Jeder und jede hat seine und ihre persönliche Abba-Vergangenheit; hier die meine.
Als sie noch live im Geschäft waren, fand ich Abba doof. Zum einen war ich in der Frühpubertät ein Schnösel, der lieber Beethoven hörte (und die Hitparade auf Bayern 3 am Freitag um 18 Uhr). Zum anderen war diese Kirmesmusik, als die ich sie damals empfand, für mich untrennbar mit Pferdemädchen verbunden, also mit den Altersgenossinnen, die Pferdeposter an der Wand hatten, Pferdemädchen-Schneiderbücher und Bravo lasen (nein, geritten ist fast keine von diesen Arbeiterkindern – Ausnahmen waren die echten Aficionadas, die sich mit täglichem Stallausmisten und Pferdestriegeln die eine oder andere Reitstunde erarbeiteten), ihre langen Haare mit Glitzerspangerln schmückten und die „beste Freundinnen“ hatten, mit denen sie sich tuschelnd und kichern unterhielten. Pferdemädchen fand ich sehr doof.
Anfang der 90er verbrachte ich ein Studienjahr in Wales. Und damit mitten in der Abba-Revival-Welle. Für Popmusik interessierte ich mich auch damals nicht, war aber in den Jahren davor oft vom Independent-Lärm meiner musikbegeisterten Freunde umgeben gewesen. Schlagartig genoss ich es, dass Abba-Musik Melodien und mitsingbare Refrains enthielt. Allein schon meine Hitparaden-Vergangenheit befähigte mich zum Mitsingen. Das ganze kulminierte im Summer Ball der Swansea University, auf der die australische Abba-Coverband Björn Again auftrat – stundenlanger Spaß. Zu den Abschiedsgeschenken meiner englischen Freundinnen (darunter Eva mit schwedischem Migrationshintergrund) gehörte dann auch eine Kassette mit Abba-Liedern.
Muriels‘s Wedding gehört zu meinen Lieblingsfilmen, die Tagline „She‘s not just getting married, she‘s getting even.“ ist meine liebste überhaupt. Ein weiterer Schritt Richtung Versöhnung mit Abba.
Die Verfilmung des Musicals Mamma Mia! ist ein Heidenspaß. Dass Frau Streep richtig echt ehrlich singen kann, wusste ich seit ihrem „Amazing Grace“ am Schluss von Silkwood. Doch anscheinend hatte ich mir ein wenig Busby Berkeley oder zumindest WDR-Fernsehballett erwartet, denn ich war völlig überrascht von der herzerfrischende Frechheit des Films. Statt Badender Venus gab es Taucherflossen-Ballett auf dem Bootssteg, statt Gardebeinen auf Showtreppe tanzten griechische Hausfrauen in schwarzen Schlappen. Und: Es gibt außer mir weitere Menschen, die Frauen mit Werkzeuggürteln, Bohrmaschinen und Fugenspritzen interessant finden? Keiner der Stars musste starig aussehen, keiner der Herren Pierce Brosnan, Colin Firth und Stellan Skarsgård musste für den Film Muskeln züchten oder auch nur den Bauch einziehen (und es gibt nicht nur eine Gelegenheit, das zu überprüfen). Keine der Damens wurde mit Weichzeichner verjüngt oder musste sich anmutig bewegen. Jaja, junge Leute kamen auch im Film vor. Irgendwelche.
Wie es sich für einen Musikfilm gehört, wurde viel gesungen, bei jeder Gelegenheit und von allen. Auch von denen, die nicht singen konnten. Mein tiefster Respekt geht an den deutlich hörbaren Nichtsänger Pierce Brosnan, der sich beherzt durch mindestens drei Lieder schmetterte – nicht schön, aber auch nicht falsch. Während die hinreißenden Sidekicks Julie Walters und Christine Baranski durchaus mal voll daneben langten – ist aber auch nicht einfach, die ersten Takte von „Chiquitita“ allein und a capella zu singen (vor einer Klotür, hinter der sich die Hauptfigur Donna verschanzt hat).
Von Realismus natürlich keine Spur, wozu auch. Die gemalten Hintergründe und die Studiobeleuchtung sprangen mir nicht nur einmal ins Gesicht. Die einheimischen Griechen als griechischer Chor funktionierten auf vielen Ebenen. Nichts wird richtig ernst genommen – außer Gefühlen. Und selbst die kriegen ein Augenzwinkern.
Ach, wenn Sie keine ausgesprochene Allergie gegen Abba-Musik haben, schauen Sie sich den Film an. Und wenn es nur wegen Meryl Streeps epochaler Interpretation von „The Winner Takes it all“ ist.