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Journal Montag, 8. September 2025 – Wieder ein Montag

Dienstag, 9. September 2025

Nach guter Nacht 20 Minuten vor Weckerklingeln aufgewacht – das war mir mit Aussicht auf Geschirrspüler-Ausräumen und Wäscheständer-Abnehmen ganz recht.

Es wurde hell zu schönem Wetter, in der Morgenkühle marschierte ich ins Büro. Unterwegs fielen mir einige Besonderheiten dieses Arbeitsmontags ein, anstrengend, aber nicht wirklich unangenehm.

Erster Cappuccino in der wiedereröffneten Haus-Cafeteria: Gut!

Mittags die Mastodon-Timeline der Nacht hinterhergelesen: So viele wundervolle Fotos von der Mondfinsternis am Vorabend! Hier ein Liebling aus Nürnberg. Außerdem verließ ich das Haus für einen schnellen Marsch um den Block in herrlich milder Wanderluft, inklusive Obsteinkauf.

Zu Mittag gab es am Schreibtisch Apfel, Banane, Feige, Nüsse, Hüttenkäse.

Recht hochtouriger Arbeitsnachmittag, für die letzten beiden Stunden hatte ich eigentlich keine Energie mehr, musste aber.

Zu Feierabend war es kühler geworden, ich ging über Einkäufe im Vollcorner und beim Drogeriemarkt heim. Dort nach Auspacken Yoga-Gymnastik, viele Haltungen werden wohl nie weniger anstrengend werden.

Als Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell vereinbarungsgemäß nochmal sommerlichen Wurstsalat, dazu selbstgebackenes Roggenbrot.

Nachtisch Schokolade, gemeinsame Abendunterhaltung eine Folge Mad Men.

Früh ins Bett zum Lesen: Ich las Caroline Peters, Ein anderes Leben aus. Es ist ein spannendes und buntes Familienleben, auf das die Ich-Erzählerin anlässlich des Todes ihres Vaters zurückblickt – nur vage chronologisch, wie Erinnerungen eben verlaufen, und auch über Erinnerungen denkt sie nach, vor allem im Abgleich zu denen ihrer beiden Schwestern, die jeweils eigene Väter haben. Im Mittelpunkt des Rückblicks steht die gemeinsame Mutter Hanna, die als Kind noch den Krieg erlebt hat, davon geprägt wurde, eine Künstler-Natur und Dichterin, deren Eigenwilligkeit irgendwann nicht mehr in die Rolle von Ehefrau und Mutter passte. Ich mochte den eigenen Tonfall der Erzählstimme, dessen Sprache angenehm fern von Stereotypen und Klischees blieb, lernte gerne diese Familiengeschichte kennen.

§

Was wichtig ist:

Seit ich Hundebesitzer bin, mache ich das ständig, dieses Hallosagen mit fremden Leuten und irgendeinen netten Kommentar abgeben, entweder über das Wetter, die schweren Pakete oder irgendwas Lustiges, wenn man sich beispielsweise im Weg stand. Der Kiezstraßenfeger der BSR hebt seinen Arm auch von der anderen Straßenseite zum Gruß, er sagt etwas Unverständliches zu mir, ich antworte etwas Unverständliches und wir heben wieder den Arm und sagen: „Schönen Tach noch.“ So sind wir Hallosager. Mit Hunden, es gibt sie aber auch ohne Hunde.

Bei Mek, der gerade seine Jahrzehnte Bloggen drucken hat lassen:
“So, 7.9.2025 – Blogbuch, Mond”.

Uns, die wir ein paar Semester Linguistik abbekommen haben, fällt dazu die “phatische Funktion” von Sprache ein. (In der professionellen Kommunikation erkläre ich sie gerne mit “Hauptsach’ d’Luft scheppert”.)

Journal Sonntag, 31. August 2025 – Sommermorgenlauf und Besuch aus Florida

Montag, 1. September 2025

Eine Nacht mit geschlossenem Fenster: Menschenlärm im Park und auf der Straße vor meinem Schlafzimmer hätte mich sonst auch mit Ohrenstöpseln wach gehalten.

Weckerwecken: Um bei den Plänen des Tages zu meiner ersehnten Laufrunde zu kommen, musste ich den Morgen durchgetaktet nutzen – der herrlich wolkenlos sonnig begann.

Es war noch ausgesprochen frisch, als ich um acht das Haus verließ, aber allein schon die Sommerfarben wärmten mich. Ich lief gut und leicht, nur mein Bauch schmerzte immer wieder: Ich war sehr froh um das schicke Klohäusl am Marienklausensteg.

Immer wieder verdächtig bunte Flecken in den Laubbäumen und -büschen: Es ist Spätsommer, der Herbst rückt uns auf die Pelle.

Daheim zackige Körperpflege, kurz vor elf saß ich in Sommerkleid und Sandalen im Zug nach Augsburg. Dort trafen wir bei den lieben Schwiegers nämlich auf Besuch: Die befreundete Verwandtschaft aus Florida beehrt Europa wie in so manchem August (wenn nämlich Flaute/Pause ist im eigenen Catering-Unternehmen), ich freute mich sehr über die Möglichkeit für ein Treffen in bei Augsburg.

Da die beiden Herren am Vortag in der Augsburger Innenstadt vergeblich nach einem Weißwurstfrühstück gesucht hatten, boten ihnen die Gastgeber eines.

Auch ich genoss es: Ich mag Weißwürscht eigentlich, es ergeben sich nur nie welche. Außerdem auf der Wunschliste des Besuchs: deutsche Torte. Dafür fuhren wir nach Königsbrunn ins Café Müller, eine Legende.

Hier bekam ich Flockentorte mit Preiselbeeren – selten im Repertoire von Konditoreien, und diese war wirklich ganz besonders gut. Der Nachmittag verging schnell über Austausch von Erinnerungen und Berichten aus Trump-USA: Trotz Beteuerungen, man versuche positiv zu bleiben und es werde schon wieder besser werden, war allen die Dramatik einer weiteren Großmacht auf dem Weg in die Autokratie klar.

Zurück nach München fuhren wir nicht allzu spät: Ich wollte vor dem ersten Arbeitstag meine Arbeits-E-Mail checken, in der Hoffnung auf ruhigeren Nachtschlaf. Auf unserem milden, sonnigen Balkon loggte ich mich also ein – und mühte mich arg mit der Fernversion von Outlook, weil unglaublich unübersichtlich. Aber ich konnte mich schonmal auf einen Querschläger am Montag einstellen.

Abendbrothunger hatte ich auch: Herr Kaltmamsell nutzte den Linsenrest vom Vorabend für ein Spaghettigericht mit frischen Tomaten. Nachtisch Zwetschgenkuchen und Schokolade.

Im Bett neue Lektüre: Das vorgemerkte Ein anderes Leben von Caroline Peters stand in der Münchner Stadtbibliothek bereit. Ich war sofort drin, die Schauspielerin Peters kann so schreiben, dass ich sie verstehe, zum Beispiel:

Beide Schwestern waren plötzlich wütend auf mich. Mein Gesicht war anscheinend mal wieder in Großbuchstaben unterwegs gewesen.

Journal Samstag, 30. August 2025 – Zurück zu Routine-Samstag

Sonntag, 31. August 2025

Gut geschlafen, nur einmal von einem Rumbrüller vorm Schlafzimmerfenster rausgerissen worden.

Nach Bloggen mit Milchkaffee und Ingwertee wirbelte ich noch eine Weile haushaltlich, bevor ich zu meinem Tagessport loskam: Schwimmen im Dantebad. Das Wetter war als durchwachsen angekündigt, es sollte auch regnen – ich ließ das Fahrrad lieber stehen und nahm die U-Bahn.

Semmelkauf beim Stiglmaierplatz diesmal auf dem Hinweg noch vor elf, um mir etwas größere Auswahl als nach eins auf dem Rückweg zu sichern.

Die Sammelumkleide im Dantebad war schonmal vielversprechend wenig genutzt. Schwimmen ähnlich wenig gestört unter wechselndem Himmel, ich bekam also auch immer wieder Sonne auf meinen 3.300 Metern.

Schon am Freitag hatte sich abgezeichnet, dass Feldhamster und Eichhörnchen auf dem Wiener Zentralfriedhof nicht die einzigen Viecher waren, mit denen ich zu tun hatte: Auf meiner Haut blühten Mückenstiche, und nicht zu knapp. Gestern zeigten sie sich in ihrer ganzer Juckigkeit an Armen, Beinen, Hals.

Frühstück um halb drei: Semmeln, Zwetschgenkuchen, Trauben.

Wenigstens die Münchenteile der Süddeutschen der Woche las ich nach: Diese Infos finden mich im Gegensatz zu Deutschland- und Weltpolitik nicht so einfach auf anderen Kanälen.

Mehr Häuslichkeiten: Ich bügelte alle, was sich bügeln ließ, und sei es noch sehr feucht vom Wäscheständer (um das Kleidungsstück dann nur wenig weniger feucht zurückzuhängen).

Mehr Lesen, jetzt aber Roman und mit oft sonniger Aussicht.

Parallel bat ich auf Mastodon um Hilfe bei Recherche um das einzige Foto, das wir vom biologischen Vater meiner Mutter haben. Ich bekam tatsächlich Informationen, denen ich nachgehen kann. (Nach einer Weile, in der ich mich wieder beruhigt habe.)

Die Reportage im SZ-Magazin über Zwangsarbeiterinnenkinder hatte mir klargemacht: Dadurch dass meine polnische Oma sich weigerte, einen Antrag auf Entschädigung zu stellen (“Leck mi am Oasch, will i nix zu tun haben” als meine Mutter sie seinerzeit darauf ansprach), wurde sie nicht offiziell erfasst. Das erschwert jede Recherche nochmal.

Schöne Runde Yoga, eine anstrengende Folge.

Zum Nachtmahl bekam ich Linsen (!): Herr Kaltmamsell baute die im Meiselmarkt erworbenen geselchten Schweineripperl ein, das machte sich sehr gut. Nachtisch Zwetschgenkuchen und Schokolade.

Wir sahen die letzte Folge Mad Men der ersten Staffel an, mit wirklich überraschendem Knaller am Ende (wenn auch rückblickend genügend Hinweise dagewesen waren).

Im Bett las ich endlich (in Wien war ich kaum zum Lesen gekommen) Ottessa Moshfegh, Eileen von 2015 aus. Na ja, ein erzähltechnisch interessanter Versuch, mit der Schilderung eines zentralen Ereignisses durch geballtes Foreshadowing die Jahrzehnte Leben danach zu berichten, mit der Perspektive der alten Frau auf ihr Leben als 24-Jährige. Doch in meinen Augen las sich das arg angestrengt (da nach über einem Drittel das zentrale Ereignis noch nicht mal ansatzweise eingetreten war, kalkulierte ich sogar ein, dass außer Foreshadowing gar nichts passieren würde), die Details, vor allem die äußeren, wiederholten sich irgendwann.

Journal Donnerstag, 21. August 2025 – Was macht denn eine Kosmetikerin eigentlich?

Freitag, 22. August 2025

Nochmal dazwischen eine Nacht im eigenen Bett, bevor ich aus Logistikgründen vor dem Wien-Urlaub (und dem Wohnunghüten meiner Mutter) wieder bei Herrn Kaltmamsell übernachte. Bei Weckerklingeln hätte ich gerne noch weitergeschlafen.

Vor den Fenstern sah ich die angekündigte Düsternis, für meinen Arbeitsweg benötigte ich einen Schirm.

Sehr emsiger Vormittag am Schreibtisch, Mittagscappuccino mit Kollegin bei Nachbars, dort Austausch von Lesetipps für Urlaubstage.

Vor dem Mittagessen (Apfel, eingeweichtes Muesli mit Joghurt) brauchte ich dringend noch Bewegung: Fußmarsch um den Block, der Schirm in der Hand sorgte als Talisman für ausreichend Regenpause.
Außerdem Absprache mit meiner Mutter zum Wohnunghüten während unseres Wien-Urlaubs.

Mittelanregender und emsiger Arbeitsnachmittag. Ich konnte durch eine schlichte Idee eine heikle Frage klären, das freute mich.

Spannend: Würde es auf meinem Heimweg regnen? Ja, tat es, aber erst ab der Hälfte.

Zu Hause wirbelte ich erstmal in Urlaubsvorbereitungen. Ich wollte unbedingt eine Runde Pilates turnen, das schaffte ich auch. Was sich aus dem frisch geholten Ernteanteil für Salat eignete, verarbeite ich zu einer riesigen Schüssel Salat mit Zitronensaft-Knoblauch-Vinaigrette: Lollo rosso, Tomaten, Gurke. Herr Kaltmamsell machte aus dem restlichen Ernteanteil (Mangold, Zucchini, Aubergine) einem italienischen Picknick Pie: Ein Teil wird unser Reiseproviant, einen Teil hinterlassen wir meiner Mutter im Kühlschrank.

§

Auf Mastodon fragte mich @novemberregen: “Was macht denn eine Kosmetikerin eigentlich?” Dadurch wurde mir bewusst, dass das nur Leute wissen, die schonmal eine solche Gesichtsbehandlung hatten – also sehr wenige. Der Rest kennt wahrscheinlich nur Film- und Fernsehbilder von Frauen in Bademänteln mit Handtuch im Haar auf Liegen, Gurkenscheiben auf den Augen.

Nun weiß ich extrem wenig allgemein über Gesichtsbehandlungen von Kosmetikerinnen, es gibt wohl auch sehr invasive und formverändernde (wer sich gruseln möchte, liest den Guardian-Artikel “Be honest, have you had work? 11 people open up about what they do – or don’t do – to their face”). Aber ich erzähle gerne, wie meine eigene üblicherweise abläuft:

Ich lege mein Oberteil ab und mich auf einen besonders bequemen Sessel (ähnelt einem Fernsehsessel in der Waagrechten). Die Kosmetikerin bindet meine Haare aus dem Gesicht, ich schließe die Augen.

Dann wendet sie Dutzende wohlriechende Flüssigkeiten, Pasten, Cremes an, die mal mit Schwämmchen oder Tüchern, mal mit kreisenden Bürstchen, mal mit Pinseln oder Fingern auf- und abgetragen werden. Eine dieser Pasten muss einige Minuten einwirken, dafür verlässt sie den Raum.

Zwischen all dem Auftragen und Abtragen richtet die Kosmetikerin für ein paar Minuten Dampf auf mein Gesicht, ein weiterer Prozessschritt ist das Ausdrücken von Mitessern, ein weiterer eine ausführliche Gesichtsmassage. Manche Schritte umfassen das Belegen meiner Augenlider mit getränkten Watte-Pads. Gesprochen wird dabei sehr wenig, meine Kosmetikerin kündigt lediglich Schritte an, die mit stärkeren Sinneseindrücken verbunden sind: „Jetzt kommt Dampf.“ „Das wird jetzt kalt.“ „Vorsicht Licht.“ (Die Lampe, die sie fürs Mitesserausdrücken auf mein Gesicht richtet.)

Ich empfinde diese Stunde als ausgesprochen angenehm, lasse sehr los, fühle die verschiedenen Berührungen und Texturen, schaffe es überraschenderweise, weder die Mittel mitzuzählen noch mich zu fragen, wozu sie dienen. Seit über 20 Jahren gönne ich mir das im Schnitt ein- bis zweimal im Jahr.

Dieser Grad des Loslassens ist mir allerdings nur bei einer vertrauten Kosmetikerin möglich, die ich mag. Verhindert haben das schon: Entspannend gemeinte Hintergrundmusik, Gesichtspflegeberatung, unaufmerksame Handhabung von Werkzeug und Mitteln, schmerzhafte Behandlungsschritte (außer dem Mitesserausdrücken – ich erinnere mich an eine Methode, die die damalige Kosmetikerin als neuesten heißen Scheiß ankündigte und bei der sie tiefgekühlte Glaskolben über mein Gesicht rollte, AUA!).

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Auf diese Ausgabe von 1981/82 brachte mich die Ibáñez-Ausstellung 2025 im Münchner Instituto Cervantes – und ich wollte sie sofort haben. Die Comics “Mortadelo y Filemón” gehörten zum Standardprogramm meiner Kindheits-Spanienurlaube Mitte 1970er bis Mitte 1980er und waren damals wunderbar exotisch und lustig (habe meinen spanischen Vater selten so lachen sehen wie bei dieser Lektüre).

“En Alemania” hat alles, was ich an “Mortadelo y Filemón” liebe: Komik fast ausschließlich auf der Bild-Ebene (nur selten dann meist brachiale Kalauer), und hier eine Vielzahl liebevoller Details in fast jedem Panel, zwei tollpatschige Spione, unerwartete Lösungen für Probleme.

Zur Zeit der Erscheinung waren die meisten spanischen Gastarbeiter bereits nach Spanien zurückgekehrt – und brachten ein tiefes Wissen um regionale Stereotype in Deutschland mit. Die Handlung führt die Protagonisten durch zahlreiche Bundesländer, und in Berlin gibt es neben Türken nur heruntergekommene Greise, in Bayern hängen an allen Häusern Franz-Josef-Strauß-Wahlplakate, die Schwaben sparen sich zu Tode, im Rheinland herrscht der Alkohol, Friesen sind dumm etc. etc. Das ist überraschend kundig durchgespielt – und eine gute Geschichte gibt es auch (die wiederum mit spanischen Stereotypen beginnt).

Was auffällt: Während zu dieser Zeit Spaniern zu Deutschland reflexartig erstmal das Dritte Reich einfiel, gibt es keine Nazi-Witze.

Journal Mittwoch, 20. August 2025 – Vorurlaubsendspurtgefühl

Donnerstag, 21. August 2025

Gute Nacht bis eine halbe Stunde vor Weckerklingeln, als sich Angst in meiner Kehle verbiss.

Ich hatte noch Gelegenheit, den Übernachtungsgast zu verabschieden, bevor ich mich angespannt durch kühle Luft auf meinen Arbeitsweg machte.

Geordnete Emsigkeit im Büro, ich bekam endlich eine Angelegenheit weg, deren Papier-Unterlagen bereits Schimmelränder angesetzt hatten.

Die Luft hatte eigentlich die ideale Temperatur für gekipptes Bürofenster – nur dass für den Umbau des S-Bahnhofs Heimeranplatz gerade Maschinen eingesetzt wurde, die mit einem nervigen Quietschrumpeln lärmten, das bis in mein Rückenmark drang: Fenster zu.

Mittagscappuccino im Westend, Temperatur unter bewölktem Himmel sehr angenehm. Wenn es so in der Woche Wien bliebe, wäre es mir sehr recht.

Mittagessen: Bananen, Quark mit Joghurt.

Im Verlauf den Nachmittags wurden die Wolken immer dunkler, irgendwann grollte daraus auch Donner.

Vor Monaten schon gebucht, lang befreut: Der Feierabendtermin für Pediküre und Kosmetik. Die Kosmetikerin hatte gestern um eine Verschiebung um 15 Minuten nach hinten gebeten, so kam ich nicht ganz so pünktlich aus dem Büro wie geplant. Zudem hatte es eine halbe Stunde zuvor begonnen zu regnen – und jetzt schüttete es derart, dass ich eine Station U-Bahn fuhr, um nicht trotz Schirm nach 20 Minuten Fußweg völlig durchnässt anzukommen.

Angenehme Pediküre mit Plaudern über Urlaubspläne, noch angenehmere Gesichtsbehandlung. Und beides dauerte lange genug, dass der Regen aufgehört hatte. Ich ging in schöner, abgekühlter Luft nach Hause und gab unterwegs Herrn Kaltmamsell durch, dass wir das angedachte Abendessen im Schnitzelgarten lieber bleiben ließen.

Daheim hängte ich eine eben durchgelaufene Ladung Wäsche auf (alles getimet auf den Wien-Urlaub), während Herr Kaltmamsell zum Abendessen Spaghetti mit scharfer Tomatensauce kochte. Schmeckten sehr gut, Nachtisch Eiscreme.

Dann doch ein wenig Wien recherchiert und zumindest in Google Maps Einmerker gesetzt. Im Moment bin ich so durch, dass meine Sehnsüchte nicht weit über Bankerlsitzen mit schöner Aussicht hinausgehen. Doch der Appetit kam beim Essen, und so habe ich jetzt für fast jeden Tag dieser Urlaubswoche einen Wunsch, zudem in einem weiteren, ausgesprochen attraktiven Restaurant einen Tisch reserviert. Was Essen betrifft, war mir schon lange klar: Wiener Gastronomie lockt mich nicht nur mit einer eigenen Tradition, die durch Respekt vor den Zutaten geprägt ist, sondern vor allem mit exzellenter Einwandererküche. Jetzt dann doch Vorfreude und Endspurtgefühl.

Neue Lektüre: Ottessa Moshfegh, Eileen – hatte ich schon lang auf meiner Lesewunschliste. Diesmal war ich so schlau, erstmal im Inhaltsverzeichnis zu prüfen, ob der Roman die ganze Datei lang ist: Nein, ist er nicht! Bei 94 Prozent fängt die Leseprobe eines anderen Buchs an, jetzt kann mich das nicht mehr überraschen. Der Roman nahm mich mit in einen kleinen, trostlosen US-amerikanischen Ort 1964 an der Ostküste und im Winter und in das trostlose Leben einer jungen Frau.

§

Rebecca Kelber hat für Krautreporter mit Anne Brorhilker gesprochen, bis vor einem Jahr Deutschlands bekannteste Cum-Ex-Staatsanwältin. Sie schildert, wer den Kampf gegen Finanzkriminalität behindert.
“Interview: Wie Deutschland wirklich Steuerraub bekämpfen könnte”.

Diese CumEx-Geschäfte waren in jeder Hinsicht gigantisch: Man benötigte immens viel Startkapital, um die Geschäfte überhaupt starten zu können, die gehandelten Aktienpakete waren wahnsinnig groß und die erschlichenen Steuererstattungen bewegten sich jeweils im zwei- und dreistelligen Millionenbereich. Weil die Dimensionen so groß waren, mussten diese Trades intern genehmigt werden, und der Genehmigungsprozess geht einmal quer durch die Bank bis zum Vorstand. Wir haben E-Mails innerhalb von Banken gesehen, bei denen 50 Personen im Verteiler waren. Das machte uns klar: hier ging es nicht um zwei, drei aus dem Ruder gelaufene Trader, sondern da war der gesamte Apparat involviert.

Auch in den Organigrammen von Banken hat man diesen Bereich der „Tax Trades“ erkennen können, den Insider „Delta One“ nennen. Das ist ein Segment, in dem Trader Aktien-Deals machen, deren Profit allein aus steuerlichen Effekten herrührt. Ich fand frappierend, wie offen ausgewiesen dieser Bereich war, bei dem Banken in unsere Steuerkassen greifen.

(…)

Wir haben viele Leute aus der Branche vernommen. Wenn diese mir gegenüber saßen, haben immer alle als Erstes gesagt: „Ich habe gedacht, das wäre legal.“ Da habe ich gefragt: „Erklären Sie mir das mal. Wieso sind Sie denn der Meinung, dass man sich eine Steuer erstatten lassen kann, die man zuvor nicht bezahlt hat?“ Und jedes Mal kam: „Das weiß ich auch nicht, aber das sagt unser Rechtsberater.“

Was mich erstmal überraschte: Dank Lobbyregister wissen wir jetzt, wer massiven Einfluss auf die entsprechende Gesetzgebung nimmt.

2024 stammen zehn der 100 finanzstärksten Einträge im Lobbyregister von Banken, Versicherern und der Fondsindustrie. Diese geben fast 40 Millionen Euro pro Jahr für Lobbyarbeit aus. Das ist mehr als Auto- und Chemielobby zusammen.

§

Mad Men bietet Arte ja zu meiner großen Freude auch im US-englischen Original, allerdings nur inklusive nicht wegschaltbarer französischer Untertitel.
Stefan Niggemeier ist dem für Übermedien nachgegangen:
“Lost in Untertitel-Translation”.

tl;dr Ja, nee, ist halt so.

§

Dazu gehört ja nicht viel Zufall: Dass ich in den vergangenen Tagen über Hannover und über Obdachlosikeit gesprochen habe – und die taz jetzt ein Interview veröffentlicht mit Annemarie Streit, die sich auch mit 97 noch ehrenamtlich um Obdachlose in Hannover kümmert:
“‘Mir ist der Respekt wichtig'”.

Das Leben ist ganz anders verlaufen, als das mal geplant war.

taz: War es mit Familie geplant?

Streit: Das muss man sachlich sehen. Im Krieg sind sehr viele Männer gerade der jungen Generation gestorben. Wir haben den Sachen nicht nachgetrauert, wir haben es so hingenommen, wie es eben ist.

Auf keinen Fall will ich diese Haltung als ideal oder vorbildlich bezeichnen – aber ich bewundere sie mit einem gewissen Neid.

Journal Samstag, 16. August 2025 – Unerwartet trockene Wanderrunde am Starnberger See über Berg

Sonntag, 17. August 2025

Halleluja: Die Gewitter in der Nacht hatten deutliche Kühle gebracht, beim Aufwachen regnete und grummelte es noch – und war zu kühl für Balkonkaffee!

Trotz der Wettervorhersage war ich zum Wandern verabredet – ein bisschen Regenrisiko wog die Alternative einer Wanderung in Brüllhitze in meinen Augen auf.

Als ich mich um halb zehn für diese Verabredung zum Bahnhof aufmachte, schüttete es gerade energisch. Ich schlüpfte also schon für diesen Weg in meine Regenjacke – und nahm die U-Bahn, um nicht schon nass im Zug nach Starnberg zu sitzen. Dorthin nämlich fuhr ich mit einer Freundin, um die Rundwanderung nach Percha, Berg, Leoni, Bismarckturm Assenhausen, über Aufkirchen, Manthal zurück zu machen, mit der ich vor drei Wochen mit Herrn Kaltmamsell wegen Regenfluten gescheitert war.

Starnberg empfing uns mild und trocken, und um es abzukürzen: So blieb das Wetter den ganzen Tag; uns erwischte kein einziger Regentropfen, wir bekamen sogar ein wenig Sonne – wunderbares Wanderwetter, die Schwüle brachte mich aber mehrfach ins Schwitzen.

Ich genoss es sehr, mit der Freundin zu gehen, manchmal einander auf Anblicke hinweisend, aber meist ins Gespräch vertieft – deshalb auch nur wenige Fotos, meine Begleitung fesselte mich mehr.

Die Votivkapelle bei Berg über der Uferstelle, wo sich unser Kini dersoffen hat.

Unten am Erinnerungskreuz für Ludwig II. im See haben kürzlich Segler ihr Boot befestigt, gemeinsame Schnappatmung aller Königstreuen, die Ermittlungen laufen.

Hinter Leoni stiegen wir hoch zum Bismarckturm Assenhausen – ich komme weiterhin nicht über diesen Auswuchs nationalistischen Fantums hinweg. Hier griff ich dann doch zu meinem Mückenspray (wohnt fest in meinem Wanderrucksack), in Waldstücken bekamen die Viecher offensichtlich großen Appetit auf mich.

Freudige Überraschung: Die Kapelle bei Sibichhausen wurde neu gebaut. Im April 2019 hatte sie Herrn Kaltmamsell und mir bei unserer ersten Erwanderung der Runde als Brotzeit-Unterstand gedient, 2022 hatte ein Sturm den nebenstehenden Baum draufgestoßen, die Kapelle war zerstört. Jetzt informierte eine große Metalltafel über eine sofort gestartete Spendenaktion, die den Neubau ermöglichte, im Juni 2024 wurde er gesegnet. Und hat wieder eine Form, die zum Ausruhen und Brotzeiten einlädt.

Pause und Brotzeit machten wir nach knapp drei Stunden Wanderung, ich hatte Äpfel und selbstgebackenes Brot dabei.

In Aufkirchen sahen wir bei Oskar Maria Graf vorbei, tauschten Erinnerungen an seinen wunderbaren Roman Das Leben meiner Mutter aus, der mir viele Einblicke in die Gegend und ihre Entwicklung vom Ende des 19. in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts verschafft hatte.

Zurück in Starnberg kehrten wir im Tutzinger Hof ein. Das waren etwa 19 Kilometer in etwa fünfeinhalb Stunden mit einer Pause gewesen, ich fühlte mich angenehm durchbewegt

Auf das Brotzeitbrett hatte ich mich schon sehr gefreut – und wieder stellte sich heraus, dass hier der Obatzte serviert wird, der mir von allen am besten schmeckt (nächstes Mal bestelle ich vielleicht einfach nur eine große Portion davon). Dazu eine Halbe alkoholfreies Weißbier.

Auf den Zug zurück nach München mussten wir ein Viertelstündchen warten, schauten noch ein wenig auf den See (so lange das vom Bahnsteig aus geht, der Starnberger Bahnhof soll weg vom Seeufer verlegt werden, wohin und wie ist allerdings weiterhin offen).

Auch in München war es schwülwarm, wie schon Herr Kaltmamsell den Tag über war ich unschlüssig, wie ich die Wohnung temperieren sollte: Würden offene Fenster sie kühlen oder aufwärmen?

Abends holte ich noch das Dessert nach:

Zwetschgenkuchen mit Sahne. Dazu eine weitere Folge Mad Men, im Bett las ich Mortadelo y Filemón en Alemania, entzückt über die Detailliebe des zeichnerischen Humors.

Journal Donnerstag, 14. August 2025 – Ein Sommerabendtraum

Freitag, 15. August 2025

Unruhige Nacht mit größter Unruhe, als gegen halb zwei ein Auto vor meinem Schlafzimmerfenster anhielt (also kurz vor der Straßensperre zum Klinikgelände), das bei offenem Fahrerfenster die Wummermusik so laut gestellt hatte, dass die Hausmauern davon schier bebten. Das riss mich aus so tiefem Schlaf, dass ich zwar erstmal mein Fenster schloss, aber mir detailliert vorstellte, wie ich im Nachthemd vors Haus ging und den Mann am Lenkrad fragte, was ihn wohl zu diesem Verhalten bewegte (eher neugierig als aufgebracht).

Dennoch fühlte ich mich beim Aufwachen vor dem Wecker halbwegs erfrischt, frisch war auch der Morgen.

Nochmal Balkonkaffee auf dem Küchenbalkon, ich nutzte für den angekündigten Hitzetag eine weitere Chance, ein diesen Sommer noch ungetragenes Kleid anzuziehen – nicht nur ärmellos, sondern gleich ein Trägerkleid!

Die Morgenfrische nutzte ich im Büro für Durchzug und Temperierung: Funktionierte wunderbar, ich musst den ganzen Tag weder schwitzen noch frieren.

Mittagscappuccino bei Nachbars, Mittagseinkäufe auf dem Markt am Georg-Freundorfer-Platz. Leider macht der von mir bevorzugte Bodensee-Stand wohl gerade Sommerpause, ich musste die gewünschten Zwetschgen am gestern einzigen Obst- und Gemüsestand mit entsprechend langer Schlange besorgen. Lufttemperatur gut erträglich, der immer noch leicht kühle Wind half – aber in der Sonne wollte ich wirklich nicht sein.

Mittagessen: Eingeweichtes Muesli mit Joghurt, dann Feigen und eine (gute!) Aprikose.

Nachmittags hatte ich einiges zu tun, leider machte mein Kreislauf Sperenzchen.

Heimweg in der größten Hitze des Tages, ich ging lieber langsam. Im Vollcorner besorgte ich die restlichen Posten auf der elektronischen Einkaufsliste, die Herr Kaltmamsell noch nicht erledigt hatte.

Daheim schnelles Auspacken, fürs Brotbacken am Freitag setzte ich den Roggensauerteig an.

“Abgedeckt 12-14 Stunden von 30 Grad auf Raumtemperatur fallend reifen lassen” erledigte ich gestern einfach per Draußen, die Temperaturkurve sollte stimmen.

Fürs Auskosten des Sommerabends hatte ich in der Rustikeria im Müller’schen Volksbad reserviert: Ich wollte Herrn Kaltmamsell die dortige florentiner Spezialität Schiacciata vorführen, reich belegtes Fladenbrot. Wir nahmen eine Straßenbahn zum Deutschen Museum, für rasches Gehen oder Radeln war es mir zu heiß.

Wieder beobachtete ich Fächereinsatz in freier Wildbahn (unter anderem an einem Herrn einen besonders eleganten schwarzen Fächer), mir fiel auf: Hiesige Fächernutzer*innen neigen dazu, ihn nicht ganz aufgeklappt zu fächeln, also eher in Form eines großen Tortenstücks denn als Halbkreis. Das geht natürlich nur, wenn man ihn nicht so hält, wie ich es in Spanien gelernt habe, also nicht mit Daumen nach vorn, Fächerunterseite in der Handfläche – sondern eher in den Fingerspitzen.

Das Müller’sche Volksbad ist immer noch eingerüstet, die Gemütlichkeit des schönen Vorhofs leidet natürlich darunter: Dennoch ließ ich mich gern mit Herrn Kaltmamsell dort nieder. (Reservierung war eine gute Idee gewesen, alle Tische besetzt.)

Nach einem Hugo zum Einstieg ins lange Wochenende gab es Kochschinken u.a. mit scharfer Sauce bei mir, bei Herrn Kaltmamsell vor allem gegrilltes Gemüse als Füllung – die Hauptrolle spielt aber das herrliche Brot. Dann noch ein Glas toskanischen Weißwein Fumaio, abschließend für mich Tiramisu, für Herrn Kaltmamsell einen Cynar Spritz.

Dazu wurden wir umwölkt von Rauch aus kleinen Alutöpfchen, die am Boden standen: gegen die Wespen, wie die Bedienung erklärte. Die waren reichlich unterwegs: Wir achteten darauf, nie ohne hinzusehen von unserer Schiacciata abzubeißen.

Die Hitze war jetzt verschwunden, in der Abenddämmerung herrschten aber weiterhin sommerliche Temperaturen. Wir bummelten so lang wie möglich entlang der Isar nach Hause, zwischen vielen, vielen anderen, die den Sommerabend auskosteten.

Die Boazn unter der Ludwigsbrücke.

Die bronzene Bukolika (im Volksmund “Isarnixe”) von Martin Mayer hat eine gemalte Schwester im Fußgängertunnel bekommen.

Noch ein Monsterchen! Dieses unter der Corneliusbrücke.

An der Reichenbachbrücke bogen wir in die Fraunhoferstraße: Menschentrauben vor jedem der vielen Lokale entlang der Straße, die Luft glitzerte vor Geselligkeit.

Dennoch war ich froh, zurück in die deutlich kühlere Wohnung heimzukommen. Noch eine Runde Schokolade als Dessert 2, bei geschlossenen Fenstern und Türen ins Bett.

§

T. Kingfisher, Nettle and Bone

Dass wir uns in einer nicht-realistischen Erzählung befinden, verrät schon das Titelbild meiner Ausgabe des Romans von 2022. Dass darin eine Ich-Erzählerin, Marra, jemanden umbringen will, bekommen wir ebenfalls schnell mit, in der deutschen Übersetzung bereits durch den Titel Wie man einen Prinzen tötet. Diese Erzählerin ist eine Prinzessin in einer unbestimmten Elektrik-freien Vergangenheit (in der meinem Gefühl nach auch Grimms Märchen spielen), und durch sie erfahren wir, dass mit dem Prinzessinnentum zwar eine Menge Privilegien verbunden sind (aufwachsen ohne Arbeitszwang, und jeden Tag wird Fleisch serviert!), aber auch eine Menge Zwänge: U.a. politische Ehe, Fortpflanzungsdruck. Eine Schwester der Erzählerin hat es besonders schlimm erwischt, und der will Marra zu Hilfe kommen: mit Mord.

Überirdische Kräfte spielen dabei eine große Rolle, allerdings auf eine Art und Weise, die ich als unkonventionell empfand und sehr mochte: Die Zauberinnen sind sich ihrer Seltsamkeit bewusst und der Komik, die darin steckt – die Art Komik, die ich bei Terry Pratchet immer schätzte. Mit ähnlich reflektierter Perspektive werden Themen wie Heldentum und Macht eingebaut. Zeitgemäß wirkten auf mich das Zulassen von Grauzonen und der Respekt vor Vielfalt sowie persönlicher Entscheidung (wieder assoziierte ich Terry Pratchett). Schöner Roman, wenn man sich auf das nicht-realistische Setting einlassen kann.

Vermutlich bin ich durch die Kurzrezension von Kathrin Passig auf Goodreads draufgekommen: “Angenehm unglamouröse Heldinnen (zwei sind alt und die dritte ist meistens ratlos)”. Empfehlenswert auch die längere Besprechung auf NPR von Caitlyn Paxson:
“‘Nettle & Bone’ creates a once-upon-a-time that is familiar, yet original”.

Nettle & Bone rounds up all the secondary (and let’s face it, more interesting) characters of fantasy lore and gives them the chance to save the day on their own terms.

§

Interessante Ansätze aus der Verhaltensforschung vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung: Ralph Hertwig und Stephan Lewandowsky schreiben über
“Das Paradox des Erfolgs der Demokratie”.

Warum wir Warnsignale für die Autokratisierung übersehen und Katastrophen nicht einschätzen können.

Die Zusammenfassung:

  • Persönliche Erfahrungen: Individuelle Erlebnisse beeinflussen die Wahrnehmung von Risiken, was dazu führt, dass seltene, katastrophale Ereignisse als unwahrscheinlich angesehen werden.
  • Kollektive Gleichgültigkeit: Aufgrund stabiler Demokratien in Westeuropa seit 70 Jahren haben Bürgerinnen und Bürger keine Erfahrungen mit autokratischen Regimen, was zu einer gefährlichen Skepsis führt.
  • Simulation von Erfahrungen: Um das Bewusstsein für die Gefahren autokratischer Regime zu schärfen, könnten Simulationen und Erfahrungsberichte von Betroffenen hilfreich sein.

Ich empfehle aber die Lektüre des ganzen Aufsatzes.

Einen einmaligen Konventionsbruch durch Spitzenpolitiker und -politikerinnen wird die Öffentlichkeit in der Regel nicht als demokratiegefährdend wahrnehmen. Wenn jedoch toleriert wird, dass demokratische Normen wiederholt durch die politische Führungsschicht verletzt werden, wenn rhetorische Grenzüberschreitungen eskalieren, wenn eine Flut von Lügen und manipulativen Behauptungen zur „Normalität“ wird und die Öffentlichkeit versäumt, die frühen Anzeichen eines solchen Verhaltens an der Wahlurne abzustrafen, kann dies drastische Folgen haben. Ähnlich wie der Betrieb eines Atomkraftwerks so lange als sicher gilt, bis das letzte Sicherheitsventil ausfällt, können auch Demokratien den Anschein von Stabilität bis zu dem Zeitpunkt aufrechterhalten, an dem die Schwelle zur Autokratie überschritten wird.

§

Und nochmal das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung:
“Demokratie in den Play-offs”.

Etablierte Demokratien geraten zunehmend unter Druck – und erodieren. Erst langsam, unbemerkt und mit einem Mal rasend schnell. Welche Effekte besonders fatal wirken und wie eine Gesellschaft der Entwicklung begegnen kann.

Schockierende Entwicklung:

Mittlerweile leben viel mehr Menschen in Autokratien als in Demokratien – und zwar 72 Prozent der Weltbevölkerung.

Das hat das V-Dem (Varieties of Democracy) Institut in Göteborg für die Saison 2024 ermittelt.

Besonders spannend finde ich die Untersuchungen von Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität, zu Social Media:

Dass etablierte Demokratien mit dem Aufkommen sozialer Medien vor 15 Jahren zunehmend unter Druck stehen, ist für Verhaltensforscher kein Zufall. Bereits 2022 hat ein Team um Ralph Hertwig gezeigt, wie die Nutzung digitaler Medien – vom Post auf X und Co. bis zum Kommentar unter einem Online-Artikel – und wichtige Dimensionen liberaler Demokratien zusammenhängen. „In Autokratien und sich entwickelnden Demokratien kann der Austausch im Internet durchaus positive Effekte haben, etwa für politische Teilhabe und Zugang zu Informationen“, berichtet Politikwissenschaftlerin Lisa Oswald, Forscherin am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, die mit Hertwig rund 500 Forschungsarbeiten ausgewertet hatte.

„In etablierten Demokratien zeigen sich indes auch diverse Gefahren. Viele Studien finden Zusammenhänge zwischen der Nutzung digitaler Medien und geringem Vertrauen in die Demokratie und ihre Institutionen, stärkerer Polarisierung und Zustimmung für populistische Akteure“, sagt Oswald. 2025 überprüften – replizierten, wie es im Fachjargon heißt – andere Forschende diese Effekte auch in Studien, die bis 2024 veröffentlicht wurden, und bestätigten sie. Polarisierende Beiträge erzeugen typischerweise größere Reichweiten durch ein Geschäftsmodell, das Aufmerksamkeit belohnt und monetarisiert. „Zusätzlich wird die Mehrheit politischer Inhalte in sozialen Medien von einer kleinen, aber hochaktiven Minderheit erzeugt – die aber sehr sichtbar ist“, erklärt Lisa Oswald. So können Räume von Gleichgesinnten entstehen, die sich gegenseitig verstärken und mehr und öfter Inhalte produzieren als die moderate Mitte, die eher schweigt.

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„Wir beobachten eine erschöpfte Gesellschaft“, sagt Hertwig. Eine beträchtliche Anzahl von Menschen ignoriert Fakten, boykottiert Qualitätsmedien und bezieht politische Informationen allein aus den sozialen Medien. „Unsere Fähigkeit, kritisch zu denken und zu hinterfragen, gerät durch die Flut an Nachrichten, Krisen und Regelbrüchen an ihre Grenze.“ Hertwig untersucht Wege, unsere begrenzten kognitiven Ressourcen besser einzusetzen. Er verwendet den Begriff des „citizen choice architect“, wonach jeder Mensch Architektin oder Architekt der eigenen unmittelbaren Umwelt ist – gerade und vor allem im Digitalen. „Es gibt eine Menge von kleinen, aber wirkungsvollen Änderungen, die wir vornehmen können, um uns zum Beispiel vor Falschinformation, Manipulation und der Enteignung unserer Aufmerksamkeit im Internet schützen können.“

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Bislang habe ich meine Speicher- und Back-up-Routine (heimisches NAS, zwei externe Festplatten) immer ein wenig verschämt damit erklärt, dass ich “Cloud”-Speichern (also Firmen-Servern, die irgendwo anders stehen) einfach nicht traue. Jetzt weiß ich: UND ich spare eine Menge Strom.
Miriam Vollmer erklärt das in einem Thread auf Bluesky anlässlich der offiziellen Bitte in UK, wegen der aktuellen Dürre Fotos aus Clouds zu löschen.