Journal Samstag, 11. November 2017 – Bei der Modistin und die zermürbende Wirkung von Belästigung

Sonntag, 12. November 2017 um 8:31

Ausgeschlafen.
Ich war mit unangenehmem Kopfweh aufgewacht, das sich mit Ibu bekämpfen ließ, aber leichte Migränesymptome mitbrachte. Da Herr Kaltmamsell mich gebeten hatte, die Wochenendeinkäufe zu übernehmen und es draußen zudem ausgesprochen ungemütlich aussah, strich ich meine Schwimmpläne (obwohl ich doch diese Woche erst einmal zu spotlicher Bewegung gekommen war). Statt desse Körperpflege und ausführliche Einkaufsrunde, die mich über die Lebensmittelabteilung des Kaufhofs (Hackfleische, Jakobsmuscheln, Sojasoße) zum Klenzemarkt (Huhn, Olivenöl, Käse aus dem Bregenzerwald) führte. Auf dem Marienplatz versuchten sie allen Ernstes Faschingsbeginn (11.11.). Die Stimmung passte zum Regen.

Den Abschluss meiner Runde bildete die Modistin.
Seit ich mich erinnern kann, gibt es zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt den Hutladen Eisenblätter & Triska (tatsächlich seit 2000, also nur ein Jahr nachdem ich nach München zog). Genauso lang freue ich mich über jede neue Kollektion – es sind immer wieder bezaubernde Ideen dabei, meist bei den Damenmodellen, manchmal auch bei denen für Herren. Das Sortiment besteht vor allem aus gut alltagstragbaren Stücken, doch sind immer wieder auch richtige Hingucker dabei. Immer schon war mein Plan, mir mal einen zu kaufen oder machen zu lassen, anfangs mit dem Zeitplan “wenn ich mal gut verdiene”. Vor ein paar Jahren tauchten in den Auslagen Hüte auf, die mich sehr an die 20er Jahre erinnerten – und somit auch die Ohren bedeckten. Seither stand fest, dass das mein erster Winterhut von Eisenblätter & Triska werden sollte. Gestern setzte ich den Plan endlich um.

Astrid Triska kümmerte sich herzlich und aufmerksam um mein Anliegen; mein überdurchschnittlich großer Kopf (meine Hutgröße 59/60 kenne ich seit der ersten Hutphase als Teenager) war gar kein Problem. Lange liebäugelte ich mit einem Modell in Knallrot und mit streichelzarten Haaren, doch dann wurde es doch der in dunklem Bourdeaux mit breitem Ripsband und Persianerrand.
Abschließend machte ich mit Frau Triska gleich mal Pläne für einen Sommerhut (den hier bewundere ich schon lange).

Daheim ließ ich mich gleich mal von Herrn Kaltmamsell fotografieren:

Dazu passend: Der Schal ist handgewoben und aus Tel Aviv, die Ohrringe sind eine Goldschmiedearbeit, die ich vor vielen Jahren 100 Meter vom Hutgeschäft entfernt erworben hatte. Der Ledermantel ist allerdings h&m – ca. 15 Jahre alt und somit aus Zeiten, als ich noch anders einkaufte. Aber wenn er schon mal da ist, wird er selbstverständlich so lange wie möglich getragen.

In meiner Begeisterung postete ich das obere Foto gleich mal auf allen Kanälen und hoffte, dass andere den Hut auch so großartig finden. Ja, taten sie und machten mich verlegen. (Kann es sein, dass die Fotosoftware des iphones bei Porträts automatisch Filter einrechnet? Auf dem Bild sieht es aus, als trüge ich Make-up, also Deckcreme im Gesicht, tatsächlich waren nur Lippen und Augen geschminkt.)

Nachmittags Bügeln, dazu hörte ich ein interessantes Bayern-2-Interview mit der feministischen Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch (die ich als Web-Feministin der ersten Stunde kennengelernt hatte). Ich erfuhr über die Frage nach dem F. in ihrem Namen ihren familiären Hintergrund und dass ihr Buch Deutsch als Männersprache das meistverkaufte lingustische Werk deutscher Sprache ist.

Abends servierte Herr Kaltmamsell Hühnerbrust a la Kim, dann entwickelte ich mal wieder eine Runde Pokémon (immer noch lang keine Aussicht auf Upleveln).

§

Herr Buddenbohm macht schöne Beobachtungen in einer Bücherei:
“Was schön war”.

§

Immer noch mehr Geschichten über Sexismus, sexuelle Belästigung bis hin zu sexueller Gewalt – hier der Thread eines Twitterers, der um anonyme Weitergabe gebeten wurde.

Mir geht sehr in Kopf und Herz um, was sexuelle Belästigung und Gewalt von Kind auf mit Mädchen macht und wie sie die Frauen formt, die sie mal werden. Es braucht nicht viel Konstruktion für den Verdacht, dass wiederholte Vorfälle beim Aufwachsen, in denen Männer kleine Mädchen, Kinder, Teenager in überwältigende Scham- und Ohnmachtsgefühle treiben, mit denen Männer sie klein machen, ein Hintergrund dafür sind, dass Frauen später im Berufsleben oft Antrieb und Mut fehlt, sich in männer-dominierter Umgebung zu behaupten.

Ich zähle zu den Frauen, denen solche Belästigungen nicht angetan wurden. Ich weiß nicht, woran das lag, auf keinen Fall aber an irgendwas, was ich richtig und all die anderen Mädchen und Frauen falsch gemacht haben. Am allerwahrscheinlichsten hatte ich einfach scheißviel Glück. In Wonder Woman gab es eine viel bemerkte Szene, in der die Amazone Diana völlig selbstverständlich einen Raum mit wichtigen Männern betritt; ihr wurde nie vermittelt, dass sie als Frau dort nichts zu suchen hat, sie wurde nicht klein gemürbt. Ich habe den Verdacht, dass ich als junge Frau ähnlich auftreten konnte.

Doch lesen Sie bitte diesen Bericht der gestandenen Journalistin Ulrike Posche:
“Macht und Muffensausen”.

Man muss wirklich eine überdurchschnittlich resiliente Persönlichkeit haben, um in diesem Dauerbeschuss nicht beschädigt zu werden. Beschädigt, wie es verständlicherweise zum Beispiel diese Bloggerin wurde, die das mit der Journlistinnenkarriere lieber bleiben ließ.
“Me too – meine Erfahrung mit sexueller Belästigung (und wohin mich das geführt hat)”.

Nur die Harten kommen halt in den Garten? Mir wäre es recht, wenn es bestimmte Arten Härte nicht bräuchte.

Apropos:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/dC7NH7rIvRI

die Kaltmamsell

20 Kommentare zu „Journal Samstag, 11. November 2017 – Bei der Modistin und die zermürbende Wirkung von Belästigung“

  1. Theresia meint:

    Zum Thema Belästigung…. Kam als Thema auf der von Ihnen besuchten Bürgerversammlung in erschreckender Weise vor (Quelle: tz Bericht). Davon haben Sie nichts berichtet. Warum?
    Hhm!

  2. die Kaltmamsell meint:

    Hm, den tz-Bericht sähe ich gerne, Theresia (Foto?). Es gab Beschwerden über Anbettelei im Nußbaumpark und Bitte um mehr Polizeipräsenz vorm Matthäserkino. Beschwerden über sexuelle Belästigung hatte ich weder Anfragen noch Anträgen entnommen.

  3. Thea meint:

    Liebe Frau Kaltmamsell, diese Kopfbedeckung schmückt Sie ungemein. Genau ein solches Modell hatte ich vor Augen, als Sie von Ihren Hutkaufplänen berichteten. Kompliment und Chapeau.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Habe eben den Bericht der SZ nachgeschlagen, Theresia: Auch hier kein Wort von sexueller Belästigung. Anscheinend wird leider das Protokoll von Bürgerversammlungen nicht online gestellt, dort hätte man Genaueres nachlesen können.

    Die Online-Berichte von tz und Münchner Merkur schreiben ebenso wenig von sexueller Belästigung. Die Berichterstatterinnen haben zudem offensichtlich nach der Versammlung noch mit einigen Antragstellern und -stellerinnen gesprochen: Die meisten Zitate sind nicht aus der Bürgerversammlung (fiel mir besonders beim Sprecher des Matthäserkinos auf, dessen Antrag in der Bürgerversammlung aus drei kurzen Sätzen bestanden hatte).

  5. Nina meint:

    Das ist ein wunderschöner Hut, der Ihnen ganz außerordentlich gut steht!
    Zum Thema sexuelle Belästigung: kenne ich auch „nur“ in Form von an den Hintern grabschen, anzüglichen Bemerkungen etc. Das reicht ja an sich schon. Als Minderheit in meinem weiblichen Freundeskreis, die keine Vergewaltigungserfahrungen hat, glaube ich aber mittlerweile auch, dass das reines Glück war. Ja, einfach scheißviel Glück gehabt.

  6. Theresia meint:

    Drogenkriminalität am Nussbaumpark: Anwohnerin schildert ihre Erfahrungen

    Vor allem Drogensüchtige sind ein immer größer werdendes Problem am Nussbaumpark. Auf der Bürgerversammlung schilderte eine Anwohnerin ihre Erfahrungen. „Seit 29 Jahren lebe ich jetzt in der Nussbaumstraße“, sagt Susanne S. (56). „Aber so schlimm wie in diesem Sommer war es noch nie.“ Täglich geht sie hier mit ihrem Hund spazieren und sieht die Gegend im Abwärtstrend. Mit dem Ruf „Gib mir Geld, brauch ich Drogen“ habe sie kürzlich ein Mann aus dem Gebüsch angesprungen. Dann wurde sie nachts von einer größeren Männergruppe verfolgt. „Da liefen zwölf finstere Gestalten hinter mir her. Ich bin nicht empfindlich, aber jetzt habe ich Angst.“ Zwar würde ihr Vermieter von einer gehobenen Wohngegend sprechen, die Lebensqualität gehe aber immer mehr verloren. „Mein Mann und ich überlegen sogar, ob wir nicht wegziehen. Denn für diese Umstände zahlen wir eindeutig zu viel Miete.“

    Die Drogenszene beschränkt sich längst nicht mehr auf den Park, Susanne S. erzählt von Spritzen und Blutstropfen im Hausflur. „Hier wohnen auch Kinder, die gerne mal mit solchen Sachen spielen.“ Hinzu kämen massive Lärmbelästigungen: „Bis ein Uhr nachts schallen im Sommer aggressive Sprüche und anzügliche Pöbeleien zu uns in die Wohnung“, sagt S. Der Brennpunkt Nussbaumpark ist der Polizei seit langem bekannt, erklärte Hans Reisbeck, Leiter der zuständigen Polizeiinspektion. „Wir sind hier mit zivilen und uniformierten Beamten stark präsent.“ Repression und auch mal eine Anzeige müssten sein. Die langjährigen Erfahrungen zeigten aber, dass man nur eine Verdrängung der Drogensüchtigen in andere Gegenden erziele. „Wir brauchen unbedingt einen sozialen Ansatz, um den Menschen zu helfen.

    Quelle. tz 11.11.2017 “Die Angst wächst im Problembereich Hauprbahnhof”

  7. Susann meint:

    Ich habe ein langes Gespräch mit meiner Mutter, geb. 1949, über sexuelle Belästigung geführt. Sie meinte, in ihrem Büro hätte man sich unter Kolleginnen darüber ausgetauscht, wer von den Herren zum Grapschen neigte, und was man dann tun solle (“Gib eam a Renner, an ordentlichen, dann lasst ers.”).
    Ich frage mich, ob das eine Generationenfrage ist – ich (geb. 1975) habe nie mit Kolleginnen darüber gesprochen, geschweige denn Tipps ausgetauscht. Wir gingen als junge Frauen eigentlich davon aus,dass Männer und Frauen gleich wären und uns die Welt offenstünde, dass wir selbstverständlich nur mit fachlichen Hindernissen auf nserem Weg nach “oben” zu rechnen hätten.
    Ich denke, vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, wnen uns mal irgendeine/r darauf aufmerksam gemacht hätte, dass uns so etwas wie sexuelle Belästigung im Job durchaus passieren könne, weil nicht 100% der Männer Freunde und Feministen wären.
    Meine Mutter, aus einer Generation, in der anscheinend völlig klar war, dass es eben Männer gibt, vor denen man sich als Frau in acht nehmen sollte, tat sich viel leichter damit, sich zu wehren, wenn sie dann mal auf einen “Grapscher” traf.

  8. die Kaltmamsell meint:

    Mehr als die Hälfte dieser Äußerungen meiner Nachbarin, Theresia, fielen nicht öffentlich in der Bürgerversammlung; die muss sich die tz im Interview geholt haben. Konnten Sie auch die Passage mit den sexuellen Belästigungen wiederfinden?

    Ich wundere mich allerdings mittlerweile, warum tz und Münchner Merkur einen kleinen Aspekt der Bürgerversammlung als so dominant darstellen – Lärmbelästigung und Verkehrsprobleme nahmen deutlich mehr Raum und Zeit ein.

  9. die Kaltmamsell meint:

    Auch ich habe in den vergangenen Jahren den Eindruck, Susann, dass wir oft nicht sehen wollten, was nicht sein konnte – in unserer eben rechtlich gleichgestellten Welt. Umso wichtiger waren für mich die Aktion #aufschrei und die aktuellen Berichte, die die Tragweite des strukturellen Problems aufzeigen.

  10. Gaga Nielsen meint:

    ja, sehr schönes Modell. Gut gefällt mir auch der Gesichtsausdruck dazu, sehr gut kombiniert!

  11. Maz meint:

    [OT]: Du hattest mal gefragt, ob es eine gute Methode gibt, Granatapfel zu öffnen. Vermutlich weißt du es bereits. Dies kam mir letztens zufällig unter. Habe es selbst ausprobiert und klappt.
    https://youtu.be/WF7Yg3jXW1o

  12. Bettina meint:

    Hut steht dir gut!
    (Ich bin -so gesehen- auch eine Großkopferte… merk ich immer beim Mützenkauf. An Hüte habe ich mich (noch?) nicht drangetraut.)

  13. Bettina meint:

    Das ist ein interessanter Gedanke. Eine Generationenfrage ist es sicherlich… und früher hat es viel eher zum leider “Erwartbaren” gehört.

  14. Vinni @rabensturmig meint:

    Ein wirklich bezaubernder Hut! Steht Ihnen ausgezeichnet.

    Dass Hüte die Ohren nicht bedecken, hält mich immer davon ab, welche zu tragen…

  15. Susann meint:

    @Kaltmamsell
    Aber liefern wir dann nicht die Töchtergeneration ans Messer, wenn wir so tun, als wären sie am Arbeitsplatz sicher, wenn nicht auf der Überholspur, weil gleichberechtigt und in modernen Zeiten lebend, und es könnte ihnen nichts passieren?
    Vielleicht wurde aber anderorts fleißig gewarnt und nur in meinem direkten Umfeld war sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schlicht kein Thema. Wir waren aber wohl auch in meinem Freundeskreis kleine, idealistische, weltfremde Traumtänzerlein, in die thematischen Niederungen des Pograbschens hätten wir uns freiwilllig nie begeben.

  16. die Kaltmamsell meint:

    Großartig, Maz, ein Kurs in Granatapfelanatomie!
    (Wobei ich beim ersten Schritt “Wir pflücken einen Granatapfel” ein bisschen weinen musste.)

  17. Bettina meint:

    Und als ob nicht alles schon schlimm genug wäre, kommt dann Barbara Kuchler und erklärt, dass “die Frauen”™ doch selbst schuld sind:
    http://www.zeit.de/kultur/2017-11/sexismus-metoo-sexuelle-uebergriffe-aussehen
    Victim blaming at its best. Und hey, revolutionäre Lösung: weg mit der Schminke und den sexy Klamotten. Man könnte doch glatt die Burka erfinden, wenn uns da andere nicht schon meilenweit voraus wären.
    Arrrghhh. Ganz sicher #ohne mich.

  18. Modeste meint:

    Ich habe im Rahmen der Aufschrei und nun der Metro-Diskussion überhaupt erst bemerkt, mit welcher Selbstverständlichkeit ich auf die Allgegenwärtigkeit von Belästigungen reagiere. Das ist ein bisschen erschreckend, das eigene korrumpierte Bewusstsein, das auf teilweise sehr harte Stories erst einmal mit einem reflexhaften “na, was habt ihr erwartet?” reagiert, bis dann kurze Zeit später die Erkenntnis einsetzt, das nichts davon normal sein sollte.

  19. Jessica meint:

    Tolles Hutmodell. Persianer (Neugeborene bzw. durch Tötung der Mutter ungeborene Lämmer) als Besatz finde ich persönlich allerdings weniger toll.

  20. die Kaltmamsell meint:

    Ich brate und esse sogar Lämmer, Jessica (und finde gut, wenn dann auch ihr Fell und Leder verwendet werden). Der Besatz an diesem Hut ist allerdings gewebt.

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