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Journal Dienstag, 17. Dezember 2024 – Hochleistungstag und Annette Hess, Deutsches Haus

Mittwoch, 18. Dezember 2024

Vor Wecker aufgewacht, aus eigentlich gutem Schlaf war ich nachts mehrfach wegen Schmerzen im linken Fuß aufgewacht. Vielleich als Gute-Nacht-Snack doch hin und wieder eine Ibu.

Früher als sonst das Haus verlassen. Das war mir recht, denn gestern war der letzte Großkampftag vor den Weihnachtsferien.

Während ich durch die Gänge und Treppenhäuser peste, rauslief zum Einkaufen, weiter wuselte, schien draußen die Sonne, die Luft wurde mild. Die 15.000-Schritt-Marke riss ich noch vor 12 Uhr. Dann war aber das Heftigste rum, ab jetzt konnte ich verhältnismäßig geordnet weiterarbeiten.

Zu Mittag gab es Mandarine, Apfel sowie Mango mit Sojajoghurt.

Sehr emsiger Nachmittag, vor Feierabend nochmal Hochdruck. Gestern arbeitete ich definitiv wieder für zwei, das will ich doch gar nicht.

Eher spät verließ ich beladen das Büro (Tablett, Obstkorb – gibt es vor Ort halt genauso wenig wie einen Catering-Dienst) – und merkte vorm Haus, dass ich überhaupt keine Lust hatte, so nach Hause zu laufen, zumal mir die Füße vom reichlichen Rumrennen über den Arbeitstag weh taten. Also wollte ich mich vom 62er-Bus gemütlich heimschaukeln lassen.

War dann nicht so gemütlich, weil ich erst ungewöhnlich lange auf den Bus warten musste (eigentlich 7-Minuten-Takt), der dann ziemlich voll war. Egal. Jetzt war mir endlich alles egal (fast).

Völlig durch daheim. Yoga-Gymnastik tat aber gut. Und ich bekam Gutes zu essen:

Aufsicht aus gedeckten Tisch: links eine Schüssel mit lila Kartoffel- und orangen Karottensticks, in der Mitte ein Schüsselchen Kräuterquark, recht ein Teller mit einem gelben Fladen, darauf Käseschnitze

Karotten und lila Süßkartoffeln als Ofen-Fritten (ein paar Frühlingszwiebeln waren auch noch da), dazu Kräuterquark, außerdem eine Farinata aus Maismehl mit Käse. Nachtisch Süßigkeiten.

Fassungslosigkeit, als mir klar wurde, dass erst Dienstagabend war.

Früh ins Bett zum Lesen, Annette Hess, Deutsches Haus ausgelesen.

Die Geschichte aus den 1960ern um den Frankfurter Auschwitzprozess aus der Perspektive einer einheimischen Dolmetscherin (meist, wir bekommen hin und wieder auch die personale Perspektive anderer Figuren) versucht die gesellschaftliche Atmosphäre der Zeit zu vermitteln. Wie es für jemanden aus der Generation meiner Eltern gewesen sein muss, Anfang bis Mitte der 1940er geboren, die Abgründe der Gräuel vom Auschwitz zu entdecken. Und die Rolle, die die eigenen Eltern dabei spielten. Wie unterschiedlich der Umgang mit dieser Entdeckung war, von hartnäckiger Leugnung bis zu tiefem Bedürfnis nach Wiedergutmachung. Auch die Opferseite wird differenziert und vielfältig geschildert, als Zeugen treten Individuen auf und ihr unterschiedlicher Umgang mit unvorstellbaren Erlebnissen.

Gleichzeitig zeigt der Roman anhand der Hauptfigur Eva Bruhns (auch an ihrer Schwester), wie sich die Rolle und die Ansprüche von Frauen in Deutschland in dieser Zeit änderten, gerade in Abgrenzung zu ihrer Mutter. Am Rande tauchen Entwicklungen wie die Einwanderung von Gastarbeitern auf (die soweit ich weiß damals und bis in die späten 70er eher “Fremdarbeiter” genannt wurden, das kannte man aus dem Dritten Reich so für ausländische Arbeitskräfte – die allerdings Zwangsarbeiter*innen gewesen waren), inklusive rassistischer Ablehnung.

Der beste erzählerische Kniff: Missverständnis weil Fremdsprache. An einigen Schlüsselstellen übersetzt die Hauptfigur Eva Bruhns aus dem Polnischen falsch – anfangs weil sie als eigentlich Fachübersetzerin für Technisches die Wörter nicht kennt, später weil sie sich verhört (ich gehe mal davon aus, dass die sprachlichen Ähnlichkeiten sauber recherchiert sind, leider spreche ich nicht das Polnisch dieser meiner Familienseite). Das hätte man ausbauen können.

Sollte die falsche Verbform für die indirekte Rede (taucht noch an einer einzigen weiteren Stelle um die Figur Jürgen auf) in der Absicht verwendet worden sein, eine Lüge zu markieren (bis zum Schluss bleibt die Erzählinstanz abstrakt) – hinkt das Stilmittel auf beiden Beinen. Hätte man schon machen können, aber dann hätten auch alle Lügen der Angeklagten im Gerichtsprozess so geschrieben werden müssen und alle weiteren Lügen – aus denen der Roman ja im Grunde gewoben ist, aus Lügen und Selbstlügen. Wäre halt unlesbar geworden.

Journal Dienstag, 10. Dezember 2024 – Dezemberdunkel

Mittwoch, 11. Dezember 2024

Tief und gut geschlafen, das war schön.

In dunkler Nacht aufgestanden, in dunkler Nacht in die Arbeit marschiert. Auf den Dächern lag ein Hauch Schnee, doch der Boden war nass und ungefrostet.

Beim ersten Blick ins Arbeitspostfach wurde mir diesmal nicht sofort schlecht – ein guter Tagesanfang! Ich werkelte den Vormittag emsig durch, genehmigte mir einen Marsch (unter düsterem Dezemberhimmel) zu Mittagscappuccino ins Westend. Wohltuende Bewegung an der Draußenluft.

Mittagessen: Halber Apfel (und zwar die äußere Hälfte, die innere war verfault), Mango mit Sojajoghurt. Was mir eigenartigerweise erstmals schmerzhaftes Bauchkneifen in den Stunden danach bereitete.

Nachmittagsarbeit ein wenig durcheinander, aber ohne Panik machbar. Außerdem mal wieder Anlass fürs Hadern mit dem Duzen/Siezen im Berufsleben. Hell wurde es draußen gar nicht, wir stecken in den dunkelsten Tagen/Wochen des Jahres. Der Arbeitstag endete wieder eher später.

Auf dem Heimweg kurze Einkäufe, eigentlich nur, um den Weg zu verlängern. Zu Hause eine Runde Yoga-Gymnastik mit Mady, eine kurze Einheit mit sportlichen Flows. Als nächstes turne ich die eingemerkten Yoga-Videos von Jessica Richberg ab, und dann mal sehen, ob es auch für Anfang 2025 ein neues 30-Tage-Programm von Adriene gibt.

Wieder sorgte Herr Kaltmamsell fürs Nachtmahl, er baute es um die Guacamole herum, die er aus den ersten nachgereiften Crowdfarming-Avocados rührte.

Aufsicht auf einen gedeckten Tisch mit Glastellern und Schälchen voll von den Dingen, die drunter stehen

Quesadillas, Hackfleisch, Weizentortillas, Tomätchen, Jalapeños, Kimchi, Sauerrahm. Das war sehr gut.

Zum Nachtisch servierte Herr Kaltmamsell zum Test kleine Christmas Puddings mit Sahne: Er hat eine ganze Reihe hergestellt, jetzt wissen wir, dass sie definitiv gut genug zum Verschenken sind (so fruchtig!).

Erste Restaurantreservierung für den Berlin-Urlaub am Jahresende.

Im Bett las ich weiter in Annette Hess, Deutsches Haus: Die Geschichte aus den 1960ern um den Frankfurter Auschwitzprozess aus der Perspektive einer einheimischen Dolmetscherin gewann an Fahrt.

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Schöner Überblick über die aktuellen Anwendungen von Algorithmen, die derzeit “KI” heißen, vom WDR in der ARD-Mediathek:
“Unser Leben mit KI: Wie künstliche Intelligenz unsere Arbeit revolutioniert”.

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There’s one thing right with our world, and it’s Dick Van Dyke.

Sie kennen ihn aus Mary Poppins auf den Dächern Londons, ich auch davon, dass Herr Kaltmamsell immer auf ihn hinweist, wenn er in irgendeinem Film oder einer Fernsehserie auftaucht.
“99-Year-Old Dick Van Dyke Sings & Dances in a Touching New Coldplay Video, Directed by Spike Jonze”.

Journal Sonntag, 8. Dezember 2024 – 2. Regenadvent auf Bahngleisen

Montag, 9. Dezember 2024

Verschlafen! Ich hatte mir den Wecker gestellt, um noch ein wenig Zeit mit den Freunden in bei Basel über Morgenkaffee verbringen zu können. Gestellt ja, erwies sich, aber nicht eingeschaltet. Und so standen wir deutlich später auf als geplant.

Für Morgenkaffee mit Freunden reichte es trotzdem noch, das war sehr schön.

Im greislich niesligen Wetter gingen wir zum Bahnhof und starteten unsere Rückreise. Am Basler Bahnhof war beim Umsteigen noch Zeit für Brotzeitbesorgung im edlen Buffet: Ich steuerte es gezielt an, nachdem @cuorecomarmo so davon geschwärmt hatte, und sah mich mit Herrn Kaltmamsell ausführlich um.

ICE nach Mannheim. Dort waren nur fünf Minuten für den Umstieg eingeplant; ich ging davon aus, dass wir eh Verspätung haben und einen anderen Anschlusszug nehmen würden, dass uns das also Zeit für einen Mittagscappuccino lassen würde. Hatten wir dann auch, aber nicht weil der ICE nach Mannheim verspätet war (pünktlich auf die Minute!), sondern weil der anschließenden ICE nach München fast eine halbe Stunde nach Fahrplan fuhr. Egal: Mittagscappuccino mit Baustoff-festem Milchschaum in einer Bäckereifiliale im Bahnhof, deren Backwaren deutlich besser aussahen, als der Cappuccino schmeckte (geht mir weg mit “die Kaffeebohne ist eine Beere und soll sauer schmecken”).

Im Vordergrund auf einem Holztischchen zwei Tassen Cappuccino, dazwischen ein Deko-Weihnachtsbäumchen mit Kugeln, im Hintergrund eine Bahnhofshalle mit Passagieren und Läden

Von Mannheim nach München saßen wir dann in einem ICE 3neo mit ganz neuem Schnickschnack. Der Bildschirm im Großraumabteil erklärte sie netterweise (und dass das “ICE 3neo” war): U.a. Tablet-Halterung am Vordersitz (mit verstellbarer Klammer drüber zum Festhalten), Mobilfunk-durchlässige Fenster, Reservierungsanzeige mit rotem Licht für “jetzt reserviert” oder gelbem für “serviert ab Anzeige”, Rollstuhl-Hublift, Fahrradstellplätze.

Vernünftige Brotzeit um zwei ohne Appetit: Apfel, Maissemmel (weicher als erwartet) mit Tomate, Mozzarella, Frischkäse.

Auf dem Weg nach München las ich Matt Haig, The Midnight Library aus (mit sehr wackliger Internetverbindung; da ich das Buch in der Bücherei ausgeliehen hatte und im Browser las, musste ich immer wieder Zwangspausen einlegen, bis das nächste Stück lud). Es war schon nett. Mir gefiel der nicht-realistische Erzählansatz: Die Britin Nora findet sich nach ihrem depressiven Suizid an der Schwelle zum Tod in einer endlosen Bibliothek wieder, die verschieden grünen Bände in den Regalen bringen sie in Varianten ihres Lebens – wie es verlaufen wäre, hätte sie andere Entscheidungen getroffen, große oder kleine. Diese Grundidee mochte ich, wenn ich auch bereits diese viel zu breit ausgewalzt und erklärt fand. Dieses Übererklären zieht sich durch den gesamten Roman, beim x-ten Auswalzen der Grunderkenntnis, dass es kein ideales Leben und Lebensziel gibt, sondern immer nur einen solchen und solchen Umgang mit der aktuellen Situation, rollte ich nur noch mit den Augen. Gleichzeitig fand ich mich durch die vielen Lebensgeschichten derselben Person mit ähnlichen Nebenpersonen durchaus unterhalten auf einer langen Bahnfahrt. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass das Buch mit seiner Besinnungsnote ein Bestseller ist.

Ankunft im nachtdunklen, regnerischen, kalten München mit 20 Minuten Verspätung, das ist bei geplanten sechs Stunden Fahrtzeit mittlerweile im akzeptablen Rahmen.

Daheim viel Kruschen und Räumen, Vorbereitung der nächsten Arbeitswoche, aber auch Telefonat mit Vater auf Reha (alles gut). Yoga-Gymnastik mit Kräftigung, tat gut.

Als Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell den kleinen Kopf Weißkraut aus Ernteanteil in Absprache mit mir in eine Art spanische Krautfleckerl verwandelt: Spanisch war die Zubereitung des Weißkrauts in Streifen gebraten in der Pfanne mit Knoblauch und Pimentón de la vera (mild und scharf), nicht vorgesehen ist in Spanien dann aber das Untermischen von gekochten Nudeln. Die Kombi erwies sich als gut.

Nachtisch Plätzchen von Frau Schwieger, Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen, nächste Lektüre: Annette Hess, Deutsches Haus.

Journal Dienstag, 26. November 2024 – Durchschnittsarbeitstag November

Mittwoch, 27. November 2024

Nach guter Nacht vom Wecker aus tiefem Schlaf gerissen worden, derzeit brauche ich wohl besonders viel.

Draußen war es nass und regnerisch, der Weg in die Arbeit bot eher Motive für Schwarz-weiß-Filme.

Düsteres Außen, Schmalseite eine Containers mit Türen, die ein Rot-Kreuz-Zeichen tragen, links davor in einem Unterstand eine Tragbare unter einem gelben Regenschutz

Tollwood-Eventualitäten

Auf nassem Boden vor einem mittelhohen Gebäude in düsterem Wetter ein paar geschlossene Weihnachtsmarktbuden und -karussels mit Weihnachtslichtern

Schlafende Kinderbespaßung.

Ich erwischte eine Regenpause und blieb trocken.

Im Büro Gemischtes, aber alles ohne Panik-Faktor. Draußen wurde es heller, ich sah blauen Himmel zwischen bunten Wolken.

Für meinen Mittagscappuccino hatte ich gestern Begleitung. Wir spazierten allerdings erst nach Mittag im Milden ins Westend, mit angenehmer Unterhaltung. (Foto vergessen)

Dadurch sehr spätes Mittagessen am Schreibtisch: Apfel, Joghurt mit Sahnequark.

Weiter Emsiges, ich nutzte Herrn Kaltmamsell nochmal als Techniktest-Kandidaten, ich hatte dafür diesmal meinen privaten Laptop ins Büro mitgenommen.

Frau mit weißen kurzen Haaren und Brille im Büro, trägt ein Headset und blickt nach unten

Gelegenheit, ein Frisurenfoto vorher aufzunehmen, abends hatte ich nämlich einen Friseurtermin.

Auf dem Heimweg Lebensmitteleinkäufe beim Vollcorner, eine Abholung in der Apotheke. Die Einkäufe lud ich nur schnell daheim ab, dann ging ich rüber zum Haareschneiden.

Überraschung beim Betreten des Salons: Es roch nach Dauerwelle. Ich sprach Herrn Haarschneider gleich nach der Begrüßung darauf an: Ja, gab er zu, denn junge Männer verlangten inzwischen regelmäßig danach. Während er meine Haare wie gewünscht fransig kürzte (ich hatte um einen Schnitt gebeten, der auch nach längerem Mützetragen gut aussieht und dafür diesmal nicht Nacken und über den Ohren kurzraspeln lassen), ließ ich mir das Ziel dieser jungen Männer mit Dauerwelle erzählen: Seiten rasiert, oben am Kopf Locken, die nach vorne über die Stirn fallen – das sei gerade total angesagt. Und er stimmte mir zu, dass seit vielen Jahren die Haartrachten junger Männer deutliche kreativer und abwechslungsreicher sind als die junger Frauen.

Weiteres erstes Mal: Ich nahm das Angebot des Herrn Haareschneiders an, beim Haarewaschen den Massageknopf des Sessels zu drücken. Ein paar Minuten lang fühlte es sich also an, als läge ich auf etwas Lebendigem, vielleicht einer Python. Eher seltsam als unangenehm.

Fürs Nachtmahl verwertete Herr Kaltmamsell die Kartoffeln aus Ernteanteil, dazu gab’s Sauerkraut, gebratene Äpfel und zwei verschiedene Blutwürste aus der Metzgerzeile des Viktualienmarkts.

Auf einem Glasteller auf weißem Tischset Salzkartoffeln, Sauerkraut, gebratene Apfelscheiben, eine Blutwurst

Sehr gutes Abendessen (ich aß zwei solche Portionen). Nachtisch Schokolade.

Im Bett Granta 169, China ausgelesen, bis zum Schluss ein Highlight der Reihe: Ich bekam einen Einblick in die Vielfalt zeitgenössischer chinesischer Literatur und Fotografie, darunter eine Satire übers Verlagswesen und die Vorgaben der offiziellen Politik (Yu Hua, tr. Michael Berry, “Tomorrow I’ll Get Past It”), die Geschichte zweier Mädchen, die sich beim Schwimmen anfreunden (Yang Shihan, tr. Helen Wang, “Hai Shan Swimming Pool”), über die Dynamik einer Dorfgemeinschaft (Literaturnobelpreisträger Mo Yan, tr. Nicky Harman, “The Leftie Sickle”), die Geschichte eines erfolglosen Filmschauspielers (Shuang Xuetao, tr. Jeremy Tiang, “Hunter”), Interviews, Fotos, die der beamtete Fotograf Fenf Li neben den offiziellen Aufträgen machte. Empfehlung!

Journal Montag, 18. November 2024 – Wieder so ein Montag und wer bin ich

Dienstag, 19. November 2024

Recht gute Nacht, ich konnte Angstkreisel (diese Woche enthält zwei Angst-Themen) durch inneres Wiederholen der Laufstrecke vom Samstag stoppen.

Positive Überraschung: Die Zeitung war da, sogar direkt vor der Wohnungstür (im weitesten Sinn).

Draußen nasser Boden, doch ich blieb auf dem Weg in die Arbeit trocken. Allerdings verschätzte ich mich ein weiteres Mal mit der Kreuzbarkeit der Theresienwiese: Nachdem das Oktoberfest aufgeräumt ist, die Tollwood-Zelte komplett stehen, wir außerdem bereits 18. November haben, war ich sicher gewesen, wieder Luftlinie von daheim zum Büro marschieren zu können. Doch nix: Immer noch hinderte mich ein Bauzaun daran.

Zwei Zeitungskästen an einem begrünten Platz, der eine mit dem Titel "Entdeckung in Sendling" der andere mit dem Titel "Inferno in Sendling"

Ja was jetzt.

Im Büro fing der Tag geordnet an, gewann dann aber durch die Ergebnisse eines Termins an Zugkraft. Erst spät stürzte ich hinaus auf meinen Mittagscappuccino, nach langem mal wieder von Wind durchgepustet.

Auf einem sonnenbeschienenen Fensterbrett ein Cappuccino, davor Mütze und Fingerhandschuhe

Schräg und Wintersonne, aber Sonne.

Mittagessen am Schreibtisch: Heimische Äpfel, Salat aus Ernteanteil-Kohlrabi (ich empfehle hiermit die Kombi mit Joghurt und Thymian, dass passt wunderbar) – wobei mein Bauch durchaus ein bisschen blöd schaute ob dieser Masse Rohkost. Sich aber die nächsten Stunden nicht aktiv zu protestieren traute.

Der Sonnenschein endete kurz darauf, Regen setzte ein – was ich eher hörte (Tropfen gegen Fensterscheibe) als sah, denn ich war sehr vertieft in Arbeit. Angst-Thema 1 ging in großen Schritten voran, das wird, das wird. Trotz allem Fleiß musste ich einiges auf Dienstag schieben, ich hoffe, das fliegt mir nicht um die Ohren.

Aber! Das Büro war ausreichend geheizt, ich musste zu keinem Zeitpunkt frieren.

Nach Feierabend hatte der Regen aufgehört. Ernteanteil war weggegessen (die grässlichen Schwarzwurzeln hatten wir verschenkt), ich kaufte fürs Abendessen ganz frisch ein.

Aufsicht auf eine schwarze Pfanne, darin in heller Sauce orange Kürbisstücke, Kichererbsen, Spinatblätter

Nachdem ich eine Runde Yoga-Gymnastik geturnt hatte, servierte Herr Kaltmamsell Kürbis-Kichererbsen-Spinat-Curry mit Kokosmilch. Ganz wunderbar. Nachtisch Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen: Das aktuelle Granta 169, China ist sehr spannend, gestern las ich einen Aufsatz von Han Zhang über zeitgenössische chinesische Arbeiterliteratur – die im Gegensatz zu “boy meets girl meets tractor” (Definition einer Expertin von socialist realism) Literatur von illegalen Wanderarbeiter*innen ist:
“Picun”.

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Sternstunden des Internets: Wie ich mal nach dem Handschreiben von Ampersands fragte (ich schreibe viel bei Besprechungen mit, da brauche ich es regelmäßig) – und aus den Antworten enorm viel lernte.

Screenshot eines Tröts: "Guten Abend, ich möchte mit Ihnen über das Ampersand sprechen. 
Weder Herr Kaltmamsell noch ich haben in der Schule gelernt es zu schreiben und stellen jetzt fest, dass wir an unterschiedlichen Stellen anfangen: Er oben, ich unten. 
Ich halte seine Schreibweise für die korrekte, er zweifelt, deshalb: Wie schreiben Sie das Ampersand mit der Hand?"

Wenn Sie auch lernen möchten: Hier die Diskussion.

§

Und dann hatte ich kürzlich eine Idee, was ich eine Sprach-KI fragen könnte und erzählte die Idee Herrn Kaltmamsell. Der bei aller Überarbeitung nichts Besseres zu tun hatte, als sie umzusetzen, was natürlich deutlich aufwändiger war, als ich abgesehen hatte. Ich wollte nämlich wissen, wie eine Sprach-KI die Autorin meines Blogs beschreiben würde – in der Annahme, dass man der KI dafür einfach nur die URL des Blogs geben müsste, und dann würde sie sich an allem bedienen, was sie unter dieser URL fände. Ja, nee. Herr Kaltmamsell musste 21 Jahre Posts manuell einfüttern. Genauer (wörtlich von ihm so beschrieben):
1. WordPress-Export > XML-Datei
2. XML-Datei > ~7200 Einzeldateien im Markdown-Format, je Blogeintrag 1 Datei
3. da die LLM-Zugangssoftware (Anything LLM) mit den vielen Dateien nicht zurechtkam, doch wieder eine Gesamtdatei daraus gemacht > 24 MB Markdown-Datei
4. diese Informationen als Wissensbasis für Llama3.1 8B genutzt

Der Prompt: “Charakterisiere die Autorin des Blogs in 5 Sätzen.”

Das Ergebnis:

Die Autorin des Blogs beschreibt sich selbst als eine Journalistin, Drehbuchautorin und Nuklearphysikerin mit einer enormen Text- und Themenproduktivität. Sie erscheint als jemand, der viele verschiedene Interessen und Fähigkeiten hat und diese auch in ihrem Blog reflektiert. Ihre Art zu schreiben und zu denken ist von Freiheitsdrang und Lebenslust geprägt, was die Autor des Blogs sehr sympathisch findet. Sie reagiert selbstsicher auf Journalistenfragen, was ihre Persönlichkeit als klarsichtig und unbefangen kennzeichnet. Die Autorin hat offenbar eine Vielzahl von Themen und Erfahrungen, die sie in ihrem Blog teilt.

Das ist leider nicht blödsinnig genug, dass ich es als Profil verwenden wollte, aber schon irgendwie schön (viel cooler als Nuklearphysikerin wird es in meinen Augen nicht).

Journal Sonntag, 17. November 2024 – Familienganserl

Montag, 18. November 2024

Das letzte Drittel meiner Nacht war unruhig, aber ich träumte einen originellen Techniktraum (was mich sehr stolz auf das Kreativzentrum meiner Traumwerkstatt macht): Mein Arbeitsplatz zog innerhalb der Firma um in ein Großraumbüro mit Teppich und wenigen Außenfenstern, das aber nicht aus cubicles bestand, sondern aus Inseln mit mehreren Schreibtischen. Auf meinem künftigen standen zwei alte Desktop-Rechner verschiedener Generationen als Arbeitsgeräte; als ich sie anschaltete, brauchten sie schon sehr lang zum Hochfahren. Ich rief, dass diese alten Computer ja allein fürs Speichern einer aktuellen Word-Datei Minuten brauchen würden. Der Speicher allerdings war ein separates Gerät: Durch einen Deckel aus braunem, durchsichtigen Plastik sah ich zwei Reihen von je vier Audiokassetten die sich drehten; auf ihren Bändern wurden die Dateien gespeichert. Ich lachte laut auf, dass das ja wohl nicht ernst gemeint sein könne.

Über einem fast kahlen Park ein moderner Kirchturm im Nebel

Der Nebel war zurück, meh.

Aber egal, gestern waren Herr Kaltmamsell und ich bei der Familie in bei Ingolstadt zum Ganserlessen eingeladen, bei jedem Wetter.

Wir nahmen eine pünktliche Regionalbahn nach Ingolstadt, schon hinter Petershausen riss der Himmel auf, in Ingolstadt schien die Sonne. Meine Eltern nahmen uns mit zur gastgebenden Bruderfamilie. Die Schwägerin hatte eine wunderschöne Gans im Ofen.

Edler Porzellanteller, darauf ein Gänsebein, Blaukraut, Wirsinggemüse, ein aufgebrochener Knödel, Sauce, drumrum mit weißer Tischdecke festlich gedeckter Tisch

Dazu Wirsing, Blaukraut, Kartoffelknödel, besonders köstliche Sauce – ein Festmahl. Und halt liebe Familie <3 <3 <3 Schöner Sonntag.

Im letzten Tageslicht ließen Herr Kaltmamsell und ich uns zum Bahnhof fahren, im Arm eine Schüssel Schwägerinnen-Äpfel, wieder pünktlicher Zug nach München, wo uns beginnender Regen empfing. Auf dem Heimweg bestätigte sich an der Kreuzung Goethestraße-Landwehstraße eine Beobachtung vom Hinweg: Alle vier Fußgängerampeln wurden gleichzeitig grün, man konnte auch quer kreuzen. Wir entdeckten die Erklärung: Rundum grün.

Nächtliche Stadtstraße, an einem Ampfelposten hängt eine Tafel mit Erklärungen zu "Pilotprojekt 'RundumGrün'"

Herr Kaltmamsell erinnerte sich auch noch an die Umfrage, an der wir als Anwohnende zu diesem Thema teilgenommen hatten.

Zurück daheim turnte ich eine Runde Yoga-Gymnastik: Jetzt möchte ich wieder eine Weile Yoga auf verschiedenen Kanälen, gestern wurde es eine halbe Stunde Mady Morrison.

Brotzeitvorbereitung (Ernteanteil-Kohlrabi zu einem Salat mit Joghurt und Thymian), ich hatte auch genug Hunger für Abendessen: Käse, Kimchi. Nachtisch nur wenig Schokolade.

Nach Langem mal wieder Versuch, einen Tatort zu gucken, dieser Stuttgarter “Lass sie gehen” war als gut angekündigt worden – doch ich kam schon nicht übers Set Design hinweg, dass in einem Alb-Dorf ein Gasthaus mit schicken dunkelgrauen Wänden und Boutique-Hotel-Zimmern platzierte, diese dunkelgrauen Wände dann auch noch in allen Wohnungen der Handlung einsetzte (Sonderposten Wandfarbe im Bauhaus abgegriffen?). Ins Bett zum Lesen.

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Hier der ganze Thread mit Recherche-Ergebnissen.

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Die erste lange Kurzgeschichte des aktuellen Granta-Magazins mit dem Thema China, war ganz anders als das, was ich zu China und seiner Kunst im Kopf hatte – vor allem, denke ich, weil wohl auf den deutschen Literatur-Markt kommt, was ebenfalls den Erwartungen der hiesigen Leserschaft entspricht. Herausgeber Thomas Meaney erwähnt in seinem Vorwort, wie schwierig es sei, gute literarische Übersetzer*innen vom Chinesischen ins Englische zu finden, die akzeptable Lösungen für sprachliche Probleme wie die Darstellung von Zeit fänden.

For a long time, the translation of Chinese literature was in the hands of a very few Anglophone translators, some of whom obscured the realities of literary reception in China more than they elucidated it. But thanks to organizations like Paper Republic, as well as extraordinary translators such as Jeremy Tiang, we were able to pursue even the faintest glimmers of promise. The difference in how time in Chinese fiction is structured – how it is less mercilessly linear, and how the past can overtake the present – is only one of the philosophical challenges with which our translators had to wrestle.

Dieser Text passt wunderbar und ist von Catatonic, die kürzlich von Berufs wegen einige Wochen in Peking verbrachte.
“I never felt so welcome in a public toilet (Beijing, September 2024)”

Journal Donnerstag, 14. November 2024 – SONNE! und Ian McEwan, Nutshell

Freitag, 15. November 2024

Die Sensation des Tages: Sonne! Stundenlang!

Gut geschlafen, zu nassem und kaltem Nebel aufgestanden.

Im Büro zackiges Arbeiten an meinem Bauchdrück-Projekt, das sich allerdings so geordnet entwickelt, dass ich sogar nachts ohne Angstkreisel daran denken kann.

Am Vormittag erst Ahnung von Blau hinter den Wolken, dann echter Sonnenschein.

Modernes Bürogebäude in strahlendem Sonnenschein vor wolkenlosem, knallblauem Himmel

Zu meinem Mittagscappuccino bei Nachbars und zu Einkäufen am Markt (Äpfel, Käse) spazierte ich in Sonnenschein, legte gleichmal einen Umweg ein, um mehr vom Licht zu haben.

Späteres Mittagessen: Nüsse, Apfel, Sahnequark.

Ab zwei zog der Himmel langsam wieder zu, aber die Stunden mit Sonne waren SO schön.

Nach genügend Emsigkeit Feierabend. Ich marschierte in schöner Luft zu Erledigungen: Brot fürs Abendessen, Bargeld bei der Bank, Tee-Nachschub im Bremer Teekontor unterm Stachus.

Zu Hause eine ausführliche Runde Pilates, anstrengend.

Zum Nachtmahl gab es: Confiertes Gänsebein (Herr Kaltmamsell hatte damit das reichliche Gänsefett des jüngsten Bratens verwendet – schmeckte sehr gut und ganz anders als Gänsebraten), gemischter Schnittsalat aus Ernteanteil, frisches Brot, Käse vom Markt. Und ein Apfel aus Ernteanteil, der eine faule Stelle hatte und weg musste – und sich als ganz besonders köstlich erwies. Nachtisch Süßigkeiten.

Im Bett neue Lektüre: Wenige Tage zuvor war das aktuelle Granta 169, China eingetroffen.

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Empfehlung für Ian McEwan, Nutshell!

Dem Roman von 2016 ist ein Hamlet-Zitat vorangestellt:

O God, I could be bounded in a nut shell and count myself a king of infinite space – were it not that I have bad dreams.

Zudem heißen die Hauptfiguren Trudy und Claude – McEwan macht von Anfang an klar, dass der Roman irgendeine Version von Shakespeares Hamlet ist. Erzählt wird auch aus der Perspektive von Hamlet – nur halt dem ungeborenen im Bauch seiner Mutter (der eben nicht mehr Platz hat als ein Nusskern in seiner Schale, und dort doch ein ganzes Leben lebt, einen ganzen Roman lang), das ist der dreiste Perspektivenwechsel. Dreist und fast schon arrogant, denn aus den Fingern aller anderer Autor*innen, die ich kenne, wäre das fürchterlich schief gegangen und hätte in Peinlichkeit geendet. Meister Ian McEwan aber kann.1

Der im Buch namenlose Fötus erzählt aus der Ich-Perspektive und in unserer Gegenwart, wie seine Mutter im ehemals gemeinsamen Londoner Ehehaus mit dem Bruder ihres Ehemanns (Vater des Babys) zusammenlebt und wie sie mit diesem Schwager den Gattenmord plant. Als Sinneswahrnehmungen dient alles, was man auch im Körper einer anderen mitbekommt, unter anderem:
– Es ist ein heißer Sommer.
– Infos bekommt Baby durch die Dialoge, die es hört, durch die Hörbücher und Podcasts, zu denen es Mama notfalls durch aufweckende Tritte in der Nacht bringt.
– Trudy säuft ziemlich viel, Baby erlebt also durchaus den einen oder anderen Rausch.
– Trudy und Claude haben immer wieder Sex, Baby schildert diesen aus seiner Perspektive und ist sehr dagegen.

Das allein schon ist interessant genug fürs Weiterlesen, dazu kommt die spannende äußere Handlung inklusive psychologischem Realismus (das kann McEwan ja besonders gut, bis zum Extremfall des schmerzhaften On Chesil Beach): So, kann ich mir vorstellen, planen und begehen Leute einen Mord und glauben, dass sie damit durchkommen. Der Erzähler versucht durchaus das wenige in seiner Macht stehende, seinen Vater zu retten.

Der Tonfall ist trocken humorvoll (erster Satz des Romans: “So here I am, upside down in a woman” – starker Anwärter auf bester Romananfang), manchmal auch melancholisch. Baby träumt auch, malt sich sich sein Leben nach der Geburt aus, fühlt die Liebe zu seiner Mutter, assoziiert indirekt die halbe Weltliteratur, liebt Lyrik, hat formulierungsstarke Meinungen zu Personen und gesellschaftlichen Umständen. Das Ergebnis ist ein kleines Meisterwerk auf nicht mal 200 Seiten, wie es, ich erwähnte es bereits, nur Ian McEwan zuzutrauen ist.

Schöne Besprechung in der New York Times von Michiko Kakutani:
“Review: ‘Nutshell,’ a Tale Told by a Baby-to-Be (or Not-to-Be)”.

It’s preposterous, of course, that a fetus should be thinking such earthshaking thoughts, but Mr. McEwan writes here with such assurance and élan that the reader never for a moment questions his sleight of hand.

  1. Wobei er nicht nur Großartiges geschrieben hat: Ich rate ab von Amsterdam und Solar. []