Ein Gastarbeiter kommt an

Dienstag, 18. November 2008 um 6:33

Anfang des Jahres bat ich meinen Vater, doch mal zu erzählen, wie es war, als er 1960 nach Deutschland kam. Ich habe versucht, so wörtlich wie möglich mitzuschreiben. (Die Überschrift ist natürlich von mir. Déformation professionnelle. Das Unternehmen habe ich für Suchmaschinen unkenntlich gemacht.) Sie müssen sich das in Oberbayrisch mit spanischem Akzent gesprochen vorstellen, also z.B. “Daheim” ausgesprochen “Dachoam”.

Ich war der Spanier Nr. 192

Ich war 18, als ich 1960 zur Fabrik Nürnberg gekommen bin, direkt aus Spanien, aus Madrid. Jedes Land hatte eine eigene Anfangszahl der Personalnummer, die Spanier waren 80, meine Personalnummer war 80192.

Ich bin im November gekommen, und dann war es gleich so kalt. Ich hatte nichts Warmes, keine Stiefel, keinen Anorak. Bei der Fabrik in Nürnberg habe ich als Elektriker in der Instandhaltung gearbeitet, da musste ich viel raus, um Maschinen zu reparieren – ich konnte oft den Schraubenzieher nicht anfassen, weil der so kalt war.

Zwei Winter habe ich ausgehalten, dann habe ich mir woanders eine Arbeit drinnen gesucht.

Deutschland hatte in den Großstädten Büros zum Anwerben von Gastarbeitern. Auch in Madrid gab es ein Büro. Mein älterer Bruder Felix hat sich da beworben. Zwar haben die hauptsächlich Hilfsarbeiter gebraucht, und mein Bruder war gelernter Werkzeugmacher, aber den haben sie auch genommen. Er ist zu der Fabrik Nürnberg gekommen, und wir haben ausgemacht, wenn es da auch Arbeit für mich gibt, schreibt er einen Brief. „Die Fabrik braucht Elektriker“, hat er geschrieben, ich hatte ja Elektriker gelernt, so richtig mit Berufsschule. Also bin ich in einen Zug nach Deutschland gestiegen.

Sonst sind die angeworbenen Gastarbeiter in Gruppen mit Betreuer gefahren, wie Schafherden, aber ich bin allein gefahren. In Paris musste ich umsteigen. Das wäre für jemanden aus einem spanischen Dorf ein Problem gewesen, aber ich als Madrilene bin ja mit U-Bahn aufgewachsen. Ich bin also von einem Bahnhof zum anderen gefahren und habe mich in den Wartesaal gesetzt. Überall war Polizei, damals war ja gerade der Algerienkrieg. Ich habe sogar gehört, wie die auf der Straße geballert haben.

Felix hat mich in Nürnberg am Bahnhof abgeholt. Er hat mir gleich ein Bier bestellt, ein halber Liter – in Spanien kannten wir das damals nicht. Ich habe eine Gabardina dabei gehabt, also einen Trenchcoat, und einen Koffer aus Steinpappe, das war alles, was ich besaß.

Wir haben gegenüber von der Fabrik in Baracken in Sechs-Bett-Zimmern gewohnt. Die Küche war immer für zwölf Personen. Die Miete war 15 Mark im Monat, die wurde gleich vom Lohn abgezogen. Wir Spanier hatten Spaß in der Baracke, fast alle waren ja zum ersten Mal weg von Daheim. Zum Beispiel kamen ein paar Basken auf die Idee, mit dem Motorrad übers Dach zu fahren.

Ausschnitt aus Vaters Mitarbeiterausweis, den er eigentlich beim Verlassen des Unternehmens hätte abgeben müssen, aber – schlitzohrig, wie er schon immer war – behalten hat.

die Kaltmamsell

19 Kommentare zu „Ein Gastarbeiter kommt an“

  1. Schnilp meint:

    Schöne Geschichte…

    Davon würde man gerne mehr hören. Vielleicht kann der werte Vater der Kaltmamsell noch mehr Preis geben? Ich liebe solche Geschichten die das Leben schreibt.

  2. Barbara meint:

    Danke, das gefällt mir auch gut, solche Erinnerungen zu lesen. Hübsch sieht er aus, auf dem Ausweis. :-)

  3. walküre meint:

    Solche Geschichten sollten in den Schulbüchern stehen. Fächerübergreifend.

  4. Sebastian meint:

    El Monteur! Schön, wenn der Gastarbeitgeber Humor hat.

  5. Georg meint:

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    Schöne Geschichte, gerne gelesen.

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  6. Petra meint:

    Seh’ ich auch so @Walküre.
    Ich hatte spanische Gastarbeiterkinder bei mir in der Klasse. Wir spielten zusammen. Für uns war Spanien damals noch so weit weg – so ein fernes Land ! Wir fanden es immer spannend, wenn die Kinder oder deren Eltern davon erzählten.
    Es wurde z.B. auch ein Eltern- und Kulturverein gegründet. Ihn gibt es heute noch. Mittlerweile haben die Kinder von damals selbst Kinder und sogar Enkelkinder :-)

  7. KochSchlampe meint:

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    Gerne gelesen

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    @ Sebastian: ich denke, dass das ‘El. Monteur’ für Elektronischer (Elektrotechnischer?) steht und leider wenig mit dem Humor des Ausstellenden zu tun hat.

  8. Hande meint:

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    Gerne gelesen

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  9. Anke meint:

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  10. creezy meint:

    Viel zu kurz kommen diese Erfahrungen heute leider. Und wie bonfortinös sich das liest: Madrilene!

  11. Simone meint:

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    Gerne gelesen

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  12. croco meint:

    Ein schönes Leben, so klingt das. Ihr Vater ist ein mutiger Mensch. So einfach los zu ziehen, das kann nicht jeder.

  13. Tanja meint:

    Wunderbar. Ich denke, dass die Geschichte – wie viele andere hier – in einem Blog besonders zur Geltung kommt, weil sie in einem grösseren Zusammenhang steht. Aber natürlich würde ich derlei auch sehr gern in Schulbüchern lesen.

    Das Rührende daran ist für mich, dass ich weiss, dass dieser Mann, der den eiskalten Schraubenzieher kaum anfassen konnte, so viel Arbeit geleistet und so viele richtige Entscheidungen getoffen hat, damit seinen Nachkommen wiederum so vieles möglich war.

    Ich versuche Migration immer unter dem Aspekt zu sehen und argumentiere in meinem bisweilen richtig fremdenfeindlichen Land oft mit Einwanderergeschichten. Aber manchmal ist es selbst für die Eingewanderten schwierig, den neu Einwanderneden die nötige Empathie zu gewähren. Ich hoffe noch zu erleben, wie Töchter von Tamilen und Söhne von Kosvaren die Geschichte ihrer Eltern bloggen.

  14. la-mamma meint:

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  15. the-sun meint:

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    Gerne gelesen

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  16. generator meint:

    ¡gracias!
    Und bitte, wie ging es denn weiter für ihn?

  17. Jens meint:

    nicolas cage ist dein vater?

  18. die Kaltmamsell meint:

    Einige Jahre später vielleicht doch Robert de Niro, Jens?
    https://www.vorspeisenplatte.de/speisen/2005/07/familienalbum-4-mein-ordentlicher-vater.htm

  19. Herr Paulsen meint:

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