Mein merkwürdigster Ferienjob

Dienstag, 3. Februar 2004 um 13:22

Don Dahlmann ist natürlich mal wieder nicht zu übertreffen: Vaseline-Schmelzer bei Penaten ist wirklich ein Stück Vergangenheit, das für die Nachkommen konserviert gehört. Ich bin zwar schwer versucht, mit „Aktmodell für eine lokale Künstlergruppe“ gegenzuhalten, aber erstens wäre das billig (da hätte Don ja gleich „Porneaux Filmkritiker“ nehmen können), zweitens war ich zu meiner Akt-Zeit bereits in festem Lohn und Brot, 20 Jahre alt, und der Job war hauptsächlich Teil meiner (langfristig erfolglosen) Kampagne „ich freunde mich mit meinem dicken Körper an“.

Erinnernswerter ist da schon der Sommer, in dem die Redaktion, in der ich sonst die Semesterferien über Urlaubsvertretung machte, mich nicht brauchen konnte. Ich war gottsfroh, bei Audi zu landen. Mein Job als „Werkstudentin“ (keine Ahnung, warum die Ferienjobber dort bis heute so heißen) war in der Lackiererei, Qualitätssicherung.

Der Arbeitsplatz lag so richtig mitten in einer der riesigen Produktionshallen. Er erinnerte ein wenig an eine Pferdebox: Ein schulterhohes Metallgestell umgab eine gut autogroße Fläche, die an einer Seite offen war. An dem Gestell waren Scheinwerfer befestigt, über die offene Seite wurden frisch lackierte Karossen eingeschoben. Der väterliche Meister (es war die Audi-Ära der grünen Meisterkittel), der sein Kabuff gleich nebenan hatte, gab mir einen weißen und einen schwarzen dicken Wachsmalstift, ein Klemmbrett mit Formularen und ein Prüfgerät in der Größe eines Kassettenrekorders.

Sechs Wochen lang war es meine Aufgabe, Karossen in das Gatter zu schieben und die Lackierung zu überprüfen. Einschlüsse und Unregelmäßigkeiten umkringelte ich mit dem Wachsstift (weiß für dunkle Lacke, schwarz für helle). Das Gerät war dazu da, die Dicke der Lackschichten zu messen. Alle Ergebnisse und Funde trug ich in ein Formular ein, das ich an der Karosse befestigte, bevor ich sie zurück auf die Fertigungslinie schob. In der Nebenbox arbeitete ein festangestellter alter, dürrer Mann in blauem Kittel. Vielleicht war er gar nicht so alt, aber sein fehlender Arm sah nach Kriegsverletzung aus, Jahrzehnte langer Alkohol-Abusus hatte seinen Teint korrodiert.

Der große Haken: Über den Tag verteilt sollte ich sechs Karossen überprüfen. Pro Karosse brauchte ich selbst bei peinlichst genauer Untersuchung höchstens 25 Minuten. Damit musste ich aber täglich siebeneinhalb Stunden füllen – netto, denn Pausen wurden addiert. Ich war schlicht unterbeschäftigt bis weit über die Schmerzgrenze.

Also nahm ich schon bald ein Buch mit in die Arbeit und stellte mich lesend an das Metallgestell. Keine gute Idee: Der Meister wies mich darauf hin, dass ein vorbeilaufender Abteilungsleiter aus meinem Lesen schließen könnte, dass nicht genug Arbeit für zwei Qualitätsprüfer da sei (richtig!) und eine Stelle streichen könnte (das wollte ich natürlich nicht).

Somit verwandte ich sechs Wochen lang all meine Energie darauf beschäftigt zu erscheinen. Ich hatte nie einen anstrengenderen Job. Zehn-Minuten-weise verkroch ich mich in einen der Brotzeiträume bei den Werkstätten im Keller zum Lesen. Dann musste ich mich mal wieder blicken lassen. Ich setzte einiges an Ehrgeiz daran, die Karossen immer noch gründlicher zu kontrollieren. Aber irgendwann gab es Reklamationen, weil alle Karossen, die ich geprüft hatte, fast flächendeckend von Wachsmal-Kringeln überzogen waren. In meiner Not hatte ich sogar besonders glatte Flächen angekringelt: Derart überglatt, das konnte doch nicht normal sein? Das musste doch auf einen Fehler in der Programmierung der Spritzroboter hindeuten? Ich begann mich zum Zeitvertreib intensiv mit Lackiertechniken im Markenvergleich und aus historischer Perspektive zu befassen. Doch als Quelle hatte ich nur Kollegen, die entweder tatsächlich etwas zu tun hatten oder mir bei aller Freundlichkeit bedeuteten, dass ich sie nervte.

Ich sehnte mich inbrünstig nach den Lokalredaktionen meiner Zeitungsjobs, nach den Scharmützeln mit Freien Mitarbeitern („So ungekürzt veröffentlichen, da ich eigens zu dem Termin gefahren bin!!!“), nach der Gänsehaut über Vereinsfotos, nach der Behäbigkeit eines Monopolblattes. Ich spürte, wie mein Hirn über die Wochen hinweg in Stand-by-Modus fiel, überfordert von Leere.

Und deswegen werde ich nienienie mehr bei Audi arbeiten.

Einen echten Nutzen hatte der Job dann doch: Ich durfte die speziellen Wachsstifte mit nach Hause nehmen. Und nutzte sie, um eines Nachts einem Freund auf die Motorhaube seines roten Citroën 2CV einen Brief zu schreiben.

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Nachtrag:
Da sie selbst sicher versuchen wird es zu verschweigen:
Übertroffen wird Don Dahlmann allerdings in Jobs von Lyssa, die sich bei einer Weihnachtsbaumbörse als Moderatorin verdingte.
Zu lesen in mehreren Teilen:
(1) (2) (3) (4)
Schrieb hier nicht kürzlich irgendwer in den Kommentaren, dass das Internet nichts vergisst…?

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Mein merkwürdigster Ferienjob“

  1. Heiner meint:

    Vielleicht liegt es an der Industrie (Auto), vielleicht an der Unternehmensgröße (Konzern) aber ich habe als echter Werkstudent ähnliche Erfahrungen gemacht:
    VW in Wolfsburg, fast fertiggebackener Elektro-Ing und dann im Einsatz als Praktikant, den man gerne noch einmal Zahlenkolonnen kontrollieren läßt, die andere Experten schon zigmal aufaddiert hatten. Highlight war dann der Aufenthalt in einer Elektrowerkstatt, wo die Kollegen mit einem Elektrokarren durchs Werk fahren konnten. Da habe ich dann viel gesehen, was auf der normalen Besichtigungstour (Autostadt…) bestimmt nicht auf dem Plan steht.
    Zeitweise war aber der Frust so gross, dass ich bei jedem VW-Golf, den ich sah, Magenschmerzen bekam. (Kennt noch einer das Sondermodell "Bistro"?). Und den Gedanken "wenn ich jetzt diese Anleitung langsam lese – bei einer Seite pro 5 Minuten – komme ich da bis zum Feierabend gut mit durch".. kenne ich auch gut ;-)

  2. Lyssa meint:

    Meine Hochachtung für die Aktmodellerfahrung. So wäre ich feiges Stück mit meinen Liebe-Deinen-Körper-Versuchen nie und nimmer gegangen.
    Und was meine Vita betrifft: Himmel, wer konnte denn ahnen, daß Sie so weit in meiner unrühmlichen Vergangenheit rumwühlen würden. Das Internet mag nichts vergessen, dafür vieles in hinteren Winkeln verstecken, aber Frau Kaltmamsell sieht alles.

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