Berlin im Frühling 2014 – 6, re:publica

Freitag, 9. Mai 2014 um 8:59

Auch wenn ich befürchtete, dass ich frieren würde, trat ich den letzten Konferenztag in kurzen Ärmeln und ohne Strümpfe an – ich hatte mich doch so darauf gefreut, dieses Kleid erstmals auszuführen (dass die Maßeinheit für Schmutz auf der Fotoapparatlinse Hamilton heißt, wussten Sie?)

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Zwischen Blogwelt und Unternehmswelt zu vermitteln ist bereits ein eigenes Berufsbild geworden. Mich interessierte, was diejenigen zu berichten haben, die das seit Jahren tun: “How do You Buy a Blogger? – Blogger Relations from a Global Perspective“. Zunächst wurde ich immer zuversichtlicher: Die Grundregeln und Standards, auf deren Basis Unternehmen heute idealerweise mit Bloggerinnen verhandeln, klangen wunderbar: Distanz, Transparenz, Wertschätzung, Professionalität, Fairness. (Auch wenn die Menschen auf dem Podium zugaben, dass sie das ihren Kunden immer wieder neu erklären und beibringen müssen.) Sehr interessant auch das aufgezeichnete Filmstatement der russischen Bloggerflüsterin: Am 5. Mai hat Putin ihr zufolge ein neues Gesetz unterzeichnet, nach dem Blogger mit einer Reichweite über 3.000 Leserinnen und Lesern sich als Medienvertreter unter Klarnamen registrieren lassen müssen.

Doch dann wurden Beispiele für erfolgreiche Blogger Relations genannt. Und dummerweise gehörte ich zu den Angeschriebenen von einer – die ich verheerend gefunden hatte. Leise verabschiedete sich meine knospende Zuversicht in die Zukunft der Blogger Relations: Es werden vermutlich doch schlicht diejenigen eingefangen, die gerne alles schreiben und veröffentlichen, um nur weiter bemustert und eingeladen zu werden. Andererseits ist das möglicherweise genau die richtige Zielgruppe für Unternehmensaktionen: Diese Blogs werden sehr wahrscheinlich von Menschen gelesen, die das völlig in Ordnung finden und deren Bild des Unternehmen dadurch positiv beeinflusst wird.

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Im Programm hatte ich einige Veranstaltungen gefunden, die sich mit dem Verhältnis von Science Fiction und technischen Entwicklungen befassten – sehr interessant. Ich entschied mich für “Science fiction as a laboratory for big ideas” von Uri Aviv, dem Gründer und Leiter des Tel Aviver Science-Fiction-Filmfestivals Utopia. Ihm war es wichtig, uns Zuhörerinnen zu Botschafterinnen für Science Fiction zu machen, die in seiner Wahrnehmung nach immer noch zu wenig geschätzt wird. Hm, da sprach er natürlich auf der re:publica zu den seit Langem Bekehrten (wenn auch in meinem Fall erst mit Mitte 20 durch den Mitbewohner).

Uri erzählte als Beweis für die Relevanz von Science Fiction, wie es zu dem Brief gekommen war, den Albert Einstein 1939 an den US-Präsident F.D. Roosevelt schrieb.

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Weil die Juniorkunsthistorikerin Anke Gröner am Vorabend darauf hingewiesen hatte, besuchte ich Harald Klinke und sein “Bildmedien der Zukunft und wie sie unser Bild der Welt verändern“. Leider war nicht wirklich drin, was drauf stand. Klinke berichtete zwar vom Wandel der Bilder und der bildgebenden Techniken über die Jahrhunderte, erzählte auch von den allerneuesten, zum Teil noch nicht marktreifen Techniken. Er führte auch die Erscheinung ein, die seiner Meinung nach künftig den größten Einfluss haben wird: Big data / big image data (er meinte damit die iCloud). Doch genau an diesem Punkt blieb er stehen und verriet uns nicht, wie dieser Einfluss seiner Meinung nach aussehen wird.

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In “Todessternsünden” tapste ich einfach Frau … äh … Mutti und Frau Brüllen hinterher.

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Die Referentin gab zu, dass die Veranstalter den Vortrag lediglich wegen des schönen Titels ins Programm genommen hatten, und arbeitete dann die klassischen katholischen Todsünden auf ihre Anwendbarkeit im digitalen Leben durch, in guter christlicher Selbstbezichtigung immer wieder mit sich selbst als schlechtem Beispiel.
Sehr rührend war es, als ihre Schwester der abschließenden Aufforderung zur Beichte nachkam. Sie war im Vortrag immer wieder als Opfer der Sünden erwähnt worden und nutzte die Gelegenheit zu Widerspruch und einer wunderschönen, entwaffnenden Liebeserklärung an ihre Schwester.

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Hauptsächlich als Fangirl besuchte ich das Interview mit Gabriele Fischer, Gründerin und Leiter von brandeins: Ich wollte sie einfach mal persönlich erleben.

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Als Dreingabe bekam ich interessante Informationen wie diejenige, dass brandeins sich nur zu 45 Prozent aus Anzeigen finanziert (sonst für Magazine üblich: 80 Prozent): “Wir haben von Anfang an ein Magazin für Leser gemacht.” Und dass die Online-Ausgabe überhaupt keine Anzeigen schaltet: Die Redaktion suche immer noch nach einer “intelligenten, kreativen Anzeige, die nicht stört”. Mit dieser Suche und dem Versprechen, diese sogar kostenlos zu schalten, seien zahlreiche Hamburger Werbeagenturen angeschrieben worden. Nur eine habe überhaupt geantwortet.

Zitierbares zu den Anfängen von und vor brandeins (an die ich mich lebhaft erinnere): “Wir hatten keine Ahnung, worauf wir uns einließen – was ein ganz wichtiger Gründungsimpuls ist.”

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Der Vortrag von Felix gehört zur re:publica wie der von Sascha Lobo – mit dem Vorteil, dass er sich wegen späterer Terminierung auf den von Sascha beziehen kann.

Diesmal hieß er “Wie ich lernte, die Überwachung zu lieben“.

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Felix legte den Finger auf die Wunde unseres Gegenüberwachungsaktionismus’: Wir können nicht einmal konkret den Feind benennen oder unser Ziel. “Die Überwacher” reicht nicht (Staat? Behörde? Unternehmen?), genauso wenig “Datenschutz” als Ziel.

Die dramatischste Auswirkung der ganzen Sache stand auf der abschließenden Folie.

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Mein Vortragsrausschmeißer aus der re:publica war Eva Horns “Über das Entlieben in Zeiten des Internets“. (Ich kenne die Dame vor allem über instagram und wechselte abends auf dem Hof endlich auch in Person ein paar Worte mit ihr.)

Eva beleuchtete die mannigfaltigen Aspekte, die ein Partnerschaftsende in der digitalen Welt hat: “Kann man sich heutzutage noch trennen, ohne sich vorher eine Social Media Strategie ausgedacht zu haben?” Dabei sortierte sie typisches Trennungsverhalten und baute die Ergebnisse einer gründlich unrepräsentativen Fragebogenaktion im Freundeskreis ein. Eine Verifizierung durch das Publikum mit Handheben kam entsprechend auch zu gründlich anderen Ergebnissen.

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Bei allem Schmunzeln nehme ich an, dass in dem Thema noch mindestens zwei Dutzend ungeschriebene Frauenzeitschriftsbücher, wenn nicht sogar die Drehbücher für drei Vorabendserien stecken. (Eva, deine Chance!)

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Dann war’s aus.

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Foto: CC BY SA 2.0 Gregor Fischer

Johnny Häusler fasste die Veranstaltung in Zahlen zusammen. In zu 80 Prozent ordentlich albernen Zahlen (verbrauchte Meter Armbändel, von den Organisatoren gegangene Schritte zwischen Orgabüro und Stage 1 etc.) – bezeichnend für den Geist der re:publica, denn das kann ich mir auf keiner Veranstaltung vorstellen, die ich jemals beruflich besucht habe.

Der Dank an Team und Helfer war lang und ausführlich – vom Publikum bis zum Letzten mit Applaus gewürdigt. (Ausnahme: Die beiden Herrschaften vor mir. Was geht wohl in diesen Nicht-Applaudierern vor? Hat es ihnen nicht gefallen? Fühlen sie sich nicht gemeint?)

Und ganz zum Schluss haben wir alle gesungen.

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Zusammengefasst:

Diesmal bekam ich kaum Einblicke in völlig Neues, hatte keine so großen Aha-Erlebnisse wie die vergangenen Jahre. Was selbstverständlich nicht am Programm, sondern an meiner Auswahl lag: Zum ersten Mal hatte ich immer wieder das Gefühl, dass die anderen Veranstaltungen spannender waren als meine Wahl. Ein Glück, dass ich die meisten als Aufzeichnungen nachholen kann.

Aber wieder fühlte ich mich sehr unter my people (was in mir kein schlechtes Gewissen erzeugt, denn dies ist nicht der passende Ort, mal ganz andere Welten kennenzulernen). Der Kreis von Menschen, die ich auf der re:publica wiedersehe, wird immer größer, und auch diesmal kamen neue Gesichter zu Namen hinzu. Wieder bin ich überwältigt von der Größe und Qualität dieses Monsterprojekts, das die Macherinnen und Macher mit Spaß und Spinnerei gestemmt haben. Danke.

(Weil ich’s sonst nirgends unterbringe: Eine neue Erscheinung waren die zahlreichen animierten gifs in den Präsentationen. Und meinen Lieblingsaufkleber trug @riedelwerk)

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Berlin im Frühling 2014 – 6, re:publica“

  1. Anke meint:

    <3 „Juniorkunsthistorikerin“

  2. Kitty Koma meint:

    Stichworte “my people” und schlechtes Gewissen. Das hinterlässt in mir grade ein halbes Dutzend Fragezeichen. Warum? Es gibt doch keine zwingende Notwendigkeit sich auf die Differenz einzulassen, um sich gut besser zu fühlen. Zugehörigkeit ist essentiell und großartig. Gemeinschaft und Gleichgesinnte zu treffen, ebenfalls.
    Zumindest für mich.

  3. Tim meint:

    Zugehörigkeit ist gut und lebenswichtig. Aber es macht eben einen Unterschied, ob man sein Lebenselexiert aus der Mitgliedschaftt zur coolsten Fussballmannschaft in der Kreisklasse Ober-Bayern-Nord zieht, oder aus einer Gruppe, die das Selbstverständnis hat, zur digitalen Avantgarde auf dem Weg zur unausweichlichen Weltrevolution zu gehören, und dies medial immmer und überall penetrant vekündet.

  4. Petra_s meint:

    Da hat sich die Büromutti (ich) gerade wieder blamiert. Habe meine spontane Begeisterung über den Witz “…. in Hamilton gemessen wird” mit dem fotografierenden Jungkollegen (U 30) teilen wollen. Aber selbst meine Erklärversuche haben nur den Blick “Was will die Frau?” hinterlassen.
    Gott sei Dank kam noch der ältere Kollege um die Ecke mit der Frage “Wie hier denn noch der eine Film?”

  5. Kirsten meint:

    Die “Blogger Relations” – ich hab mich ja kurz vor Dir aufs Podium gesetzt (ich! Podium! Vor Aufregung musste ich erst mal ein paar Sachen runterfallen lassen) und ein paar etwas naive Fragen gestellt. Aber die Antworten und Deine Reaktion zeigen mir, dass das tatsächlich ein schwieriges Feld ist. Denn sicher fühlen sich viele Blogger gebauchpinselt, wenn ein Unternehmen offensichtlich auf sie aufmerksam wird. Aber: “Wir würden gern Dein gutes Suchmaschinenranking kaufen. Und die Special-Interest-Journalisten, die vielleicht Deinem Blog folgen”, – das klingt doch schon viel weniger charmant.

    Ich kann natürlich schlecht abschätzen, in wie viel Prozent der Fälle die Kunden tatsächlich an der Community an sich und evt. an Feedback oder ähnlichem interessiert sind – aber im schnelllebigen Agenturgeschäft ist das sicher eher die Ausnahme als die Regel.

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