Journal Dienstag, 29. November 2022 – Der Bruch mit John Irving
Mittwoch, 30. November 2022Ein regnerischer Morgen, ich marschierte unterm Schirm in die Arbeit – auch wenn es nur tröpfelte, wollte ich nicht feucht werden.
Mittags gab es Äpfel und Geflügelsalat (immer noch der Truthahn), der mir ausgezeichnet schmeckte.
Emsiger Arbeitstag ohne Überwältigendes.
Ich hatte Sportzeug dabei: Da Herr Kaltmamsell abends aushäusig verabredet war, plante ich eine Sporteinheit auf dem Crosstrainer des Vereins. Auf dem Weg dorthin nieselte es immer noch, richtig unangenehmes Wetter. Die Wege in dem historischen MTV-Gebäude zu Umkleide und von dort auf die “Fitnessgalerie” sind für mich immer noch verwirrend, zurück gleich wieder – ich bilde mir nie wieder ein, einen guten Orientierungssinn zu haben. Die Stunde Strampeln war ok, Musik auf den Ohren, in der Halle unter mir Badminton-Training, aber ich kam nicht so richtig in Schwung.
Eine der Jugendstiltore von Umkleiden zu Sporthalle.
Dafür ließ ich es daheim krachen: Ich gönnte mir fast eine halbe Stunde Heizung im Bad zu Duschen und Körperpflege. Abendessen: Rest Kimchi-Suppe vom Montag, Rest Süßkartoffel-Bake vom Samstag, der ist jetzt auch weg. Nachtisch Schokolade.
Mein erster Ernteanteil vom adoptierten Crowdfarming-Orangenbaum war eingetroffen: Ich sichtete die zehn Kilo, um Exemplare mit weichen Stellen zum schnellen Verzehr auszusortieren (alle in Ordnung). Es sind wohl drei verschiedene Sorten, zum Glück wird das mit der “Adoption” eines Baums nicht wörtlich genommen (ist halt solidarische Landwirtschaft, in der die Verbraucherin sich bereits an den Produktionskosten beteiligt und eine Abnahmegarantie gibt).
Gestern beschloss ich, die Lektüre des neuen Irving The Last Chairlift nach gut drei Wochen abzubrechen: Keine einzige Figur interessiert mich wirklich, und passieren wird nach gut der Hälfte des Romans ohne interessante Begebenheiten sehr wahrscheinlich auch nichts Interessantes. Die schludrige (nicht im guten Sinn) Geschichte aus der Sicht von Adam, einem Schriftsteller (echt jetzt? schon wieder?) über ihn in den USA der 50er bis 80er (danach hörte ich auf) mit seiner Mutter und ihrer Partnerin, seiner Kusine und deren Partnerin, seinem Stiefvater, der zur Frau transitioniert, mit seinem skurrilen Sex mit skurrilen Frauen – las sich lieblos zusammengewürfelt. Ganze Passagen bis Absätze tauchten mehrfach auf, die Beschreibungen und Handlungen ergingen sich seitenweise in irrelevanten Details, der Roman hätte dringend ein Lektorat benötigt.
Das war’s für mich dann wohl mit John Irving – über den ich einst meine Magisterarbeit schrieb, Thema “John Irving in der Erzähltradition von Charles Dickens”, darin bearbeitet alle seine Romane bis 1994.
Erst kürzlich stieß ich auf dieses Foto:
Ich 1994 bei der Arbeit an meiner Magisterarbeit an meinem ersten PC, geerbt von einem befreundeten Physikstudenten, der ihn selbst zusammengebaut hatte, schon damals sehr veraltet (286er?). In der schönsten Wohnung der Welt.
Wobei der eigentliche Rechner gar nicht auf dem Bild ist: Den hatte ich wohl auf den Boden gestellt, die Kabel aus dem Bildschirm legen das nahe (ich habe keine Erinnerung daran). Ich weiß noch, dass er eine ca. 15 cm hohe Kiste war, halb so groß wie der Tisch, darin mit viel Platz dazwischen die eigentlichen Bestandteile des Computers (man konnte die Kiste mit zwei Druckknöpfen einfach öffnen). Draufgestellt wäre der Bildschirm viel zu hoch gewesen. Die Tastatur sieht so schwebend aus, weil ich sie etwas tiefer auf die ausgezogene Schublade des Tischs stellte, einen alten Küchentisch. Wenig später richtete ich mir mit Ziegelsteinen und Brettern am Fenster (rechts außerhalb des Fotosausschnitts) einen halbwegs ergonomischen Arbeitsplatz ein. An dem ich unter anderem nächtelang Lemmings spielte, das einzige Computerspiel, dass mich je packte.
Neue Lektüre im Bett: Kristine Bilkau, Nebenan.
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Im Guardian nutzt Laura Spinney ein deutsches Phänomen um zu recherchieren, welche Mechanismen Gesellschaften und Individuen zur Verarbeitung schlimmer Vergangenheit oder Erlebnisse anwenden: Nämlich den Umstand, dass die meisten Menschen, über die es Stasi-Akten gibt, diese nicht einsehen wollten.
“If the secret police had a file on you, why wouldn’t you want to see it? Ask the Germans spied on by the Stasi”.
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Sind Sie auch mit dem Verfluchen von “Industriezucker” aufgewachsen, Kampfbegriff der 1980er-Vollwert-Bewegung? Dabei muss man das Zuckerherstellen aus unserem guten heimischen Zuckerrüben (ich erinnere mich an die Waggons voll Zuckerrüben in meiner Kindheit; wenige hundert Meter von meinem Elternhaus entfernt wurden die stillgelegten Gleise der Rübenbahn zu Spazierwegen ausgebaut) gar nicht der Industrie überlassen: Aus Zuckerrüben kann man Zucker selbst herstellen. (Schönes selbstgemachtes Weihnachtsgeschenk?)