Meritokratie? Nein danke.
Freitag, 22. Juni 2007 um 8:29Jetzt kostet das Studieren also auch in Deutschland Geld. Kritiker verweisen darauf, dass das diese finanzielle Belastung Menschen mit bildungsarmem Familienhintergrund noch weiter von Unis fernhalten wird.
Ein bisschen Ausgleich könnte der Erlass von Studiengebühren für sehr gute Abiturienten und Studenten schaffen – möchte man meinen; finanzielle Erleichterung gegen Leistung. Regensburg zum Beispiel plante laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung von vergangenem Montag („Wettbewerb der Wohltäter“, nicht online verfügbar), guten Studenten die Studiengebühr zurückzuzahlen.
Und jetzt kommt das, weswegen ich den Artikel seither nicht aus dem Kopf bekomme:
Die Regensburger Pharmazie-Studenten jedoch hat die Befreiung für wenige nicht überzeugt. Sie lehnen die Förderung von „Musterschülern“ ab. Auch an der Universität Bonn scheiterte das Modell am Widerstand der Studierenden. Die große Masse sah nicht ein, warum sie mit ihren Gebühren die „Streber“ mitfinanzieren sollten.
Stimmt irgendwas mit mir nicht, weil mich diese Argumentation fassungslos macht? Dass ich darin die ultimative Pervertierung des Genöhles sehe, „wir“ würden „mit unseren Steuern“ über die Sozialzuschüsse des Staates „Schmarotzer“ durchfüttern? In diesem Fall nicht Schmarotzer durch Untätigtkeit, sondern durch Fleiß.
(Und dass ich insgeheim hoffe, die fehlende Online-Verfügbarkeit des Textes könnte ein Indiz sein, dass er schlampig recherchiert war und die zitierten Aussagen gar nicht stimmen…)
15 Kommentare zu „Meritokratie? Nein danke.“
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22. Juni 2007 um 10:06
Vielleicht verstehe ich hier etwas falsch: Sie schreiben oben von »zurückzahlen« und von »erlassen«. Wann soll denn die Rückzahlung erfolgen? Wenn der Student ein Vordiplom mit lauter Einsern hingelegt hat? Oder nach jedem Semester? Wer bestimmt überhaupt, was eine gute Leistung ist?
Ich bin aber auch der Meinung, dass ein Modell des Erlasses für talentierte Studenten nicht funktionieren wird. Besser wäre eine Förderung der Begabten (Stipendien nach Leistung), wodurch diese Studenten es dann leichter haben, die Studiengebühren zu zahlen.
Übrigens geht es hier (meiner Meinung nach) nicht um den »bildungsarmen«, sondern um den »finanzarmen« Hintergrund eines Studenten. Längst nicht alle akademisch gebildeten Eltern können 500 Euro Studiengebühren erübrigen. Dagegen gibt es durchaus Nicht-Akademiker, die diesen Betrag für ihre Kinder gern und problemlos aufbringen.
22. Juni 2007 um 10:19
Ich bin ganz Ihrer Meinung. Kurzes Beispiel, wie das Ganze in Frankreich abläuft. Dort werden Stipendien und Erlasse von Studiengebühren nach einem kombinierten System durchgeführt. Gute und sehr gute Abiturienten aus sozial schwächeren (= ärmeren) Familien bekommen leichter Stipendien und dadurch auch die Studiengebühren erlassen. Wenn der Student dann den ersten Abschluss hat und weiter studieren will, muss sich wieder für Stipendien bewerben, die nach Leistung und sozialer Lage vergeben werden. So ist für “Qualitätskontrolle” und sozialen Ausgleich gesorgt – jedenfalls einigermassen.
Und, soweit ich mich erinnere, hat sich niemand daran gestört. Nur so, falls das zu Ihrer Reflektion was beitragen kann.
22. Juni 2007 um 10:24
Die vorgeschlagenen Rückzahl-Modelle, Stefan, sind laut dem Artikel je nach Uni verschieden. Selbst Leute mit besonders gutem Abitur müssten in einem davon erst mal zahlen und bekämen die Gebühr dann im Lauf des Semesters zurück.
Und bei allen Ausnahmen sind statistisch in Deutschland Bildungshintergrund und Finanzen der Eltern eng verknüpft.
22. Juni 2007 um 10:35
Die zitierten Aussagen können Sie schon glauben. Die sind teilweise sehr missgünstig untereinander. Ich erlebe das leider jeden Tag.
22. Juni 2007 um 10:36
ziemlich unglücklich formulierungen, wie so oft. was mich stört, ist nicht so sehr das prinzip “gute leistung – erlass der gebühren”, sondern dass bei diesem modell keine rücksicht auf besondere gegebenheiten genommen werden kann.
will oder muss während des studiums gearbeitet werden, können da schon interessenskonflikte entstehen. oft ändern sich ja auch aus unverschuldeten gründen die sozialen umstände, was passiert dann?
als ich zu studieren begann, war gerade studienreform, zwar beschlossen aber noch nicht fertig durchdacht und daher nicht exekutierbar – eigentlich. aber schnecken: drei pflichtvorlesungen an zwei orten zur gleichen zeit. praktischerweise vorlesungen von montag bis samstag, jeweils beginn um acht uhr früh, samstag ende zwölf uhr. 68 wochenstunden. wenn man etwas nicht schaffte (weil gleichzeitig mit einer anderen, siehe 3 vorlesungen gleichzeitig), dann konnte man das nach fünf semestern gerne wiederholen. nebenbei musste ich noch ein wenig geld verdienen, fragen sie mich bitte nicht wieso ich kein stipendium bekam und dann, als ich auch noch ein kind hatte aufhörte zu studieren.
seitdem verfolge ich immer wieder mit grossem interesse wie das alles so läuft, und bin nicht davon zu überzeugen dass es viel besser geworden ist. diese dingsdas mit gebühren und numerus clausus etc. sind nicht wirklich hilfreich, denke ich.
22. Juni 2007 um 11:00
Der Erlass darf jedenfalls nicht zu Lasten der anderen Studenten gehen. Es ist besser, wenn der Begabte mit dem Geld ausgestattet wird und dann genauso zahlt wie alle anderen. Wenn er nämlich nicht zahlen müsste, ginge noch der letzte Rest von Zusammenhalt unter den Studenten verloren.
In der Tendenz wird jedenfalls die finanzielle Ausstattung einer Familie immer mehr vom akademischen Abschluss der Eltern entkoppelt. Das sieht man einerseits am akademischen Prekariat und andererseits an den vielen finanziell gut abgepolsterten Meistern, Technikern und Betriebswirten, die in erfolgreichen Unternehmen arbeiten. Zwischen dem Einkommen eines Akademikers ohne ordentlichen Job und dem Einkommen eines Meisters beim Daimler liegen Welten …
Ich würde auch Leuten mit sehr gutem Abitur nur bis zum Vordiplom einen Vertrauensvorschuss geben. Die Abiturnoten sagen nämlich immer weniger über das Können eines Studenten aus. Übrigens: wie will man eigentlich bewerten, ob der Abiturient in einem leistungsstarken oder leistungsschwachen Bundesland Abitur gemacht hat? Wenn es denn um so viel Geld geht, müsste man das ja unbedingt mit einbeziehen …
Mir ist das alles zu unausgegoren. Vielleicht wäre ein gut durchdachtes Kreditmodell für Studiengebühren doch am besten. Der begabte Student hat es dann bei der Rückzahlung wesentlich leichter. Allerdings müsste das dann unter einer strengen Finanzaufsicht stehen, um das »Abzocken« der Studenten zu vermeiden.
22. Juni 2007 um 13:24
Statt Meritokratie die Diktatur des Mediokren? Die Kernaussge des Artikels scheint mir doch der zu sein, daß Neid auf gute Leistung eine Belohnung verhindert. Bemerkenswert finde ich das auch. Ob man die Belohnung nun als (Vertrauens-)Vorschuß oder im Nachhinein gewährt, beibt zu diskutieren. Aber darum ging es ja wohl im Artikel auch nicht.
22. Juni 2007 um 13:46
Definiere bitte zuerst »gute Leistung« ;-)
Das beginnt doch schon damit, dass es sehr unterschiedliche Arten von Spitzenstudenten gibt: manche sind altruistisch veranlagt und helfen in Lerngruppen ihren Kommilitonen und manche sind eben eher egoistisch veranlagt, die würden nie jemandem eine Antwort geben.
Mit altruistischen Spitzenleuten hätte die Studentenschaft sicher kein Problem. Einem Egoisten würden sie sicher freiwillig keinen Cent abgeben und das hat nichts mit der Diktatur der Mittelmäßigen zu tun, sondern es ist aus Sicht der Studierenden absolut verständlich. Wenn sie aber diese Wahl überhaupt nicht haben, ist die Ablehnung des Konzeptes folgerichtig.
Ich finde, dass die Konstruktion »Förderung der einen durch Mehrbelastung der anderen« gründlich hinterfragt werden sollte. Die Ausgestaltung dieser Konstruktion zu allgemein akzeptierten Bedingungen erscheint mir nicht möglich.
22. Juni 2007 um 13:53
Von den Zweifeln an der Möglichkeit der Umsetzung dieses Entwurfes aufgrund mangelnder Objektivierungskriterien abgesehen: Mir scheint einmal mehr eine ordentlich Portion Neid hinter dem Verhalten dieser Studenten zu stehen. Wie haben Sie unlängst zitiert ? “Niveau sieht nur von unten gesehen wie Arroganz aus.”
22. Juni 2007 um 14:01
Es stimmt traurig wenn in der “wissenschaftlichen Gesellschaft” eines Volkes Leistung als ein zu stigmatisierendes Verhalten mehrheitsfähig ist oder dafür gehalten wird.
Als Handwerker und Vater eines Kindes welches von diesem ausser den Leistungen zur Finanzierung der Primärbedürfnisse keine Zuwendungen erhielt. Kein BAFÖG, während des Studiums. Fern der Heimatstadt in diversen Büros arbeitete und damit die beruflichen Einstiegschancen nach dem Studium wesentlich verbesserte. Der Leistungswille auch zu einem Auslandsstudium führte und letztendlich nun über die Steuerkraft der Gesellschaft die Bildungskosten teilweise refinanziert. Als Vater dieses Kindes, der eigentlich nicht wollte daß dieses studiert, mutet Ansatz und geistiger Hintergrund dieser Diskussion nicht als leadership befähigend an. Hoffe daß sich leistungsbewußte und zielführend Studierende nicht vom Terror der letzten Bank bzw. vom schon zitierten akademischen Prekariat unterkriegen lassen .
22. Juni 2007 um 15:48
Wenn allzu deutliche typographische Auszeichnung nicht verpönt wäre, würde ich es sehr deutlich formatieren: Leistung muss honoriert werden und den Besten darf das Studium nicht wegen 500 Euro verwehrt bleiben. Aber es gibt bessere Möglichkeiten und eine habe ich selbst miterlebt.
In unserer Hochschule war es damals üblich, dass jeweils die Besten eines bestimmten Fachs für eine festgelegte Tutorentätigkeit als studentische Hilfskräfte bezahlt wurden. Möge man doch den besten Studenten eine etwas höhere Summe dafür bezahlen, so dass am Ende des Semesters die Studiengebühren dabei herausspringen. Dann haben eigentlich alle etwas davon. Ich kann nur sagen, dass mich die sechs Semester als Tutor wirklich wesentlich weitergebracht haben und dass ich in anderen Fächern von guten studentischen Tutoren sehr profitiert habe.
Es soll also eine Lösung gefunden werden, die dem Leistungsprinzip entspricht. Aber Leistung kann nicht auf die oben beschriebene Weise honoriert werden und den [finanziell bedürftigen] Besten ist mit dieser Scheinlösung nicht geholfen. Aus der Tatsache der Ablehnung kann man nicht unbedingt schließen, dass die Studenten auf ihre besten Kommilitonen neidisch sind. Vielleicht passt ihnen auch nur das Verfahren der Leistungsbewertung nicht?
@Richard: »Akademisches Prekariat« hat nicht in jedem Fall mit mangelnder Leistung zu tun, sondern eher mit mangelnder Fähigkeit oder Möglichkeit, die Leistung auch zu verkaufen.
22. Juni 2007 um 18:13
Ich sehe die Neiddebatte hier auch nicht. Wer gegen Studiengebühren ist, kann ja wohl schlecht für die Erlassung derselben für die Leistungsspitze sein.
Die Leistungsspitze besonders zu fördern ist ja nicht zwangsläufig damit verknüpft, das mittlere Leistunsgspektrum zusätzlich zu belasten.
Belohnung und zusätzliche Anreizsysteme für Höchstleistungen, bitte gerne!
Dem Mittelfeld die Leistungsgrundlagen immer mehr zu erschweren – Nein Danke.
22. Juni 2007 um 21:52
Mit Neiddebatte hat das m.E. eher wenig zu tun. Eher damit, dass der tiefere Sinn der Universität, nämlich eine Bildung über die reine Berufsausbildung hinaus, durch derartige Vorschläge unterhöhlt wird.
Leistungsdruck ist ja OK, aber wenn man sich mal anguckt, wie extrem das intellektuelle Niveau der Studenten durch die Ba/Ma-Einführung abgerutscht ist, da können einem schon Zweifel kommen.
Das Problem ist, dass viele Inhalte, die zum tieferen Verständnis eines Fachgebietes nötig sind, in den regulären Veranstaltungen nicht enthalten sind. Und wenn man jetzt die veranstaltungsbezogenen Leistungen zusätzlich noch als Maßstab für nen Studiengebührenerlass heranzieht, bezahlt man die Leute praktisch für das Wettrennen um geistige Verarmung. Und das ist nicht der Sinn der Sache.
Streng genommen gibt es an den deutschen Unis gar nicht die Strukturen, mit denen sich eine sinnvolle Elitenförderung betreiben ließe. Und das ist die Crux.
Die Studenten sind vor allem deswegen dagegen, weil sie am eigenen Leib erfahren müssen, wie unausgegoren die Ideen größtenteils sind.
Bin ja zum Glück aus dem Theater raus; aber was im Moment an den Unis läuft ist keine Elitenförderung, sondern das Patentrezept für ein totales Desaster.
23. Juni 2007 um 0:26
Ich sehe diese Möglichkeit auch als zwiespältig, auch wenn es im ersten Moment ganz charmant erscheint. Oft genug ermöglicht nämlich das finanzstärkere Elternhaus die alleinige Konzentration auf das Studium. Wir z.B. sind zwar Akademiker haben jedoch nicht die entsprechenden Arbeitsplätze. Daher arbeitet unsere Tochter seit zwei Jahren (bis jetzt wenig) und hat gerade Abi gemacht. Da aber unser jüngerer Sohn in einem Jahr auch die Möglichkeit eines Auslandsaufenthalts haben soll, wissen wir (auch wegen vermutlich anstehender Arbeitslosigkeit) nicht, ob es uns gelingen wird unser Tochter ihr anspruchsvolles Studium zu ermöglichen, sprich sie wird mehr arbeiten müssen und vielleicht nicht so gut sein. Der gleichaltrige Sohn meiner Abteilungsleitung wird entspannt studieren können ohne die Entscheidung zwischen Praktikum und Job treffen zu müssen. Also gut durchdacht finde ich die derzeitigen Überlegungen noch nicht.
18. Juli 2007 um 23:50
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25742/1.html
Studiengebührenbefreiung aufgrund von Intelligenzquotient!
Es wird immer absurder.