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Journal Montag, 12. August 2024 – Schwerer Ausstieg aus der Hochzeitsblase

Dienstag, 13. August 2024

Erschöpfung schlug nachts die Unruhe vor erstem Arbeitstag: Ich schlief gut, wachte zur normalen Zeit auf und nutzte nicht die extra 30 Minuten, die ich mir eigentlich für Schlaf gegeben hatte. Beim nächtlichen Klogang war es draußen endlich kühl genug gewesen, dass ich Fenster und Balkontüren öffnen konnte.

Balkonkaffee, dann konnte ich mich gemütlich fertig machen: Herr Kaltmamsell hatte ja Ferien und übernahm Haushaltliches.

Marsch in die Arbeit durch einen bereits recht warmen Hochsommermorgen. Im Büro geordneter Arbeitsstart: Keine Katastrophen, nichts wirklich Unerwartetes.

Meinen Mittagscappuccino bei Nachbars verband ich mit einem Einkaufsmarsch zum Lidl: Ich hatte nichts für Brotzeit im Haus gehabt. Später am Schreibtisch wurden das zwei Bananen sowie Hüttenkäse mit Leinsamenschrot.

Arbeit war ziemlich anstrengend – weniger wegen Dingen, die in meiner Abwesenheit angefallen waren, sondern weil ich mit dem Kopf noch so sehr bei den Eindrücken vom verlängerten Wochenende war. Und dann postete der Rabbi auch noch Bilder von der Trauung. Zudem war die WhatsApp-Gruppe, die das Hochzeitspaar für Abstimmungen und schnelle Infos eingerichtet hatte, längst zur Anlaufstelle für Kuscheln, Glückwünsche, Zusammenfassungen, Foto- und Kontaktaustausch geworden.

Das Büro ließ sich halbwegs kühl halten, für einige manuelle Tätigkeiten, die gestern anfielen, ging ich in den wunderbar kühlen Flur.

Nach Feierabend hatte der Himmel gewitterlich zugezogen, das verhinderte die unangenehmste Hitze.

Straße mit Zebrastreifen, dahinter alte Wohnhäuser

Verkehrswende! Hurra! Dieser Übergang auf meinem Arbeitsweg war immer mühsam, weil die Straße fast immer ziemlich von Autos befahren ist. Jetzt gibt es einen Zebrastreifen – ich habe eine ungefähre Vorstellung, wie viele Jahre der Bezirksausschuss dafür gekämpft haben muss.

Über der Theresienwiese sah ich erst einen Mauersegler, dann noch einen – jetzt fällt mir aber kein Grund mehr dafür ein. Bleibt gerne noch länger, aber wird’s da nicht ein bisschen knapp mit Afrika für den Rest des Jahres?

Abstecher zu einem Tchibo-Laden, bei dem ich Bestellungen abholte, dann direkt nach Hause. Herr Kaltmamsell hatte die Temperatur der Wohnung gemäßigt gehalten, wundervoll. Ich entschwitzte beim Fingernägelkürzen, dann turnte ich endlich mal wieder eine Runde Yoga-Gymnastik (ich hatte die Reise-Yogamatte sogar nach Essen mitgenommen, aber es bot sich wirklich keine Gelegenheit).

Herr Kaltmamsell servierte Nachtmahl:

Gedeckter Tisch, auf den Tellern was der Text unterm Foto beschreibt

Zwischen uns vegane Sushi (auf Wassermelonen-Basis – gut, aber weit entfernt von Sushi), auf unseren Tellern köstliche Aubergine mit Safran-Joghurt. Zum Nachtisch gab es erst die erste Wassermelone der Saison (super!), dann Schokolade.

Golden angeleuchtete Abendwolken über Bäumen

Für den Abendhimmel verzogen sich die Gewitterwolken wieder, doch es blieb zu warm zum Lüften. Im Bett nach der wunderbar schrägen und konzisen Kindheits- und Jugendgeschichte Die Infantin trägt den Scheitel links von Helena Adler mal wieder was Englisches aus der Stadtbibliothek: Colm Tóibín, Brooklyn.

Journal Montag, 5. August 2024 – #wmdedgt von Herrsching nach Dießen

Dienstag, 6. August 2024

Am 5. jedes Monats sammeln sich geneigte Tagebuchblogposts um die Frage von Frau Brüllen: “Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?”, #wmdedgt, im August 2024 hier.

Nach guten Schlaf früh aufgewacht – das freute mich trotz Urlaub, weil ich mich als Morgenmensch im ersten Drittel des Tages immer am lebendigsten fühle.

Dichte und hohe Stangenbohnen auf einem Balkon

Stangenbohnen auch schon fit.

Trotz düsterem Himmel setzte ich mich zum Morgenkaffee auf den Balkon, doch nach eben diesem zog ich mich fröstelnd zurück ins Drinnen.

Mein Plan für diesen Urlaubstag war schon lange eine Wanderung mit Herrn Kaltmamsell gewesen; diesmal dachte ich halbwegs rechtzeitig daran, ihn darüber zu informieren, nämlich bereits einige Tage vorher. Mit Hoffnung auf wenige andere Menschen wollten wir ein wenig um den Ammersee herum gehen, nämlich von Herrsching nach Dießen. Die Anreise war einfach: S-Bahn nach Herrsching. Zurück würden wir von Dießen ein Stück Schienenersatzverkehr benötigen – aber wir hatten ja beide frei.

Die S-Bahn war angenehm wochtäglich dünn besetzt. Zeitunglesen (ich habe für die Urlaubswoche wieder auf online umgestellt) wurde allerdings zunächst verhindert, weil sich die SZ-App nicht mehr an mich erinnerte und ein frisches Log-in haben wollte, die im Handy gespeicherten Daten aber als falsch deklarierte. Meine (verschlüsselt notierte) Passwort-Liste hatte ich natürlich nicht dabei. Also erstmal Passwort zurückgesetzt etc. trallala, dann endlich Zugriff. Am Abend stellte sich heraus, dass die gespeicherten Daten korrekt gewesen waren, die Online-Verwaltung der Süddeutschen ist also weiterhin ein Saftladen. (Dass es sich um ein derartiges Cookie-Monster handelt, dass ich im ganz normalem Firefox nicht mal an die Reklamations- oder die Urlaubs-Funktion rankomme und nur dafür jedesmal Chrome starte, erwähnte ich?)

Beim Aussteigen in Herrsching am Ammersee war das Wetter Vorhersage-gemäß bedeckt und mild, es ging ein leichter Wind: Perfektes Wanderwetter, und ich war in ärmellosem Oberteil genau richtig gekleidet. Dazu trug ich eine lange Hose, um vor dem Wachsenthaar-Termin Kratzer und sonstige Wunden zu vermeiden. Diesmal ging ich möglichst wenig Risiko ein und besprühte mich gleich nach dem Aussteigen und noch am Bahnsteig gründlich mit Mückenspray, ich finde Mückenstiche wirklich, wirklich unangenehm, empfinde sie eher als Schmerz denn als Jucken.

Ich hatte mir Brotzeit eingepackt, Herr Kaltmamsell brauchte noch eine: Dafür und für einen überraschend guten Cappuccino steuerten wir in Herrsching die Bäckerei Kasprowicz an.

Stehtisch in einer Bäckerei, darauf zwei Bäckereitüten und zwei Tassen Cappuccino, im Hintergrund eine schicke Bäckereitheke mit Verkäuferinnen und Kundschaft

Das erste Stück am Ammersee entlang, eine knappe Stunde, kannte ich von unseren Wanderungen Richtung Andechs und Starnberger See, darauf freute ich mich schon.

In einem großen See steht ein Pfahl, darauf steht eine kleine Möwe, im Hintergrund ragt ein Steg in den See

Renovierte Gründerzeit-Villa zwischen alten Bäumen, zum Spazierweg ein moderner Metalllzaun

Ein altes Haus mit spitzem Dach ragt ins Bild bis an den See

Leuchtend rose Blütenstände in einer hohen Wiese, im Hintergrund ein Streifen See, in dem ein schwarzer Hund steht

See mit einem Baum im Vordergrund, weit weg am gegenüberliegenden Ufer ein Ort mit sehr großer Kirche

Blick auf unser Ziel Dießen.

Ab dann wurde es spannend und neu, zunächst eine Weile weiter am See entlang. Außer uns praktisch keine anderen Fußgänger, auf dem Weg wurde geradelt – gerademal nicht so viel, dass wir nicht ständig auf der Hut sein mussten.

Aus niedrigem Wald ragen zusammengeimmerte Bretter, über die Wasser fließt, links davon ein Schild "Wasserbaustelle"

Wasserbaustelle

Jetzt ging es allerdings fast eine Stunde eine Straße entlang, dann auch auf einer Straße.

Schmaler bräunlicher Fluss längs, von Bäumen und Büschen gesäumt, darüber dunkle Wolken

An der namensgebenden Ammer links, wir verließen den See.

Blick über eine nahezu eingewachsene Rastbank auf schmalen Fluss, der hier über ein paar Steine fließt, darüber dunkle Wolken

Eine Rastbank neben großem Baum und vor ebener Landschaft

Nach zweieinhalb Stunden machten wir Pause, wir trafen fast auf die Minute auf ein passendes Bankerl mit Blick auf Raisting. Ich hatte eingeweichtes Muesli mit Joghurt dabei, außerdem eine hervorragende Nektarine (diese zu Herrn Kaltmamsells Amüsement im Schraubglas tranportiert, doch ich wollte sehr gerne Plastiktütenmatsch verhindern). Die Wolken wurden immer weniger, immer mehr Sonne schien – und machte sofort sehr warm

In Dießen kamen wir wenige Minuten vor Abfahrt am Schienenersatzbus an. Das waren etwa 14 Kilometer in knapp vier Stunden mit einer Pause – fast alles brettleben und ausschließlich auf breiten Wegen, viele davon asphaliert, das geht halt schnell.

Selfie von einem älteren Männer- und Frauengesicht, beide mit kuren Haaren und Brille

Der Bus schlängelte sich über teils erstaunlich schmale Straßen und viele Halte (darunter Sankt Ottilien, zu dem mir seine Geschichte als jüdisches Krankenhaus und Sammelort für Displaced Persons 1945-48 einfiel, da wollte ich ja unbedingt mal eigens hin – es gibt sogar öffentliche Rundgänge) bis Geltendorf, dort Regionalbahn nach München Hauptbahnhof. Ich machte mich direkt auf den Weg zu Lebensmitteleinkäufen, Herr Kaltmamsell ging kurz nach Hause zum Frischmachen, holte dann den Leih-Smoking für die Hochzeit ab.

Ich freute mich auf gründliche Säuberung unter der Dusche, stellte allerding beim Ausziehen wie befürchtet fest: reichlich Wanderkrätze an beiden Unterschenkeln. Ich baue darauf, dass sie in den fünf Tagen bis zur Hochzeit verschwunden ist. Ja, die gestrige Strecke hätte ich auch in Turnschuhen sicher gehen können, doch die Wanderstiefel erleichtern das Gehen mit ihrem Halt und verteilen die Anstrengung über mehr Beinmuskulatur. Nach Dusche und herrlich frischer Kleidung las ich ein wenig auf dem Balkon, ging dann zu einer Einheit Yoga-Gymnastik rein – tat wieder SO gut.

Fürs Nachtmahl hatte ich ein Rezept aus der Wochenend-Süddeutschen aufgehoben, Thema Tomaten, vor allem aber zum Aufbrauchen des letzten Stück Ernteanteils: Salbei.

Ein Teller mit Spahetti, hellen Tomatenstücken, Semmelbröseln, frittiertem Salbei

Schmeckte ganz hervorragend: Die Tomaten in dieser Zubereitung intensiv und gemüsig, ich mag Salbei, der Knaller aber war der Parmesan für Arme, also die gerösteten Semmelbrösel (die das Gericht zufällig vegan machten), herrlich knusprig. Nachtisch Schokolade.

Nachtrag: Die gebuchte Supersparpreis-Zugverbindung zur Hochzeit nach Essen gibt es seit einigen Wochen nicht mehr, die Nachricht der Bahn, “Fahrplanänderung”, verwies auf eine “Reiseempfehlung” mit zweimal Umsteigen, unsere Platzreservierung existierte nicht mehr. Gestern entdeckte ich eine wesentlich bequemere Alternative München-Essen, stellte sicher, dass die “Fahrplanänderung” auch wirklich eine Aufhebung der Zugbindung bedeutete und zahlte nochmal eine Platzreservierung für eine Fahrt ohne Umsteigen. Die Rückreise gibt es ebenfalls nicht mehr, in diesem Fall folge ich aber der Empfehlung, die auch die Platzreservierung übernommen hat. Alltag des Bahnreisens in Deutschland.

Im Bett las ich weiter Helena Adler, Die Infantin trägt den Scheitel links, freute mich am nächsten Kapiteleinstieg:

Meine Mutter rastet nicht, habe ich immer geprahlt. Und wenn sie rastet, rastet sie aus.

§

Bericht über den ersten Bundeskongress der Omas gegen Rechts.
“Widerstand statt Ruhestand”.

Journal Sonntag, 4. August 2024 – Früher Isarlauf, großes Grillen bei Elterns

Montag, 5. August 2024

Etwas unruhige Nacht, früh zu Ende – was mir sehr recht war, weil Pläne. Wir waren gestern bei meinen Eltern zum Grillen eingeladen, auch eingeladen waren die Familie meines Bruders und meine Schwiegereltern. Und vorher wollte ich noch eine Runde Laufen.

Draußen war es kühl und düster nach nächtlichem Regen, wieder kein Morgenkaffee auf dem Balkon. Eng getimet mit einer Maschine helle Wäsche machte ich mich lauffertig. Es war trocken und angenehm, nach fast einer halben Stunde kam ich auch mal wieder ein wenig in den Fluss.

Unter anderem Nachdenken über eine Geschichte im Granta 168, Significant other, vor allem über diese Passage:

Being recognized as part of a couple thrilled me; I felt legitimised.

Das fehlte mir immer schon komplett. Ich verliebte mich, manchmal war eine Folge, dass ich Teil eines Paars wurde – doch damit haderte ich. Bis ich erkannte, dass ich das eigentlich lieber nicht war. Herr Kaltmamsell musste hohe Hürden meistern, um mich zu überzeugen: Er war die Ausnahme. Erst kürzlich hatte mich eine Diskussion über Online-Datingportale zur Erkenntnis gebracht: Ich war noch nie auf Partnersuche. Neben meinem frühen und intensiven Nicht-Kinder-Wunsch wohl ein zentrales Stück Privileg und Freiheit in meinem Leben.

Blick auf eine zugewucherte Gärtnerei, im Vordergrund am Boden dunkle Gärtnereifolie, im Hintergrund werden Beete bewässert

Über der Flaucher-Gärtnerei zeigte sich erster blauer Himmel.

Dicht zugewachsene Flusslandschaft mit steinigem Flussbett

Liegender Grabstein in dichtem Grün, bei aller Verwitterung kann man die große Inschrift lesen: "Georg Simon Ohm"

Am Alten Südfriedhof sagte ich Herrn Ohm hallo – dem großen Widerstandskämpfer. (Eine physikalische Einheit nach sich benannt zu bekommen, ist schon sehr weit oben auf der Coolheits-Skala.)

Zug nach Ingolstadt, pünktlich und problemlos. Große Freude über Wiedersehen meiner Eltern, meiner Schwiegereltern, der lange nicht mehr gesehenen Bruderfamilie. Wir saßen auf der Terrasse des Elternhauses, vor der meist scheinenden Sonne mit einem riesigen Schirm geschützt, Blick auf den hochsommerlich zugewucherten Garten. Viele hochspannende Neuigkeiten von den Nifften (unter anderem Einblicke in den Medizinertest, der ganz anders ist, als ich gedacht hatte). Vom Grill (den meist mein Bruder bediente, damit meine Eltern sich um ihre Gäste kümmern konnten) gab es Garnelen, Tintenfisch, Rinderfilet, Schweinskotelett, Schweinebauch, Tofuspieße, vegane Würschtl, Tomaten, Champignons, Brot, dazu Salate. Nach einer Anstandspause Kaffeeundkuchen, und zwar Marzipantorte (von der Gastgeberin selbst gekauft).

Am späten Nachmittag nahm ich mit Herrn Kaltmamsell einen Zug zurück, dieser sehr dicht besetzt. Daheim eine wohltuende Runde Yoga-Gymnastik (dass ich weder crow pose noch half moon je erleben werde, habe ich mittlerweile überwunden), dann hatte ich wieder Hunger (mittags vor Aufregung gar nicht so viel gegessen): Zwei frisch gepflückte elterliche Tomaten als Salat mit Flachpfirsich, Basilikumblättern und Olivenöl, außerdem Käsereste, hartgekochtes Ei, danach noch reichlich Schokolade.

Meg Rosoff, The Great Godden ausgelesen, bis zum lahmen Schluss beleidigt über die Flachheit der Geschichte, doofes Buch. Meine nächste Lektüre muss das ausgleichen: Helena Adler, Die Infantin trägt den Scheitel links (war in der Münchner Stadtbibliothek gerade verfügbar). Das schaffte dieser Roman der Anfang des Jahres jung verstorbenen Österreicherin sofort. Er beginnt:

Home Sweet Home

Nehmen Sie ein Gemälde von Pieter Bruegel.

Wir essen schwarze Regensuppe zum Nachtmahl. Der grüne Kachelofen brütet in der Ecke, in der Stube dampft es, doch mir ist kalt. Die Bewohner des Hauses haben sich im Parterre versammelt. Nicht oft verlassen die Urgroßeltern den ersten Stock. Sie sind die Urgesteine hier am Hof und wer sie bewegen will, beißt auf Granit. Wir, die Eltern, die Schwestern und ich, wohnen bei ihnen, nicht sie bei uns.

Zack: Wenige Zeilen, doch schon ist der Ton gesetzt, die Szenerie aufgebaut. Jetzt freute ich mich wieder aufs Lesen.

§

Eine lesenswerte Perspektive aufs Thema privates Fliegen von Bernhard Ötter in der taz:
“Wir unperfekten Menschen”.

Journal Samstag, 3. August 2024 – Alle Sommerwetter in einem Tag

Sonntag, 4. August 2024

Gut und ausgeschlafen; erst nach sieben zog ich den Rollladen hoch – in Dürsternis und Regen. Na ja, keine Überraschung, das war angekündigt. Aber halt auch: kein Balkonkaffee.

Nahaufnahme eines nackten Fußes mit silbern lackierten Nägeln in einer hellgoldenen Riemchensandalette

Weiteres Schuheintragen (die Nägel werden noch pedikürt und bekommen eine andere Farbe).

Möglicherweise habe ich unseren Geschirrschrank ruiniert. Ich entdeckte an der linken vorderen Ecke des Schranks eine Wasserlache auf dem Parkett, also unter dem Topf mit der immer mächtigeren Efeutute auf dem Schrank, die ich morgens gegegossen hatte. Umgehend holte ich einen Lappen und ging der Quelle nach: Klare Spuren auf dem weiß lackierten Holz von oben – dabei hatte ich regelmäßig gecheckt, dass der Unterteller unterm Blumentopf nicht volllief. Wohl nicht oft und gründlich genug. Zwar zeigte die Oberseite des Schranks zu meiner Erleichterung keine Spuren von regelmäßiger Überflutung, doch es war wohl oft genug Wasser ausgelaufen, dass ich bereits einen Spalt am Eck der oberen Verzierung und der unteren Leiste sah.

Das Wetter beruhigte sich: Der Regen hörte auf, der Himmel wurde bunt inklusive blauer Flecken.

Semmelkauf und kurzes Abbiegen in den Edeka in der Holzstraße für Tomaten und Nektarinen. An der Kasse ein Schild, das die Schließung dieser Filiale am 12. August ankündigte – oh. Edekas gibt es nun wirklich genug in der Innenstadt (vor allem, seit auch die Tengelmanns zu Edekas wurden), aber dieser hier hatte einen besonderen Platz in meinem Herzen. Was mag nur statt dessen in die Räume kommen?

Zum Dantebad radelte ich im Vertrauen auf die Wettervorhersage, die erst für den späteren Nachmittag weiteren Regen ankündigte. Komisches Wetter: Eigentlich war die Luft kühl, doch jede Bewegung führte zu Schwitzen.

Das Schwimmbecken war ohne Freibadwetter wenig beschwommen, neben Wolken schien vom Himmel immer wieder die Sonne und verglitzerte den Metallboden, und mein Körper machte sehr gut mit – vielleicht schon eine Wirkung meiner Eisen-Kur?

Zudem schön: Es waren nur Leute im Becken, die einfach schwammen, ohne Spielzeug. Vielleicht lief ja gerade bei den Olympischen Spielen der Wettbewerb im Geräteschwimmen, auf den die anderen sonst trainierten, und sie saßen alle vorm Fernseher.

Nach Heimradeln in der Sonne und mit nur wenigen lebensgefährlichen Situationen: Zum Frühstück um zwei gab’s zwei Kürbiskernsemmeln mit dick Butter und Tomaten.

Gemütlicher Nachmittag: Lesen auf dem Balkon (mit herabgelassener Markise, denn jeder Sonnenstrahl machte unangenehm heiß), Bettschwere, die Lesen unmöglich machte, also eine Runde Siesta. Danach wurde es doch wieder düster: Gewitter und Regenguss.

Yoga-Gymnastik mit wackligem Kreislauf, der aber hielt. Zum Abendessen verarbeitete Herr Kaltmamsell die Ernteanteil-Zucchini zu italienischer Scarpaccia (etwa so, aber mit Polenta ins Mehl gemischt), ein Tipp aus dem Kartoffeldruck, dem Newsletter zu unserem Ernteanteil.

Gedeckter Tisch, auf Glastellern flacher Zucchinikuchen, dazwischen eine weiße Schüssel mit Salat, ein Glas Weißwein

Schmeckte ok, aber andere Verarbeitungen von Zucchini sind mir lieber. Dazu machte ich den kleinen Chinakohl aus Ernteanteil zu Salat mit Joghurtdressing (seit Studentinnentagen, in denen ich Chinakohl wegen seines Preis-Sättigungsverhältnisses oft aß, kommt in das Joghurtdressing dazu immer Sesamöl) und restlichen Tomaten, im Glas ein aromatischer und kräftiger Pecorino.

Im Fernsehen ließen wir Caroline Links Verfilmung von Als Hitler das rosa Kaninchen stahl laufen – die mir lediglich illustrativ vorkam, ohne künstlerisch oder erzählerisch Eigenes. Im Bett las ich weiter Meg Rosoff, The Great Godden – immer ärgerlicher über die eindimensionale Handlung und die stereotype Darstellung der Figuren: Nein, so sind Menschen nicht, so sprechen sie nicht, so verhalten sie sich nicht.

§

Vor 40 Jahren erreichte die erste E-Mail Deutschland, über das Computer Science Network (CSNET). Tagesschau.de nutzt die runde Jahreszahl für einen schönen Hintergrund-Artikel:
“Erste E-Mail erreicht Deutschland”.

Journal Donnerstag, 1. August 2024 – Sommerlich ruhig

Freitag, 2. August 2024

Beim nächtlichen Klogang konnte ich alle Fenster und Türen der Wohnung öffnen: Sturm und Regen hatten aufgehört, es kam kühl und frisch von draußen rein. Guter Schlaf, vom Wecker geweckt.

Balkonkaffee, angenehmer Spaziergang in die Arbeit.

Straße in Morgensonne, Altbauten, im Hintergrund ein Kirchturm aus Backstein

Gollierstraße ohne Schulkinder.

Eckgeschäft in einem Altbau, auf der verblichenen Markise steht "Imbiß" und "Metzgerei", die Jalousien sind herabgelassen

Aber auch: Gollierstraße künftig ohne Metzgerei. Zwar wurde auch hier (wie in den meisten Innenstadt-Metzgerläden) in erster Linie Brotzeit verkauft, doch ich hatte mich über die schiere Existenz eines kleinen, Inhaber-geführten Metzgerladens gefreut.

Aushang in der Ladentür, dass die Metzgerei zum 20.7. schließt

Mal sehen, was die “neue Leitung” damit macht.

Im Büro erstmal Schuhwechsel: Ich hatte die Riemchensandaletten für die Jahrhunderthochzeit zum Einlaufen dabei. Nach der Arbeit waren meine Füße von der Hitze und einem Tag Rumlaufen immer so dick gewesen, dass ich nicht hatte reinschlüpfen wollen. Zu meiner Erleichterung erwiesen sich die Schuhe als überraschend bequem beim hauptsächlichen Sitzen und auf den Gängen über die Gänge. Ich hielt zweieinhalb Stunden durch, bis ich Blasengefahr spürte.

Vorm Bürofenster sang eine Männerstimme mittelschräg und leidenschaftlich “Himbeereis zum Frühstück” – mir ging das Herz auf.

Für unsere Essen-Reise wollte ich einen Restaurant-Tisch reservieren – und wurde dafür zu einem Telefonanruf gezwungen. Den dann zu vorher genau gecheckten Geschäftszeiten ein Automat entgegen nahm, ich war gespannt, ob das funktionieren würde, wozu hat der Herrgott denn bitte das Internet erfunden? Und Reservierungs-Plattformen? Aber nach einigen Stunden meldete sich das Restaurant tatsächlich, ich reservierte.

Glas mit Cappuccino auf Nussbaum-farbenen Holz, im Hintergrund hängen Gemälde an der Wand

Mittagscappuccino im Westend mit Kunst (merken: auch als großer Cappuccino ist mir der hier zu rass).

Im Büro Fachsimpeln über Druckpapiere, geordnetes Arbeiten. Mittagessen Pfirsiche und Aprikose (himmlisch!) mit Sojajoghurt und Leinsamenschrot.

Ich machte sehr früh Feierabend, um zu meinem Friseurtermin in der Innenstadt zu marschieren. Bewegung war kein Problem, denn die Luft hatte unter Wolken abgekühlt. Die Mauersegler waren vielleicht schon weg, auf meinem Weg sah ich nur noch einen fliegen.

Haarschnitt mit angenehm wenig Gespräch.

Selfie einer Frau mit kurzen weißen Haaren und einer Brille vor sonnenbeschienenem Park

Ich war zufrieden. Jetzt schien die Sonne wieder – und machte sofort heiß.

Zu Hause Yoga-Gymnastik (schön, auch wenn meine Wirbelsäule mal wieder zum Gottserbarmen rumpelte und krachte), dann Telefonat mit meiner Mutter: Eine erfreuliche Einladung für Sonntag, aber auch eine Todesnachricht, die mich sehr traurig machte.

Ich bereitete aus dem frisch geholten Ernteanteil Abendessen: Eisberg-Salat (Ausgleich für die Schlammbäder der vorhergehenden Wochen: ich musste ihn fast gar nicht waschen), Gurke, Tomaten mit Joghurt-Knoblauch-Dressing. Außerdem gab es die restlichen Salzgurken. Nachtisch reichlich Schokolade.

Abendunterhaltung: Eine arte-Doku über neue archäologische Erkenntnisse zur minoischen Kultur auf Kreta – die weit ab sind von dem, was ich in den 1980er darüber lernte.

Das aktuelle Granta 168, Significant other las ich aus (na ja), startete im Bett die nächste Lektüre, von Kollegin empfohlen: Meg Rosoff, The Great Godden.

§

Gabriel Yoran fängt mit einem Kaffee-Vollautomaten an und analysiert sich zurück bis zur Erfindung der Idee form follows function, um am Ende bei der Bedeutung des anfänglichen Vollautomaten für die Zukunft der Menschheit anzukommen. Mit Genuss und Belehrung gelesen, hier an Sie verschenkt:
“Sie haben Geld, sie haben Zeit, und sie brauchen dringend ein Hobby”.

Tatsächlich hat sich der Designdiskurs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts komplett verschoben und das, was mit Funktionalität gemeint ist, wird mittlerweile genauer und viel weiter gefasst. Erheblichen Anteil daran hatte der französische Sozialphilosoph und Soziologe Pierre Bourdieu. Seine erstaunliche Erkenntnis: Das, was eine Person schön oder hässlich, vulgär oder fein findet, verrät ihre soziale Position und Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.

Bourdieu kränkte ganze gesellschaftliche Leitmilieus, in dem er in seiner Ende der 1970er Jahre erschienenen Studie „Die feinen Unterschiede“ zeigte, dass „guter Geschmack“ nicht angeboren, sondern „Ausdruck sozialer Differenzierung“ ist. Indem ich bestimmte Filme ansehe, bestimmte Musik höre, aber auch bestimmte Waren gut finde und kaufe, offenbare ich meine gesellschaftliche Stellung. Es geht natürlich um Geld, aber nicht nur: Bourdieu beschrieb, dass sich soziale Ungleichheit nicht nur mit ökonomischem, sondern auch mit kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital erklären lässt. Mit kulturellem Kapital ist nicht nur formale Bildung gemeint, sondern der ganze Apparat an Kulturtechniken, Kunstverständnis, Geschmack, Gehabe, der einem den Zugang zu den „besseren Kreisen“ eröffnet.

Journal Samstag, 27. Juli 2024 – Hochsommerwandern auf einer vergessenen Route

Sonntag, 28. Juli 2024

Wunderbar ausgeschlafen.

Der gestrige Balkonkaffee war angenehm mild, doch schon bald kündigte sich Hitze an. Meine Wochenendzeitung fand ich nach Wochen Suchspielen endlich wieder dort, wo sie hingehörte: Im Briefkasten.

Wir hatten eine Wanderung geplant und machten uns verhältnismäßig früh startklar, die Wohnung versperrten wir mit Rolläden und geschlossenen Außenfenstern gegen die Hitze.

Unser Ziel war Icking, eine Station vor Wolfratshausen. Wir waren auch deshalb früh aufgebrochen, weil die S-Bahn gestern nur alle 40 Minuten ging (Bauarbeiten – schon in Ordnung, wann sollen sie die denn sonst machen, wenn nicht in den Ferien?). Mit uns reisten viele, viele Pfadfinder*innen quer durchs Kinder- und Jugendalter; ich versuchte möglichst viel von dem, was ich bei Frau Brüllen über ihre Pfadi-Söhne gelernt habe, zu entdecken (Aufnäher!). Interessant fand ich allein schon mal die Kleidung: Von kompletter Kluft bis Zivil mit nur Pfadi-Halstuch war alles dabei. Es war wohl ein großes Treffen, die jungen Leute schienen einander gerade erst kennenzulernen.

Andere auffällige Mitreisende: Menschen mit luftlosen Schlauchbooten und Rudern. Den vereinzelten Hochsommersamstag (für Sonntag war Regen vorhergesagt) nutzten offensichtlich viele dafür, sich die Isar hinuntertreiben zu lassen (bange Erinnerung an die schwimmenden Wummer-Discos bei Grünwald vor einem Jahr – die sich als grundlos erwiesen).

Wir planten eine Wanderrunde, die wir besonders gut kannten, weil schon so oft gegangen, vor gut einem Jahr mit Besuch – diesmal wollten wir sie mit einem Stück vom Ickinger Wehr entlang der Isar nach Schäftlarn erweitern: Ein Wegweiser am Ickinger Wehr hatte mich auf die Idee gebracht. Im April 2023 mit Besuch war das Stück über Wolfratshausen bis zum Waldlehrpfad runter in den Ort wegen umgestürzter Bäume unpassierbar, wir mussten klettern. Doch ein Jahr sollte genügt haben, den Weg wiederherzustellen.

Womit ich nicht gerechnet hatte: Dass es die restliche Wanderroute fast nicht mehr geben würde.

Wir stiefelten vom Ickinger Bahnhof den vertrauten Weg am Sportplatz vorbei; zunächst sah alles aus wie gewohnt.

Wanderer in sonnigem Wald von hinten

Hier stach mich die erste Mücke, ich holte gleich mal das immer mitgeführte Anti-Brumm aus dem Rucksack und sprühte mich gründlich damit ein. Kurz darauf verschwand der Wanderweg fast im Bewuchs, die Ausschilderung wurde sehr rar.

Fast nicht sichtbarer Pfad in sonnigem Grün

Und ab dann mussten wir die erinnerten Abzweigungen oft suchen: Fast alle Wegweiser waren weg, die Wege offensichtlich lange nicht genutzt.

Weiter Rasen mit vereinzelten riesigen Bäumen, him Hintergrund zwei eingeschoßige dunkelrote Häuser, ein Auto

Interessantes Anwesen am Rand von Schlederloh – der Zaun zum verschwindenden Wanderweg verfallen.

Blick von oben auf ein weites Tal mit Flüssen und Auenwald

Ausblick auf die Puplinger Au. Noch war der Himmel hauptsächlich bewölkt.

Eine Hand voller Brombeeren, im Hintergrund Brombeerranken

In Dorfen klassischer Wander-Snack: Wilde Brombeeren am Wegesrand.

Hohlweg in grünes Tal

Hohlweg zur 2023 versperrten Passage nach Wolfratshausen.

Pfad in ein Tal mit Steg, auf der gegenüberliegenden Seite Stufen hinauf mit Handlauf

Niegelnagelneuer Steg und neu befestigte Stufen.

Tischchen in Café mit zwei Tassen Cappuccino, im Hintergrund die Theke des Cafés mit einem Kunden davor

Im Wolfratshausen waren wir gerade mal anderthalb Stunden unterwegs, eigentlich zu früh für eine Pause. Wir ließen uns dennoch zu einem Mittagscappuccino nieder, ich füllte meine eine bereits geleerte Wasserflasche auf.

An der Loisach entlang stiegen wir hoch zurück Richtung Icking, genossen Aussichten. Hier war der Weg wieder gut sichtbar, aber nicht mehr ausgeschildert. Wir begegneten auch keinen anderen Wanderern, lediglich ein paar Gelände-Radlern.

Blick hinunter auf ein breites Tal mit Wald, im Hintergrund schemenhaft eine Bergkette

Blick vom Riemerschmid-Park auf den Zusammenfluss Isar-Loisach. Danach drehten wir eine Zusatzschleife, weil wir die Abzweigung zu den Stufen hinunter an die Loisach zunächst verfehlten. Herr Kaltmamsell suchte mit Online-Karte: Sie war so zugewachsen, dass wir sie ohne Wegweisen gar nicht hatten sehen können.

Abwärts führender Pfad im Wald mit vielen Wurzeln und einem kleinen Baumstamm quer, ein Wanderer von hinten, der gerade darüber steigt

Blick von ben auf einen querenden Pfad, fast völlig versperrt von dem Wurzelballen eines gestürzten Baums, links davon ein Wanderer, im Hintergrund zwischen Bäumen das Grün eines Flusses

Der Abstieg wird offentsichtlich nicht mehr viel genutzt.

Zwischen Bäumen links und rechts hinter Fluss das weiße Gebäude eines Wehrs, rotes Ziegeldach

Ickinger Wehr.

Auf sonnenbeschienenen Kiesbänken eines Flusses bauen Menschen in Badekleidung Boote zusammen, einige sind schwimmen bereits auf dem Fluss

Dahinter wohl der Start zum Isartreiben, für das die Leute ihre Schlauchboote dabei hatten. Ohne Diskogewummer, einfach nur gleitend und plätschernd, mit fröhlichem Lachen und Kreischen. Mittlerweile waren die Wolken verschwunden, die Sonne strahlte und heizte ungehindert.

Der Wegweiser Richtung Schäftlarn warnte explizit, dass der Weg in schlechtem Zustand sei, und riet zur Alternativroute über Icking. Wir fühlten uns abenteuerlustig und gingen ihn dennoch. Er war dann tatsächlich mühsam, weil zugewachsen und nicht freigeräumt.

Blick von der Seite auf den sonnigen Fluss, am anderen Ufer eine Kiesbank mit Menschen, dazwischen ein Schlauchboot

Bankerl zum Brotzeiten gab es hier natürlich keine, wir setzten uns nach drei Stunden an eine Uferkante mit diesem Ausblick. Es gab Mirabellen und Nussschnecken.

Danach wurde der Weg die Isar entlang immer mühsamer. Irgendwann waren wir das Klettern über oder unter blockierende Baumstämme leid und suchten einen bequemeren Weg über GPS und Online-Karte. Fanden wir auch – nur dass ein Bach durchführte. Dann mussten wir halt durch, Schuhe und Socken in der Hand.

Frau von hinten mit Rucksack, die einen Bach durchquert, am anderen Ufer Bäume

Bild: Herr Kaltmamsell

Blick von im Bach den Bach entlang, Sonnenschein, Bäume

Blick aus der Mitte des Bachs.

Wanderer mit roter Kappe, der gerade aus einem Bach klettert

Der Weg wurde dann ein wenig bequemer, nach einem weiteren Aufstieg gab es schöne Aussicht.

Herr Kaltmamsell navigierte uns per Online-Karte zum S-Bahnhof Ebenhausen/Schäftlarn, durch ganz andere Landschaft als bisher.

Sonniger Kiesweg zwischen Bäumen, rechts Viehweide

Hochsommerliches Sonnenlicht und knallblauer Himmel, Kiesweg, rechts Bäume, links ein abgeerntetes Stoppelfeld

Ich hatte die ursprüngliche Wanderung auch deshalb gewählt, weil ich wusste, wie schön schattig sie ist. Dieses letzte, neue Stück hingegen erwies sich als weitgehend Schatten-frei, jetzt war es eher unangenehm heiß. Den Bahnhof erreichten wir genau richtig für die nächste S-Bahn, sehr erfreulich. Das waren gut 15 Kilometer in knapp fünf Stunden mit zwei Pausen.

Rückweg in der S-Bahn mit vielen Frauen in Glitzer, oft in Mehr-Generationen-Paarung: Menschen auf dem Weg zum Taylor-Swift-Konzert. Ja, ich habe eine Meinung – nämlich überhaupt kein Problem damit, die Leute ihren friedlichen, fröhlichen Spaß und das Gemeinschaftsgefühl genießen zu lassen. Weder gröhlen noch kotzen sie oder behindern den Alltag von Innenstädten wie Fußballfans, ihr Hobby dominiert auch nicht auf Wochen das gesamte Fernseh- und Zeitungsprogramm. Und mehr Glitzer in der S-Bahn begrüße ich ausdrücklich. Die Musik der angehimmelten Taylor Swift kenne ich genausowenig wie andere zeitgenössische Popmusik, zu der habe ich tatsächlich keine Meinung.

Seit einer ganzen Weile freute ich mich auf eine gründliche Reinigung unter der Dusche, nach dem Mix Sonnencreme, Mückenspray, Schweiß, Staub und Pflanzenteile fühlte ich mich so dreckig wie schon lang nicht mehr. Kurze Einkäufe auf dem Heimweg vom Hauptbahnhof, jetzt konnte ich mich unter fließendem Wasser säubern, so richtig mit rundum Waschlappen. Das Resultat fühlte sich großartig an (all die Kratzer an den Beinen haben jetzt noch acht Tage zum Heilen bis zur nächsten Wachsenthaarung). Nur fühlte ich mich wie nach der Wanderung davor reichlich erledigt und hätte mich am liebsten erstmal Schlafen gelegt. Das kann ich gerne auf die Hitze schieben, die aber so schlimm auch wieder nicht war – wieso bin ich denn plötzlich so unfit?

Gemütliches Internet-Lesen im angenehm kühlen Wohnzimmer, außerdem kochte ich nochmal Panna cotta, diesmal mit Abkühlen unter Rühren, bevor ich sie in Förmchen füllte; mal sehen, ob das ein Absetzen der Gelatine verhindert.

Zum Nachtmahl baute Herr Kaltmamsell aus Ernteanteil-Rote Bete und -Stangensellerie mit zugekauften Pfirsichen einen Salat nach, den wir in Berlin beim Feinkost Lindner gekauft hatten, ich rührte das Dressing dazu. Und die Bete-Blätter kamen gebraten auch noch dazu, hier verkommt nichts. Wenig.

Gedeckter Tisch mit weißem Teller voll Stücken Rote Bete, Stangensellerie, Pfirsich, dahinter eine Schüssel davon, rechts ein Glas Rosé

Schmeckte sehr gut, dazu gab es Pittnauer Rosé Dogma. Nachtisch Schokolade.

Im Bett begann ich (mit Leselampe um den Hals, weil nach Langem mal wieder Papierbuch ohne Selbstbeleuchtung) das neue Literaturmagazin Granta: Siginificant Other. In seinem Vorwort spoilert Herausgeber Thomas Meany gleich mal einige der Geschichten im Band – macht ihn mir nach seinem ungeschickten Einstieg mit dem Themenband Deutschland wirklich nicht sympathischer.

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TexasJim hat wieder Ferien auf dem Bauernhof gemacht – allerdings wie immer im Traktorsitz. Und denkt darüber nach, warum ihm das so viel bedeutet.
“Vorwärts leben, rückwärts verstehen, hat meine Oma einst gesagt”

Ein völlig fremder Alltag. Und doch bilde ich mir ein, alles zu verstehen.

Wie so oft stelle ich mich in einen Supermarkt am Bahnhof und sehe den Leuten zu, wie sie mit Lebensmitteln hantieren, sie drücken, werfen, und dann immer zum noch Bunteren greifen, und ich denke an den Haufen Erbsen in der Halle und an den heißen Tag voll Mühen, die uns allein ihre Ernte gekostet hat, bis wir spät in der Nacht am Festzelt vorbeifuhren, an den blinkenden Lichtern und der Musik, und dann frage ich mich, wie eigentlich alle anderen klarkommen, aber sicher bin ich mir nicht.

Journal Freitag, 26. Juli 2024 – Ferienstart für 50 Prozent des Haushalts / Scott Alexander Howard, The other valley

Samstag, 27. Juli 2024

Ganz gut geschlafen, hätte gern mehr als bloß bis Weckerklingeln sein dürfen. Durch die offenen Fenster und Balkontüren kam frische, kühle Sommerluft herein.

Die Bohnen klettern dieses Jahr besonders hoch. Und blühen schön!

Blauer Morgenhimmel über einem Park, durchschnitten von über einem Dutzend Kondensstreifen

Ferienzeit bedeutet weiterhin Flugzeit, Flüge sind offensichtlich immer noch viel zu hoch subventioniert.

Frischer Marsch in die Arbeit, über mir große Gruppen schrillender Mauersegler – ich rechne jeden Tag mit ihrem Abzug. Im Büro gleich mal hochkonzentriertes Planen und Organisieren – der für mich angenehme Teil mit Recherchen, Tabellen und Listen, ohne Telefonate und Menschen.

Draußen mal Wolken, mal Sonne, vor allem aber war mein Büro überraschend kalt: Ich brauchte eine Strickjacke über meinem Sommerkleid.

Auf meinem Marsch zum und vom Mittagscappuccino im Westend suchte ich die Sonne und ließ mich von ihr ordentlich durchwärmen. Das hielt auch für danach.

Zu Mittag gab es die zweite Hälfte Pumpernickel mit Butter vom Vortag, außerdem Mango mit Joghurt.

Ruhiger Arbeitsnachmittag, ich konnte problemlos pünktlich Feierabend machen. Auf dem Heimweg Einkäufe: Ein Obstladen bot die ersehnten Mirabellen an, dazu kaufte ich doch nochmal Pfirsiche. Weitere Lebensmittel beim Vollcorner – auf dem Weg dorthin sah ich im Einkaufszentrum ein schönes Männer-Shirt, und da Herr Kaltmamsell geäußert hatte, ihm fehle es an T-Shirts, kaufte ich es ihm (natürlich mit Option des Zurückgebens bei Nichtgefallen).

Zu Hause traf ich auf einen Herrn Kaltmamsell, der von Freude über den Start seiner Sommerferien geradezu trunken war. Mit ihm war ich zum Ferienfeiern verabredet, davor war aber noch Zeit für Yoga-Gymnastik, gestern mit intensiver Dehnerei.

Fürs aushäusige Nachtmahl hatte ich einen Tisch im Il Castagno an der Hackerbrücke resierviert: Das Lokal kenne ich ja von den beiden Jahren, die ich in einem Büro mit Blick auf deren Gastgarten arbeitete (dessen Tische eine zuverlässige Wettervorhersage waren: Wenn eingedeckt wurde, hielt das Wetter), wir waren schon lang nicht mehr dort gewesen.

Das Überraschungsmenü gab es immer noch, wir entschieden uns für die Variante mit Fisch. Eigentlich, das wusste ich noch, ist das ein kalabrisches Lokal (vor über zehn Jahren gab es hin und wieder explizit kalabrische Menüs), also bestellte ich dazu eine Flasche kalabrischen Mare Chiaro von Ippolito 1845 – stellte sich mit seiner Frische und Mineralität als guter Begleiter heraus.

Weinkühler auf rot-weiß karierter Tischdecke, eine Hand hebt daraus eine Weinflasche; im Hintergrund eine Frau in Sommerkleid, über allem goldenes Sonnenlicht

Zu essen gab es:

Auf rot-weißer Tischdecke zwei weiße gefüllte Teller und zwei Weißweingläser

Bruschetta mit Thunfischsauce und Garnelen

Grimassierender Mann, der in einem Biergarten an einem gedeckten Tisch sitzt, er trägt ein weißes T-Shirt mit großem blauen Pflanzenmuster

Schwertfisch-Carpaccio mit Ruccola (sehr gut) – vor neuem T-Shirt

Auf rot-weiß karierter Tischdecke zwei weiße Teller mit einem Häufchen Linguine, darauf eine Scheibe Käse, daneben ein paar Scheiben Trüffel

Selbstgemachte Linguine mit schwarzem Trüffel (die Pasta besonders gut)

Biergarten mit rot-weiß gedeckten Tischen, an denen Menschen unter riesigen Kastanien sitzen, in goldenem Abendlicht

Wir saßen wunderbar im warmen Abendlicht, von den Gleisen tönte hin und wieder Quietschen der Züge, neben uns saß eine große und friedlich-vergnügte Familiengesellschaft.

Auf rot-weiß karierter Tischdecke zwei Teller mit gebratenem Fisch und zwei mit Beilagengemüse

Hauptgang mit Saibling, eher fad

Auf rot-weiß karierter Tischdecke zwei rechteckige weiße Teller mit verschiedenen Desserts

Nachtisch mit u.a. einem interessanten Tonkabohnen-Flan

Zum Abschluss bekamen wir ein Gläschen kalabrischen Grappa, sehr aromatisch. Heimweg durch meine erste wirklich cremig-milde Sommernacht.

Gleise und eiserne Brücke vor Abendhimmel

Hackerbrücke vor Sommerabendhimmel

Gleise und ein paar Züge, dahinter moderne Gebäude vor Abendhimmel

Ich hoffe, dass sich der Abriss des ikonischen BR-Gebäudes verhindern lässt.

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Scott Alexander Howard, The other valley

Ein besonders interessantes Set-up, eine raffinierte Erzählstimme – der Kanadier Howard hat in seinem ersten Roman gleich mal vielversprechend vorgelegt.

Die Erzählung kommt von einem Ich, das sich schnell als junges Mädchen Odile kurz vor dem Schulabschluss herausstellt, und so entfaltet sich die Welt der “Valleys”, der Täler: In Alltag und physikalischen Gesetzen ähnelt sie unserer sehr; die Unterschiede, die diese Welt ganz anders machen, zeigen sich nach und nach, meist indirekt und werden nicht explizit erklärt – das gefiel mir erzähltechnisch schon mal sehr gut. Der Kernpunkt: Neben diesem Tal gibt es noch weitere, in denen alles 20 Jahre zeitversetzt ist: Odiles Tal grenzt auf einer Seite an eines, in dem es 20 Jahre vorher ist, auf der anderen Seite 20 Jahre später. Die Grenzen zu diesen anderen Täler sind schwer bewacht, von Grenzpolizist*innen und einem breiten Zaunstreifen. Nur in Trauerfällen und nach einem langen bürokratischen Prozess darf diese Grenze von Einzelnen passiert werden. Über die Anträge entscheidet der Conseil – und Odile bewirbt sich für eine Ausbildung in diesem Gremium.

Aus dem Set-up entwickeln sich alltägliche Probleme und Fragen, die jeden und jede treffen. Ich fühlte mich an das altgriechische Konzept der Moiren erinnert: Klotho (spinnt den Lebensfaden), Lachesis (misst die Länge des Lebensfadens) und Atropos (schneidet den Lebensfaden ab) bestimmen den Zeitpunkt des Todes; dieser ist festgesetzt, und wer sich dagegen wehrt, macht sich der Hybris schuldig. Diese Situation des tertium non datur führt in die klassische tragische Situation. In The other valley wird das an einem konkreten Beispiel vorgeführt: Am Anfang des Romans sieht Odile etwas, was nicht für ihre Augen bestimmt ist – und zu diesem Zeitpunkt kennen wir Leser*innen ihre Welt noch so wenig, dass wir fast verpassen, welche Information sie dadurch erfährt und die sie nahezu zerbricht.

Odile ist eine nicht wirklich sympathische Protagonistin: Zu Anfang Pubertäts-unglücklich und gleichzeitig selbstgerecht, ich konnte ihre Zerrissenheit nachfühlen, auch ihre spätere Bitterkeit und Hilflosigkeit gegenüber Erinnerungen. Diese Innensicht samt wackliger Moral macht sie zu einer unzuverlässigen Erzählstimme mit der Möglichkeit, dass Manches ganz anders war.

Das Ganze fand ich ausgezeichnet gemacht – umso übler nehme ich dem Roman sein Ende. Bin aber bereit, diese dem Verlag und Markt-Anpassung zuzurechnen statt dem Autor. Den ich auf jeden Fall im Auge behalten werde.