Journal Sonntag, 23. April 2017 – Margaret Atwood, The Handmaid’s Tale

Montag, 24. April 2017 um 6:40

Ein freier Sonntag; ich begann ihn mit Bloggen und Twitterhinterherlesen.

Draußen war es weiterhin unangenehm kalt, für meinen Isarlauf trug ich lange Ärmel und Hosen.

Leider halfen auch zwei Stunden gemütliches Traben nicht, mir die Schwere vom Gemüt zu nehmen.

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Ausführliches Lesen: Internet, Wochenend-SZ.

The Handmaid’s Tale von Margaret Atwood fertiggelesen. Ein brillanter Roman, thematisch, strukturell und sprachlich, er gefiel mir diesmal noch besser als beim ersten Lesen vor 25 Jahren. Damals war ich durch die Schlöndorff-Verfilmung draufgekommen – die dem Roman wirklich nicht gerecht wird (außer in der Besetzung – Elisabeth McGovern!).

Atwood packt in ihre Dystopie auch ein wenig kontrafaktische Geschichte: Der Feminismus, der beim Erscheinen des Romans 1985 bereits passiert war, wird erheblich gewalttätiger und durchschlagender geschildert, als er tatsächlich gewesen war. Und es gab bereits kein Bargeld mehr – was half, die Rechte von Frauen schneller einzuschränken.

Wie jede gut erdachte Utopie ist die des alttestamentarisch strukturierten Gilead zeitlos. Die Gesellschaft, in der die nahe Zukunft des Romans spielt, weist jedem und jeder eine Rolle zu, die dem Erhalt der menschlichen Rasse dienen soll; die Handmaids sind wandelnde Gebärmütter. Es gibt eine kleine Elite, auch die allerdings mit streng definierter Funktion.
In der Geschichte wechseln sich etwa sechs Monate Handlung in der Gegenwart mit Rückblicken ab, die die Vorgeschichte schildern – beides Tagebuch-ähnlich aus der Sicht der Handmaid, die wir nur als Offred kennenlernen, als Besitz von Fred. Vordergründig geht es um die jetzt völlige Fremdbestimmung von Frauen, doch darin eingewoben sind die vielen Seiten dieses totalitären Staats, vorgeblich zum Besten aller Beteiligten.

Die Erzählerin beschreibt ihre Vergangenheit als unpolitische Tochter einer sehr engagierten Feministin – so merkt sie erst durch das Wegnehmen ihrer Selbstbestimmung und Freiheit, dass das wertvolle Güter waren. In der neuen Gesellschaft fällt sie zunächst in eine Art Tragestarre, hadert nicht sehr mit ihrem Schicksal, eher mit ihren Erinnerungen. Im Lauf ihrer Erzählung lässt sie Reflexion an sich heran, erinnert sich an ihre Gefühle, thematisiert ihr Erzählen.

Was ich bereits vergessen hatte (sonst erinnerte ich mich an erstaunlich viele Details des Romans): Am Ende bekommen wir eine Rahmenhandlung, “Natürlich eine alte Handschrift” – in diesem Fall Kassettenaufnahmen.

Ich habe eine Besprechung der aktuellen Neuverfilmung gefunden, die einen bestimmten Aspekt herausarbeitet: Dass politisch konservative Frauen, die einen reaktionären Gesellschaftswandel herbeiwünschen, besser mal nicht auf die Erfüllung ihrer Wünsche hoffen.
The Handmaid’s Tale Is a Warning to Conservative Women”.

Nachtrag: Bei Anke Gröner habe ich den Link zu einem Artikel von Margaret Atwood gefunden, in dem sie selbst über ihren Roman in der heutigen Zeit schreibt:
“Margaret Atwood on What ‘The Handmaid’s Tale’ Means in the Age of Trump”

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Morgens sah ich eine Krähe auf dem Balkonsims; ich legte ihr Erdnüsse raus, um mich als ihre Freundin zu zeigen. Herr Kaltmamsell sah das ungern; er verwies darauf, dass die Anwesenheit von Krähen in der näheren Umgebung Singvögel und Eichhörnchen verjagt.

Wie sich herausstellte, wurde zumindest eine Krähe sehr schnell zu zutraulich: Auf dem Balkontischlein hatte ich die Rest des Hähnchens mit Gemüse vom Vorabend kühl gestellt, abgedeckt mit Alufolie. Ich traute meinen Augen nicht, als ich nachmittags eine Krähe auf dem Rand der Reine ertappte, die bereits die Alufolie zerhackt hatte und sich über das Hähnchen hermachte. Ich verjagte sie schnell, doch zwei Stücke fehlten bereits.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Sonntag, 23. April 2017 – Margaret Atwood, The Handmaid’s Tale

  1. Bettina meint:

    Jetzt muss ich sehr schmunzeln – an Margaret Atwood geht gerade wirklich kein Weg vorbei (seit einem halben Jahr begegne ich dem Roman überall, hab auch grad drüber geschrieben). Schön!
    Wenn du die Schlöndorff-Verfilmung nochmal sehen magst: 22. Juni im Werkstattkino http://www.frauenstudien-muenchen.de/event/filmabend-die-geschichte-der-dienerin
    Beim schweren Gemüt hilft mir oft MBSR / Meditation. Vielleicht mal einen Versuch wert?

  2. Daniela meint:

    Und Krähen sind ganz schlimme Nesträuber, die holen sich die Eier von Spatzen und Rotschwänzchen aus den Nestern, lassen sie auf den Boden fallen und “schlürfen” sie aus :-(((

  3. die Kaltmamsell meint:

    Na ja, Daniela, Eichhörnchen sind auch Nesträuber, das werfe ich keinem Tier vor. Vergangenes Jahr machten sich in der Kastanie vor unserem Balkon kurz hintereinander Eichhörnchen und Krähen an Kobel- und Nestbau: Ich beobachtete einige Gefechte, letztendlich nistete niemand in der Kastanie.

  4. Joel meint:

    Ein sehr schöner Artikel auch im New Yorker über Margert

    Margaret Atwood, the Prophet of Dystopia

    https://www.newyorker.com/magazine/2017/04/17/margaret-atwood-the-prophet-of-dystopia

  5. Neeva meint:

    Jetzt habe ich das Buch auch gelesen und grusele mich zwei Tage später immer noch. (Selber schuld, wenn frau einen dystopischen Roman über eine ihrer größten Ängste liest ;-)

    Wenigstens wird es in der zweiten Hälfte besser, als die Heldin nicht mehr ganz allein ist.

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