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Journal Montag, 21. Juli 2025 – Montäglicher Arbeits-Tsunami

Dienstag, 22. Juli 2025

Sehr unruhige Nacht: Um drei riss mich wüstes und anhaltendes Rumbrüllen mehrer Stimmen vorm Schlafzimmerfenster aus Tiefschlaf, der sich danach nicht wieder einstellte; statt dessen fluteten mich Angstwellen.

Aufstehen zum angekündigten Regenrauschen; für meinen Marsch in die Arbeit erwischte ich allerdings genau die passende Regenpause.

Nach Rechnerhochfahren überflutete mich nach Langem mal wieder ein Arbeits-Tsunami aus dem E-Mail-Postfach, zweieinhalb Stunden lang wirbelte ich recht panisch – und das, wo mein Kalender mich daran erinnerte, dass gestern der Start eines besonders dicken Arbeitsbatzens anstand. Was nicht half: Wieder war mir leicht übel, und seit ich Migräne habe, löst Übelkeit bei mir automatisch Müdigkeit aus.

Musste halt, ich berserkerte mich durch den frischen Aufgabenhaufen und fing Querschüsse auf. Um nicht irre zu werden, huschte ich auf einen Mittagscappuccino zu Nachbars.

Das Draußen übte sich in Supergreislich.

Komplexe Koordination und Planung anhand verschiedener Quellen und mit hoher Konzentration, ich fühlte mich wie eine Akrobatin (das ist nicht immer so, manchmal muss ich für dieselbe Tätigkeit alles mehrfach nachsehen und abgleichen, komme nur mühsam voran).

Mein Mittagessen schaltete ich gezielt vor eine komplett andere Sorte Aufgaben, um möglichst auch dafür den nötigen Fokus aufzubringen. Es gab Roggenvollkornbrot, Flachpfirsiche (hervorragend), das mit Umschalten und Konzentration klappte dann sogar. Binge working – fühlt sich durchaus angenehm leistungsfähig und nützlich an, aber auf Dauer – musste ich ja vor Jahren schmerzlich lernen – gehe ich an solch einem Tempo zugrunde. Diesmal lag es aber nur daran, dass ich mir die Wochenenden frei nehme.

UND: Der geplante Arbeitsbrocken erwies sich als kleines Bröckchen, das ich zudem locker auf die Folgetage verschieben konnte.

Unterhaltung auf dem Privat-Handy: Die Nifften urlauben auch dieses Jahr gemeinsam im (einem) Land ihrer Vorfahren, Kastilien. Über WhatsApp fuhr ich ein bisschen mit – mittlerweile sind sie auf dem Zieldorf bei Sepúlveda eingetroffen.

Zu Feierabend hatte sich das Wetter beruhigt, es schien sogar die Sonne und wärmte die Luft angenehm. Heimweg über Lebensmitteleinkäufe beim Vollcorner.

Zu Hause eine schöne Einheit Yoga-Gymnastik. Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell aus Ernteanteil schwarze Bohnen und Kartoffeln als Eintopf mit Sojahack.

Wirklich nicht hübsch, aber sehr gut (mit Sauerrahm und eingelegten Jalapeños). Nachtisch Süßigkeiten.

Früh ins Bett zum Lesen, ich erfuhr aus dem Ausstellungskatalog zu Farben Japans wie erhofft die Details, wie die große Sammlung japanischer Holzdrucke in der Bayerischen Staatsbibliothek zustande kam.

§

Ich wärme hiermit meine Idee einer nationalen Stadt-Radl-Challenge auf:
Radl-Teams aus den zehn größten Städten Deutschlands müssen in den nicht heimischen Großstädten eine bestimmte Strecke (die jedes Team für seine Heimatstadt definiert) zurücklegen und dabei alle Verkehrsregeln einhalten. Das Team mit der besten Zeit gewinnt. Für München fallen mir da einige Passagen ein, die für den Radverkehr so absurd geführt sind, dass man mit Absteigen und Schieben am einfachsten durchkommt. Ob das für den Wettbewerb erlaubt ist, müsste man vorher festlegen.
Wie ich draufkomme?

Journal Samstag, 19. Juli 2025 – Hochsommer-Rückkehr / Söder hat Recht

Sonntag, 20. Juli 2025

Unruhige Nacht, zum Teil möglicherweise dem Alkohol geschuldet, ganz sicher aber der Gaudi vorm Schlafzimmerfenster. Kurz nach sechs erklärte ich bei erneuter lauter Gaudi die Nacht für beendet.

Balkonkaffee in Wollsocken und Jacke.

Durch das frühe Aufstehen war ich sehr früh fertig für meine geplante Schwimmrunde: Ich radelte auf der schönen Strecke über Hackerbrücke, Nymphemburger Straße und Gern zum Dantebad, ohne unangenehm viel Verkehr auf Straßen, Rad- und Fußwegen befürchten zu müssen.

Schon um zehn war ich im Becken. Die Bahnen wurden emsig beschwommen, doch zu meinem Glück hatte gerade eine Schicht Geräteschwimmer*innen ihr Training abgeschlossen, meine eigenen 3.100 Meter unter wolkenlosem Himmel waren fast ausschließlich von gerätefreien Menschen begleitet.

Als ich das Becken verließ, zeigte das Thermometer 25 Grad im Schatten an – perfekte Sommerhitze. Ich legte mich für eine Stunde auf die Liegewiese (nach dem Regen der vergangenen Wochen wieder ergrünt – aber halt nur die Grashalme, die noch nicht vertrocknet waren, de facto bestand der Boden weiterhin zum Großteil aus nackter Erde), hörte den Soundtrack von Blade Runner 2049, schlief sogar kurz ein.

Nach Hause radelte ich die kürzere Strecke über die Dachauer Straße von roter Ampel zu roter Ampel, Zwischenstopp am großen Edeka Stiglmaierplatz. Dort stellte man mir einen Aufsteller Eszet-Schnitten in den Weg – deren Existenz ich komplett vergessen hatte, zu denen ich aber sofort griff: In meiner Kindheit hatten sie für mich einen ungeheuren Nimbus, waren was gaaaanz was Feines. Bei uns daheim gab es sie nicht (in den Augen meiner – vernünftigen – Mutter viel zu teuer und überflüssiger Marketing-Quatsch, machten außerdem dick), aber im Nachbars-Haushalt einer Spielkameradin (wo es ohnehin viel gaaaanz Feines gab).

Das Konzept pan con chocolate kannte ich aus Spanien, wo in meinen Kindheitsurlauben ein Stück Baguette mit einem Teil einer Tafel Billigschokolade belegt (köstlich!) eine Standard-Variante merienda für Kinder war, also die zusätzliche Mahlzeit zwischen 18 und 20 Uhr, die den Hunger bis zum Abendessen nach 22 Uhr überbrückte. Schokolade war im Franco-Spanien billig wegen enger Beziehungen zu Lateinamerika, und im Urlaub ließ meine Mutter ihre Diät-Zügel ein wenig lockerer. Zu den Urlaubsritualen gehörte damals ja auch, dass man anschließend ausgiebig darüber jammerte, wie viel man im Urlaub zugenommen hatte und was man degegen zu tun gedachte. (Macht man das heute auch noch so?)

Frühstück kurz nach zwei war also gestern eine Allgäuer Dinkel-Seele mit Butter und Tomate (wenn Gutebutter eine Backzutat ist, heißt der Brotaufstrich Dickbutter), eine besonders gute Mohnsemmel mit Eszet-Schnitten – eigentlich überrascht mich, dass es die noch gibt. Nachtrag: Außerdem gab es Aprikosen und Kirschen.

Anschließend gründliche Körperreinigung von Sonnenmilch und Freibadwiesenstaub mit Waschlappen und Seife. Mir fiel auf, dass drei der vier Waschlappen, die ich besitze, eigentlich Waschhandschuhe, noch von meinem Auszug aus dem Elternhaus stammen. Ich wuchs mit Waschlappen auf, bevorzugte aber bald nach Auszug lappenlose Körperreinigung – bei mindestens täglicher Dusche bin ich ja nicht wirklich schmutzig.

Dann brachte ich erstmal die Häuslichkeit dieses Wochenendes hinter mich: Bügeln. Es fühlte sich ausgezeichnet an, das erledigt zu haben. Die Wohnung war mittlerweile sorgfältig vor Hitze verschlossen und verdunkelt, die Lufttemperatur war draußen überraschend steil gestiegen.

Zeitunglesen, bis ich Lust auf eine Yoga-Runde bekam. Blöderweise erwischte mich genau in dieser halben Stunde ein Kreislauf-Purzelbaum inklusive Schweißausbruch.

Ich turnte bockig durch (inzwischen weiß ich, dass Hinlegen diese Kapriolen zwar etwas erträglicher macht, meist aber um den Preis, dass sie nach Aufstehen nochmal loslegen), versaute die Yoga-Matte. Schließlich bin ich gut darin, körperliche Befindlichkeiten wegzuschieben, wenn sie lediglich unannehem sind und ich eh nichts dagegen tun kann.

Für den Nachtisch schnippelte ich die letzten Erdbeeren der Saison.

Rückblick auf die Erdbeersaison. Auffallend dieses Jahr: Die Standard-Pappschachtel fürs Pfund heimischer Erdbeeren verschwindet; von allen Verpackungen kam sie nur zweimal vor.

Nachtrag: Als Aperitif Negronis. Zum Nachtmahl verwertete Herr Kaltmamsell die jungen Zucchini aus Ernteanteil und machte sie zu Blog-Salat. Die erste Aubergine der Saison aus unserer Kartoffelkombinat-Gärterei feierte er mit Braten in Scheiben.

Ganz köstlich. Nachtisch Erdbeeren mit Sahne, Schokolade.

Im Bett umständlicher Start meiner neuen Lektüre, weil nicht nur Papierbuch, das die Leselampe um meinen Nacken erfordert, sondern auch großes, dickes Buch: Thomas Tabery, Kevin Schumacher-Shoji (Hrsg.), Farben Japans, der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung.

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Ute Vogel verbloggt eine Besichtigung des Landtagsgebäudes in Düsseldorf:
“Landtag NRW: Demokratische Architektur”.

Darin verlinkt ein großartiges Video über den Bau – mir war gar nicht bewusst, dass noch 1989 dieser Doku-Stimmen-Duktus üblich war, den hätte ich in den 1970ern verortet.

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Andreas Rüttenauer deckt in der taz auf, wie genau Markus Söder mit seinen Aussagen über die DNA der hiesigen Bevölkerung trifft:
“Unser uriges Gen”.

Und wer es immer noch nicht glaubt: @cucinacasalinga hat nachgesehen.

Journal Dienstag, 15. Juli 2025 – Kunst und Literatur

Mittwoch, 16. Juli 2025

Gut geschlafen, aber viel zu früh aufgewacht – ich sah einen Müdigkeitseinbruch am Vormittag voraus (trat ein kurz nach zehn).

Diesmal marschierte ich in Jacke in die Arbeit – doch diesmal war das eigentlich zu warm, dieses seltsame schwül-kühle Wetter verunsichert mich völlig.

Büro-Start mit Schwung aus dem Postfach.

Meinen Mittagscappuccino hatte ich schon am frühen Vormittag mit einer Kollegin auf deren Anregung in der Nachbarcafeteria verschossen, also ging ich um die Zeit und in einer Gewitterpause lediglich um den Block – die schwüle Kühle war einer schwülen Wärme gewichen.

Zu Mittag gab es Nüsse und Hüttenkäse, dann ein geschätztes gutes Pfund sensationelle Kirschen: riesig, schwarz und köstlich. (Ich zahlte nach einer Weile mit Bauchweh dafür.)

Nachmittags knallten Gewitter immer wieder kübelweise Regentropfen ans Bürofenster wie Munition aus Schrotgewehren.

Für den Feierabend hatte ich wieder einen Party-Plan: Die Schwester einer Freundin in Berlin ist Künstlerin und stellt gerade in einer Münchner Galerie aus, das wollte ich endlich ansehen und nahm eine U-Bahn dorthin.

Ums Maxmonument ist gerade alles kaputt, eine Fußgänger- oder Radlführung existiert nicht.

Es freute mich tatsächlich sehr, diese Bilder auf gefundenem Papier, die ich seit vielen Jahren unter anderem von der Website der Künstlerin kenne, im Original zu sehen – und an der Materializität viel Neues zu entdecken. Die Werke der anderen Künstlerin, die ebenfalls gerade dort ausstellt, überraschten mich positiv, die werde ich mir merken.

(Die Leute in der Galerie waren ein bisschen komisch, ich poste lieber keine Details und weitere Fotos.)

S-Bahn vom Isartor zum Stachus, von dort aus ein paar Einkäufe. Daheim Yoga-Gymnastik und Häuslichkeiten. Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell die ersten Ernteanteil-Zucchini als Pasta-Gericht mit Zitronenschale und frischem Basilikum – sehr gut. Zum Nachtisch nochmal Erdbeeren – vielleicht die letzten der Saison. Und Schokolade.

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Montag hatte ich Barbara Kingsolver, Demon Copperhead ausgelesen.

Ich stürzte mich blind in die Lektüre, nachdem ich einige Monaten auf die E-Book-Datei in der Münchner Stadtbibliothek gewartet hatte. In denen hatte ich alles über das Buch vergessen, außer dass ich es lesen wollte. So dämmerte mir tatsächlich erst ganz allmählich beim Lesen, dass der Roman aber schon arg David Copperfield von Dickens glich (tatsächlich assoziierte ich erstmal Oliver Twist wegen korruptem Vormundschafts-/Jugendamt und hungrigen, ausgebeuteten Kindern) inklusive Erzählsituation. Und ich brauchte bis nach dieser Passage –

(in Dickens’ Vorlage kommt diese Weisheit von Wilkins Micawber, allerdings deutlich blumiger und witzig)

bis mir der Titel des Buchs auffiel. Dieses langsame, unverdorbene Dämmern war aber sehr schön.

Kingsolver verarbeitet fast den gesamten David Copperfield als US-Unterschichten-Drogen-Variante im sehr ländlichen Virginia: Allwissender Ich-Erzähler in Umgangssprache und aus der Rückschau, ausgebeutete Waisenkinder, zwielichtige Pflegeeltern, gesellschaftliche Hoffnungslosigkeit, aber immer wieder durchscheinend der Dickens-typische Optimismus.

Sehr klug ergänzt hat sie den zeitgenössischen Hintergrund der hausgemachten Drogensucht-Epidemie durch Oxycodon, vernachlässigte strukturame Regionen, die Psychologie von Pflegekindern. Und sie erfindet eine glaubhafte Erzählmotivation: Der Protagonist Damon schreibt als junger Mann in Therapie seine Geschichte auf. Nur selten aber wird die rückblickende Erzählsitution thematisiert, eher als Ausreißer.

Wie im Vorbild startet die eigentliche Geschichte nach ein wenig Vorgeplänkel mit dem Kind Damon und in schier unerträglichem Elend (aber mit ein paar hilfreich netten Erwachsenen). Von da an geht’s bergab, jeder Lichtschein am Horizont erlischt in immer noch einem Schicksalsschlag (oder wie die New York Times es zusammenfasst: “a relentless chain of tragedies interrupted sporadically with minor victories”). Mit der Zeit zog sich das in meinen Augen ganz schön: Dickens-Schinken lesen sich ja auch nicht mal eben weg, das war mir eine eher unangenehme Nähe zum literarischen Vorbild. Irgendwann las ich die Inhaltsangabe von David Copperfield nach, um die noch bevorstehenden Unglücke absehen zu können – und verlor fast den Mut. Doch auch ohne zu spoilern: Die späten finanziellen Nöte von Betsey Trotwood bleiben uns erspart. Worauf Kingsolver ebenfalls verzichtete: Die Ebene der Groteske, die Dickens durch einen gewissen Grad der Unzuverlässigkeit der Erzähl-Instanz schafft. In der London Review of Books beobachtet John Mullan:

Kingsolver does justice to the emotional and material deprivations of childhood in Dickens’s novel, but not to the comedy that sharpens the pain in the original.

Der Dickens-nahe Umfang des Romans (plus das lang dominante Thema Drogensucht, dessen Details mich schon seit vielen Jahren in ihrer Vorhersehbarkeit ermüden – ja ich weiß, dass das ein Vollzeitjob ist) hatte halt leider den Effekt, dass ich am Ende einfach nur froh war, den Roman rumgebracht zu haben. Fazit: Brillantes Handwerk – im englischen Sprachraum ist David Copperfield so sehr Allgemeingut, dass sich Kingsolver sehr genau auf die Finger schauen lassen musste. Auch der zeitgenössische Hintergrund wirklich gut gewählt.

Empfohlene Besprechung:
Elizabeth Lowry im Guardian:
“Demon Copperhead by Barbara Kingsolver review – Dickens updated”.

The idealism and concern with social justice that are characteristic of Kingsolver’s worldview find their natural counterpart in Dickens’s impassioned social criticism. While the task of modernising his novel is complicated by the fact that mores have shifted so radically since the mid-19th century – “immorality”, AKA extramarital sex? Who cares? – the ferocious critique of institutional poverty and its damaging effects on children is as pertinent as ever.

(…)

David Copperfield wonders “whether I shall turn out to be the hero of my own life”. Demon Copperhead poses a different question: what is heroism, anyway? When you’re a child born into a life without choices, this powerful reworking suggests, being a hero sometimes consists simply of surviving against the odds.

§

Jajaja, schreiben oder lesen Sie gern weiter Artikel über “Internet-Sucht” und warum der Zugriff auf Social Media den Untergang der Zivilisation bedeutet. Mein Internet ist seit Jahrzehnten anders.

Lesen Sie zum Beispiel bei Herzbruch, wie es mit ihrer Horror-Verletzung weiterging.
“14.07.2025 (post-Puschelparade)”

Ich freue mich extrem, dass aus dem Bitte-niemand-sehen, Bitte-keinen-Besuch noch vor wenigen Monaten ehrliche Begeisterung über fremde Menschen im Haus werden konnte.

„Das ist aber das Internet von 2010!“

Und auch ich lasse mir das halt nicht wegnehmen.

§

Wie ich von der Künstlerin Katja Kelm lernte, was Schattenfugenrahmen sind.

Journal Dienstag, 8. Juli 2025 – Lerche muss schwimmen

Mittwoch, 9. Juli 2025

Sehr früher Wecker weckte mich zu erwartetem Regenrauschen. Doch zum einen war das der weitaus geeigneteste Morgen in der Woche für einen Lauf vor der Arbeit, zum anderen besitze ich ja eine recht neue Lauf-Regenjacke, und richtig kalt war es auch nicht.

Dafür regnete es auf meiner Strecke entlang der Isar allerdings durchgehend und phasenweise kräftig. Ich kam erstmal nicht so richtig in Schwung, das Atmen fiel mir schwer. Und Aus- und Anblicke waren bei diesem Wetter auch nicht wirklich bereichernd. Aber mit der Zeit lief ich ruhiger, meine Brille blieb vor Tropfenverblindung verschont.

Kurzer aber heftiger Schreck auf dem Rückweg: Als ich für ein Foto in die Jackentasche griff, war mein Handy weg. Blitzartige innere Bilder, wie ich lang zurücklaufen musste, um es zu suchen, doch es lag wenige Meter hinter mir auf dem Boden. Jetzt war ich wirklich wach.

Ich kam mit nassem unteren Körperdrittel heim, nutzte die aufgeweichte Haut gleich mal für Fußpflege.

Der Marsch in die Arbeit bei weiterhin regnerischem Wetter machte mir unterm Schirm sowas von gar keinen Spaß, dass ich kurzerhand an der Theresienwiese zur U-Bahn hinunterging und mich den Rest des Wegs fahren ließ (zwei Stationen).

Im Büro geordnete Emsigkeit. Ich holte mir – nun ja, nicht gleich Ohrfeigen, aber Rempler ab für Ärgernisse, die irgendeine Einheit im Haus anscheinend verursacht hatte. Auf die mein Einfluss absolut Null ist, aber von weit genug weg gehöre ich halt dazu (merken für eigene Irrtümer in diesem Muster).

Mittagscappuccino im Westend. Für den Hinweg erwischte ich eine Regenpause.

Beim Cappuccinotrinken Gewerkschafts-Demo vorm Fenster – wie froh ich bin in einem Land zu leben, in dem das jederzeit und problemlos möglich ist, ich nehme es immer weniger als selbstverständlich. Auf dem Rückweg startete der Regen gerade wieder, wurde, wie es im Wetterberichtssprech heißt, “ergiebig”.

Verschiedene dringende Jobs führten zu besonders spätem Mittagessen: Ernteanteil-Gurke, gemischte Nüsse, Bananen, Kiwi, Aprikosen – alles sehr schmackhaft.

Am frühen Nachmittag ging neben Regen auch Gewitter mit Hagel nieder.

Zu Feierabend drohte der Himmel zwar weiterhin mit Regengüssen, ich nahm als Talisman einen Schirm in die Hand, doch es blieb trocken, und der Marsch nach Hause bereitete mir wieder Freude. Ich ging ohne Zwischenstopps heim, denn ich war mit Herrn Kaltmamsell zum aushäusigen Abendessen verabredet.

Seit Jahren komme ich nämlich an einem kleinen Lokal in der Nähe des Gärtnerplatzes vorbei, das sich auf türkische Mantı spezialisiert, die winzigen türkischen Teigtaschen, Lezizel, und möchte dort mal essen. Es gibt auch eine Filiale unterm Stachus – und zu der gingen wir gestern.

Ich hatte die vegetarische Variante mit Kartoffelfüllung, als Topping (neben dem Standard Tomatensauce, Joghurt, Paprikabutter) Hirtenkäse. Herr Kaltmamsell wählte die klassische Rinderfüllung. Ich war sehr hungrig und aß alles auf – eine kleine Portion hätte mich sicher auch gestättigt. Dazu Ayran, merken als Salzquelle bei Hitze.

Und nach der Pause des Heimwegs passte als Nachtisch auch noch Schokolade hinterher.

Sehr früh ins Bett zum Lesen: Ich muss Barbara Kingsolver, Demon Copperhead bald zurückgeben, und der Roman orientiert sich nicht nur in Titel und Handlung, sondern auch in seinem Umfang an David Copperfield.

§

Eine halbe Stunde aktuelle Doku über den Bau des neuen Münchner Hauptbahnhofs:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/0TbaUivwGxM?si=3w8Zn6tcIPyeoMBr

via @giardino

Für mich als Anwohnerin natürlich besonders spannend: Aktuelle Aufnahmen von der Baustelle, endlich kann ich mal hinter die riesigen Bauzäune schauen.

Unter anderem hörte ich zum ersten Mal von dem Interims-Bahnhof, der 2027 bis 2037 zentrale Funktionen übernehmen soll.

Auch gelernt: Inzwischen fällt die Jahreszahl 2039, wenn es heißt dann “wird man das alles sehen”. Ich bin gespannt, ob ich dann noch hier wohne.
(Hat irgendjemand irgendeine Aussage zu Fahradparken gehört? Ich nicht.)

Journal Samstag, 5. Juli 2025 – #WMDEDGT mit Freibadschwimmen und neuem Rechner

Sonntag, 6. Juli 2025

Auch an diesem 5. des Monats fragt Frau Brüllen: Was machst du eigentlich den ganzen Tag?, #WMDEDGT, in diesem Juli gesammelte Antworten hier.

Gut und lang geschlafen. Der Morgen war so kühl, dass ich für meinen Balkonkaffee in Socken und Strickjacke schlüpfte.

Vor dem Bloggen war ich abgelenkt: Einer meiner kleinen Internet-Freunde sammelte für eine Neueingebürgerte auf Spotify deutsche Klassiker und bat um Beiträge – eine ganz bezaubernde Idee, ich sorgte für Beteiligung süddeutscher Mundart (u.a. Haindling, Hubert von Goisern) und schlimmen Schlagern meiner Kindheit.

Wie schon seit dem Vortag beschäftigte mich innerlich das Lebenszeichen eines ehemaligen engen Freundes, mit dem ich zuletzt vor fast 30 Jahren Kontakt hatte: Alle möglichen Erinnerungen aus dieser Freundschaft meldeten sich, die in den letzten Jahren meiner Schulzeit begonnen hatte (wie fing sie eigentlich an? er war zwar auf dieselbe Schule gegangen, aber zwei Klassen über mir, und er hatte zum Beginn unserer Freundschaft bereits Abitur). Ich erinnerte mich an sehr viele Dinge, mit denen er mein Leben beeinflusst hat, die ich von ihm lernte.

An diesem Wochenende war der Plan Schwimmen und Wandern (Herr Kaltmamsell räumte dafür mit Anstrengung einen Tag frei), da es am Sonntag nicht so heiß werden sollte, fiel auf Samstag Schwimmen. Gründliches Sonnencremen, Herrn Kaltmamsell versorgte meinen Rücken. Ich hatte große Lust auf Radeln durch die sommerliche Stadt, konnte nur auf Verkehr ohne LALÜ!-Schrecken hoffen. Das klappte auch hinaus zum Dantebad.

Die Schwimmbahnen waren trotz bereits regem Freibad-Betrieb übersichtlich belegt, ich kraulte ungehindert und gedankenverloren 3.100 Meter. Abduschen, erneutes Eincremen, für eine gute Stunde legte ich mich aufs Gras.

Blick auf die Betontribüne über dem 50-Meter-Becken, das auch im Winter beschwommen wird. Im Sommer ist ein weiteres 50-Meter-Becken hinter mir gefüllt, doch das Wasser darin ist genau das Bisschen kälter, das mich frieren lässt. Ich bin durchaus ein bisschen traurig, dass ich nicht mehr im Schyrenbad schwimmen kann, weil mir mittlerweile sein 50-Meter-Becken zu kalt ist.

Auf den Ohren hatte ich beim Sonnenbaden den Soundtrack von Blade Runnder 2049, den ich für eine ganz hervorragende Weiterführung des Blade Runner-Soundtracks von Vangelis halte – obwohl Hans Zimmer dahintersteht (und Benjamin Wallfisch; es heißt ja, dass die Soundtracks vom Zimmer Hans immer so gut sind wie seine Praktikanten).

Ereignisloses Heimradeln Stop and go von roter Ampel zu roter Ampel, jetzt suchte ich bereits wieder bei jedem Anhalten Schatten.

Daheim in der vedunkelten Wohnung nach Auspacken Frühstück kurz nach halb drei: Walnussbrot mit Butter und Tomate, dann eine Mango (von dunkelgrün und hart zu dunkelgrün und innen matschig und braun gereift) und Pfirsiche mit Sojajoghurt.

Dann aber packte ich endlich mein neues MacBook Air aus und die Inbetriebnahme an, ich zitiere die gesamte Gebrauchsanleitung auf einem mitgelieferten A5-Einseiter mit Abbildungen von Tastatur und Schnittstellen:

Das MacBook Air schaltet sich automatisch ein, wenn du es aufklappst.
Der Systemassistent unterstützt dich bei Konfiguration und Inbetriebnahme.

Und also geschah es.

Nach einem Zwischenschritt ging ich unter die Dusche, reinigte und pflegte Haut und Haar.

So eine Migration von vollem alten auf leeren neuen Rechner dauert ja eine Weile. Ich hatte ein Auge darauf, während ich die angesammelte Sommerkleidung bügelte, gut anderthalb Stunden. Dazu hörte ich die Neueingebürgerten-Playlist, hatte dabei natürlich weitere Ideen (Reinhard Meys “Über den Wolken” war noch nicht drin!). Und ich hatte endlich alles weggebügelt.

Bis zum Ende der Rechner-Migration war immer noch hin, ich las Zeitung und turnte Yoga-Gymnastik (beim konstanten Geplapper von Adriene fiel es mir manchmal schwer, die eigentlichen Cues zu erwischen).

Zum Nachtmahl verwandelte Herr Kaltmamsell die Agretti aus Ernteanteil in ein Pastagericht mit gerösteten Pinienkernen, Knoblauch, Parmesan, ich machte den restlichen Ernteanteil-Salat mit Tahini-Dressing an.

JETZT war die Rechner-Migration abgeschlossen, ich klickte mich durch die Inbetriebnahme-Schritte des neuen Rechners. Da ich bei sowas ausgesprochen unentspannt bin, ging Herr Kaltmamsell in seinem Zimmer in Deckung. Als sich gleichmal mein E-Mail-Programm Thunderbird nicht starten ließ, holte ich ihn zu Hilfe. Wir lösten das Problem, er konnte mir dann auch gleich bei Seltsamkeiten des Starts meines Office-Programms Libre Office helfen. Dafür, dass ich mich so anstellte, ging die Einrichtung aber flott und glatt.

Nachtisch Süßigkeiten, im Fernsehen ließen wir Men in Black 3 laufen, immer wieder schön.

Ich bildete mir ein, bereits kürzer werdende Abende am früher dunklen Himmel zu erkennen. Schön war eine recht früh einsetzende Kühle, wir konnten schon vor dem Schlafengehen Fenster und Türen öffnen.

Im Bett las ich weiter Barbara Kingsolver, Demon Copperhead – der Roman wird immer David-Copperfield-iger, die Handlung schiebt den armen Protagonisten immer tiefer in die Scheiße.

Journal Freitag, 27. Juni 2025 – Heumachen an der Isar

Samstag, 28. Juni 2025

Nachts hatte ich nichts von den köstlichen Regengerüchen, die durchs offene Schlafzimmerfenster kamen: Nach weiteren Mückenstichen hatte ich mich so gründlich eingesprüht, dass ich ausschließlich Mückenspray roch.

Extrafrüher Wecker, wieder stand ich bereits aufrecht, bevor ich eigentlich wach war. Wusste aber sofort, warum: Lerchenlauf, da ich am Wochenende keine Gelegenheit zu einem Lauf haben würde und da gestern der eine kühle Tag zwischen zwei Hitzeperioden sein sollte.

Ich kam gut los, unter Wolken und in angenehmer Frische.

Überraschung an der Isar: Es wurde gerade Heu gemacht.

Nach einer ersten einsamen halben Stunde wurden die Wege um halb sieben fast schlagartig belebt. In der Luft weiterhin Lindenblütendüfte – wenn ich sie durch die immer noch dominanten Mückenspray-Ausdünstungen überhaupt in die Nase bekam. Na gut, ich sehe es ein: Das war zuviel Antibrumm.

Mein Körper spielte hervorragend mit, ich genoss das Laufen so sehr, dass ich mir nur mit Anstrengung eine Zusatz-Viertelstunde verkniff: Ich sollte aus Gründen nicht zu spät am Arbeitsplatz eintreffen.

Das tat ich dennoch um die eine Minute zu spät, die ich einen wichtigen Anruf verpasste – das konnte ich aber ausbügeln.

Vormittags kam die Sonne raus – und ich wurde wieder unruhig, da ich mit Aussicht auf einen wolkigen Regentag keine Sonnen- und Hitzeschutzmaßnahmen in der Wohnung getroffen hatte. Und ich war unglaublich müde. Mittagscappuccino bei Nachbars also nicht wie sonst immer ein kleiner, sondern ein normaler Cappuccino – das vertraute Personal reagierte verstört: “EIN NORMAAALER?!” Dabei weiß ich doch, dass mehr Koffein mich keineswegs wacher macht, lediglich zittriger.

Nach Mittag (Mango mit Sojajoghurt, Aprikosen, gummig-harter weißer Pfirsich, der einfach nicht nachreifen wollte) immer noch sehr müde, so richtig mit Augenzufallen beim Lesen einer Unterlage und Kopfhochreißen. Aber auch diesen Arbeitsnachmittag brachte ich rum.

Nach Feierabend zog ich zu Einkäufen los, nahm erstmal die U-Bahn zum Candidplatz, um im Caffe Fausto Nachschub an Espressobohnen zu besorgen. Der Fußweg zur Kraemerschen Kunstmühle ließ mich bereuen, keinen Schirm dabei zu haben: Am Himmel türmten sie dunkelstgraue Wolken mit bedrohlichem Wind. Ging aber gut aus, das Gewitter zog an München vorbei, auch zurück in der Innenstadt absolvierte ich die Wege zu Lebensmitteleinkäufen und nach Hause trocken.

Daheim Abschluss meiner Pilates-Woche mit Gabi Fastner, diesmal war ich auf die Brutalst-Bauchübung (auf dem Rücken liegend die gestreckten Beine zweimal scheren und dann im Halbkreis in die Gegenposition bringen) ganz am Ende gefasst.

Feierabend-Drink wurde der erste Pimm’s der Saison, mit (gefrorener) Ernteanteil-Minze, Gurke aus Ernteanteil, Apfel. Als Nachtmahl hatte ich mir Fleisch und neue Kartoffeln (Ernteanteil) gewünscht, Herr Kaltmamsell briet uns ein herrliches Entrecôte und kochte Kartoffeln. Dazu machte ich mit dem Rest süßer Zwiebel und zugekauftem Romanasalat sowie Tomaten spanischen Salat.

Nachtisch Wassermelone und Schokolade.

Abendunterhaltung: Die zwei weiteren Folgen arte Stimmt es, dass…?, also “Haben wir früher mehr geschuftet?” (darin u.a. als Schlüssel die Verfügbarkeit von Energie) und “Stammt die Demokratie aus Griechenland?” (darin u.a. Formen demokratischer Prozesse in anderen Kulturen als unserer).

Im Bett begann ich neue Lektüre: Barbara Kingsolver, Demon Copperhead; sie traut sich, mit der Stimme eines White trash-Buben zu beginnen.

§

Donnerstagabend hatte ich Becky Chambers, The Long Way to a Small Angry Planet ausgelesen.

Bis zum Schluss wollte ich wissen, wie es weitergeht, freute mich auf die Lektüre um die Besatzung des kleinen, zivilen Transport-Raumschiffs Wayfarer. Ich mochte den freundlichen Tonfall und all die Beschreibungen des Fremdartigen sowie seiner Bewohner*innen – auch wenn schnell klar war, dass hier ausführlich eine Welt aufgebaut wird, in der noch viele Romane spielen sollen. Immer wieder hielten mich Details davon ab, mir vor allem die handelnden Figuren zu menschenähnlich vorzustellen, mal explizit, mal implizit, aber sehr gezielt. Und es gab eine Menge wirklich facettenreicher Figuren, von denen ich mir gern erzählen ließ, darunter einige gegen meine Lese-Erwartung.

Menschen sind hier nicht die einzige Art (sapients), die ihre Geschichte verkackt hat, ich bekam reichlich Technik (und Techniker*innen) geliefert, unterschiedliche Vorstellungen von Fairness, verbotene Liebe, diverse Familienkonzepte (Eier-legende Arten unterscheiden sich natürlich von lebend gebärenden). Allerdings litt in meinen Leserinnen-Augen das Tempo der Handlung trotz aller Action-Szenen unter der Ausführlichkeit der Beschreibungen und Hintergrundgeschichten der Figuren. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Tempo in den Folgebänden der Roman-Serie anzieht, wenn das eine oder andere bereits vorausgesetzt werden kann. (Oder alles wird nochmal erklärt, damit man auch mitten in der Serie einsteigen kann?)

§

Die diesjährige Klagenfurter Rede zur Literatur nachgelesen, “Drei Tage im Mai”.
Nava Ebrahimi findet für viele Dinge die Worte, nach denen meine Gefühle vergeblich suchten, zum Beispiel mit dem “Sog der Alternativlosigkeit”, mit dem Reden über Schmerz statt über Schuld. Am Ende schlägt sie den Bogen zur Literatur:

Wenn wir uns hinsetzen und beginnen, Wörter und Sätze aneinanderzureihen, formen wir Vergangenheit, erschaffen wir Gegenwart und wirken wir auf das ein, was noch geschehen wird – ganz gleich, wie sehr wir dabei aus unseren Biografien schöpfen.
Wir nehmen uns die Freiheit, zu gestalten.

(Später festgestellt, dass Maximilian Buddenbohm seinen gestrigen Blogpost nahezu demselben Phänomen widmete: Sich sein Leben zurechtschreiben.)

Journal Freitag, 13. Juni 2025 – Abend im Dantler / Dinçer Güçyeter, Unser Deutschlandmärchen

Samstag, 14. Juni 2025

Zu früher Wecker, ich hatte gerade besonders schön geträumt. Aber mir fiel gleich meine Abendverabredung mit Herrn Kaltmamsell ein und munterte mich auf: Dieser Freitagabend sollte im Dantler gefeiert werden. Draußen der vorhergesagte Sommermorgen mit herrlichem Licht.

Marsch in die Arbeit in Morgenfrische und leichtem Lindenduft, in der Arbeit ordentlich Arbeit.

Auf auf dem Weg zu meinem Mittagscappuccino war es lediglich angenehm warm, wieder genoss ich die Luft.

Zu Mittag gab es reichlich Aprikosen, außerdem restliche Nektarinen und Flachpfirsiche, davor eine Hand voll gemischte Nüsse als magenschonende Unterlage (klappte nur ein bisschen). Für Freitagnachmittag war es dann auf meinem Schreibtisch überraschend emsig, doch ich kam pünktlich wie geplant in den Feierabend.

Linden-Party an der Heimeranstraße.

Nach Hause ging ich über einen Umweg in der Innenstadt für Komplettierung Geburtstagsgeschenke, am Samstag sind wir bei meiner Familie zu Geburtstagskaffeeundkuchen eingeladen.

Daheim kurzer Schuh-Wechsel: Ich nutzte die Gelegenheit, die edlen Hochzeitsschuhe vom Vorjahr auszuführen.

Nach Obergiesing zum Dantler nahmen wir die Tram statt die U-Bahn, um mehr vom Sommerabend mitzubekommen: Die Isarauen bunt vor Menschen, den Giesinger Berg rauf jede Kneipenmöglichkeit genutzt.

Im Restaurant wurden wir herzlich begrüßt. Da ich mich auf die Weinbegleitung zum Menü freute, ließ ich mir lieber einen alkoholfreien Aperitif mixen: Schön herb mit Grapefruit und Bitter Lemon, Herr Kaltmamsell hatte einen mit Hollunder.

Und dann begann das große Schlemmen.

Salade mediterranée mit Artischocke, angeschmorten Datteltomaten, herzhafter Ricotta und Basilikum – das wurde gleich mal mein Lieblingsgang. Dazu gab es einen ganz jungen Gelben Muskateller Zweytick aus der Steiermark, überraschend herb.

DIE KAROTTE (muss immer dabei sein) kam diesmal gegrillt mit Salzzitrone und Zitronenverbene. Im Glas der letzte spontanvergorene Giesinger Berg von Claus Preisinger aus Gols – wir erfuhren, dass es auch einen Nachvolger geben wird.

Auch den optionalen Zwischengang wollten wir: Seeforelle mit Teriyaki, Senfsaat und Sesam – ganz hervorragend, und die Begleitung durch einen Grauburgunder Dreißigacker aus Rheinhessen zauberte zusätzliche Geschmacksnoten hervor.

Forelle in Mandelbutter kross gebraten mit Radi und Gingerbeer-Sud, dazu einen weiteren “Giesinger Berg”, aber als Weiß- und Grauburgunder-Cuvée von Zweytick.

Zum Onglet mit Spargel gab es einen interessanten Lagrein Riserva Cantina Terlan aus Südtirol.

Als Pre-Dessert wie immer im Mini-Weizenglaserl und mit Brause-Körndln drauf: Erdbeere.

Weiße Schokolade, Himbeere, Mandeleis – ganz wunderbar. Der Wein dazu passte nicht recht, war aber für sich ein Knaller: Riesling Kabinett “Limestone” von Keller aus Rheinhessen – kaum Restsüße, mit prickliger Säure. Wir überlegten mit Wirt Jochen Kreppel, womit man ihn noch kombinieren könnte, Jochen kam auf den wahrscheinlich besten Vorschlag: Leberwurst. Würde ich definitiv probieren.

Auf Espresso hatten wir beide keine Lust, ließen uns statt dessen Vogelbeerschnaps einschenken.

Spaziergang zurück zur Tram durch warme Sommernacht, statt zehn Minuten zu warten spazierten wir auch den Giesinger BergNockherberg runter zum Halt Mariahilfplatz, überall nächtliches Feiervolk, die Nacht genießend.

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Dinçer Güçyeter, Unser Deutschlandmärchen

Wieder ein Roman über eine türkische Gastarbeiterfamilie aus der Perspektive der zweiten Generation, und wieder ganz anders als alle, die ich bislang gelesen habe.

Hier sind wir in einer deutschen Industriearbeitergegend, Opel-Land. Der Vater ist ein verantwortungsloser Hallodri, der sich ständig in neue “Geschäfte” stürzt, die alle kein Geld abwerfen, sondern die Familie immer höher verschulden. Um sie zu ernähren, geht die Mutter Fatma in die Fabrik arbeiten, und um die Schulden abzuzahlen, nimmt sie einen zweiten Job als Erntehelferin an, organisiert unter den türkischen Einwanderinnen mit ähnlich nichtsnutzigen Ehemännern einen richtigen Erntehilfe-Trupp – natürlich ohne Arbeitnehmerinnenrechte zu kennen und in entsprechend ausbeuterischen Umständen.

Doch wer kümmert sich um die Kinder, ihre beiden kleinen Söhne, nach denen sie sich so sehr und so lange gesehnt hatte? Ihre alte Mutter wird aus der Türkei geholt, um auf die beiden aufzupassen, während Fatma Geld verdient. Ich hatte sofort die alten türkischen Frauen vor Augen, über die im Ingolstädter Arbeiterviertel meiner Kindheit am hässlichsten gelästert wurde: Offensichtlich bäuerlicher Herkunft, für einheimische Augen schlampig gekleidet, sprachen kein Wort Deutsch, konnten weder lesen noch schreiben – doch hatten sie sich sicher nicht ausgesucht, in kompletter Fremde zu leben, ohne Kontaktmöglichkeiten. Sie kamen halt wie ihr ganzes Leben zuvor ihrer Pflicht nach, weil jemand auf die Kinder aufpassen musste. Pflichtbewusstsein wie Queen Elizabeth II, die sich ihren Lebensweg auch nicht ausgesucht hat, show some respect!

Dann wieder tauchen im Roman bekannte Umstände auf: Das Gastarbeiterkind, das im Kindergarten sein erstes Deutsch lernt – und fortan von den Erwachsenen überallhin als Dolmetscher mitgenommen wird (“wie eine Aldi-Tüte mitgeschleppt”). Oder der Druck, in der Heimat als erfolgreich dazustehen – mit Geschenken und Geschichten.

Aber diese Zusammenfassung wird dem Buch nicht gerecht. Die faktische Handlung und Geschichte ergibt sich nämlich aus einer Vielzahl von Einzelteilen in kurzen Texten, mal aus der Perspektive von Fatma, mal aus der ihres Sohnes, mal als Geschichte, dann als Lamento, als Gedicht, als Lied. Dazu kommen Fotos aus dem Familienalbum.

Am meisten erfahren wir über die Personen nicht aus Selbstaussagen, sondern aus denen übereinander. Von Fatmas Lieblingsschauspielerin erzählt Dinçers, wie in sich gekehrt Dinçer ist, beschreibt seine Mutter – die unter anderem deshalb enttäuscht von ihm ist und fürchtet, er würde wie sein Vater; dabei ist irrelevant, dass er schon als Kind aus eigenem Antrieb zum Lebensunterhalt der Familie Geld verdiente. Die ewige Tragödie von Kindern, die einfach nicht sind, wie ihre Eltern sie gerne gehabt hätten, Schmerz und Leid auf beiden Seiten. Und dann zieht es Dinçer auch noch zur Literatur mit immer dickeren Klassikern, zum Theater, auch wenn er in der Fortsetzung des mütterlichen Pflichtbewusstseins seine Lehre in der Fabrik abschließt.
Die Stimme des Vaters liest man bezeichnenderweise nicht, er hat eh nur gestört.

Und wie so oft bei erfolgreichem Ausbruch aus Fremdbestimmtheit gibt es auch hier einen Deus ex machina, Dinçer lässt ihn spät im Buch auftreten.

Dinçer Güçyeter kommt eigentlich aus der Lyrik und aus dem Theater, das ist offensichtlich. Und es liegt nahe, den Roman (?) auf der Bühne zu inszenieren, wie es gerade das Gorki-Theater macht.

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Zum Deus ex machina von Dinçer Güçyeter passt der jüngste Post von dasnuf (ich freue mich ungemein, dass sie wieder bloggt; einige der besten Blogposts aller Zeiten stammen von ihr – “ACHETUNGE! ACHETUNGE!”). Sie besucht gerade wichtige Kontakte aus ihrer Vergangenheit, lesen Sie bitte selbst die geniale Grundidee.

Vergangene Woche war Patricia in
“Forchheim”.

Mit 17 hat mich meine Mutter auf die Straße gesetzt. Die Zeit davor war auch nicht gerade harmonisch. Die Orte zu sehen, verbindet mich mit meiner Vergangenheit und es schmerzt wie einsam und unverbunden mit der Welt ich mich früher gefühlt habe.

Ich erkenne im Nachhinein, dass ich nie alleine war. Ich hatte so viel Unterstützung auf meinem Weg.
Die Eltern einer Freundin, die mir eine Wohnung organisiert haben. Die Frau, die mir diese Wohnung damals für 100 DM vermietet hat, damit ich mein Abi machen kann. Der Freund, der mit mir gebrauchte Geräte gekauft hat, um meine neue Wohnung auszustatten. Der Bio-Lehrer, der mich den ganzen Sommer mit Gemüse aus seinem Garten versorgt hat, damit ich immer genug zu essen habe.

Ich hasse deswegen diese neoliberalen Sprüche, dass man sich im Leben nur anstrengen muss, dann würde alles gelingen. Nein, das Anstrengen alleine bringt gar nichts, man braucht auch Glück und Unterstützung.

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Hier kann ich schön die gestrige Folge von “Reden wir über Geld” der Süddeutschen Zeitung anlegen (€):
“‘Ich spare wie ein Deutscher'”.
Das sagt Autor und Tiktoker Tahsim Durgun, der mit Mama, bitte lern Deutsch einen Bestseller geschrieben hat (steht schon auf meiner Leseliste) und sein Lehramtsstudium derzeit pausiert – vorübergehend geschlossen wegen Erfolg.