Bücher

Journal Pfingstmontag, 20. Mai 2024 – Sonnige Maienwanderung nach Aying

Dienstag, 21. Mai 2024

Guter und langer Schlaf.

Eines der seltenen Male, dass mir Bloggen die Tagespläne durchkreuzt: Bis ich nach Spülmaschine-Ausräumen und Wäsche-Aufhängen den ausführlichen und viel bebilderten Blogpost fertiggestellt hatte, waren zwei Stunden vergangenen, es blieb keine Zeit mehr für die geplante Gymnastik vor Wanderung.

Denn wandern wollte ich in diesem herrlich sonnigen, aber bei Weitem nicht heißen Maienwetter mit Herrn Kaltmamsell von Kirchseeon nach Aying, das hatten wir schon ein paar Mal gemacht.

Anfahrt mit einmal Umsteigen in Trudering, an diesem Wochenende war wieder S-Bahn-Stammstrecke für den Bau der zweiten solchen gesperrt.

Weg in hohem Laubwald, durch den Sonne leuchtet

Von Kirchseeon aus bogen wir gegen zwölf gleich mal in wundervollen Wald. Doch bald stellten wir fest, dass wir schon hier falsch abgebogen sein mussten, wir waren nicht mehr auf dem GPS-markierten Weg. Nun gut, die ursprüngliche Wanderung aus dem Büchlein Wandern mit dem MVV hatte ja nie durchgehend geklappt, vor Schlacht mussten wir immer auf Straßen ausweichen. Herr Kaltmamsell lotste uns also in einem Bogen nach Moosach, dann folgten wir eine Weile der gewohnten Route, umgingen aber das Straßenstück weiträumig im Wald.

In einem sehr feuchten Waldstück war ich froh drum, dass seit einer besonders vermückten Wanderung das Schnackenschutzspray in meinem Wanderrucksack wohnt: Nach einer ersten Attacke besprühte ich mich damit rundum, bis ich glänzte – Schluss mit Stecherei.

Am Himmel immer wieder Bussarde, Milane, Falken. Auf dem Boden Kühe, ein Schaf.

Blauer Himmel über soniger Landschaft mit schmalem asphaltiertem Weg

Schöne, sonnige Landschaft mit Brise.

Wanderer von hinten, der auf einem schmalen Pfad durch eine schattige Wiese geht, davor ein sonniges Stück, dahinter Wald

Waldwege auch mal schmal.

Dorf aus Häusern mit roten Dächern unter knallblauem Himmel

Niederseeon.

Wald mit Wladweg, der eine einzige riesige Pfütze ist, links Wanderer

Manchmal kamen wir auch an unpassierbare Wege, schließlich hatte es in den vergangenen Tagen mehrfach geregnet. Nach zweieinhalb Stunden wollte ich Brotzeitpause machen, doch das einzige Bankerl, an dem wir vorbeikamen, war bereits besetzt – und die Herrschaften sahen aus, als hätten sie es sich gerade erst richtig gemütlich gemacht. Es wurden also drei Stunden und drei Uhr, bis wir in Kastenseeon an der Straße eine schattige Sitzgelegenheit fanden. Ich aß einen Apfel (aus Ernteanteil ein Granny Smith aus heimischem Bio-Anbau – ich war überrascht, dass die bei uns angebaut werden, und dann auch noch schmecken) und eine Breze – wollte nicht zu viel essen, um meinen Appetit beim abschließenden Einkehren zu erhalten.

Der gewohnte Weg von Lindach nach Aying war energisch gesperrt: Er sei wegen Wiederherstellungsarbeiten unpassierbar. Da wir dieses Stück durch den Wald gut kennen, beschlossen wir ihn dennoch zu gehen: Bei Unpassierbarkiet würden wir einfach in den Wald ausweichen. Doch der gesamte Weg war frei und fertig wiederhergestellt, keine Spur von Arbeiten; vielleicht hatte man vergessen, die Sperrung aufzuheben.

Straße, die zwischen Hecken auf eine Zwiebelturmkirche zuführt, rechts ein moderner Brauereiturm

Ankunft in Aying. Der Biergarten war auch kurz vor fünf gut besucht. Gestern sah das Brotzeitbrettl so aus.

Auf einem Tisch ein Holzbrett mit Wurst, auf beiden Seiten kleine weiße Teller mit Brot

Da schon beim letzten Mal kein Presssack dabei gewesen war, bestellten wir diesen einzeln.

Viereckiger weißer Teller, auf dem strahlenförmig halbe Scheiben weißer und roter Presssack liegen

Zum Vergleich: Das Brotzeitbrettl im selben Lokal 2018:

Und 2021:

Reibungslose Heimfahrt, diesmal direkt bis Stachus. Daheim noch zum Nachtisch Schokolade.

Joseph Roth, Hiob ausgelesen – hat mir sehr gut gefallen, mehr folgt.

Journal Dienstag, 14. Mai 2024 – Didier Eribon, Sonja Finck (Übers.), Eine Arbeiterin

Mittwoch, 15. Mai 2024

Wieder eine gute Nacht, doch wieder endete sie in einer unangenehmen Angstphase.

Nochmal Sonnen-Power draußen, ich marschierte in kurzen Ärmeln in die Arbeit (eine Jacke wäre wirklich angenehm gewesen, doch ich war wieder zu faul zum Heimschleppen).

Die Lösung meines Problems mit der Handyzahl-App (VIMPay übrigens, mit der meine Bank, die Sparda, zusammenarbeitet), von der eine erforderliche und angeblich abgeschickte TAN nie eintraf, nicht bei Dutzenden Versuchen und über mehrere Tage: Ich hatte am Sonntag an die Service-Adresse geschrieben, die am Montag zurückschrieb, “richte die PushTAN-Verbindung bitte nochmals anhand der folgenden Anleitung ein”. Stellte sich heraus: Ich hatte diese Funktion nie eingerichtet. Und wie ich bei neuerlichem Aufruf der App herausfand, ist sie auch gar nicht erforderlich, jetzt gab es eine Möglichkeit, auch ohne weiterzukommen. UX-Hölle in Lehrbuch-Qualität.

Emsiger Vormittag, aber ich hatte Zeit für einen Mittagscappuccino im Westend.

Cappuccinotasse auf einem Holztresen vor einem Fenster, durch das man eine sonnenbeschienene Straße und ein altes Haus sieht

Zu Mittag gab es einen Kanten selbstgebackenes Brot und Mango mit Sojajoghurt.

Der Nachmittag war zäh, doch ich schaffte Dinge weg (und fand nicht heraus, wie ich für Outlook-Besprechungen Agenda und Protokolle in OneNote bastle, die nicht nur zu meinem persönlichen OneNote führen). Außerdem plagten mich Schwäche und Schwindel – wie ich aus meinem Blog weiß, bekomme ich den besonders häufig im Mai.

Nach Feierabend nahm ich eine U-Bahn in die Innenstadt, ließ mir bei einer Ärztin ein Rezept auf die Krankenkassenkarte laden, kaufte ein wenig im Kaufhaus ein und im Drogeriemarkt, kurz vor daheim noch Erdbeeren am Standl.

Ernteanteil war aufgegessen, Herr Kaltmamsell hatte Nachtmahl beim (deutschen) Traditionschinesen Shanghai am Stachus beschlossen. Da gingen wir hin.

Restauranttisch am Fenster im 1. Stock, draußen ein Schild "Chiina Restaurant Shanghai", drinnen am Tisch liest ein Mann die Speisekarte

Eine weiße Schüssel mit gebratenen Auberginenstücken, rechts davon eine Servierplatte mit Grünem Stengelgemüse

Oben ein weißer Teller mit Tofustückem in roter Sauce, unten eine Schalte Reis

Wir teilten uns Wasserspinat mit Knoblauch, Aubergine mit wenig Hack, Mapu Tofu – sehr schön unterschiedlich und aromatisch.

Zurück daheim gab es noch reichlich Erdbeeren und ein wenig Schokolade.

Im Bett begann ich neue Lektüre: Joseph Roth, Hiob.

§

Didier Eribon, Sonja Finck (Übers.), Eine Arbeiterin.
Didier Eribon schreibt über die letzte Lebensphase seiner Mutter, der titelgebenden Arbeiterin. Diesmal belustigte es mich beinahe, wie Eribon zutiefst menschliche und zwischenmenschliche Dinge mit den Werkzeugen der Soziologie analysiert (das tat er ja schon in Rückkehr nach Reims, hier besprochen). Zum Beispiel seine Schilderung, wie seine Eltern, die einander nicht ausstehen konnten, all die Jahrzehnte ihrer Ehe ein Bett teilten: Das sei halt durch ihre Zugehörigkeit zur Arbeiterklassen bedingt, in der Alternativen undenkbar gewesen seien. (PurzelchenCherie: Die Alternative ist in praktisch allen Klassen undenkbar.)

Aber auch so bewegte es mich zutiefst, wie seine Mutter am Umzug ins Pflegeheim zerbricht. Ebenso wie Eribon damit hadert, ob das durch einen Umzug in ein offeneres Wohnen für Alte ein paar Jahre zuvor hätte verhindert werden können, den seine Mutter im letzten Moment verweigerte. Eribon erkennt, wie müßig diese Frage ist, denn seine Mutter wollte halt einfach nicht.

So vieles läuft darauf hinaus, dass Menschen nun mal auch im hohen Alter und mit schwindender Kontrolle über ihren Körper immer noch eigenverantwortliche und mündige Menschen sind. Selbst wenn ihre eigenen Entscheidungen ihnen schaden. So kommt es oft zu tragischen Situationen, in denen nicht abzusehen ist, was größeren Schaden anrichtet: Der selbstverantwortliche Beschluss, allein in der eigenen Wohnung zu bleiben (auch wenn die Selbstversorgung nicht mal mit externer Pflegehilfe gesichtert werden kann, auch wenn jede Erkrankung, jeder Sturz schwerwiegende Folgen haben kann). Oder der Umzug ins Seniorenheim unter dem noch so liebevollen Druck der Anghörigen (“Es ist besser für dich.”), der mit Aufgabe der Selbstbestimmung einher geht, mit komplettem Wechsel von Alltag, Kontakten, Gewohnheiten – dem Verlust der eigenen Welt.

Und dem ultimativen Verlust von Zukunftsaussichten: Ohne Zukunft gibt es kaum ein Konzept von Selbstwirksamkeit, in einem Pflegeheim ist die Zukunft zu Ende.

Die Zeit ist stehen geblieben. Es ist kein auf die Zukunft gerichteter Entwurf mehr möglich, nicht einmal auf die unmittelbare Zukunft.

Wichtig ist in meinen Augen Eribons Hinweis darauf, dass den Pflegeheim-Bewohnenden die Möglichkeit zur Gruppenbildung, Solidarität, zum Protest gegen das System genommen ist, sollten sie mit den Umständen unzufrieden sein: Immobil und aus dem Bett heraus, ohne selbstbestimmte Kontakte lässt sich keine Revolte anzetteln. (Oder müssen wir uns auf den ersten über WhatsApp organisierten Aufstand der Patient*innen im Pflegeheim gefasst machen?) Eribon schildert, wie seine Mutter ihm und seinen Brüdern aus dem Pflegeheim-Bett Nachrichten auf den Anrufbeantworter sprach:

Meine Mutter weinte und beschwerte sich, aber sie konnte nicht für sich selbst sprechen, konnte sich kein Gehör verschaffen, zumindest nicht öffentlich. Ihre Klage gelangte nicht aus ihrem Zimmer nach außen.

(…)

Wie sollen alte Menschen, vor allem, wenn sie ihre körperlichen und manchmal auch einen Teil ihrer geistigen Fähigkeiten verloren haben, sich versammeln, sich als Gruppe mobilisieren, sich als “Wir” begreifen, und sei es nur, indem sie ihre Interessen an eine Gewerkschaft oder Partei deligieren?

Und doch stolperte ich über die soziologische Analyse der Verbindung Eribons mit seiner Mutter:

Man darf die sozialen Beziehungen – einschließlich der sich im Lauf der Zeit verändernden innerfamiliären Beziehungen – nicht psychologisieren, sondern muss sie im Kontext von Klassenverhältnissen betrachten.

Mir scheint dieser Satz unvollständig: Wenn man was erreichen/erkennen will? Oder es fehlt: Sonst…
Da ich weder Psychologin bin noch Soziologin, kann ich mir die feuilletonistische Ansicht leisten, dass eine Mischung von beiden Erklärungssystemen den größten Erkenntnisgewinn verspricht.
Kann es sein, dass Eribon seine Trauer soziologisieren möchte und dabei herzzerbrechend scheitert?

Doch Eribon knöpft sich auch seine eigenen philosophischen Lehrmeister*innen vor (u.a. Sartre) und weist ihnen nach, dass viele ihrer gesellschaftlichen Konzepte, gar Forderungen alte Menschen als Protagonist*innen ausschließen, mit alten Menschen vor Augen einfach nicht mehr funktionieren. Er beschließt sein Buch mit einem leidenschaftlichen Appell, greise Menschen nicht zu übersehen und denen eine Stimme zu leihen, die sich in ihrer letzten Lebensphase nicht mehr selbst Gehör verschaffen können.

Journal Dienstag, 7. Mai 2024 – Nele Pollatschek, Dear Oxbridge: Liebesbrief an England

Mittwoch, 8. Mai 2024

Nachtschlaf in Etappen, nach halb fünf schlief ich nicht mehr richtig ein.

Draußen hatte sich die Trübe des Vorabends gehalten, es war kühl.

Begrünter Platz, im Vordergrund ein Haufen ausgerissener Pflanzen, im Hintergrund ein Reiterdenkmal

Schichtwechsel in den Blumenrabatten des Kaiser-Ludwig-Platzes.

Wieder ein sehr emsiger Vormittag. Doch auch im Trüben zog es mich mittags hinaus auf einen Cappuccino im Westend. Große Freude: Mauersegler am Himmel auch hier.

Das Mittagessen wurde wegen Querschläger wieder spät:

Selbst gefärbtes Osterei von der griechisch-orthodoxen Kollegin, eingeweichtes Muesli mit Joghurt.

Arbeitsreicher Nachmittag, der Feierabend wegen eines kurzfristigen Anliegens wieder später. Aber langsam halte ich es für möglich, dass mein System sich in absehbarer Zeit an die neuen Büroumstände gewöhnt und ich nicht mehr 24/7 an die Arbeit denken muss.

Der Tag war düster und kühl geblieben, ich mochte meinen Fußmarsch nach Hause dennoch. Beim Vollcorner holte ich die Einkäufe vom Montag nach.

Daheim eine Einheit Pilates “Move with Nicole” für Anfänger, nochmal die erste Folge, die mir dieses Mal einfacher fiel und richtig gut tat.

Brotzeitvorbereitung, als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell gefüllte Kartoffeltaschen (Kombination aus mehreren Rezepten, Füllung aus Salsicce und Frühlingszwiebeln) mit Sauerrahm.

Eine flache Kartoffeltasche, aufgeschnitten, auf Glasteller

Schmeckte sehr gut. Nachtisch Schokolade.

Sehr früh ins Bett zum Lesen, ich war gespannt auf meine nächste Lektüre (die Vormerkung in der Stadtbibliothek war wieder punktgenau eingetroffen): Didier Eribon, Sonja Finck (Übers.), Eine Arbeiterin.

§

Bereits Montagabend hatte ich Nele Pollatschek, Dear Oxbridge: Liebesbrief an England ausgelesen. Das Sachbuch erschien 2020, und Nele Pollatschek berichtet darin von ihrer eigenen Studienzeit in Oxford und Cambridge, wie sie sich da hingekämpft hat, und was sie daraus über Großbritannien lernte. Das fand ich spannend, interessant und gut geschrieben, und selbst wenn ich einigen ihrer Argumente nicht folge (zum Beispiel ihrer Begründung, warum sie immer im männlichen Genus von sich schreibt, Schriftsteller, Student – das hatte sie auch mal in einem SZ-Artikel erläutert), mochte ich sie gerne lesen. Die britische Art der Gedankendarlegung und Argumentation ist sehr wahrscheinlich ohnehin, warum ich Pollatscheks Texte immer schon gern las. Wie sie das System Oxbridge als Schlüssel für die Analyse der britischen Gesellschaft verwendet und daraus die Schwierigkeit ableitet, die inhärente Ungerechtigkeit zu bekämpfen, fand ich nachvollziehbar.

Und viele ihrer Studienerlebnisse hatte ich auch gehabt, wenn auch an der im Vergleich unendlich popligeren Swansea University in Wales: Zum Beispiel set text courses, die aus einer Hand voll Studierender plus Dozent bestanden und für die wir jede Woche einen Roman lasen – der im Kurs 18th-century British novels auch mal über 1000 Seiten haben konnte (siehe Camilla von Fanny Burney). DAS FAND ICH SO SUPER! Endlich wurde in Literaturwissenschaft auch mal so richtig gelesen, deshalb studierte ich das doch, um endlich hemmungslos und ohne Entschuldigung lesen zu können! Vorher in Augsburg waren in Seminaren drei übersichtliche Romane pro Semester das Höchstmaß gewesen. Allerdings musste ich, anders als Pollatschek in Cambridge, nicht über jeden dieser Romane pro Woche zusätzlich einen Aufsatz schreiben. Das hätte meinen Spaß möglicherweise getrübt.

Worüber ich stolperte: Pollatschek berichtet, Studiengebühren seien in Großbritannien erst 1998 eingeführt worden. Das bestätigt die Website studying-in-uk.org. Mich überraschte das, denn schon meine einheimischen Kommilitoninnen in Swansea (working class) hatten 1991/92 Kredite für ihr Studium aufgenommen, erzählten von regelmäßigen Terminen mit ihrem Bankberater, schlossen ihr Studium mit einem Berg Schulden ab – ich war deshalb immer von Studiengebühren ausgegangen, doch offensichtlich hatten sie schlicht für ihren Lebensunterhalt während des Studiums Kredite aufgenommen, die sie mit ihrem späteren Gehalt abstotterten.

§

Gabriel Yoran erzählt bei Krautreporter:
“Wie ich versuchte, mich vom Konsum freizukaufen”.

Waschmaschinen aus den 1970ern funktionieren klaglos 30 Jahre lang, bei den Nachfolgegeräten aber gibt nach zehn Jahren die Pumpe auf. Die neuen Maschinen sind leiser und sehen eher nach Unterhaltungselektronik als nach Militärtechnik aus, vor allem aber verbrauchen sie viel weniger Strom und Wasser, was für ihre Nachhaltigkeitsbilanz spricht. Dafür gehen sie oft früher kaputt. Das ergab eine Langzeitstudie des Umweltbundesamtes. Der Anteil der untersuchten Elektrogeräte, die schon in den ersten fünf Jahren kaputtgehen, hat sich zwischen den Jahren 2004 und 2012 mehr als verdoppelt (von 3,5 auf 8,3 Prozent). Und während viele Geräte in der Benutzung immer sparsamer werden, sieht die Studie praktisch keine Fortschritte bei der trivialsten Nachhaltigkeitsmaßnahme: der schieren Lebensdauer eines Produkts. Die nimmt nämlich nicht zu.

Wir erleben eine merkwürdige Scheinnachhaltigkeit.

Den Begriff werde ich mir merken.

Journal Sonntag, 5. Mai 2024 – #WMDEDGT

Montag, 6. Mai 2024

An jedem 5. des Monats fragt Frau Brüllen: “Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?” und sammelt die Antworten unter #WMDEDGT, zum Mai hier.

Das war eine sehr zerhackte Nacht mit viel Aufwachen, vor allem der Unruhe vor meinem Schlafzimmerfenster geschuldet (Abbau der Kulturtage Ludwigvorstadt Isarvorstadt, viel Autoverkehr). Aber ich hielt bis sieben im Bett aus.

Ein zunächst freundlicher Morgen, der sich aber immer weiter verdüsterte: Diesmal stimmte die Wettervorhersage. Ich trug im Wohnzimmer Socken und Strickjacke, ließ die Fenster nach dem morgendlichen Lüften zu.

Für den gestrigen Blogpost musste ich nur noch die Bilder bearbeiten und einstellen – was mich inzwischen noch mehr Zeit kostet, da ich den Ehrgeiz habe, zu jedem Foto einen Alt-Text zu hinterlegen, um die Barriere für Sehbehinderte zu senken. Ich rede mir ein, das sei Hirntraining, da ich für diese Alt-Texte (erscheinen bei entsprechender Browser-Einstellung statt des Fotos und können maschinell vorgelesen werden) möglichst schnell erfassen und formulieren muss, worum es bei dem Bild geht.

Gegen zehn machte ich mir für eine Schwimmrunde im Olympiabad fertig. In angenehmer Luft radelte ich von roter Ampel zu roter Ampel bis zum Olympiabad.

Die Bahnen waren überraschend dicht beschwommen, doch ich kam zu erfreulichen 3.000 Metern – mal wieder als eine der wenigen Unplugged-Schwimmerinnen unter Geräteschwimmer*innen. Unter der Dusche nutzte ich meinen Peeling-Handschuh: Nach dem Schwimmen ist die Haut so schön aufgeweicht, dass ich mir gesteigerte Wirksamkeit einbilde.

Als ich heimradeln wollte, stellte ich fest, dass ich eingesperrt war: Im Olympiapark war eine Laufveranstaltung ausgebrochen, die man mit eisernen Gittern eingegrenzt hatte. Eine Bewacherin vertrieb mich von der menschenleeren Strecke, als ich um Durchfahrt bat, ich musste sie mehrfach fragen, wie ich denn rauskommen könne, bevor sie vage antwortete: “Ganz außen rum.” Doch in alle Richtungen von Olympiabad und Olympiahalle aus stoppte mich früher oder später die abgesperrte Laufstrecke. Richtung U-Bahn war ein (menschenleeres) Stück lediglich mit Plastikband abgesperrt, unter dem schob ich schnell mein Fahrrad durch – eigentlich hätte man das Olympiabad gestern schließen müssen.

Zu meinem (allerdings nur leichten) Ärger darüber setzte auch noch Regen ein, ich wurde mittelfeucht.

Daheim dennoch erstmal zur Nasendusche gegriffen: Nach den letzten Schwimmrunden hatte mich der Chlorschnupfen nachts geplagt, ich hatte jedesmal Nasenspray gebraucht. Vielleicht konnte ich das diesmal durch ordentliches Durchspülen der Nasenschleimhäute verhindern. (Wirkte leider nicht.)

Vor dem Verräumen des Sportsack-Inhalts holte ich Kisten mit Sommerschuhen (zum Wechseln gegen Winterschuhe) und abgelegter Sommerkleidung (zur erbetenen Weitergabe an meine Mutter) aus dem Keller.

Frühstück gegen halb zwei: Selbstgebackenes Brot mit Butter und Honig, eine Orange.

Dann las ich die Wochenend-Zeitung aus, außerdem eine liegendgebliebene Ausgabe der Woche. Wechsel der Schuhe, Aussortieren von Kleidung, ich brachte die Kisten zurück in den Keller.

Ein knappes Stündchen Bügeln vor dem jetzt wieder sonnigen Balkon mit dem SWR4-Interview:
“Vincent Klink: ‘Ein trauriger Koch kocht nicht gut'”.

Für meinen Geschmack (haha) hätte es ein bissl mehr ums Essen und Kochen gehen dürfen – vielleicht handelt er das erschöpfend in seinen Fernsehsendungen ab, die ich nicht kenne. Doch wie Herr Klink ausführlich erklärte, ist das für ihn halt nicht das Wichtigste beim feinen Essengehen. Schad eigentlich; wenn ich fein Essen gehe, unterhalte ich mich mit dem Service am liebsten übers Essen, das mir serviert wird. Für mich ist das Verhältnis umgekehrt wie für Vincent Klink: Von schönen Räumlichkeiten und aufmerksamem Service gehe ich aus, und jetzt möchte ich was über Geschmack lernen.

Mit Herrn Kaltmamsell holte ich die Balkonpflanzen aus ihrem Winterquartier in der Bibliothek und stellte sie hinaus auf den Balkon.

Balkon mit Blick in Bäume, auf dem Balkon drei große Topfpflanzen

Ich hoffe, sie reagieren dieses Jahr nicht wieder so angepisst wie im Vorjahr darauf, “Iiiih, frische Luft! Echte Sonne! UND WIND!”, und machen sich nicht gleich wieder ans dramatische Sterben mit gelben Blättern und Wasserverweigerung. Ich setzte mich ein wenig zu ihnen und wies sie auf das wunderschöne spätnachmittägliche Licht zwischen den Lindenblättern hin.

Plötzlich hatte ich nach Jahren mal wieder Lust auf einen Wasserkakao: Backkakaopulver mit einem Teel. Zucker vermischen, mit etwas Milch glattrühren, mit heißem Wasser aufgießen, nach Belieben süßen. Volle Kanne Schokolade und heiß, ohne resultierendes Völlegfühl.

Lesen von Nele Pollatschek, Dear Oxbridge: Liebesbrief an England auf dem Balkon. Nachdem mir die ersten Kapitel lediglich Bekanntes erzählt hatten, fand ich die nächsten wirklich spannend: Jetzt ging es ganz konkret um Oxbridge und wie man als Deutsche reinkommt (und wie als Brite).

Ich fühlte mich müde und hatte keine Lust auf Gymnastik. Aber ich guckte kurz in mein Arbeits-E-Mail-Postfach, weil ich auf einige Informationen wartete und der Montag sehr früh mit einem Termin beginnt.

Aufsicht auf Esstisch, darauf links eine Pfanne mit Gemüse, rechts ein Topf mit Reis

Herr Kaltmamsell servierte als Nachtmahl ein rotes Thaicurry aus Ernteanteil-Karotten, -Pakchoi, -Koriander mit Reis (tse, schon wieder vegan), sehr gut. Nachtisch Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen.

Journal Freitag, 3. Mai 2024 – Louise Erdrich, The Night Watchman

Samstag, 4. Mai 2024

Louise Erdrich, The Night Watchman. Wieder erinnerte ich mich nicht, warum ich das Buch auf meine Leseliste gesetzt hatte, vertraute aber meinem früherem Ich – und kam so zu einem bereichernden Lese-Erlebnis.

Der Roman, 2020 veröffentlicht, spielt in den frühen 1950ern in einem Indianer-Reservat in Norddakota. Der titelgebende Nachtwächter Thomas gehört dem Rat der Chippewa an und erfährt vom Entwurf eines neuen “emancipation” bill, das alle Verträge mit Indianer nichtig machen und sie in die Gesellschaft “integrieren” soll – sie also auslöschen. Er versucht mit anderem Stammesmitgliedern, dieses bill zu verhindern. In diesem Rahmen werden Leben, Geschichte und Alltag einiger Stammesmitglieder und Weißer im Reservat erzählt, sprachlich zurückhaltend, mit nahezu neutral erscheinendem Blick und fast unsichtbarer Erzählstimme.

Im Mittelpunkt steht eigentlich Pixie, die Patrice genannt werden möchte: Eine junge, eigenwillige Frau, die in der neu eröffneten Fabrik arbeitet, mit ihrem Einkommen ihre Familie einschließlich alkoholkrankem Vater ernährt. Ihre große Sorge gilt der Schwester, die vor einiger Zeit in die Stadt gezogen ist und von der sie schon lange nichts mehr gehört hat.

Man könnte The Night Watchman als historischen Roman einordnen – aber hier störte mich das nicht, auch weil ich keine Bilder zu dieser Zeit im Kopf hatte. Zudem wurde nicht ein historischer Vorfall erschöpfend erzählt, auch nicht ein historisches Leben: In einem offensichtlich sauber recherchierten historischen Umfeld ist ein historisches Ereignis Anlass für eine Romanhandlung, die mich sehr fesselte.

Zu dieser besonderen Welt, von der ich wenig wusste, gehört auch ein wenig magischer Realismus aus der Kultur dieser Indianer heraus – den ich weder als romantisiert noch esoterisch empfand. Denn ist es wirklich so etwas anderes, ob nachts ein verstorbener Freund vorbei kommt und darauf hinweist, dass ein Kollege klaut – oder ob einem selbst klar wird, dass bestimmte Beobachtungen nur dann Sinn ergeben, wenn ein Kollege klaut? Und sind arme Menschen, die als Familien in Hütten weit voneinander entfernt wohnen, nicht schlicht darauf angewiesen, jede Veränderung in der Natur ihrer Umgebung zu deuten?

Als typische weiße Westlerin bin ich erheblich entspannter mit einer Art von Spiritualität, in der zum Beispiel Tote von Verwandten und Freunden auf ihrem letzten Weg begleitet werden müssen, damit ihre Geister zur Ruhe kommen. In der der Schlaf neben einem winterschlafenden Bären tiefe Ruhe verleiht. In der wiederkehrende Träume von abwesenden lieben Menschen echte Sorge auslösen können – als mit der meisten christlichen Spiritualität, die für mich als Angehörige dieser Kultur und mit meinen Erlebnissen belastet ist.

Was die Welt der Romanhandlung besonders macht, ist innerhalb der Romanhandlung Alltag: Wenn du eine weite Strecke zurücklegen musst, zum Beispiel in die nächste Stadt, und weder Auto noch Führerschein hast, dein Nachbar aber Pferde besitzt, dann reitest du halt in die nächste Stadt, klar.

Und mir wurde klar, dass im Grunde verlangt wurde und wird, dass sich die Indianer (und andere kolonialisierte Menschen z.B. in Australien oder Neuseeland) an das ihnen aufgezwungene politische System anpassen, wenn sie ihre Rechte (und ihre Identität) verteidigen wollen – eigentlich paradox. (Assoziationen mit Frauen, die nur dann eine Rolle in einem komplett männlich geprägten System spielen können, wenn sie sich erstmal dessen Regeln unterwerfen.)

Das Nachwort von Louise Erdrich erklärte ein wenig historischen Hintergrund – der mich dann wirklich erschütterte: Denn jetzt erfuhr ich, dass die Turtle Mountain Chippewa zu den wenigen Stämmen gehörten, die durch ihre sorgfältige politische Einflussnahme der termination entkamen:

In all, 113 tribal nations suffered the disaster of termination; 1.4 million acres of tribal land was lost. Wealth flowed to private corporations, while many people in terminated tribes died early, in poverty. Not one tribe profited. By the end, 78 tribal nations (…) regained federal recognition; 10 gained state but not federal recognition; 31 tribes are landless; 24 are considered extict.

Mehrere Dutzend andere Stämme wurden also durch genau diesen bill ausgelöscht – ein weiteres historisches Unrecht, von dem ich keine Ahnung hatte.

§

Zum Tage:

Ich wachte früh auf, aber nicht viel unruhiger als sonst.

Draußen war es trübe. Auf dem Weg in die Arbeit sah ich einen Falken, der gerade auf der Villa Wagner auf der Theresienhöhe landete, aufgeplustert.

Intensiver Vormittag, doch ich konnte ruhigen Gewissens raus auf einen Mittagscappuccino marschieren, genoss die Bewegung.

Mauer an einer Straße mit buntem Grafitti, rechts Altbauten

Breite Fensterbank eines Cafés darauf links eine Tasse mit Cappuccino, rechts ein ausgestrecktes Beim abgelegt in schwarzer Jeanshose und mit rotem Schuh

Später Mittagessen am Schreibtisch: Apfel, außerdem eine unglaublich aromatische Mango (muss eine andere Sorte gewesen sein als sonst, hatte mir bislang völlig unbekannte Geschmacksnoten) mit Sojajoghurt.

Auch der Nachmittag wurde intensiv: Dank neuer IT-Berechtigungen konnte ich mit Schwung in neue (wiederbelebte) Aufgaben einsteigen.

Fast pünktlicher Feierabend, jetzt war es deutlich kälter geworden. Ich legte meinen Heimweg über einen Lidl, in dem ich unseren Süßigkeitenvorrat auffüllen wollte – und die ersten heimischen Erdbeeren sah und kaufte (sie hatten mich deutlich angeduftet).

Zu Hause ein wenig Gymnastik. Ich folgte der Empfehlung von Nichte und Bruder (beide begeisterte und intensive Heimtrainierende) und machte Pilates, nämlich “Move with Nicole”. War anstrengend, gefiel mir gut (außer dass meine Wirbel mittlerweile bei jeder Bauch-Übung krachen und rumpeln), das mit dem Schnaufen bekam ich noch nicht ganz hin. Allerdings hatte mich niemand auf den australischen Akzent vorbereitet (ich finde super, dass man den auch mal hört! kommt in Hollywoodfilmen/-serien ja nicht so oft vor). Und Menschen mit Gummigelenken finde ich immer ein bisschen gruslig.

Fürs Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell ein Blaukraut-Risotto aus der Gefriere aufgetaut, ich machte den restlichen Ernteanteil-Salat mit Tahini-Dressing an und schnippelte Erdbeeren zum Nachtisch. Wir stießen mit einem spanischen Rotwein Dehesa la Granja aufs Wochenende an.

Wir lernten: Einfrieren tut einem Risotto nicht wirklich gut, beim Wiederauftauen wird Reisbrei daraus. Durchaus schmackhafter Reisbrei. Die Erdbeeren zum Nachtisch bekamen ein wenig flüssige Sahne dran, schmeckten gut. Dann noch ein wenig Schokolade.

Ich ging früh ins Bett zum Lesen, las Zoë Beck, Memoria aus – in meinen Augen das bisher schwächste Buch von ihr.

Journal Mittwoch, 1. Mai 2024 – Diesig, sommerlich, feiertäglich

Donnerstag, 2. Mai 2024

Eine gute Nacht, die für meinen Geschmack allerdings zu früh endete. Auch für den ersten Balkonkaffee, es war noch viel zu kalt. Nun, ich hielt mir das “Mehr vom Tag” vor Augen.

Für den Morgen war ich mit meinem Bruder zum Telefonieren verabredet, ich hatte schon viel zu lange nichts mehr aus seinem Leben mitbekommen. Das war dann ein schönes, ausführliches Telefonat.

Draußen hatte es wie angekündigt sehr schönes Wetter mit Sonnenschein und Wärme, allerdings sorgte wieder Saharasand für einen diesigen Schleier. Als ich zu meinem Isarlauf startete, war es bereits später Vormittag, ich wählte die Strecke direkt von der Haustür aus über Alten Südfriedhof Richtung Wittelsbacherbrücke und Thalkirchen. Ich lief beschwerdefrei, nur das letzte Drittel fühlte sich anstrengend an.

Allerdings war sehr viel los, klar bei diesem Wetter am Maifeiertag. Ich lief also in Schwaden von Grillanzündern und immer wieder Slalom durch Radln, Hunde, sommerlich gekleidete Menschen.

Alter Friedhof mit großen Bäumen, rechts eine kleinere Kirche, davor ist der Weg mit Brettern verschalt

Hinter St. Stephan wird gebaut, aber laut Infotafel nur bis Juli.

Das Grab von Carl Spitzweg, allerdings ein Ersatzstein, wie ich aus einer Friedhofsführung weiß, der originale verschwand in den Wirren der Zerstörung durch Bombenangriffe im Oktober 1943.

Flaucher.

Unter der Brudermühlbrücke entdeckte ich neue Street Art.

Buntes Graffiti auf einem breiten Brückenpfeiler

Buntes Graffiti auf einem breiten Brückenpfeiler

Silbernes Graffiti auf einem Brückenpfeiler

Grafitti in Weiß und Schwarz auf einem Brückenpfeiler

Blick auf einen Fluss, rechts badende Menschen, am Horizont eine Kirche

An vielen Stellen wurde in der Isar gebadet.

Zweischen grünen Bäumen Bierbänke, an denen Menschen sitzen, rechts ein rosafarbener Maibaum

Auf dem Weg zum Semmelholen im Glockenbachviertel schallte mir Blasmusik entgegen: Der Karl-Heinrich-Ulrichs Platz bekam gestern einen neuen schwulen Maibaum, das Rosa Stangerl.

Frühstück um halb zwei: Kürbissemmel, Grapefruit mit Joghurt. Obwohl ich extra nicht so viel gegessen hatte, wurde ich sehr müde – verkniff mir aber die Siesta, weil ich den Nachtschlaf auf den aufregenden Donnerstag nicht gefährden wollte.

Zeitunglesen auf dem Balkon, auf Linde und Ahorn davor eine sehr krähfreudige Krähe. Immer wieder fuhr eine Brise in die Baumkronen. Sie raschelten schon viel routinierter, vor zwei Wochen waren die Lindenblätter gerade erst jung und hell ausgeklappt, ihr Rascheln war noch eine sanfte, weiche Übung.

Neues Buch angefangen: Zoë Beck, Memoria. (The Night Watchman hat mir sehr gut gefallen, ich werde noch ausführlicher darüber schreiben.)

Fürs Abendessen war ich zuständig. Ich hatte mich an einen italienischen Braten erinnert, den ich in der ersten Zeit des Zusammenlebens mit Herrn Kaltmamsell mindestens zwei Mal gemacht hatte.

Mitte der 1990er hatte ich dieses Kochbuch, Das große Buch der italienischen Küche, bei einem meiner damaligen regelmäßigen Fischzüge durch reduzierte Bücher günstig erstanden. Ich fand die Rezepte interessant, glaubwürdig und gut geschildert, kochte viel aus diesem Buch (bevor es durch den GU-Meilenstein Die echte italienische Küche abgelöst wurde). Ein besonders abgefahrenes Rezept war Farsumagru, eine riesige Rinderroulade, die mit gewürztem Rinderhack, Käse, Speck und Ei gefüllt wurde. Meine vertraute Metzgereiverkäuferin damals in Augsburg beim Reiter schnitt die Roulade so aus der Oberschale, dass sie dreimal so groß wurde wie sonst.

Großes Rouladenfleisch

Den Dreh hatte die Fachfrau am Dienstag nicht heraus, ich bekam statt dessen zwei doppelt große und legte sie übereinander.

Aufsicht auf klein geschnittenen Speck, Eierscheiben

Riesenroulade in Pfanne, drumrum bratende gehackte Zwiebel

Während der Braten garte, turnte ich sportliche Yoga-Gymnastik.

Großer Glasteller, darauf Scheiben Riesenroulade und Nudeln

Ich war sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Und dann hörte ich auch noch das Schrillen der Mauersegler am Himmel, lief auf den Balkon: Jawoll, sie sind jetzt auch in der Innenstadt.

Früh ins Bett zum Lesen und mich verrückt Machen wegen Donnerstag, Letzteres gar nicht mal so schlimm.

§

Nele Pollatschek nimmt sich in der Süddeutschen die aktuelle Debatte um Schwangerschaftsabbrüche vor – nein, im Grunde nicht nur die aktuelle, sondern die bereits seit Jahrtausenden geführte: “Höchste Zeit also, mal durchzusortierten.”
“Schwere Geburt”.

Besonders interessant finde ich diesen Gedankengang:

Das eigentliche argumentative Problem der §218-Befürworter ist aber ein ganz anderes, das auch im Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung deutlich wird. Hier heißt es: “Dem Staat obliegt eine Schutzverpflichtung zugunsten des ungeborenen Lebens, die er letztlich aber nur mithilfe der Schwangeren erfüllen kann.” Die entscheidende Frage ist daher nicht “Was ist (potenzielles) Leben?”, sondern: “Was darf ein Staat einem Bürger antun, um das Leben eines anderen Bürgers zu erhalten?” Hier ist die Antwort, die der Gesetzgeber in allen Fällen außer §218 gibt, erschreckend eindeutig: nichts.

Wo ein Bürger eine Niere zum Überleben braucht und ein anderer Bürger zwei kompatible Nieren besitzt, darf der Staat nicht einfach zugreifen. Wo das Leben eines leukämiekranken Kindes nur durch eine Rückenmarkspende gerettet werden kann, darf der Staat sich nicht gegen den Willen eines kompatiblen Spenders bedienen. Nicht mal einen so minimalinvasiven Eingriff wie eine Blutspende darf der Staat zum Lebensschutz erzwingen. Sogar vor einer posthumen Organspendepflicht schreckt er zurück. So ernst nimmt der Staat das Recht auf körperliche Selbstbestimmung, dass er es seinen Bürgern erlaubt, ihre toten Körper in Erdlöchern verrotten zu lassen, anstatt mit den Organen anderen das Leben zu retten.

§

Schon mal zum Einmerken:
8. Juni, 16 Uhr auf dem Königsplatz Demo gegen Rechtsextremismus.

§

“Autorin über Nachwendekinder: ‘Ich feiere Nie-Wieder-Vereinigung'”.

Die Aufarbeitung der Vereinigung von Ost- und Westdeutschland fängt gerade erst an. Die gesellschaftlichen und persönlichen Spuren sind tief. Zum Beispiel die von Paula ­Fürstenberg, 1987 in Potsdam geboren.

Meine Urerfahrung von Welt ist: wirklich überall Baustelle. Niemand weiß, wo es langgeht. Diese Straße heißt morgen anders, die Leute haben morgen einen anderen Beruf.

(Ich erinnere mich an eine Mitpatientin der Reha in Bad Steben aus Erfurt, die erzählte, mit welch wackligem Lehrplan und Material ihre Kinder in der Grundschule unterrichtet wurden: Die alten gingen ja wohl nicht mehr, neue waren aber noch nicht beschlossen.)

Journal Freitag, FREITAG, 26. April 2024 – Winter adeeeeee

Samstag, 27. April 2024

Gut geschlafen, ich hatte nicht mal Herrn Kaltmamsell heimkommen gehört. Beim Klogang leuchtete mir der Mond aufs Bett, der Wecker klingelte zu klarem Morgengrauen.

Für den Weg in die Arbeit schlüpfte ich nochmal in meinen Wintermantel, das Bild vor Augen, wie er mich auf dem Heimweg geöffnet umwehen würde.

Blumen am Straßenrand im Sonnenlicht

Wohnstraße mit Bäumen, links ein Wahlplakat mit der Schrift "DEINE STIMME FÜR MAß, MITTE UND FRIEDEN SPD"

Eigentlich ging‘s mir bei dieser Aufnahme in der Beethovenstraße ums Festhalten der typografischen Entscheidung für ẞ, doch versehentlich fing ich so das Winterende in meinem Viertel ein. (Interessante Diskussion in meiner Mastodon-Timeline über dieses ẞ, selbst tendiere ich dazu, lieber umzuformulieren, auch in Überschriften, damit solche Entscheidungen gar nicht erst nötig sind. Aber eine Grafikerin kann natürlich nicht zum Kunden gehen und um einen anderen Wahlslogan bitten, weil der sonst auf dem Plakat schlecht zu setzen ist.)

Volksfest auf der Theresienwiese, im Vordergrund Reihen von Zugmaschinen, im Hintergrund die Silhouette der Kirche St. Paul

Der Tag verlief zwar nicht so wolkenlos sonnig wie angekündigt, aber angenehm und entschieden nicht mehr winterlich. Für meinen Mittagscappuccino ging ich weiter, schon auf dem Rückweg konnte ich das mit dem offenen wehenden Mantel ausprobieren. Und danach immer wieder lange das Fenster in meinem Büro kippen.

Zu Mittag gab es Apfel, ein wenig Brot, Hüttenkäse.

Pünktlicher Feierabend, auf dem Heimweg Einkäufe fürs Wochenende im Vollcorner, auch der offene Wintermantel war zu warm.

Grünes Graffiti auf Betonwand, im Hintergrund Wohnblock

Zu Hause machte ich mich gleich ans Kuchenbacken (nach vielen Monaten mal wieder), es sollte fürs Wochenende Marmorkuchen geben.

Während er im Ofen war, turnte ich Yoga-Gymnastik. Zum Anstoßen aufs Wochenende mixte ich uns Rositas (Tequila, roter und weißer Wermuth, Campari).

Abgebildet ist, was der Text darunter erklärt

Authentisches Küchenstillleben: Frisch aus dem Ofen geholter Marmorkuchen auf Kuchengitter auf Küchentisch, dahinter ein Töpfchen Waldmeister, das Herr Kaltmamsell vor drei Wochen kaufte, auf dass es bis Mai für mehrere Maibowlen wachsen möge, das statt dessen aber eher stirbt und weniger wird, im Hintergrund Obstkorb mit Äpfeln, einer reifenden Mango, Zitrone, rechts ein vom Drinkmixen geleerter Eiswürfelbehälter, darauf Ofenhandschuhe, links unten neben dem Tisch sieht man die Ernteanteil-Abhol-Plastikkiste mit restlichen Kartoffeln.

Ein gedeckter Tisch, auf dem großen Glasteller was der Text darunter aufzählt

Klassisches Freitagabend-Nachtmahl mit Entrecôte, Ernteanteil-Spinat, ein wenig Ernteanteil-Ratatouille (nur wenig, weil es sich als stark gewürzt und zu dominant für diesen Teller erwies), Wurzelbrot, als Wein hatte ich einen südafrikanischen Owl Post geöffnet. Köstlich.

Zum Nachtisch schnitt ich den Marmorkuchen an, er schmeckte wundervoll.

§

Sehr spannende Frage von der Münchner Stadtbibliothek auf Facebook:

Du kannst deine Erinnerungen löschen lassen nd ein Buch noch einmal "zum ersten Mal" lesen. Welches Buch wählst du?

Meine erste Idee: Friedrich Torbergs Tante Jolesch. Doch das funktioniert nicht, weil ich beim ersten Mal so jung war und die Lektüre so tiefen und weitereichenden Einfluss auf mein gesamtes Leben hatte. Vielleicht den ersten Band Harry Potter? Aber vielleicht machten die beeindruckendsten Bücher genau wegen des Lesezeitpunkts so großen Eindruck und ich sollte andersrum die Erinnerung an eine besonders enttäuschende Lektüre löschen? Und Moby Dick anfangen, als hätte ich’s nicht schon mal versucht? So schwierig!

Ach was: Ich entscheide mich für Douglas Adams, The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy – es müsste großartig sein, wie bei gelöschter Erinnerung an die Lektüre plötzlich ein großer Teil von kulturellen Anspielungen Sinn ergibt.

§

Ich lerne auch weiterhin aus Blogs SO viel! Zum Beispiel über den Alltag mit Dysbastelie in elterlicher Funktion, leuchtendes Beispiel Vanessa Giese, die einen anspruchsvollen kindlichen Backwunsch erfüllen muss:

Meine Taktik war, mich ausreichend gut anzustellen, um es nicht zu enttäuschen, und gleichzeitig ausreichend schlecht, um kein zweites Mal gefragt zu werden. Ein Ritt auf der Rasierklinge!

“Krümelmonstermuffins, Meerschweinsocken und allerlei Ereignisse, dazu schönes Licht”.