Es war schon Jahre her, dass wir seine und meine Eltern zum Essen eingeladen hatten. Eigentlich schade, denn nicht nur verstehen wir uns alle Sechse sehr gut, nicht nur genießen die vier Stück Eltern es, einander und uns zu sehen – es sind auch verpasste Gelegenheiten, diese lieben Menschen mal rundum zu verwöhnen. Gestern schufen wir endlich eine Gelegenheit und luden sie zu uns nach München zum Sonntagsessen ein. Und weil ich mittlerweile den Eindruck habe, dass der englische Sunday Roast ein deutlich lebendigerer Brauch ist als der deutsche Sonntagsbraten, gab es eben Sunday Roast.
An sich hatte ich vorgehabt, jeden Gang zu fotografieren und zu verbloggen. Doch dann vergaß ich es über dem Spaß mit Gästen und Mahl.
Es ist wirklich nicht so, dass der Mitbewohner und ich diesen vier Herrschaften irgendwas beweisen müssten. Dennoch ertappe ich mich bei einer speziellen Art von Perfektionismus: Sie sollen es halt besonders schön haben. Wein kennenlernen, auf den sie sonst nicht kämen. Überraschende Speisen kosten, von denen sie sofort das Rezept haben wollen. Sich ein paar Stunden fallen lassen und sich um nichts kümmern müssen. Was sie übrigens zu meiner großen Freude schon seit vielen Jahren können: Meine Eltern, auch meine Schwiegereltern, haben das Herumeltern rechtzeitig aufgegeben und begegnen ihrem Nachwuchs auf Augenhöhe. Zwar kann es sein, dass mein Vater darauf hinweist, dass wir in unseren Deckenlampen einen Insektenfriedhof angelegt haben. Oder dass mein Schwiegervater eine weitere Argumentation ausprobiert, um uns zum Erwerb einer Sitzgarnitur fürs Wohnzimmer zu bringen. Doch all das geschieht auf einer spaßigen und herzlichen Ebene, es sind keine Befindlichkeiten involviert – kein Material für launige Meine-Eltern-werden-sich-nie-ändern!-Kolumnen.
Um im englischen Thema zu bleiben, gab es als Aperitiv Pimm’s (für dessen Softdrink-Anteil der Mitbewohner kurz vor Eintreffen der Gäste zum Bahnhof rasen musste – wir hatten Zitronenlimo vergessen). Die Speisenfolge:
– Unsichtbarer Salat (Schon wieder den Schnittlauch vergessen. Dafür hatte ich bei meinem Lieblingsobsthändler wirklich frische Datteln entdeckt – die schmecken ja nach richtigem Obst! Doch mit dem Vogerlsalat hatte ich rechte Mühe. Ich hatte ihn extra bei einem bestimmten Händler am Viktualienmarkt gekauft, weil der sandige Feldsalat vom echten Feld im Gegensatz zur abgepackten Styroporware tatsächlich Eigengeschmack hat. Und ich bin durchaus bereits, drei Waschgänge damit zu verbringen, Sand und Erde aus den Röschen zu entfernen. Doch wenn ich 6,50 Euro für zwei Hände voll Salat zahle, rechne ich nicht damit, dass ich eine halbe Stunde mit dem Herauspicken angefaulter Blätter verbringe.)
– Orientalische Rote-Beete-Suppe mit Kokosmilch (Beim nächsten Mal gibt’s Foto und Rezept.)
– Schweinsbraten aus der Schulter mit Pastinaken und gefüllten Bratäpfeln (Rezept von Jamie Oliver)
– Schwarzwälder-Kirsch-Trifle
Dazu servierte ich einen Wein, den ich Freitagabend bei einem Treffen mit einer Freundin im Walter & Benjamin entdeckt hatte:
Alles klappte und schmeckte, es war wirklich schön, diese Runde beisammen zu haben. Mutter, Schwiegermutter und ich verglichen Schlüsselerlebnisse, bei denen wir gelernt hatten, dass Hilflosigkeit Frauen attraktiv macht. Stellten aber umgehend fest, dass wir erstens lieber tot überm Zaun hingen, als uns in diese Richtung zu verbiegen, und zweitens eh nicht auf Männer stehen, die sich von weiblicher Hilflosigkeit angezogen fühlen.
Der Herr Schwieger erzählte, dass die französische Schwägerin mein Blog entdeckt habe und mitlese (ein herzliches Huhu in die Bretagne!), ihm die URL aber nicht verraten habe. Mein Vater wiederum hatte ein Interview-Video mit mir im Web entdeckt und beurteilte es sachkundig.
Für Hintergrundunterhaltung sorgten Kohlmeisen: Sie flogen auf dem sonnenbeschienenen Balkon immer wieder das Schälchen mit Sonnenblumenkernen an oder kletterten auf den Meisenknödeln herum.
Zumindest das Dessert habe ich noch fotografiert. Rezept steht hier.