Familiensonntag

Montag, 29. August 2011 um 10:25

Zwei Töchter eine Kusins meines Vaters (Primo Pepe) plus der Ehemann von einer – die waren vergangene Woche zu Besuch bei meinen Eltern. Mit ihren Ende 20 Jahren hatten die drei Spanien noch nie verlassen, die Reise nach München Erding war auch ihr erster Flug. Mein Vater erzählte schmunzelnd, wie sie sich gleich nach der Ankunft telefonisch bei Primo Pepe melden mussten und wie dieser sich detailliert erkundigt hatte, ob der Flug in Ordnung gewesen sei, ob sie Angst gehabt hätten, ob sie sich jetzt ausruhen könnten. Wenn ihn der Bericht der drei jungen Leute beruhige, kündigte mein Vater an, komme er ganz eventuell nämlich auch mal. Er träume davon, einen bayerischen Winter zu erleben. (Möglicherweise aber kann Primo Pepe sich als Landwirt nicht vorstellen, den Hof zu einer anderen Zeit zu verlassen als im Winter – selbst jetzt, wo er ihn eigentlich an seinen Sohn Cesar übergeben hat.)

Der gestrige Sonntag sollte aus diesem Anlass einem (relativen) Großfamilientreffen dienen, mit der Familie meines Bruders, dem Mitbewohner und mir.

Vor Geselligkeit und Mahlzeit (als Kompromiss zwischen deutscher und spanischer Essenszeit setzten meine Eltern das Mittagessen für 14 Uhr an) stieg ich aber in den Zwetschgenbaum. Die Gemeinschaftsflächen der Reihenhaussiedlung, in der meine Eltern wohnen, sind zum großen Teil mit Obstbäumen bepflanzt, und der Zwetschgenbaum erzeugt jedes Jahr die köstlichsten Früchte. Finden auch die Würmer, aber ich bin ja bereit zu teilen. Dieses Jahr wollte ich mich nicht schon wieder bedienen lassen, sondern selbst ernten.

(Foto by Mitbewohner, Gymnastikhose by Mama – damit ich meinen weißen Sommerrock nicht schmutzig mache)

Die Zwetschgen hätten noch den einen oder anderen Tag Sonne vertragen, doch ich hatte nur gestern Zeit zum Brocken1. Holte ich halt in erster Linie die obersten Früchte, insgesamt etwa 10 Kilo in nicht mal einer Stunde. Ich verließ den Baum angemessen verdreckt und zerkratzt.

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Meine Bruderfamilie kam gesammelt in durchschnittsbayrischer Tracht, bis hinunter zur sechsjährigen Tochter in einem schlichten Waschdirndl mit Spitzenkragen. Die spanische Verwandtschaft war sehr begeistert. Wir tauschten uns über Trachtenbräuche aus: Die beiden primas tragen zur fiesta ihres Heimatdorfes durchaus auch die Tracht der Provinz Segovia – allerdings in reduzierter Form, da eine Rundumausstattung, ähnlich wie in Bayern, ein Vermögen kostet. (Hier ein Blog mit historischen und aktuellen Fotos. Das sieht ja gar nicht nach Flamenco und AyayayMamaichbinsounglücklich aus? Hat ja auch nichts mit Andalusien oder mit spanischen Zigeunern zu tun.)

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Mittagessen mit Gegrilltem an Bierbank unter Weichselbaum. Die spanische Verwandtschaft berichtete über Abenteueressen (hatten alle brav Weißwurst probiert – Fan wurde keine und keiner), wir freuten uns über das schöne Wetter. Natürlich unterhielten wir uns auch über die wirtschaftliche Lage Spaniens. Interessant fand ich die Beobachtung der Verwandtschaft, sie könnten keinen Unterschied im alltäglichen Konsumverhalten erkennen: Es werde weiter ausgegangen und sich des Lebens gefreut. Noch interessanter fand ich aber einen Einflussfaktor, der in der hiesigen Medienberichterstattung völlig fehlt: Die Lottería. Die deutsche Wikipedia erklärt zumindest die Weihnachtslotterie, daraus geht auch ein wenig die generelle Systematik hervor. Ein regionaler Wirtschaftsfaktor ist die Lotterie durch den Umstand, dass die Ziffernfolgen der Lose blockweise und damit örtlich gesammelt verkauft werden: Ein Lotteriegewinn trifft nicht Einzelpersonen irgendwo im Land, sondern immer eine Gegend. So berichtete die Verwandtschaft, dass Segovia, wo sie wohnen, bereits zweimal den Hauptgewinn der Weihnachtslotterie gewonnen habe. Doch sie beklagten, dass sich der Geldregen keineswegs auf die wirtschaftliche Struktur der Gegend ausgewirkt habe: Die Lotteriegewinner hätten das Geld nicht etwa zusammengelegt, um Firmen zu gründen oder es auch nur investiert: Alle hätten sich halt dicke neue Autos und eine schickere Wohnung gekauft.

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Über all den anregenden Gesprächen (mein Spanisch wird immer grottiger, aber es macht mir immer weniger aus – Hauptsache Kommunikation) achtete ich nicht auf die Sonne. Und holte mir spät im Jahr aber doch den ersten Sonnenbrand der Saison – den ich vor allem wegen der resultierenden Streifen und Flecken fürchte.

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Dazwischen hatte ich mich in den Keller geschlichen, um in der winzigen Hobbywerkstatt meines Vaters zu fotografieren: Ich bin immer gerührt und fasziniert von der sehr gemischten deutsch-spanischen Beschriftung. Seine Elektrikerlehre hat er ja in Spanien gemacht, dann aber Jahrzehnte in deutschsprachiger Umgebung gearbeitet.

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Nach München gebracht werden musste die Zwetschgenernte auch noch (und die Mitbringsel von Elterns Südtirol-Urlaub, u.a. Brotklee, und die nachträglichen Geburtstagsgeschenke). Zu zweit ging das auf der Zugreise, war aber anstrengend. An sich finde ich es völlig in Ordnung, die Zwetschgen gerecht mit den Würmern zu teilen – als sich beim abendlichen Entsteinen für Latwerge aber herausstellte, dass wir etwa 20 % der Ernte lediglich zu Wurmreisezwecken nach München geschleppt hatten, litt meine Großzügigkeit etwas. Derzeit safteln im Backofen gut fünf Kilo Zwetschgen mit etwas Zucker und Gewürzen, um abends / über Nacht einzukochen.

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Als Lektüretipp noch ein wenig Lehrer-PR: Wie eine junge Musiklehrerin alle Register zog. Und ins Schlachthaus ging. (Achtung: Nicht während der Mahlzeiten lesen.)

  1. Bayerisch für Pflücken []
die Kaltmamsell

15 Kommentare zu „Familiensonntag“

  1. katha meint:

    ad fußnote: und österreichisch für pflücken

  2. Croco meint:

    Was für schöne Trachten.
    Schade, dass man nur in Bayern so rumlaufen kann.
    Ich bedaure es sehr, dass man nicht in Schwarzwälder Tracht zum Einkauf auf den Markt gehen kann, zumindest nicht im Rheinland.
    Sonst hätte ich schon längst eine, mit Taftrock, Samtmieder und Bollenhut.
    Man ist einfach passend angezogen, und muss sich keine weiteten Gedanken machen.
    Was haben wir nur an Tradition verloren. Oder den Jodelsendungen im Fernsehen überlassen.
    Übrigens :Die roten Schuhe sehen toll aus. Und das Foto hält einen der wenigen Momente fest, in denen es wichtig ist, eine ordentlich Schuhsohle zu haben.

  3. die Kaltmamsell meint:

    Na ja, croco – wir zwei beiden wissen ja, dass Tracht nicht wirklich etwas mit Tradition zu tun hat, sondern dem deutschen Nationalismus des 19. Jahrunderts zu verdanken ist, der sie erst erfunden hat. Allerdings gebe ich Ihnen recht: Jeder Art von Uniform erleichtert das Leben.
    Über Trachten in Spanien muss ich mal recherchieren: In einem bis vor kurzem bitter armen Land war sie sehr wahrscheinlich eine Schäferidyllen-Spielerei der Elite.
    (Dass zum Beispiel die auffallende walisische Tracht der Einfall eines Adeligen war, der den Anblick der zerlumpten Bauern auf den Feldern vor seinem Fenster zu scheußlich fand uns sie deshalb mit Kostümen ausstatten ließ – das wussten Sie aber?)

  4. Sprachspielerin meint:

    Da hier auch ein Zwetschgenbaum herumsteht, der unter seiner Last beinahe zusammenbricht, wäre ich sehr an Ihrem Einkoch-Rezept interessiert! Gibt es da eine Kurzzusammenfassung oder einen empfehlenswerten Link? Habe nämlich noch nie Zwetschgen eingekocht…

  5. Croco meint:

    Ja, weiß ich schon. Die schottischen Tartanmuster plus Drumdrum sind auch eine Erfindung der Engländer.
    Vermutlich sehne ich mich nur nach Einheitskleidung bei anderen, um dann doch selbst das Ganze durch Wahnsinnszutaten ad absurdum zu führen. Ich wäre die Erste, die sich nicht an die Maokluft halten würde.

  6. Gaga Nielsen meint:

    Das Tolle an rudimentären Spanischkenntnissen ist, dass man zum Beispiel bei Wörtern wie “Cuchillas” an Essen denkt.

    Und die Untermieter in den Zwetschgen muss man als königliche Vorkoster betrachten. “Geprüft und für ausgezeichnet befunden!” Ernstzunehmendes QM erfordert, dass möglichst viele Stichproben genommen werden. Das stimmt dann wieder versöhnlich.

  7. die Kaltmamsell meint:

    Ich werde über das Ergebnis meiner Einkocherei berichten, Sprachspielerin.

  8. Orangerie meint:

    Falls Sie ‘mal Kurzgeschichten veröffentlichen… ich werde sie lesen!

  9. adelhaid meint:

    oh, danke für diesen link!! musikinstrumente aus schweineblasen. das hab ich auch gemacht!! aber bei mir war der schlachter so nett mir lediglich die geleerte blase in eine tüte zu tun. und aufgepustet habe ich sie mit einer luftpumpe.
    interessant, dass sowas immernoch gemacht wird.

  10. Frau Weh meint:

    Danke fürs pingback! :-)

    Das mit der Luftpumpe hat bei mir leider nicht funktioniert – ich war wohl so in Rage, dass ich die Gemächte zu üppig abgeschnitten hatte. Ergo war das Loch zu groß.

    Herzliche Grüße aus der Grundschule schickt
    Frau Weh

  11. die Kaltmamsell meint:

    Ich fand es sehr erleichternd zu wissen, dass Sie die Episode nahezu unversehrt überlebt haben, Frau Weh. (Die Fortsetzung zu verlinken, habe ich mich dann doch nicht getraut. Die gehört definitiv ins Programm nach 22 Uhr.)

  12. Frau Weh meint:

    Naja… was heißt schon unversehrt. Einen Knacks habe ich sicher weg! ;-)

  13. Sebastian meint:

    Was hängt denn da noch im Baum? Doch nicht der Rock? Profipflaumensack?

  14. die Kaltmamsell meint:

    Profipflaumensack, Sebastian, genau – in diesem Haushalt gibt es nur gutes Werkzeug: Ist ein sehr stabiler, schmaler Sack mit stabilen Henkeln, der mithilfe eines Metzgerhakens in bequemer Reichweite an einen Ast gehängt wird. Ungeheuer praktisch. Ich bin die perfekte Handwerksausstattung in meinem Elternhaus so gewohnt, dass ich mich auch nicht über den Metzgerhaken wundere – sowas haben meine Eltern halt (ich glaube, in erster Linie zum Aufhängen von Schinken und Würsten in der Speisekammer).

  15. Ilse meint:

    Bravo, sehr sportlich! Ich habe meine Zwetschgen wieder mal von der Autoreparaturwerkstatt gebrockt gekriegt.

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