„Ich habe das Gefühl im Winter sind die Menschen schöner“, schreibt elle aus dem Blauen.
„Wie Recht sie hat“, dachte ich zum Beispiel auf der Bahnfahrt nach Hamburg. Der Mann da am Bahnsteig: Wenn er statt Boxershorts (die seine Krampfadern freilegen), ausgeleiertem T-Shirt und Schlappen (die die Schwielen und den abgebrochenen Zehennagel an seinen Füßen sichtbar machen) Jeans, Pulli und Turnschuhe trüge – dann wäre er nicht halb so abstoßend. Auf die „Bingo Wings“ (böse Isa!) an den Oberarmen der alten Frau neben mir im Zug würde ich gar nicht erst aufmerksam, trüge sie winterlich lange Ärmel. Die Unterschenkel der Frau vor mir erinnern mich in ihrer Vielfarbigkeit ans Nil-Delta; ihre Sandalen trägt sie glücklicherweise mit blickdichten Pornosocken.
Oder die Sekretärin einer Nachbarabteilung, deren Anblick ich sonst in der Kantinenschlange so genieße: Sie hat eine wunderhübsche Figur, einen langen Hals, edle Haltung. Doch auch in diesem Sommer muss ich mich wegen ihrer tiefen Rückenausschnitte oder Trägerhemdchen damit befassen, wie sehr Menschen auch weit jenseits der Pubertät unter schwerer Akne leiden können.
Bei Sommer-Temperaturen fällt mir erst auf, wie gerne ich Menschen anschaue – weil es mir plötzlich viel weniger Freude bereitet.
Überhaupt: Woher stammt nur die Illusion, jedes Steigen der Hitze müsse eine Verminderung der Kleidung nach sich ziehen? Bis zur Kurzärmelphase (etwa 26 Grad) mag das noch stimmen, aber empfiehlt es sich danach nicht eher, dem Beispiel von Wüstenbewohnern zu folgen und viel locker sitzende Baumwolle oder Leinen zu tragen? Empfinde nur ich es als angenehm, wenn mich längere Ärmel und Hosen bei Hitze davor bewahren, mit nackten Armen und Beinen an mir selbst zu kleben?