Ich fürchte, ich bin der intoleranteste Mensch, den ich kenne. Diesmal will ich mit meiner Aussage nicht ein Konzept hinterfragen; ich meine das genau so. Und ich hadere sehr mit diesem Umstand. Diese Intoleranz ist kein Programm, das ich mir vornehme, sondern die Diagnose meines Verhaltens, wenn ich es aus ein wenig Distanz reflektiere.
Mein Verhängnis ist eine Einstellung, die wohl den meisten anderen als Basis für eine tolerante Grundhaltung dient: Billigung des individuellen Rechts auf Selbstbestimmung. Der Haken: Mein Verhalten deutet darauf hin, dass ich daraus eine Pflicht zur Selbstbestimmung mache und auch noch ziemlich genau festlege, wie die auszusehen hat. Toleranz ist was Anderes.
Nehmen wir das Beispiel, das oft das Nachdenken über Toleranz auslöst: die gleichgeschlechtliche Partnerschaft. In meiner Weltsicht ist sie selbstverständlich, jeder soll selbst bestimmen, mit wem er Sex hat, mit wem sie ihr Leben teilt. Doch fragen Sie mich mal zu Homophobie: Nein, ich gestehe niemandem zu, Homosexualität abzulehnen, für eine Krankheit zu halten, verächtlich zu machen – selbst wenn derjenige keinem Schwulen und keiner Lesbe persönlich dreinredet.
Andere Kulturen? Es lebe die Vielfalt! Zumal historisch gesehen kulturelle Hochblüten immer auf der Vermischung verschiedener Einflüsse basierten. Aber bringen Sie mich mal mit jemandem zusammen, der nach einer Reise darüber lästert, wie bescheuert die Regeln für gutes Benehmen in – sagen wir – Thailand sind. Dem wasche ich aber ordentlich den Kopf, weil er die Relativität seines eigenen Benimmsystems ignoriert. Von Toleranz keine Spur.
Oder Autarkie in der Partnerschaft. Ganz theoretisch gehört es zur Selbstbestimmung, wenn sich Frauen dafür entscheiden, materiell völlig von ihrem Partner abhängig zu sein. Ebenso wie eine Katholikin ganz selbstbestimmt Ordensschwester bei den Benediktinerinnen wird, sich verschleiert, sich strengen Ordensregeln unterwirft, sogar ihren eigenen Namen aufgibt. Praktisch rege ich mich furchtbar und ohne jede Toleranz auf: Kann man überhaupt selbstbestimmt sein Recht auf Selbstbestimmung aufgeben? Es ist doch auch rein definitorisch nicht möglich, meine Menschenrechte aufzugeben, oder doch? Dabei wird meine Intoleranz auch nicht durch die üblichen Selbstaussagen vermindert, die die eben beschriebenen Schritte eine „Befreiung“ nennen. (In zwei weiteren Denkschritten wären wir bei der Frage, ob es überhaupt freien Willen gibt, aber da will ich heute definitiv nicht hin.)
Und was ist mit Menschen, die überzeugt sind, der Saft einer einzigen Tollkirsche, rhythmisch vermischt mit 500 Litern Wasser, könne Fieber senken? Ein Rosenquarz um den Hals könne „Computerstrahlen einfangen“? Wieder eine ganze Reihe Menschen, denen ich mit aktiver Intoleranz begegne.
Auch in mir spiegelt sich die Haltung meiner Eltern: Sie beide hatten sehr feste und nicht verhandelbare Wertvorstellungen, an denen sie meine Erziehung streng und konsequent ausrichteten (dass in puncto Weiblichkeit die Vorstellungen meines Vaters und die meiner Mutter in Konflikt zueinander standen, hat mich ein bisschen kaputt gemacht – aber das gehört nicht hierher). Viele trage ich weiter, manche sogar konsequenter als meine Eltern, viele auch nicht, aber definitiv und offensichtlich hängengeblieben ist an mir die Metaebene: das Prinzip eherner und nicht verhandelbarer Werte. Toleranz Andersdenkenden gegenüber – das kostet mich unendlich viel Mühe. Die haben doch Unrecht!, wütet es in mir. Ich hoffe sehr, dass ich einen Weg zur Besserung finde.
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