Archiv für Februar 2010

Journal 27. Februar 2010

Sonntag, 28. Februar 2010

Ausgeschlafen. Aus-ge-schlafen. Zwar hatte mich um halb fünf eine röhrende Amsel geweckt, doch mit etwas Geduld schlief ich danach wieder ein. Während der Einschlafphase spielte Mercedes Sosas „Todo cambia“ in meinem Kopf; mir fiel ein, dass ich ja eine Schallplatte (für die jüngeren unter meinen Lesern „Vinyl“) von Sosa im Schrank habe sowie dass der Mitbewohner einen Plattenspieler mit USB-Schnittstelle besitzt und dass ich ihn folglich bitten kann, die Schallplatte zu digitalisieren.

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Wegen des schönen Wetters umgeplant und bereits am Samstag isargelaufen. Die Strecke Thalkirchen – Pullach war zu meiner Erleichterung nur leicht matschig und mit wenigen Schneeresten garniert.

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Vor fast fünf Jahren las ich in einer Kurzgeschichte en passant von jemandem, der jeden Monat von sich ein Foto in einem Fotoautomaten aufnahm. Seither mache ich das auch.
(Gelogen: Der Stapel der resultierenden Fotos verrät, dass ich höchstens viermal im Jahr daran gedacht habe.) Doch als ich gestern an meinen Fotoautomaten im U-Bahnhof Sendlinger Tor kam, war er besetzt – das hatte ich noch nie erlebt. Als ich näher trat, sah ich, dass zwei Menschen den Automatennutzer mit einer großen Filmkamera aufnahmen; er zog gerade die Fotos aus dem Auswurfschacht und hielt sie dann in die Kamera. Ich fragte die Filmer, einen jungen Mann und eine nicht so junge Frau, ob sie wohl noch länger brauchen würden und ob ich kurz dazwischen… Selbstverständlich konnte ich. Ob sie mich wohl dabei filmen dürften? Aber gerne. Ich erzählte von meinen Monatsfotos („Und warum machen Sie das?“ „Einfach so. Um hinterher die Veränderungen zu sehen.“), wies auf einige Details der Automatennutzung hin, die ich über die Jahre gelernt hatte: „Spaßbild“ auswählen weil am billigsten (3,50 Euro), auch wenn dann die Fotos einen lustigen Rahmen haben müssen, Hocker deutlich über die angeblich ideale Marke hochschrauben, nur dann ist das Gesicht tatsächlich ideal auf dem Foto positioniert. Auch ich hielt das Ergebnis in die Kamera, wünschte noch viel Erfolg und ging dann auf Einkaufstour. Als ich fast eine Stunde später zurück kam, wurde immer noch am Automaten gefilmt.

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Auch wenn bei mir im Winter erheblich weniger Bügelwäsche anfällt als im Sommer – anfallen tut sie. Und wenn ich mich erst nach ein paar Wochen endlich zum Abarbeiten des Bügelbergs aufraffe, kann die Erledigung durchaus einen spürbaren Teil des Samstagnachmittags dauern. Wenn auch in sonnendurchflutetem Wohnzimmer.

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Ganz zauberhaft: Ein Artikel aus dem Jahr 1995 von Newsweek, “Why the Internet will fail

Then there’s cyberbusiness. We’re promised instant catalog shopping–just point and click for great deals. We’ll order airline tickets over the network, make restaurant reservations and negotiate sales contracts. Stores will become obselete. So how come my local mall does more business in an afternoon than the entire Internet handles in a month? Even if there were a trustworthy way to send money over the Internet–which there isn’t–the network is missing a most essential ingredient of capitalism: salespeople.

Ist natürlich ein billiger Lacher, im Nachhinein weiß man alles besser. Doch sich 1995 noch so weit aus dem Fenster zu lehnen, war reichlich mutig – im Jahr, in dem sowohl Amazon, als auch der deutsche ABC Bücherdienst online gingen (auch wenn ich erst drei Jahre später erstmals bei ABC einkaufte).
(via einem Retweet von @weltkompakt)

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Technisches: Derzeit wird die Vorspeisenplatte von Kommentarspamwellen überschwemmt. Ich sehe mir zwar die tägliche Ernte des Spamfilters an, damit nicht versehentlich echte Kommentare blockiert werden, doch bei diesen Mengen mag mir der eine oder andere Beifang durchrutschen. Bitte melden Sie sich bei mir (E-Mail-Adresse in der linken Spalte), wenn Ihr Kommentar nicht erscheint.

Journal 25. Februar 2010

Freitag, 26. Februar 2010

Trotz hilft natürlich kein bisschen weiter, aber es gehört zum Wesen des Trotzes, das ihm das egal ist. Seit über einer Woche wache ich früh auf, egal wann ich eingeschlafen bin. Tagsüber bin ich entsprechend müde. Zunächst versuchte ich es also mit einer halben Stunde früherem Zu-Bett-Gehen. Ich wachte noch früher auf. Also habe die letzten Tage trotzig noch lange im Bett gelesen – dazu war ich wieder wach genug. In der Folge hing ich an diesem Donnerstag derart bleischwer in der Kurve, dass ich mir einbildete, sogar die Bewegung meines Augapfels seien verlangsamt.

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Der Februar spielt Frühling. Das sonnige und milde Wetter lockte in der Mittagspause so viele Kollegen ins Draußen, dass die Kantine nur halb besetzt war.

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Feierabend schon um 17.30 Uhr, weil sich nach einem Termin beim Dienstleister die Fahrt zurück ins Büro nicht mehr gelohnt hätte. Statt dessen verwegener Ausflug mit dem Mitbewohner in eines der wenigen Lokale Münchens mit verlässlich guten Cocktails: Pacific Times. Ich finde zudem Raum und Ausstattung sehr angenehm (hier ein paar Bilder), der Mitbewohner meint sogar, so stelle er sich amerikanische Bars der 40er und 50er vor. Der Prince of Wales wurde tatsächlich im Silberbecher serviert und war schön rund und harmonisch, auch die Speisen schmeckten wieder überdurchschnittlich. Dass über der Bar ein Fernseher olympische Winterspiele zeigte (ohne Ton) und die Aufmerksamkeit der Thekengäste und der weiß geschürzten Kellner fesselte, störte zwar in meinen Augen den Gesamteindruck, ist aber möglichweise sogar Cocktailbar-authentisch.

Journal 24. Februar 2010

Donnerstag, 25. Februar 2010

Die Lilien, die der Mitbewohner zu einer Einladung geschenkt bekommen hat, duften derart durchdringend durch die Wohnung, dass ich sie sogar noch im Büro aus meiner Kleidnung zu riechen glaube.

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Kaum ist der böseste Druck aus meiner Arbeit raus, spinnt mein unzügelbares Hirn schon wieder Ideen. Die mich so begeistern, dass ich damit sofort zu Chefs rennen muss, die sich von meiner Begeisterung mitreißen lassen und mir den Auftrag erteilen, sie umzusetzen.

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Ein Abend im Theater, diesmal in Begleitung einer befreundeten Kollegin. Die erste Viertelstunde war entsetzlich, und ich begann mich bereits zu grämen, dass ich ausgerechnet, wenn ich erstmals jemanden mitnehme, in einer unerträglichen Inszenierung lande. Doch sie wurde erheblich besser, auch wenn sie anstrengend blieb. (Wieder kein Vorhang, wieder keine Pause.)

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Diesen Textausschnitt übernehme ich 1:1 und unkommentiert aus Herrn typ.os Blog (nicht öffentlich, deshalb möglicherweise zu wenigen Menschen eine Erheiterung):

Louisa-Mariephine *10.Juni 2001 (Geburtshaus)
Laurentin-Erlen *23.August 2003 (Hausgeburt)
Lovis-Merlin Elias*29.Oktober 2005(Hausgeburt)
Lemalian-Legolas*15.Januar 2009 und
Lemonja-Aimée *15.Januar 2009 (Zwillingshausgeburt – DANKE ANNA!!!)

Journal 23. Februar 2010

Mittwoch, 24. Februar 2010

Ach, der vor ein paar Jahren ausgezogene Sohn der Nachbarn gegenüber übernachtet mal wieder daheim? Wir begegneten einander beim Verlassen der Wohnung. Auf dem Weg zur U-Bahn und auf der Fahrt ins Büro gesellte er sich zu mir und erzählte von seiner bevorstehenden Zwischenprüfung. Geschichte studiert er also, der junge Mann. So viel haben wir in den gesamten elf Jahren, die ich mittlerweile in diesem Haus wohne, noch nie miteinander geredet.

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Eine ganz wunderbare Liste im Guardian: Ten rules for writing fiction. Aufgestellt von Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Meine Favoritin ist Margaret Atwood – die ersten drei Regeln werde ich künftig eisern beachten.
via Gerd Brunzemas Tweet

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Stepaerobic leider nicht so erfreulich: Die diesdienstägige vertretende Vorturnerin verdirbt mir immer den Spaß, weil sie nicht turnt, was sie sagt. Zumindest bin ich eine gute Stunde durch die Gegend gesprungen und habe mich heftig bewegt.

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In den Scienceblogs die deutsche Übersetzung einer sehr schönen Illustration des Unterschieds zwischen der Argumentationsweise der Wissenschaft und der Argumentationsweise der Homöopathie. (via Sixtus’ Getwitter)

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Mein bizarres Verhältnis zu meinen Körperformen hat eine neue Stufe von Bizarrität (Bizarrismus? Bizarrei?) erklommen: Ich fühle mich (so lange ich nicht zu oft in den Spiegel sehe) wohl, nicht dick, gesund, fast schon knackig, definitiv superfit – aber meine Kleidung kneift. Noch weiß ich nicht, was ich damit mache, denn unter den kneifenden Kleidungsstücken sind einige, die mir sehr lieb sind – das schließt ein achselzuckendes „Dann gehe ich halt eine Konfektionsgröße hoch“ aus. Gleichzeitig habe ich überhaupt keine Lust, auf Alkohol, Kohlenhydrate oder Fett zu verzichten oder deutlich weniger zu essen. Noch mehr Sport bekomme ich kaum unter. Mal sehen, welche Alternative mir einfällt.

Journal 22. Februar 2010

Dienstag, 23. Februar 2010

Wenn mich schon ein schlichter Folgetermin beim Orthopäden, an dem ich lediglich die Ergebnisse des hinzugezogenen Neurologen besprechen sollte und auf den ich vier Wochen warten musste, über zwei Stunden Arbeitszeit kostet (auf einen Termin ganz in der Früh oder am Abend hätte ich noch ein paar Wochen länger warten müssen), dann überlege ich mir in Zukunft grundsätzlich, ob Zähnezusammenbeißen nicht doch eine attraktive Alternative ist. Möglicherweise hätte mich der Orthopädentermin noch mehr Arbeitszeit gekostet, doch ich verabschiedete mich nach einer guten Stunde Aufenthalt im Wartezimmer, weil ich zu einer Besprechung musste. Ohne den Arzt gesprochen zu haben. Wird schon nichts Schlimmes gewesen sein.
(Bin ich blauäugig und man erwartet in Wirklichkeit, dass ich für einen Arztbesuch, der nicht ein akuter Notfall ist, Urlaub nehme?)

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Falls Sie es nicht eh schon tun: Gehen Sie einmal am Tag rüber zu Frau Percanta. Die Dame ist gerade bei ihrem Mann daheim in Buenos Aires und schreib täglich darüber, oft mit Bildern.

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Seit Montag vor zwei Wochen klingelte mein Berufsblackberry bis zu 15 Mal täglich ganz kurz. Anrufer waren verschiedene Nummern, die Festnetznummern alle aus Kempten (wie ich über das Googeln der Vorwahl herausfand). Das war sehr lästig, da jedes Klingeln mich hochschreckte. Selbst wenn ich es nicht gehört hatte, war ich durch den angeblich verpassten Anruf irritiert. Zunächst hatte ich eine abgefeimte Geldmachmasche dahinter vermutet, die mich zum Rückruf einer teuren Nummer bringen wollte. Gestern endlich war ich genervt genug, dass ich von meinem Büroanschluss aus eine der Nummern anrief. Die Auflösung: Eine Hausmeisterin war vor zwei Wochen verreist und hatte eine falsche Notfallnummer hinterlassen – meine. Sie scheint für ziemlich viele Leute mit ziemlich vielen Problemen zuständig zu sein. Jetzt kann ich nur hoffen, dass sich möglichst bald herumspricht, dass die Nummer nicht stimmt.

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Liest zufällig ein Typographie-Experte mit? Wie heißt denn die Schrift, die praktisch jeder umgehend mit Antroposophie in Zusammenhang bringt? Ich würde sie gerne – je nach urheberrechtlicher Lage natürlich – für ein T-Shirt verwenden.

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Ausführliche Gespräche mit meiner Lesegang über Saramagos (bin ich die Einzige, die immer „Scaramanga“ denkt?) Stadt der Blinden:
– Der Science-Fiction-Experte fand die Geschichte so schlecht konstruiert, dass er die Lektüre nach wenigen Dutzend Seiten verärgert abbrach.
– Die von Zahnschmerzen Gebeutelte wollte den Roman, dessen Lektüre sie zusätzlich seelisch gebeutelt hatte, so schnell wie möglich vergessen.
– Der Zum-zweiten-Mal-Leser sah sich vor großer Literatur, die Grundmenschliches durchspielt.
– Die Filmbegeisterte hatte mit der eigenartigen Interpunktion gekämpft, war aber von den Charakteren fasziniert und fand ebenso wie der
– Leser, der das Buch weggefressen hatte und sehr berührt war, den Schluss besonders gelungen.
– Ich hatte Die Stadt der Blinden gefesselt gelesen und fand die schillernde Erzählerstimme das Interessanteste.

Journal 21. Februar 2010

Montag, 22. Februar 2010

Ein letzter Berlintag, wieder mit Sonne. Dieser war ausgefüllt mit einem ausführlichen Frühstück, einem Redaktionsfrühstück mit einigen der Menschen hinter Common Reader. Zwei Gesichter sah ich zum ersten Mal in Echt, andere nach langer Zeit wieder.

Der schwere, große Holztisch bog sich unter Köstlichkeiten, die umsichtige Gastgeberin Modeste ließ die Ströme Tees nicht abreißen. Wir erzählten einander Geschichten, füllten ein paar Lücken, die auch nach stetiger Lektüre der zugehörigen Blogs bleiben. Und wir sprachen und lachten übers Lesen über Bücher über Bücherschreiben über Überbücherschreiben. So viele neue Gedanken, so viel Vergnügen.

Es ist natürlich müßig, mit dem Umstand zu hadern, dass München und Berlin sehr weit voneinander entfernt sind und ich mich nicht so einfach mit diesen Menschen tummeln kann. Aber ich hadere.

Auf der Rückfahrt lag der Flughafen Schönefeld immer noch am Ende der Welt. Das nächste Mal komme ich, wenn die Bäume grün sind.

Journal 20. Februar 2010

Sonntag, 21. Februar 2010

Kreuzberger Schnippsel

Der Ausblick aus meiner Unterkunft im fünften Stock der Imalofts steht hier nicht als Foto, weil das Ergebnis meiner Blackberryknipserei scheußlich ist.

Das Gebäude ist eine Fabrik aus dem 19. Jahrhundert und umschließt einen großzügigen Innenhof. Es gibt Büros, Ateliers, Werkstätten, ein angenehmes Café und einige Appartments, in denen man gegen Geld übernachten kann. Herr Mittagesser war nach Weihnachten hier gewesen und hatte sehr angetan davon gesprochen. Da Hotelfrühstücke an mich ohnehin verschwendet sind (ich habe halt die ersten Stunden nach dem Aufstehen überhaupt keinen Appetit), da das eine, was ich morgens gerne hätte, nämlich einen Milchkaffee auf Espressobasis, meist nicht im Hotelfrühstück enthalten ist und extra kostet, und weil ich Kreuzberg noch gar nicht kannte, quartierte ich mich hier ein.

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Die Fenster meines großzügigen Appartments (über den Daumen gepeilt hätten an den Wänden alle meine Bücher Platz) liegen gegenüber einem Ballettraum. Am Samstagvormittag sah ich darin kleine Mädchen herumhüpfen, in alle Rosatöne dieser Erde gekleidet.

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Die Klavierklänge kamen allerdings nicht aus dem Tanzraum, sondern aus seinem Nebenzimmer: Hier wird Gesang unterrichtet. Hm, die Einsingschleifen der samstäglichen Schülerin klangen nicht so schön wie die der Dame am Freitagnachmittag.

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Wie verführerisch sich das Wohnen mit ganz wenig Geschirr und Besteck anfühlt. Das wäre es doch eigentlich: Ein Löffel, eine Gabel, ein Messer, eine schöne Tasse, ein Wasserglas, ein Weinglas, ein Suppenteller, ein flacher, eine Schüssel – Schluss. Dass mich diese Vorstellung mehr inspiriert als aristokratische Opulenz, beweist wohl besser als vieles andere, in welch unglaublichem Überfluss ich lebe.

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Die junge Edeka-Kassiererin kommentierte meinen Kauf von Zahnbürste und -pasta mit einem fröhlichen: “Immer schön Zähne putzen!”

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Berlin hatte sich angestrengt und bot Sonne und Plusgrade. Von drinnen sah die Luft fast österlich aus. Draußen brauchte ich aber immer noch Handschuhe.

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Ich spazierte die Oranienstraße entlang, mäanderte durch die Straßen links und rechts davon, genoss es, viel Berliner Akzent zu hören, viel Türkisch – und nicht eine Silbe Schwäbisch. Stieß auf ein weiteres österreichisches Wirtshaus, das von Vorneherein jede Verwechlung ausschließt, indem es No Kangaroo heißt.

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Nachmittags holte mich Frau Creezy ab, eine echt ehrlich gebürtige Berlinerin, und zeigte mir einige Stunden lang das südliche Kreuzberg: Urbanhafen im Sonnenuntergang, Kottbusser Brücke, Graefekiez, Südstern, Bergmannstraße, Chamissostraßeplatz, Meringdamm – unter anderem. Alles ausgestattet mit Geschichten, Geschichte, Erlebnissen und Tipps für den nächsten Berlinbesuch. Und sie brachte mich zu weiterem ganz hervorragenden Essen, zu den vietnamesischen 3 Moms. Ihre Empfehlung des Rindfleischs in Bethelblättern war ein Volltreffer.