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5.3.2004 3:01 PM CET
Nice Work

Hey, da kann ich ja was reinschreiben!

Aus der Ferne hatten wir uns von Anfang an beäugt: Ich ihn, weil er groß und hübsch ist, schon sehr jung auf einem verantwortungsvollen Posten saß, außerdem einen klugen, forschen Blick hat. Er mich wohl, weil ich als eine der wenigen Frauen hier eingestiegen war, und als eine der noch viel wenigeren Frauen auf oberster Ebene mitmischte.

In direkten Kontakt kamen wir letztes Jahr auf einem Seminar für Kronprinzen. Er ergriff die erstbesten Gelegenheiten, mich aus einer ironischen Macho-Haltung heraus anzupinkeln. Bot ich zum Beispiel an, in einer Arbeitsgruppe mitzuprotokollieren, feixte er: „Ist doch immer gut, wenn man eine Sekretärin dabei hat.“ (Meine Reaktion: „Da wird sich meine Mutter aber freuen, dass doch noch was aus mir geworden ist.“) Nachdem ich eine englische Kurzpräsentation gehalten hatte, korrigierte er mich in der Aussprache eines Fachbegriffs. Ich äußerte Zweifel an seiner Version, und schon schoss seine Hand aus dem Anzugärmel: „Um was wett’ma?“ Na gut, ich bin es ja durchaus gewohnt, dass sich Männer vor mir fürchten. Ich schlug also ein, obwohl ich es gar nicht mit dieser Kindergarten-Wetterei habe; Wetteinsatz war eine Tafel leckere Schokolade. Ich hoffte sogar, dass er Recht haben würde - dann bräuchte er sich, so mein Kalkül, nicht mehr vor mir fürchten. Recht hatte dann doch ich. Na gut, forderte ich also nicht nur Bitterschokolade vom Feinsten ein, sondern gleich auch das Du.

Das hätte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden können, glaube ich. Praktischerweise sind wir ja auch beide verheiratet. Wenn, ja wenn der junge Mann nicht gerade in diesem Moment mächtig die Karriereleiter hochgerempelt worden wäre. Als ich mir meine Tafel Lindt Excellence abholte, saß er bereits in einem knapp-unter-Vorstand-Büro mit Vorzimmer. Über einen Austausch von kumpelhaften Scherzen waren wir kaum hinaus gekommen.
Zumindest traute ich mich, einem Impuls zu folgen und ihm zur Beförderung Nice Work von David Lodge zu schenken. Ausgangssituation für diese comic novel, die im Nordengland der 80er spielt, ist ein Austauschprogramm: Eine junge Uni-Dozentin für Englische Literaturwissenschaft (Spezialgebiet englischer Industrieroman des 19. Jahrhunderts) begleitet einmal die Woche den Arbeitstag eines Geschäftsführers in der Industrie.
In den vergangenen Monaten war fast alles, was ich von dem jungen Mann hörte, dass ihm das Buch gut gefalle. Zuletzt schneite er an meinem Büro vorbei um mir zu sagen, dass das ein ganz ausgezeichnetes Buch gewesen sein und er sich sehr über weitere Empfehlungen freuen würde.

Wie sehr dieses Geschenk bei ihm Vertrauen erzeugt hat, kam dann heute heraus.

Nach einer Besprechung bat er mich um „zwei Minuten“ unter vier Augen: Er brauche meine „Menschenkenntnis“. Oha.
Wir setzten uns in mein Büro und er packte aus: Dass er doch Herrn X habe entlassen, der damals auch an dem Kronprinzen-Seminar teilgenommen habe. Er berichtete, was ihm selbst jetzt vorgehalten wird, wie er die Situation einschätzt. Und bat mich um meine Sicht.
Ja, ich kenne solche Situationen aus eigener Erfahrung. Ja, ich weiß dass das die unangenehmste Seite einer Führungsposition sein kann. Und ich wusste das eine oder andere zu sagen. Dann tauschten wir uns noch über einige andere geschäftliche Aspekte aus, nach einem Viertelstündchen verabschiedete er sich, blieb noch kurz am Kalender neben meiner Tür hängen.

Ich bin immer noch völlig perplex.