlen. nee danke. gab’ da mal so eine tasse, die der veganer-freund in der küche hatte, und die war sehr wahr: vegans are attention seekers. und wenn’s nur die eigene aufmerksamkeit auf sich selbst ist.

  4. barbara meint:

    Bißchen viel Gefrickle und Geklöppeltes da auf dem Teller. Und der arme Feldsalat ist in der Marinade zu Tode gekommen.
    Wenigstens scheinen sie etwas besser zu würzen als im Max Pett. Da schmeckt’s als würde man eine Fensterscheibe ablecken.
    Die Speisenkartenpoesie ist echt albern. Aber der Laden wird vermutlich laufen, sich als Veganer zu outen ist derzeit unglaublich hip.

  5. agatha meint:

    Ist das Quinoa aber schon gekocht? Also nicht ausschließlich Rohkost?
    Hört sich doch relativ “locker geblieben” an.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Der Teller, barbara, war mit Probiererl zusammengestellt, steht wohl so nicht auf der Karte. Im Max Pett war ich zwar schon ein paar Monate nicht mehr, hatte davor allerdings sehr gut Gewürztes auf dem Teller, sogar indische Zusammenstellungen – vielleicht haben Sie einen schlechten Tag erwischt?

    Ja, agatha, es gibt dort Gekochtes und Rohkost.

  7. Susann meint:

    Ich werde nie vergessen, wie ich meine vegetarier- Freundin mit in ein veganes Münchner Lokal nahm, schweineteuer und sehr chichi.
    Nachdem wir unsere Mini-Hauptspeisportionen gelöffelt hatten und wieder auf der Straße standen, sah sie mich an und sagte: “Ich hätte jetzt gerne ein Leberkässemmerl.”

    Und genau das kauften wir dann.

  8. Tine meint:

    Der Bericht klingt spannend, die Gerichte nicht. Zumindest war mein erster Gedanke auch, Gerichte mit diesem Titel würde ich nicht bestellen.
    “Ego-Trip” trifft es schon. Dies sind so Restaurants, die mir Städte wie München unheimlich und auch unsympathisch machen.

    Ich bin halt nicht die Zielgruppe dafür, trotz aller Gemüseliebe.

  9. kelef meint:

    hmhmhm, also ich bin ja grundsätzlich fleischfresser, weil ich gemüse nur in kleinen portionen vertrage, rohes und hülsenfrüchte gar nicht oder nur in homöopathischen mengen.

    aber: vegane, vegetarische und rohe gerichte können tatsächlich richtig gut sein, abwechslungsreich, g’schmackig und optisch ansprechend. leider trifft man sowas nur selten auf dem restaurantteller, weil bei den meisten dieser gerichte sowohl die frische und qualität der zutaten als auch die schnelligkeit, mit der die sachen aus der küche auf den tisch kommen, eine entscheidende rolle spielen.

    dass das ergebnis der köchischen kreativität dann besondere namen bekommt, ja und? ist das was neues irgendwo auf der welt? es gibt essbares das donauwelle heisst, people-of-colour-kopf, hackepeter, zieh-mich-hoch, frauenschenkel, etc. tbc., das klingt vielleicht nicht merkwürdig? na also.

    und dann noch die weinnamen: stierblut, eichenstaude, reserve, federspiel, saurüssel: würde das jemand für weinsorten halten und auch noch bestellen, wenn er sich nicht ganz genau auskennt?

    ausserdem kann man manches einfach nicht in der speisekarte so beschreiben dass gast es auseinanderhalten und entsprechend bestellen kann. deshalb gibt es beim asiaten nummern, und woanders eben phantasienamen. dass die extra kosten wenn es wirklich gut schmeckt: soll sein. besser als mit einer nummer bezeichnet und nicht zum hinunterbringen.

  10. barbara meint:

    Frau Kaltmamsell, klar, ist von jedem ein bißchen was. Ich fand es eben nur arg hingebastelt.
    Vielleicht hatte der Koch des Max Pett Ausgang. Es wurde auch arg am Salz gespart und ich fand es für die Qualität und die sehr sehr übersichtliche Portion zu teuer (Kichererbsen 15 Öcken). Die bleifreie Plörre die sich Wein nennt… sinnlich ist da nix und die grünen Wände mit der häßlichen Beleuchtung tragen dazu bei daß eine nach dem Essen schnell den Abflug macht.
    Dieses Detoxdingens wäre ja auch mal ein Blogpost wert, das ist eine ähnliche Ver***sche wie die Homöopathie.

  11. Ramona meint:

    Gratitude steht schon auf meiner To-Do Liste. Da wollte ich den Mann gern hin entführen. Da wir begeisterte Max Pett Fans sind, bin ich mir sicher, daß uns das Gratitude auch gefallen wird. Bis wir es mal nach München schaffen, himmle ich die diversen Blogposts aus der (nicht allzu weiten) Ferne an.

  12. Nicole meint:

    Auf Ihr Urteil verlass ich mich in Bücherfragen schon immer gern, und das mit Erfolg! Wenn Sie schreiben, lecker, dann überles ich mal die Meckerer hier. Als Kleinstädterin aber sehr beruhigend, dass auch in München Neues und/oder Anderes von manchen kleingeistig auf Abstand gehalten wird.

  13. helena meint:

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    Gerne gelesen

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  14. Sebastian meint:

    Ach kommt, geht’s ruhig mal hin und ruft ein herzliches “I am beautiful” in den Raum, hier nimmt das Euch keiner krumm oder sich selbst zu ernst – die netten Menschen vom Service mussten erst mal selbst nachfragen, wie denn jetzt die Sachen heißen, die sie zum Pressetermin aus der Küche gebracht hatten.

    Als sie dann auch noch die Köchinnen brachten, war eh alles gut – Menschen, die mit Freude ihre Arbeit machen und klar davon erzählen, sind immer gut. Das Essen war jedenfalls vom besten, fanden auch die erfahrensten unter den geladenen Foodies. Wenn es so bleibt und einem sonst nicht zuviel reingequatscht wird, ist das eine echte Bereicherung der Münchner Speisekarten.

  15. Ilse meint:

    I am courageous – kostet nur 4.90, das nehm ich. Oder vielleicht doch I am humble für 9.50? Oder zweimal I am liberated, bittschön.
    Egal – ich würde mit meinen Leberkässemmeltrainierten Formen sowieso vom Türsteher abgewiesen.

  16. Modeste meint:

    Hm, das sieht gut aus. Wir müssen, wenn Sie in Berlin sind, mal ins Cookies Cream gehen, wenn noch nicht bekannt (wenn bekannt, aber auch!) – da isst man sehr, sehr gut vegetarisch.

  17. antje meint:

    Gut dass wir hier alle keine Vorurteile haben (wer hat da schon gegessen, ausser Frau Kaltmamsell?), die anscheinend beim Wort vegetarisch (z.B. Milchreis) einsetzen und bereits bei vegan zu einer heftigen allergischen Abstossungsreaktion führen.

    Bon appétit allen die über ihren Schatten springen wollen.

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