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Journal Montag, 22. Dezember 2025 – Eisnebellauf, Kosmetik

Dienstag, 23. Dezember 2025

Bis zum 7-Uhr-Läuten von St. Matthäus geschlafen, das war nach recht guter Nacht schön – überrschenderweise stören die auf- und abschwellenden Gesichtsschmerzen meinen Schlaf gar nicht.

Beim Bloggen ertastete meine Zungenspitze einen alten Bekannten, seit ein paar Jahren überhaupt nicht vermisst: ein Herpesbläschen. Hastiges Kramen in der Hausapotheke, doch in dieser Hinsicht kann ich mich wirklich auf mich verlassen: Dort wartete eine frische Tube antivirale Salbe (danke, Big Pharma).

Draußen wurde es zu fortgesetztem Hochnebel Tag. Für meine Laufrunde wählte ich dieselbe Stecke wie am Samstag, bereits gespannt auf die sicher ganz andere Stimmung. Und so war es dann auch.

Ebenfalls anders: Es war deutlich kälter als am Samstag, ich brauchte Mütze und Handschuhe, musste mich erstmal warmbewegen. Dann aber kam ich zu einem erfreulichen Lauf, leicht, mit sehr wenigen Menschen an diesem Werktag und immer wieder ruhig genug, dass meine Gedanken körpervergesssen flossen.

Tänzerin

Niedelich! Und die Schmücker*innen denken sicher daran, die Fremdkörper nach Weihnachten auch wieder zu entfernen.

Kurz nach eins gab es Frühstück: einen Apfel, außerdem Mango und Persimon mit Sojajoghurt, eine Hand voll Mandeln drübergestreut.

Dann zum letzten Termin für dieses Jahr: Bei meiner Kosmetikerin, vor Monaten gebucht, für Pediküre und Gesichtsbehandlung. Mit den derzeitigen Schmerzen freute ich mich vor allem auf die Gesichtsmassage, tat auch besonders gut. Bei der Pediküre zuvor (der Lack trocknete während der Stunde Gesichtsbehandlung) stellte die Fachfrau fest, dass die Nägel meiner großen Zehen sich gerade komplett erneuern, sie machte mich darauf gefasst, dass die alten Nägel darüber, zum Teil bereits verfärbt, in den nächsten Monaten abgestoßen werden. Wohl eine Folge meiner siebentägigen Wanderung im Herbst: Selbst bei allerbequemsten Wanderschuhen, kurzgeschnittenen Zehennägeln (meine wachsen von Natur aus sehr weit vor) und optimalen Wandersocken stößt der Nagel bei fast jedem Schritt ein wenig an die Innenseite der Stiefel. Rundum behandelt und lackiert (ich wählte ein peppiges Mittelgrau) sieht man das jetzt bei mir aber nicht mal.

So entspannt wie mir derzeit überhaupt möglich ging ich anschließend auf Lebensmitteleinkäufe für Weihnachten (das meiste von der gemeinsamen Liste hatte allerdings bereits Herr Kaltmamsell besorgt). Daheim Wäschewaschen, eine Runde Pilates mit Schwerpunkt Mobilisation.

Fürs Nachtmahl holte ich mir als Vorspeise vom selbstgemachten Kimchi, klassisch aus Chinakohl, das Herr Kaltmamsell für essfertig deklariert hatte – köstlich. Und aus den Ernteanteil-Süßkartoffeln hatte er auf meinen Wunsch wieder Mac’n cheese zubereitet – das mir sehr gut schmeckte, ich aber wegen großer Temperatur- und Berührungsempfindlichkeit der Schmerzzähne links nur sehr vorsichtig kauen konnte. Nachtisch Mamas Mohnstollen vom Sonntag (super! hier das Familienrezept), und Schokolade.

Im linearen Fernsehen entdeckten wir Sabrina von 1954 und ließen ihn laufen, ich labte mich am Anblick von Audrey Hepburn, der Verkörperung von Liebreiz.

Journal Sonntag, 21. Dezember 2025 – Adventspaziergang 2025

Montag, 22. Dezember 2025

Geweckt vom Wecker, damit mir vor der Abfahrt nach Ingolstadt zum familiären Adventspaziergang genug Zeit zum Bloggen blieb. So war es auch, aber mehr Zeit blieb mir nicht, bis ich mich fertigmachen musste.

Bepackt mit Geschenken für die Familie und deren Anteil vom samstags gebackenen Brot zogen Herr Kaltmamsell und ich durch mitteldicken kalten Nebel zum Bahnhof. Der Regional-Express brachte uns pünktlich nach Ingolstadt Nord, dort holten meine Eltern uns mit dem Auto ab. Weiterfahrt zur Bruderfamilie und zum Christbaumloben, gleich bei erster Sichtung: “SO EIN SCHÖNER CHRISTBAUM!” Darauf gab es Schnaps – in Form einer reichen Auswahl von nicht-alkoholischen Drinks.

Fahrt zum tatsächlichen Spaziergang nördlich von Wettstetten: Ein Runde am Högnerhäusl (Aussprache “Hengaheisl”) vorbei. In der Familiengruppe fehlte nur Neffe 2: Er wohnt und arbeitet derzeit in Berlin, hat erst nach Dienstag frei. In Gespräche vertieft gingen wir unter Hochnebel durch Wald, sahen Engelshaar, nahmen eine Abzweigung zu früh und gerieten auf rustikale Pfade, passierten das Hengaheisl, kamen zurück zu den Autos.

Die Autos fuhren uns nach Lenting (das ich immer mit einer bestimmten Kaffeeklatsch-Freundin meiner Mutter verbinden werde, und als Kinder wurden wir natürlich zu diesen Einladungen mitgenommen, die ganz anders war als die anderen Kaffeeklatschfreundinnen), zum Mittagessem im Gasthof Hofmark.

Es gab gutes Mittagessen, ich hatte Hirschgulasch und ein Dunkles Winterweißbier, war zufrieden. Dazu mehr Plaudern, ich ließ mir aus einem sehr speziellen Arbeitsleben in Berlin erzählen (dort wohnen derzeit beide Neffen).

Weiter zu meinen Eltern für den Adventskaffee. Ich entdeckte das zentrale Adventbuch meiner Kindheit im Wohnzimmerregal, das ich völlig vergessen hatte: Wir sagen euch an eine fröhliche Zeit, herausgegeben von Karlheinz Schaaf und Erno Seifriz.

Rechts daneben zu Dokumentationszwecken das Heftlein mit Weinhnachtsliedtexten, das jeden Heilig Abend seinen Auftritt hatte.

Den Illustrator Rolf Rettich kenne und schätze ich ja auch aus anderer Kindheitslektüre.

Es gab reichlich Plätzchen und frischen Mohnstollen, allerdings war ich noch so voll vom Mittagessen, dass ich mich an Espresso und Tee hielt. Und wir tauschten Geschenke aus, die an Heilig Abend unterm Baum oder an der Krippe liegen würden.

Heimfahrt ebenfalls pünktlich durch immer noch nebeldüstere Landschaft.

Weihnachtsbeleuchtung an der Donnersbergerbrücke.

Zu Hause war laut Bauch das reichliche Mittagessen immer noch nicht verdaut, also keine Lust auf Gymnastik und keine Lust auf Abendessen. Zur Tagesschau holte ich aber Dessert in Form von Weihnachtsgebäck und Schokolade nach. Im Fernsehen ließen wir Bernd Eichingers Verfilmung von Süßkinds Das Parfum von 2006 laufen – hm, im Grunde lediglich illustrierende Bilder zu einer Kurzform des Romans, den die Off-Stimme erzählt, keine wirkliche Film-Version, die den Inhalt in einer eigenen Bildsprache umsetzt.

Ins Bett mit dem beseelenden Bewusstsein: Ich muss am nächsten Tag nicht in die Arbeit.

Journal Freitag, 19. Dezember 2025 – Abschied vom Arbeitsjahr

Samstag, 20. Dezember 2025

Eigentlich gut geschlafen, aber bei jedem leichten Aufwachen gecheckt, ob ich gerade die Zähne auf die Knirschschiene presse: Nein, nie.

Ich verließ das Haus zu klarem Himmel, war nach der milden Luft am Vorabend aber über das frostige Glitzern überall überrascht.

Büroräume jetzt doch vorweihnachtlich UND freitäglich leer. Dennoch wollte sich das erhoffte Däumchendrehen bis vorzeitigem Feierabend einfach nicht einstellen, ich hatte vormittags sogar einen TERMIN!

Letzter Bürohausblick über München des Jahres.

Die Gesichtsschmerzen hielten an, ich hielt mit Ibu dagegen – die wirkte! Aber der Korridor an Temperatur, mit dem ein Getränk meine diversen Schmerzzähne nicht zum Aufjaulen brachte, war weiterhin unerhört eng, ich vermutete wenige Grad um Körpertemperatur.

Das merkte ich unter anderem an meinem Mittagscappuccino, zu dem ich durch wundervolle Sonne raus ging: Die heiße Flüssigkeit jagte den Schmerz wieder hoch.

Zurück am Schreibtisch wurde es endlich wirklich ruhiger. Noch der eine oder andere Aufreger, zu Mittag Äpfel sowie Mango mit Sojajoghurt, dann konnte ich meinen Schreibtisch systematisch leerarbeiten – was in meinem Fall durchaus physisch zu verstehen ist.

Vorzeitiger Feierabend, ich verließ das Haus nur wenig nach drei, fand davor noch zwei Kolleg*innen, denen ich schöne Weihnachtsferien wünschen konnte.

Mit Genuss spazierte ich durch Tages- und sogar Sonnenlicht zu Besorgungen: Lebensmittel im Vollcorner, dann brachte mich die U-Bahn zum Odeonsplatz, von dort spazierte ich zum Hofbräuhausmühlenladen für Roggenmehl Type 1370, denn ich wollte am Samstag Brot backen. Doch ich merkte, dass mich dieses Jahr zwar spät, aber doch der Dezember einholte (was bei mir bedeutet: Überfall von disparaten Dezember-Erinnerungen inklusive damit verbundenen Gefühlen, heuer im Vordergrund ein tief vermisster lieber Freund meiner Jugend). Ich freute mich sehr auf Alkohol.

Heimweg über den Jakobsplatz und die Chanukkia, die ich immer noch nicht schön finde.

Mit Herrn Kaltmamsell war ich zu einem aushäusigen Abendessen verabredet, aber durch meinen frühen Feierabend blieb davor Zeit für Pilates, Blumengießen, Brotvorbereitungen.

Ich hatte im Blauen Haus auf der Rückseite der Kammerspiele für uns reserviert, im Conviva. Dorthin spazierten wir eher früh am Abend einmal quer durch die innerste Innnenstadt und damit an einem Freitagabend durch Menschenmassen.

Das Lokal war dicht besetzt, erst als sich das um dreiviertel acht schlagartig änderte, wurde mir klar: Viele Theaterbesucher*innen vor Vorstellungsbesuch.

Als Alkohol des Abends folgte ich der Tagesempfehlung mit Kreide auf Tafel an der Wand und bestellte eine Flasche Wiener Gemischten Satz Fuchs-Steinklammer. Schön kräftig, und der Alkohol führte innerhalb von Minuten zur ersehnten Entspannung. Vielleicht sollte ich öfter Alkohol trinken.

Als Vorspeisen gab es für mich Fischsuppe (gut), für Herrn Kaltmamsell Flusskrebs-Sauerrahmterrine mit Rote-Bete-Salat (er freute sich vor allem über die Zubereitung der Bete).

Als Hauptgang hatte ich Kabeljaufilet (wunderbar saftig) auf Belugalinsen, gegenüber gab es Gebackene Blutwurst mit Kartoffel-Feldsalat, wieder waren wir beide sehr zufrieden.

Gleicher Nachtisch: Nougat-Spekulatiusmousse mit pochierten Birnen.

Angenehm beduselt machten wir uns auf den Heimweg (immer noch keine Mütze nötig).

Schau an: Die Eisbachwelle (Zukunft derzeit ungewiss) ist ikonisch genug, dass sie den Bauzaun des Luxusobjekts “Falckenberg-Ensemble” schmückt.

Zu meiner Überraschung war an den Christkindlmärkten auf dem Weg noch Hochbetrieb. Zu Hause machte ich uns noch Espresso (decaf, damit ich danach schlafen konnte), schenkte ein wenig uralten spanischen Brandy ein.

§

Auch ich brauchte lange zu begreifen, dass Glennkill von Leonie Swann ein deutscher Krimi ist, nicht etwa aus dem Englischen übersetzt.1
Jetzt wurde er mit Hugh Jackman (!) und Emma Thompson (!!) verfilmt, hier der Trailer.

  1. Das kann unmöglich SCHON ZWANZIG JAHRE HER SEIN! []

Journal Sonntag, 7. FebruarDezember 2025 – Durchgehangelt

Montag, 8. Dezember 2025

Aufgewacht mit liebevollen Gedanken an einen Geburtstag.

Das Draußen trübselig grau und regnerisch, aber das Wohnzimmer gut geheizt, in dem ich bloggte, Milchkaffee, Wasser, Ingwertee trank.

Morgens das jährliche Christkindlbrief-Telefonat mit meinem Bruder, bei dieser Gelegenheit Austausch von Aktuellem.

Raus auf eine Laufrunde im Trüben, ich startete an der Haustür, lief bis hinter den Hinterbrühler See und zurück. Es regnete dann doch ernsthafter, als der Regenradar prognostiziert hatte – darauf hatte ich für die folgenden beiden Stunden nur vorbeiziehendes Tröpfeln gesehen. Nicht schlimm, nicht mal meine Brille wurde blind, zudem war es mild. Dennoch fühlte ich mich nicht so fit wie auch schon mal, die Körperschwere wollte nicht abfallen.

Danger and excitement: Hinterm Hinterbrühler See nahm ich diese Abzweigung nach oben aufs Isarhochufer, die mich zehn Minuten nach Hinterbrühl und zwischen beeindruckende Häuser brachte – hier will ich definitiv mal spazieren.

DANGER!

Unter der Brudermühlbrücke hatte ich die Dampflok des Bayerischen Eisenbahnmuseums auf ihrer Adventwochenend-Fahrt “Rund um München” pfeifen gehört, doch ich sah sie nicht, dazwischen lag noch eine Kurve.
Kurz vor daheim noch Semmelkauf.

Ausführlichere Körperpflege; die beiden Jahre Wachsenthaaren meiner Beine haben für deutliche Verringerung der Behaarung gesorgt, ich muss seltener rasieren.

Frühstück kurz vor zwei: Körnersemmel mit Avocado, Orangen mit Joghurt, Früchtekuchen.

Aus der zweiten Meyer-Zitrone im Haus kochte ich Lemon Curd, zur Abwechslung mal nach einem andere Rezept ohne Ei.

Funktionierte wunderbar, allerdings hätte ich die Rezepte von Herrn Grün am liebsten in Bündeln: In fast jedem tauchen Zutaten in kleinen Mengen auf, die automatisch einen großen Rest ergeben, im Bündel wären immer Rezepte zum Aufbrauchen enthalten (hier: 50 gr Schlagsahne – was mache ich mit den restlichen 150 gr im Becher? zufällig stand gerade ein angebrochener Becher im Kühlschrank, sonst hätte ich das Rezept nicht verwendet). Und ein Tipp: Erst die Zitronenschale reiben (in ein kleines Schüsselchen, die ätherischen Öle durch Abdecken vom Verflüchtigen abhalten), dann halbieren und auspressen für den Start der Zubereitung. Ausgepresste Zitronenhälften sind nur schwierig zu reiben.

Nachmittag mit Lesen und ein wenig Räumen. Pilates setzte ich aus, nach der Anstrengung der Laufrunde fühlte sich Krafttraining nicht passend an. Statt dessen eine halbe Stunde Strech-betontes Yoga.

Brotzeitvorbereitung, dann servierte Herr Kaltmamsell das Weißkraut aus Ernteanteil geschmort mit Bacon, Beilage Kartoffelpü.

Schmeckte sehr gut, überraschenderweise schmeckte der Frühstücksspeck nach am wenigsten.

Nachtisch Schokolade.

§

Martin Parr ist gestorben – das hatte ich wirklich nicht kommen sehen (mit 73). Der war doch noch gar nicht fertig!

Parr hat als Teil von Magnum zum einen die Sorte Fotografie betrieben, die mir die liebste ist: Foto-Journalismus / Dokumentation. Gleichzeitig machte er sich durch die unerbittliche Verwendung von Blitzlicht bei ALLEM als Fotograf sichtbar, seine Bilder behaupteten den unschuldigen Blick erst gar nicht. Die Bekanntschaft mit dem Werk Martin Parrs ließ mich ab den 1990ern Fotografie neu sehen.

Und in meinen Augen erhoben sich seine Aufnahmen der britischen working class in keiner Weise über die abgebildeten Menschen – auch wenn die Kritik die Bilder in seiner ersten Ausstellung 1986 cruel and voyeuristic schimpfte. Vielleicht mögen Sie hier in sein Frühwerk aus den 1980ern schauen?
Und hier sein Profil bei Magnum mit Links zu weiteren Reihen.

Andrea Diener ist Martin Parr auch persönlich begegnet und schreibt in ihrem aktuellen Newsletter darüber.
“A supposedly fun thing: Über Martin Parr (unter anderem)”.

Ihr ist als Fotografin aufgefallen, wie stark Parr Schule gemacht hat:

Es ist nicht leicht, Menschen in der Freizeit bei diesen typischen Freizeitaktivitäten zu fotografieren, ohne sofort so einen Parr-Blick aufzusetzen.

§

Liebevoller Artikel von David Pfeifer zu 50 Jahre Rocky in der Süddeutschen Zeitung (ohne Paywall!):
“Mythos Rocky
Zum Nachschlagen”.

Schöne Entstehungsgeschichte, die mich Sylvester Stallone erst richtig respektieren lässt. Mir gefiel der Film gut (ich weiß nicht mehr, wann ich ihn sah, vermute, dass mein Filmfreund zu Studienzeiten diese Bildungslücke energisch füllte – er setzte mich vor einige Klassiker in den Sessel vor seinem Fernseher, und ich bin ihm bis heute dankbar dafür), und erst jetzt lernte ich, dass das Drehbuch von Stallone stammt.

Und selbst die Stufen rauf zur Bavaria kann ich nicht laufen, ohne dass in meinem Kopf automatisch dieser Sound dazu angeht.

§

Aus aktuellem Anlass:

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://www.youtube.com/watch?v=xpWBsHW4uts&t=926s

via @klugscheisser

Ah mei, des is so lang her, des is ja vo Neinzehnzworarachzg, haha, des warat heit GANZ anders!

Journal Freitag, 28. November 2025 – Wintersonne, Details der Bürgerversammlung

Samstag, 29. November 2025

Deutlich später als sonst eingeschlafen, eine Stunde zu früh aufgewacht, von Arbeitssorgen gequält.

Weg in die Arbeit mit Stimmung zum Heulen. Man schrumpft mit seinen Aufgaben.

Gleichzeitig schöner Marsch unter erblauendem Himmel und aufgehender Sonne, auf dem Boden dekorativer Frost, in der Luft leise klirrende Kälte. (Aber andere hatten hübscheren Frost.)

Im Büro stellte sich heraus, dass Heuli-Stimmung fast ebenso Konzentrations-hinderlich ist wie Wut – letzteres kann ich zumindest wegrennen, doch gegen ersteres war halt keine Zeit für Verkriechen unter Bettdecke.

Ich schaffte den vom Vorabend aufgeschobenen Job, einen Dienstgang raus (Sonne! klare Luft!), weitere Jobs. Mittagscappuccino im Westend (Sonne! klare Luft!).

Mittags ging’s mir besser, ich aß Mango mit Sojajoghurt, Apfel, Persimon. Gleich nach dem letzten Löffel voll ereilte mich die nächste Hiobsbotschaft zum Fiasko von Donnerstag, jetzt zog es noch weitere Kreise. Zum Glück sprang mir jemand zu Hilfe, doch ich muss mir eine langfristige Lösung überlegen.

Auch nachmittags schien die Sonne, außerdem bekam ich ordentlich was weggeschafft.

Freitagspünktlicher Feierabend, auf dem Heimweg Einkäufe im Vollcorner – darunter weiterhin keine Meyer Lemons. Weiß jemand, was dieses Jahr los ist? In den Vorjahren tauchten sie in der ersten Novemberhälfte auf, dieses Jahr bekam Herr Kaltmamsell Ende November nicht mal am Vikutalienmarkt welche. Außerdem holte ich Abendessen im Verdi und einem weiteren Laden in der Landwehrstraße.

Daheim Vorbereitung der Rosinen fürs Stollenbacken, Teil 2 am Samstag, dann eine Einheit Yoga, die sehr gut tat.

Feier des Wochenendes mit Cosmopolitans (mir war nach etwas, was umgehend richtig reinknallen würde) und arabischen Würznüsschen.

Zum Nachtmahl briet ich Doraden – wie geht bitte der Trick, dass beim Anbraten in der beschichteten Pfanne die Haut beim Wenden nicht am Pfannenboden kleben bleibt? Ich habe bereits verschiedene Erhitzungsgrade und Ölmengen ausprobiert. Herr Kaltmamsell hatte dazu Salzkartoffeln gekocht, im Glas ein geschenkter fränkischer Silvaner May Langenberg Alte Reben – der sich mit nur wenig Luft sehr interessant entwickelte, eine schöne Entdeckung.

Nachtisch Panettone und Schokolade, wir ließen im Fernsehen den Film Hangover von 2009 laufen – aus Bildungsgründen, der Film war ja ein riesiger Erfolg und hat Geschichte geschrieben, auch wenn alles an den frauenfeindlichen Gender-Stereotypen ultra-cringe war. Herr Kaltmamsell hielt mich mit Verweis auf die Erzähltechnik des Drehbuchs bei der Stange: Ja, die ist wirklich ganz ausgezeichnet und ausgeklügelt.

§

Mehr zur Bürgerversammlung also, die des Münchner Stadtbezirks 2, Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt.
(Was eine Bürgerversammlung ist; ich empfehle eine Teilnahme sehr als Gelegenheit, mal so richtig in Demokratie zu baden. Und als Alternative zum Meckern über lokale Missstände, denn hier können jede Anwohnerin und jeder Anwohner, sofern kommunalwahlberechtigt, Anträge zur Änderung der Misstände stellen).

Klarstellung: Dies ist keine journalistische Berichterstattung; ich bin lediglich Zeitzeugin.

Die diesjährige war besonders gut besucht; es gab schon Bürgerversammlungen, bei denen ich den Eindruck hatte, dass nur Antragsteller*innen gekommen waren.

Als Leiterin lernte ich Stadträtin Veronika Mirlach (CSU) kennen, die mit besonders guter Laune und souverän durch die Versammlung führte. Aus ihrer Präsentation (PDF-Download) über aktuelle Stadtpolitik erfuhr ich unter anderem, dass die Einwohnerzahl meines Wohnbezirks sinkt (aktuell sind wir 50.025 Menschen); ansonsten wächst München aber. Es wurden auch Investitionen in Projekte aufgezählt, die ich über Anträge in vergangenen Bezirksversammlungen werden hatte sehen, darunter die Piazza Zenetti, ein schönes Gefühl.

Den Ausführungen von Bezirksausschussvorsitzendem Benoît Blaser über das vergangene Jahr (noch nicht online) entnahm ich unter anderem, dass er einen monatlichen Newsletter über die Arbeit des Bezirksausschusses schreibt – gestern gleich mal (recht lang gesucht und) abonniert.

Sigrid Kienle ist weiterhin Chefin der Polizeiinspektion 14, die für meinen Stadtbezirk zuständig ist und den benachbarten Stadtbezirk 8 Schwanthalerhöhe – und damit auch für Theresienwiese samt Oktoberfest. Sie sprach von 27.000 Einsätzen jährlich – das seien die meisten aller Münchner Polizeiinspektionen. Ihr Sicherheitsbericht 2024 wies einen deutlichen Rückgang von Straftaten aus, am deutlichsten bei Drogendelikten – mit der Cannabis-Teillegalisierung als klarem Grund. Rückläufig aber auch die Straftaten im Zusammenhang mit dem Oktoberfest (- 30%). Schlecht sahen die Zahlen und Verhältnisse im südlichen Bahnhofsviertel aus, in dem ich ja wohne. Kienle zählte Gegenmaßnahmen auf und betonte, dass nicht nur tatsächliche Straftaten damit reduziert werden sollten, sondern sich die Menschen hier damit auch sicherer fühlen sollten.

Jetzt aber Anfragen und Anträge der Bürger*innen. Diesmal erlebte ich eine sehr bunte Mischung; Verkehr war zwar wieder das häufigste Thema, dominierte aber nicht so stark wie auch schon. Insgesamt 31 Menschen meldeten sich mit Anfragen und Anträgen, zum Teil auch mit mehreren. Es ging um störende Schrotträder, die Rückzahlungsforderung an einen privaten Kindergarten, lästigen durchfahrenden Autoverkehr, Zwischennutzung von Gebäuden, Toilettenaufstellwunsch, lange Sperrung der Theresienwiese (!), Kinder im Straßenverkehr, Lärm durch Bahn, Lärm durch Gastronomie, mehr Grün an bestimmten Straßen, störende Baustellen, Lärm durch Demos, einige gewünschte Fußgängerüberwege, Sperrung der Hackerbrücke für den Autoverkehr, herumstehende E-Scooter, bessere Verkehrsführung für Fahrräder, hinderliche temporäre Verkehrsschilder, Entsiegelung von Flächen, Beleuchtung an Fußwegen, Müllbeseitigung (und wer dafür zahlen sollte), Schutz vor Entmietung, Kunst im U-Bahnhof, Anwohnerparken.
Zum Glück wurde das Vorgehen beibehalten, bei dem direkt nach jedem Antrag abgestimmt wurde.

Auch diesmal waren Fachleute aus einigen Referaten der Stadtverwaltung da, die gleich Stellung nahmen. So lernte ich, dass die Dauer der Theresienwiesensperrung vom zuständigen Wirtschaftsreferat im April festgelegt wird, und das waren dieses Jahre 12 Wochen vorher und 7 Wochen danach – der Herr wies darauf hin, dass die Querung sogar drei Tage vor Termin geöffnet worden sei. (Ich kenne jemanden im Wirtschaftsreferat persönlich, ich könnte ja mal Einflussmöglichkeiten eruieren.) Einige Male war es auch Bezirksausschussvorsitzender Blaser, der zu Anträgen berichtete, was der Bezirksausschuss bereits versucht oder sogar erreicht hatte.

Meine Glanzpunkte des Abends aber waren die Stellungnahmen von “Frau Strehle”, wie Veronika Mirlach sie immer ans Mikro bat. Die Architektin und Regierungsbaumeisterin Isabel Strehle leitet im Münchner Mobilitätsreferat den Geschäftsbereich Verkehrs- und Bezirksmanagement – und vermittelte mir mit ihren sorgfältigen und gut verständlichen Erklärungen, wie wissenschaftlich und strukturiert sowas gehandhabt wird. So wird bei Antrag eines Fußgängerüberwegs erstmal durchgezählt, wie viele Autos und Fußgänger es hier zu Stoßzeiten gibt; nur wenn das Ergebnis die Mindestzahl erreicht, wird weitergeplant (einer der vielen Haken: Baustellen in der Umgebung können den Verkehrsfluss so stark beeinflussen, dass für eine Zählung ihr Abschluss abgewartet werden muss). Oder eben der “freilaufende Rechtsabbieger”, eine Abbiegespur unabhängig von der Ampel an einer Kreuzung. Ich hielt die Bezeichnung erst für einen Scherz und lachte. Als mir klar wurde, dass das die echte Fachbezeichnung ist, lachte ich noch mehr (das müsste sich doch als politische Metapher verwerten lassen). Und lernte, dass es sich um ein Erbe der 1960er handelt, dass solche Spuren bereits vor einigen Jahren in München systematisch erfasst wurden sowie nach und nach beseitigt werden – in priorisierter Reihenfolge. Auch lernte ich Fachliches über Zebrastreifen, also Prozess, Voraussetzungen etc. Oder warum die Umsetzung mancher Verkehrsanträge den kompletten Umbau ganzer Kreuzungen erfordern würde. Und dass der Autoverkehr auf der Hackerbrücke ab 2027 sowieso für die Brückensanierung gesperrt wird und das Mobilitätsreferat in dieser Zeit genau beobachtet, welche Auswirkung das auf Verkehrsflüsse hat.

Isabel Strehle machte einen superkompetenten Eindruck mit ungeheurer Leidenschaft für ihr Fach (Platz ganz oben auf meiner Liste von Wunschgästen zum Abendessen), ab jetzt träume ich davon, mir von ihr die Verkehrslage am Stachus erklären zu lassen.

Journal Samstag, 4. Oktober 2025 – Rückreise nach München, zu lange

Sonntag, 5. Oktober 2025

Reisetag, Brighton verabschiedete mich sonnig.

Letzter Ferienwohnungsblick.

Ich hatte viel Zeit, ein wenig Bammel allerdings vor der langen Nacht (planmäßig Abreise London 15:03 Uhr, planmäßige Ankunft München 06:03 Uhr). Dann wieder wurde am Freitag und gestern der Münchner Flughafen jeweils wegen Drohnensichtungen gesperrt (Sind “Drohnen am Flughafen” jetzt die “Personen im Gleis” der Flugzeugreisenden?), eine Flugzeug-Rückreise hätte sehr wahrscheinlich mindestens so lang gedauert. (“NEUNZEHN Stunden Zugfahrt?! Da hättst ja gleich fliegen können, hahaha.”)

Erst beim Ticketkauf am Bahnhof Brighton wurde mir klar, dass es eine Zugverbindung direkt zum Bahnhof London St. Pancras International gab, an dem der Eurostar abfährt (und ankommnt) – das macht München-Brighton per Zug ja noch attraktiver. Zurück ging es statt über Paris über Brüssel: Diese Verbindung war laut beratender Bahn-Ticketverkäuferin im Mai verspätungssicherer, Umsteigen zwischen Brüssel und München in Köln (oder Siegburg/Bonn, wie es jetzt, fünf Monate nach Buchung angezeigt wurde).

Ein wundervoller Tag, ich sah auf der Fahrt nach London begeistert in den Frühherbst vorm Fenster.

Am Bahnhof St. Pancras wollte man mich noch nicht in den Eurostar-Wartebereich lassen. Ich hatte eh ordentlich Frühstückshunger, also schloss ich meinen Englandurlaub kulinarisch mit Full English Breakfast ab.

Nicht richtig sichtbar: Black pudding (super!) unter dem Rösti, Bratwurst und Bacon, insgesamt eine sehr zufriedenstellende Mahlzeit (nur die Kartoffelwürfel ließ ich liegen), die bis in die Nacht sättigte.

Ankunft in Brüssel mit einer halben Stunde Verspätung, das verkürzte meine zweieinhalb Stunden Wartezeit auf den Anschlusszug. Erster Zeitvertreib im Brüsseler Bahnhof: Klo-Suche, in Brüssel kann man Baustellen. Dann aber Erfolg an einem Bezahlklo, auch meine Wasserflaschen konnte ich auffüllen. Brüssel würde ich mir gerne mal ansehen, aber jetzt las ich einfach auf einer Bank im Bahnhof (die aktuelle Wochenend-Süddeutsche feierte 80 Jahre Süddeutsche mit vielen spannenden Rückblicken und Hintergrundgeschichten).

Abfahrt des sehr schicken ICE international verspätet, auch diesmal sah ich vor allem meine Wartezeit auf den Anschluss in Köln (oder Siegburg/Bonn?) verkürzt. Mehrfach bat der Zugchef in seinen Ansagen nachndrücklich darum, das eigene Gepäck niemals aus den Augen zu lassen – und verunsicherte mich damit, die ihren großem Koffer wie immer in die ersten Kofferablage beim Reinkommen geschoben hatte, die ich aber von meinem Platz aus nicht sehen konnte.

Abendessen gegen neun: Äpfel, Birne, Nüsse, Trockenpflaumen.

Der Zugchef hatte dann den Schlüsseltipp für Reisende nach München: Umstieg wie zur Zeit meiner Buchung in Köln ging eh nicht, weil der Anschlusszug dort nicht mehr hält – er empfahl Weiterfahrt bis nach Flughafen Frankfurt. Das war mir auch insofern recht, als ich mir von diesem Bahnhof Drinnenmöglichkeiten für über eine Stunde Warten erhoffte, auf die ich bei Umstieg in Siegburg/Bonn nicht wettete.

Eben freute ich mich noch, wie wach ich um diese eigentlich für mich längst Schlafenszeit war (Schlaf plante ich erst im letzten Abschnitt meiner Reise), da merkte ich bereits, wie schwer ich mich auf meine Lektüre konzentrieren konnte.

Das Warten am Bahnhof Frankfurt Flughafen erforderte dann Ausdauer und fast zwei Stunden – der nächste Zug kam deutlich verspätet.

Ich vertrieb mir die Zeit im unangenehm Kühlen mit einem Interview: “They Talk Tech” sprachen mit Katharina Borchert über “USA – was ist da los?” – ich genoss die liebe vertraute Stimme. Außerdem stromerte ich mit meinem Riesenkoffer durch die Gänge, damit mir wärmer wurde (Gastro um diese mitternächtliche Zeit längst geschlossen).

Warm wurde mir dann kurz vor Besteigen des Anschlusszuges: Gleisänderung drei Minuten vor Einfahrt, es war viel lustigen Rennens. So war ich auch wieder richtig wach und guckte endlich die lang eingemerkte Doku auf arte:
“Brainwashed: Sexismus im Kino”.

Wie einseitig, unrealistisch und schädlich die Darstellung von Frauen und ihren Körpern in Kinofilmen ist (u.a. Frauen als Objekt statt als Subjekt, ihre Körper immer über male gaze) war mir schon länger bewusst (was mir mittlerweile einige Lieblingsfilme vergällt hat), doch hier wird auch die Perspektive aus der Filmindustrie selbst, zuforderst aus Hollywood dargelegt. Zudem formulieren Forscherinnen und Filmschaffende explizit aus, welche Auswirkungen das auf scheinbar unbeteiligte gesellschaftliche Bereiche hat. Zudem merkte ich, dass selbst mit dem Bewusstsein dafür auch ich immer noch übersehe, wie gesetzt dieses visuelle Erzählen bis heute ist – ich hatte es in einigen der gezeigten Beispile nicht bemerkt, obwohl es doch offensichtlich war.

Dann war ich wirklich sehr müde. Schlafen konnte ich dennoch nur kurz, irgendwo um Stuttgart waren Erkan und Stefan (in heutiger Inkarnation) zugestiegen und hatten eine Riesengaudi.

Die letzten beiden Stunden sind bei langen Reisen immer die längsten. Und wenn dann noch der Zug anderthalb Stunden vor fahrplangemäßem Ankommen eine unerklärte halbe Stunde Stop and Go auf freier Strecke einlegt, wabert Verzweiflung am Horizont.

In München wartete der allerbeste Herr Kaltmamsell am Bahnsteig und nahm mir den Koffer fürs letzte Stück ab – hochwillkommene Unterstützung. Daheim um sieben nur schnell mitgebrachten Käse in den Kühlschrank gestellt, kurze Abendtoilette, ein Becher Milch mit Honig (hatte ich mir in den Stunden davor genau so vorgestellt), bei heruntergelassenem Rollladen ins Bett.

§

Dass das Maß des Jakobsweg-Tourismus inzwischen alle Vorstellungen sprengt, hatte ich durchaus mitbekommen; was die Reportage in der Süddeutschen schildert, ist allerdings komplett gruslig (€):
“Jakobsweg in Spanien
Wir sind dann mal zu viele”.

In den 1980er-Jahren erkannte der Ministerpräsident Galiciens, Manuel Fraga, der zuvor Tourismusminister unter Diktator Franco gewesen war, das ökonomische Potenzial des Camino. Um den Olympischen Spielen in Barcelona und der Weltausstellung in Sevilla (beide 1992) etwas entgegensetzen, entstand die Initiative „Xacobeo 93“. Der Camino Francés, die aus Frankreich kommende Hauptroute, wurde mit Kilometerangaben und Schildern versehen. Kirchen und Klöster wurden renoviert, Herbergen gebaut. 1993, ein heiliges Jahr in der Jakob-Logik, weil der Namenstag des Apostels auf einen Sonntag fällt, brachte den Durchbruch. Angestachelt von der Kampagne machten sich fast 100 000 Pilger auf den Weg.

In Deutschland machte das 2006 veröffentlichte, drei Millionen Mal verkaufte Buch „Ich bin dann mal weg“ von Hape Kerkeling den Weg beliebt. Jeder zwanzigste Pilger kommt laut einer Statistik des Pilgerbüros heute aus Deutschland.

(…)

Weniger als 1500 Menschen sind in Portomarín gemeldet, aber es gibt 2500 Gästebetten, sagt die Frau, die in der Kirche Pilgerpässe abstempelt. „Gestern war es Wahnsinn“, sagt sie, alle Unterkünfte seien ausgebucht gewesen, man musste Notbetten in einer Mehrzweckhalle aufbauen. Und als das nicht mehr reichte, wurden Pilger mit Bussen in die umgebenden Dörfer gefahren, wo sie übernachteten und am nächsten Morgen wieder nach Portomarín gebracht wurden, damit sie ihren Camino fortsetzen können.

(…)

Die Exzesse mancher Besucher dokumentiert ein Instagram-Account. @compostelaresiste, zu Deutsch „Compostela leistet Widerstand“, postet verwackelte Videos von Gruppen, die um vier Uhr morgens grölend durch die Stadt ziehen, zeigt Filzmarker-Schmierereien am Obradorio-Platz, an dem man sich laut Stadtverordnung nicht mal an die Säulen lehnen darf, Pilger, die mitten im Stadtpark ihr Zelt aufschlagen oder Leinen für ihre Wäsche aufspannen. Ein Besucher badet mit Hund im Barock-Brunnen am Praterías-Platz neben der Kathedrale. Und einer benutzt Relief-Figuren in der Fassade der Kathedrale als Kletterwand.

Journal Mittwoch, 1. Oktober 2025 – Strandpromenade Hove und The Roses

Donnerstag, 2. Oktober 2025

Ich wachte nach gutem Schlaf auf zu fettem Halsweh – das hatte ich nun wirklich nicht kommen sehen. Zwar wusste ich, dass solches Morgenhalsweh beim Aufwachen am stärksten ist und dann abklingt, aber es passte wirklich nicht zu Schwimmen in 19 Grad kaltem Wasser unter freiem Herbsthimmel. Während ich mich am Vorabend noch enthusiastisch auf das Schwimmabenteuer gefreut hatte, war ich jetzt nur ein bisschen enttäuscht. Nächstes Mal. (Tatsächlich verschwand das Halsweh im Lauf des Vormittags völlig.)

Beim Einschlafen hatte die neue Blase vorm linken Fußballen zudem gehörig geschmerzt, vielleicht probierte ich einfach mal diese Rekonvaleszenz aus, von der man im strukturierten Sporttreiben manchmal hört.

Also stellte ich um auf Gammeltag (darf man das denn auf Reisen, statt die raren Tage in der Ferne zu NUTZEN?!), überlegte Spaziergänge durch Brighton.

Auf der Tonspur wurde seit dem Vortag beim Bewohnen der Ferienwohnung einiges geboten: In der Wohnung über mir hatte es am Dienstag Besuch von vielen Menschen gegeben, darunter einigen kleinen Kindern, die Abenteuerspielplatzlärm machten. Mindestens eines davon blieb über Nacht, am gestrigen Morgen war viel Streitens und Weinens. Die große Baustelle am Eck ging wieder um acht in Betrieb, doch der markerschütternde Baulärm mit Bohren und sonstigem Kaputtmachen kam direkt aus dem Nebenhaus auf der anderen Seite, an dem ein Baugerüst hängt. Noch fühlte ich mich nicht sehr gestört.

Das Spazieren führte mich erst durch den Ortsteil Seven Dials: Wenn ich schon gezielt eine Unterkunft darin gewählt hatte, sollte ich mich auch mal umsehen. Das bereitete Vergnügen: Viele kleine Läden, die Greek Bakery, an die Einheimische sofort bei Seven Dials denken (eigentlich eine Bäckerei plus Feinkostgeschäft), Pubs, Cafés.

Jetzt ging ich hinunter zum Meer und am Strand entlang bis ans Ende des (hervorragend ausgebauten) Wegs in Hove. Gestern sollte laut Vorhersage jetzt aber wirklich der letzte regenfreie Tag sein, ich bekam tatsächlich ein paar Regenspritzer ab.

Aus dem hölzernen Meeting Place war ein steinernes geworden.

Neue Scheußlichkeiten an der Strandpromenade.

Doch insgesamt wurde sehr deutlich, dass dieser Abschnitt bei Hove sich herausgeputzt hatte: Viel neue Gastronomie, viele neue Sportanlagen.

Am Ende des Wegs fiel mir schon von weitem ein Schild auf, das für “The Cheese Man” warb, eigentlich bereits im Industriegebiet.

Ich schaute in den kleinen Laden – und stieß zu meiner großen Freude auf ein Angebot an heimischem Käse. Gleich mal für daheim eingekauft.

Das setzte ich zurück in Brighton fort: In dem Weinladen an der Western Road, an den ich mich erinnerte, fragte ich nach heimischen Weinen, durch deren Weinberge ich beim Wandern gekommen war. Genau die hatten sie zwar nicht im Sortiment (Sekt von Wiston eigentlich schon, lediglich im Moment nicht), aber ich ließ mir Neues vom englischen Weinbau erzählen: Weiter hauptsächlich Schaumweine nach Méthode Champenoise, mit den dafür angebauten Pinot-noir-Trauben auch ein wenig Rotwein (sehr leicht), als Weißweintraube dominant Bacchus. Markterfolg bei Schaumweinen durchaus, andere heimische Weine seien vor allem zu teuer für große Akzeptanz (kann ich mir gut mit den kleinen Anbaugebieten und viel manueller, teurer Arbeit erklären). Als der freundliche Herr mir auch zwei Pinot gris vorstellte, schlug ich zu: Grauburgunder mag ich ja sehr gerne, ich freue mich auf einen Test daheim.

Mittagscappuccino am Norfolk Square, dann Rückweg hoch in die Ferienwohnung.

Immer wieder entdecke ich neue Gässchen und Durchgänge.

Kurz vor zwei gab es in der Ferienwohnung Frühstück: Birne, rote Paprika, Butterbrote. Den Nachmittag verbrachte ich mit Lesen und Schreiben am Fenster. Und ich suchte mir einen Kinofilm aus: Das Odeon wird nämlich hinterm Baugerüst doch noch betrieben. Am späten Nachmittag spazierte ich zu einer Vorführung von The Roses mit Benedict Cumberbatch und Olivia Colman, Remake von The War of the Roses von 1989 mit Michael Douglas und Kathleen Turner.

Auffallend im Werbeblock: Einige Aufrufe zu Spenden für Organisationen, die aus deutscher Sicht staatliche Aufgaben übernehmen, zum Beispiel die Fort- und Weiterbildung von arbeitslosen Jugendlichen – wirklich eine andere gesellschaftliche Haltung hier, historisch bedingt.

Im Kino wurde ich gut unterhalten, wenn ich auch in dieser Version weder nachvollziehen konnte, was das zentrale Paar zusammengebracht hatte, noch warum sie später so gemein zueinander waren. Das ganze funktioniert nur auf der Basis einer ganzen Reihe von Prämissen zu romantischen Gefühlen, die ich für überholt gehalten hatte. Außerdem glaubte ich die Chemie zwischen Benedict Cumberbatch und Olivia Colman nicht, im Grunde war das gesamte Ensemble disparat – zum einen hinkte meiner Ansicht nach das Drehbuch (die Kinder? ernsthaft?), zum anderen könnte das an schlechter Regie liegen. Ich fürchte, der Film funktioniert einfach nicht.

Was immer funktioniert: Brightons West Pier. Als ich durchs Baugerüst nach draußen trat, empfing mich Abendrot in allen 70er Rosa-lila-blau-Tönen.


Und ein ungemein dekorativer Mond.

Nach atemlosen Fotografieren hielt ich inne und sah mich um: Einige Leute saßen tatsächlich einfach da und guckten, allein oder in kleinen Gruppen. Ohne Fotos zu machen. Verrückt.

Eine Weile machte ich es ihnen nach, sog die wundervolle Meeresluft ein (die immer noch etwas Sommerliches hatte).

Langes inneres Hin und Her, ob ich Essen gehen sollte (mit Alkohol, auf den ich große Lust hatte) oder eingekaufte Lebensmittel aufbrauchen. Es siegte die Aussicht auf die Süßigkeitenvorräte in der Ferienwohnung. Also gab es dort Linsenrest, Käserest, Paprika-Hummus. Und dann Apple Pies sowie Schokolade.

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Selbstverständlich sind nach Katastrophen Menschenleben das wichtigste. Doch auch Kulturgüter sollen überleben, dafür gibt es, lernte ich gestern, ehrenamtliche Kulturgutretter*innen. Ein Artikel in der Süddeutschen über das Training dafür (€):
“‘Wenn wir nichts machen, macht es keiner'”.

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Deutschlehrer @herr_rau hatte eine Unterrichtsidee – und unser gutes, altes, rosenduftendes Internet spielte begeistert mit (ich glaube, das wird den Schüler*innen am schwierigsten zu erklären sein: dass es auch heute noch Bereiche der social media gibt, in denen nicht vermarktet wird, nicht Content-Produzierende auf der einen Seite, -Konsumierende auf der anderen – sondern Leute, die miteinander Spaß haben).

So ging es los (die Vorschläge hinter dem Link oben):