Journal Montag, 11. März 2024 – Naomi Alderman, The Future
Dienstag, 12. März 2024Guter Schlaf, einmal unterbrochen durch eine laut und wirr rufende Männerstimme vorm Schlafzimmerfenster.
Der Morgen sonnig und knackig kalt.
Die Magnolien ganz kurz vorm Platzen.
Emsiger Vormittag, die Sonne und der blaue Himmel vorm Fenster machten sich dennoch hervorragend. Mittagscappuccino bei Nachbars.
Zu Mittag gab es dann Hüttenkäse, außerdem Granatapfelkerne mit Joghurt und Mohn. Und ein wenig Nachlesen der Oscarnacht, auch dieses Jahr war mir die Anstrengung des Live-Guckens zu groß im Verhältnis zu den wenigen selbst gesehenen Filmen. Ich freute mich über die Oscars für Poor Things: Hauptdarstellerin Emma Stone, Bestes Szenenbild, Beste Kostüme, Beste Maske – fehlte nur der Oscar für bestes adaptiertes Drehbuch. Allerdings kann ich den Gewinner in dieser Kategorie, American Fiction, nicht beurteilen, weil halt nicht gesehen.
Der Nachmittag wurde ein wenig stressig, weil Dinge kompliziert waren und ich sie nicht allein lösen durfte, sondern abstimmen musste. (Ich erkenne inzwischen SO klar, dass ich keine Team-Playerin bin.) Außerdem ein seltsamer Abschied.
Auf dem Heimweg (immer noch recht frisch, ich war dankbar um Mütze und Handschuhe) ein paar Supermarkt-Einkäufe.
Kaiser-Ludwig-Platz
Zu Hause eine Runde Yoga-Gymnastik, tat sehr gut. Als Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell das Ernteanteil-Blaukraut auf meinen Wunsch zu Rohkostsalat mit Feta verarbeitet (doppelt so viel Blaukraut, doppelt so viel Feta). Ich hatte mich den ganzen Tag schon darauf gefreut, schmeckte auch wundervoll. Nachtisch Schokolade.
Im Bett die nächste Lektüre, wieder eine vorzeitig verfügbare Vormerkung in der Münchner Stadtbibliothek: Wolf Haas, Eigentum.
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“Katja Diehl: ‘Wir zahlen für die Autos der Anderen. Ist das gerecht?'”
Wir müssen dieses Narrativ von „wir müssen alle mitnehmen“ hinterfragen. Mein Eindruck ist: Wir tun so, als wenn der jetzige Zustand der Garten Eden ist, in dem es allen gut geht. Und dann kommen diese Leute und wollen uns die Autos wegnehmen. Das stimmt aber einfach nicht.
(…)
Menschen in Armut spielen immer dann eine Rolle, wenn die Benzinpreise steigen oder ähnliches. Ansonsten kümmert man sich aber nie um sie. Dann hätten wir ja zum Beispiel die Gehälter in der Pflege deutlich erhöht. Warum verdienen Menschen in der Pflege so viel weniger als Menschen, die ein Auto herstellen? Es geht dabei nicht darum, die Armut in Deutschland zu beenden. Wir kümmern uns darum, die Autoabhängigkeit aufrecht zu erhalten.
In den Kommentaren habe ich für Sie schonmal vorgearbeitet.
§
Naomi Alderman, The Future.
Der Roman spielt in einer nahen Zukunft, in der die Klimakatastrophe deutlich weiter fortgeschritten ist, und dort zum einen in der Welt der Online-Milliardäre (Amazon, Apple/Microsoft und Facebook/Twitter sind recht klar hinter den drei Techno-Unternehmen mit Weltmacht zu erkennen), zum anderen in der Welt der Prepper, die sich auf ein Überleben der Apokalypse vorbereiten. Die beiden zentralen Figuren sind Martha Einkorn – die engste Mitarbeiterin eines dieser Online-Milliardäre, die als Jugendliche der Weltuntergangs-Sekte entkam, in der sie aufgewachsen war – und Lai Zhen, eine junge Survivaltechnik-Influencerin und -Journalistin, die die Zerstörung ihrer Heimatstadt Hongkong überlebte.
Das Genre ist speculative fiction, das what if lautet:
1. Was, wenn der direkte und indirekte Einfluss von Online-Plattformen auf menschliches Verhalten durch subversive Kräfte konstruktiv und zum Guten genutzt würde?
2. Was, wenn Künstliche Intelligenz durch Zugriff auf wirklich alle Echtzeit-Daten hinter diesen Online-Plattformen zur wichtigsten Lebensrettungstechnik würde?
Das 2. wird am Ende mit einer Pointe beantwortet, die mich besonders amüsierte.
Die Handlung wird nicht chronologisch erzählt: Sie fängt gleich mal mit dem Weltuntergang an und blendet von dort in verschiedene Zeiten zurück. Die Wirkung dieser Nicht-Linearität fand ich anfangs etwas verwirrend, doch damit werden Effekte erzielt, die anders nicht zu erreichen wären.
Die Erzählinstanz ist offensichtlich in der Online- und Computerwelt daheim: Zum einen erinnern viele Passagen, vor allem die mit Action, an Ego-Shooter-Perspektiven. Zum anderen, und das gefiel mir gut, spielen Online-Foren eine große Rolle, aus einem wird immer wieder in eigenen Kapiteln zitiert. Die Schilderung menschlicher Interaktionen in solchen Online-Foren deckt sich mit meinen Erfahrungen: Sie werden mit Respekt abgebildet und ernst genommen. Unter anderem wird realistisch erzählt, wie aus der Mischung aus fachlichem und zwischenmenschlichem Austausch richtig große Dinge entstehen können. Und an einer Stelle sorgen sich Forumsmitglieder um eines, dem es nicht gut zu gehen scheint, jemand kümmert sich und sieht nach – auch das habe ich mehrfach erlebt. Für mich war das der erste Roman, in dem ich diese Realität literarisch verarbeitet las.
Das Ergebnis gefiel mir insgesamt sehr gut, unter anderem weil die Handlung viele spannende Technikeinsätze schlüssig durchspielt. Die Grundidee trägt meiner Ansicht nach allerdings nicht so gut durch einen ganzen Roman wie die von Aldermans Meisterwerk The Power. Und er enthielt mir ein paar besinnliche Belehrungen zu viel.
Ich rate dazu, keine Besprechungen des Romans vor der Lektüre zu lesen: Der Plot enthält einige Überraschungen und Wendungen, die man sich dadurch verderben würde.
Danach empfehle ich die Besprechung von Ian Wang in der New York Times:
“In ‘The Future,’ Earth Barrels Toward Fiery Destruction”.
Außerdem die von Stephanie Merritt im Guardian:
“The Future by Naomi Alderman review – survival of the fittest”.
Und die von Ilana Masad in der Los Angeles Times:
“In ‘The Future,’ as in the present, it’s billionaires vs. cult leaders vs. influencers”.
Hier außerdem ein Feature über Naomi Alderman:
“Novelist Naomi Alderman: ‘When I’m feeling distressed I go very intellectual. Which is a defence’”.
(Das Zitat in der Überschrift? It me.)