Journal Freitag, 23. Februar 2018 – Bahn nach Bonn

Samstag, 24. Februar 2018 um 10:02

Seit Tagen schon freute ich mich auf die Bahnfahrt nach Bonn – ja genau, auf die Fahrt selbst. Herr Kaltmamsell und ich hatten uns für die längere und länger dauernde Verbindung entschieden, weil sie ein Umsteigen unnötig machte. Und so freute ich mich auf sechs Stunden Müßiggang mit wechselnder Aussicht und in angenehmer Gesellschaft (aber auch Fahrten allein empfinde ich fast immer als Auszeit). Ich machte bereits kurz nach Mittag Feierabend, holte mir am Bahnhof nach Langem mal wieder eine Leberkässemmel als Mittagessen und traf mich mit meinem Reisebegleiter am Gleis.

Und tatsächlich nahm der EC die alte Strecke, die ab Mainz den Rhein entlang fährt. Es dämmerte schon sehr, doch der Ausblick aus dem Fenster bot wieder Disney-Deutschland der Romantik: Burgen, Türmchen, Städtchen, Weinberge. Vorher war kurz vor Stuttgart der Schnee verschwunden, kurz vor Mannheim riss der Himmel auf und die Sonne schien.

Ärgerlich war das praktisch nicht vorhandene Funknetz, selbst an den Bahnhöfen herrschte oft nur Edgingen. Als verschmerzbar empfand ich hingegen die abschließend 15 Minuten Verspätung, die uns ein Halt auf freier Strecke wegen Bahnübergangsstörungen verschafft hatte – schließlich hatten wir keinen Anschlusszug zu erwischen.

Das mit dem Bahnübergang hatte allerdings eine überraschende Fortsetzung: Als wir im Süden Bonns ins Hotel gehen wollten, stand zwischen der Tram-Haltestelle (Straßenbahnen fahren in Bonn gerne mal unterirdisch, wir irrten am Bahnhof eine ganze Weile umher, bis wir die vorher recherchierte Straßenbahnlinie hinter dem Hinweis “U” fanden) und dem Hotel ein beschrankter Bahnübergang. An dem bei unserer Ankunft bereits ein Grüppchen Fußgänger, Radfahrer und eine beachtliche Schlange Autos wartete. Es dauerte vier Züge, bis sich die Schranke öffnete. Der Weg zum Restaurant führte uns denselben Weg zurück, bei geöffneter Schranke. Doch um nach einem sehr wohlschmeckenden italienischen Abendessen ins Bett zu kommen, musste wir wieder mit vielen anderen an der Bahnschranke warten, diesmal fünf Züge lang. Andere, die zur selben Samstags-Veranstaltung angereist waren wie wir, kamen am späteren Abend gleich gar nicht mehr zu einem Abendessen, weil die Schranke sich auch nach zehn Zügen nicht öffnete.

Ich war reichlich verdutzt, denn beschrankte Bahnübergänge habe ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr in deutschen Städten erlebt. In Bonn aber, so ließ ich mir inzwischen von einer Bonnerin erklären, ist das ein Feature:

In Bonn heißt es “entweder et is am rääne oder de Schranke sin zo”, aber ich sage euch: Oft ist die Schranke zu und GLEICHZEITIG REGNET ES.

(John Le Carré hat laut Techniktagebuch-Chat in A Small Town in Germany exakt dieses auf Englisch festgehalten.)

§

Ich bin ja so froh, wenn ich mich mal über was nicht aufrege. Anscheinend sind seit einiger Zeit nackte Knöchel modisch so angesagt, dass junge Damen und Herren auch bei den derzeitigen Minusgraden mit knöchelfreier Hose und Sneakersocken in Turnschuhen herumlaufen. Und während ich zum Beispiel lange Vollbärte scheußlich finde, mir Vollbärte ohnehin seit ca. 3 Jahren zum Hals raushängen – finde ich bloße Knöchel sehr hübsch, und kann mit ihrer Unvernunft bei winterlicher Kälte bestens leben. Das hat allerdings damit zu tun, dass meine Jugend in die Zeit der Angora- und Mohairpullis mit Fledermausärmeln und soooo tiefem Rückenausschnitt fiel, die ich wunderschön fand und auch trug (Benetton, dunkelblaues Angora, für 5 Mark auf dem Flohmarkt in der Herrenschwaige gekauft) – was die Erwachsenen ausgesprochen bescheuert fanden (O-Ton Mutter Kaltmamsell: “Oiso, entweder an warma Pulli oder an tiefen Ausschnitt!”).

§

Diese Illustratorin und Malerin kannte ich schon, als sie vor 28 Jahren noch für andere Maler Leinwände aufzog. Macht sie schon lange nicht mehr, Tina Berning illustriert untern anderem für die Zeit, den stern, die New York Times. Seit gestern hat sie einen Online-Shop, in dem man Drucke und Originale kaufen kann.

Nachtrag: Der Titel des Le Carré-Romans war zunächst falsch als angeführt worden, am 25.2. korrigiert.

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal Freitag, 23. Februar 2018 – Bahn nach Bonn“

  1. Frau Schmitt meint:

    Faszinierend! Der gleiche Satz zum Schranke-Regen-Alternieren war im Osten Deutschlands über Ilmenau bekannt. Da natürlich im Thüringer Dialekt. Die TU Ilmenau arbeitet übrigens in ihren Übungsaufgaben für Studenten intensiv weiter am Mythos:
    https://www.tu-ilmenau.de/fileadmin/media/dma/schreyer/GUDS/guds17s02.pdf

  2. die Kaltmamsell meint:

    Pruhaha, Frau Schmitt, das ist ja großartig, vielen Dank!

  3. Georg meint:

    beschrankte Bahnübergänge habe ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr in deutschen Städten erlebt

    Nische entdeckt: Städte anhand ihrer Bahnübergänge entdecken. In München besucht man da eher ungewohnte Ecken, aber es gibt solche Übergänge noch – einer ist beispielsweise direkt am S-Bahnhof Fasanerie (S1), ein anderer in Riem an der Trabrennbahn.

    Ansonsten: “Bericht aus Bonn” gerne gelesen; nota bene mit dem Running Gag der Bahnübergangsquerung/-vermeidung.

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