Journal Dienstag, 25. November 2014 – Zugticket

Mittwoch, 26. November 2014 um 6:57

Morgens Krafttraining, fürs Radeln dorthin und anschließend in die Arbeit brauchte ich nicht mal Handschuhe. Doch dann kam ein kalter Hochnebel, in der Mittagspause fror ich draußen.

Draußen, weil ich zum Bahnhof ging und mir für Dezember eine Fahrkarte nach Fano kaufte (immer noch nicht online möglich), wo eine Kusine heiraten wird. Mal wieder überrascht, wie preisgünstig das Bahnfahren ins Ausland sein kann: Für die Fahrt nach Fano sowie eine Rückfahrt ab Rom zahlte ich inklusive Platzreservierungen 128 Euro.

Wie sehr ich mich auf die Reise freue, wurde mir klar, als ich nicht aufhören konnte die Bahnfrau am Schalter anzustrahlen.

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Im Hochsommer unterhielten sich Mary Beard und Laurie Penny auf einem Podium darüber, warum Frauen im Web oft so brutal beschimpft werden, wenn sie sich öffentlich zu Wort melden. Beide erzählen von ihren Erfahrungen und wie sie damit umgehen (durchaus unterschiedlich).

Die deutlich ältere Mary Beard äußerte sich sogar dankbar, weil die Beschimpfungen ihr klar gemacht hätten, wie sehr sie sich in ihrer Wahrnehmungsblase geirrt hatte, Sexismus (sie bevorzugt misogyny) sei am Verschwinden. Laurie Penny wiederholte ihr Argument, dass die oft vorgebrachte freedom of speech der Beschimpfer tatsächlich silencing der Beschimpften ist (shut up! gehört sogar zu den häufigsten Rufen der Angreifer) – also ihr diese freedom nehmen soll.
Ermutigend: Das Thema Sexismus wird in den vergangenen vier, fünf Jahren immer breiter diskutiert. Laurie wies darauf hin, dass ein solch großer Zulauf, wie diese Podiumsdiskussion hatte, vor fünf Jahren undenkbar gewesen wäre.
Sehenswert, auch wegen der Schlussanekdote.

“VIDEO: Laurie Penny and Mary Beard discuss the public voice of women
Highlights from our Conway Hall event on 30 July 2014.”

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Samstagnacht blieb ich an einer Fernsehsendung hängen, die mich sehr unterhielt und mir seither nicht aus dem Kopf geht. Einwanderer wurden nach ihrer Wahrnehmung Bayerns und der Bayern und Bayerinnen gefragt. Schön selbstironisch gemacht (die Musikzwischenspiele!) und hochinteressant – auch wenn die Fragestellungen manchmal seltsam sind.
Hier nachzusehen:

“Bayern und die Welt
Eine interkulturelle Nabelschau”

Besonders blieben mir in Erinnerung:
– Der Taxifahrer, der nicht nur tiefstes Bayerisch sprach, sondern auch Hochdeutsch (hatte Deutsch im Osten gelernt, musste eine zusätzliche Sprache lernen, als er nach Bayern kam).
– Der Hotelier, der sich über die deutsche Pünktlichkeit überhaupt nicht mehr einkriegte (und die Filmemacher als Beispiel dafür anführte).
– Die Dame im Dirndl (ihren Beruf habe ich verpasst), die erklärte, dass da, wo sie in Brasilien herkomme, Pünktlichkeit als Eigenschaft fauler Leute gelte: Vielbeschäftigte könnten gar nicht pünktlich sein.
– Die Übersetzerin, die erzählte, was passierte, als sie um halb acht morgens gerade noch in die sich schließende S-Bahn sprang und “Guten Morgen beisammen!” wünschte.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Dienstag, 25. November 2014 – Zugticket“

  1. Ulla meint:

    Habe die Sendung im BR auch gesehen und war davon gefesselt, besonders vom Taxifahrer!

  2. Trolleira meint:

    Vielen Dank für den Tip mit der BR-Sendung, hab grad die ersten 5 min. gesehen, das wird unser Abendprogramm heute! Es ist so klasse, die Brasilianerinnen zu hören, schon ohne zu wissen, wo sie her kommen, nur von dem was, nicht wie!, sie sagen ist klar, dass sie aus Brasilien sind! Ich kann das so gut nachvollziehen, ich bin sehr gespannt auf den Rest des Filmes.

  3. obadoba meint:

    Besten Dank für den Link zum BR!

  4. Gaga Nielsen meint:

    Ja, ein bemerkenswerter Dokumentarfilm. Viele sympathische Menschen, die Eigenschaften, die dem deutschen Klischee zugehörig sind, aus einem anderen nationalen Hintergrund als attraktiv beleuchten, den man sich nicht oft bewusst macht, wenn man in seiner hiesigen Suppe schwimmt. Die eine Brasilianerin, mit der Beobachtung, dass sich die Frauen in Bayern, bis sie ein Kind kriegen, zurechtmachen, dann damit aufhören und dann wieder damit anfangen, wenn die Kinder sozusagen aus dem Haus sind, also die Fruchtbarkeitsperiode dann aber auch rum ist – – – die hat mich schon sehr gut unterhalten, die Dame. Der Niederländer aber auch. “Das ist wie eingebacken! In die Wurzeln!” (die Pünktlichkeit). Und der Taxifahrer sowieso. Aber auch, dass die amerikanische Opernsängerin so eine starke Dialektfärbung angenommen hat, war auch sehr interessant. Und eher am Anfang die Frage mit dem Schamgefühl. Da hätte ich ja auch dauernd nicken können. Die ungenierte Nacktheit, nicht nur da unten in Bayern, im englischen Garten! Sagenhaft. Vor allem auch, dass die Äußerungen von Menschen aus Ländern kommen, die man gerne mit hemmungsloser, wollüstiger Nacktheit assoziiert. Brasilien. Afrika. Haha. Ich war ja mal bei Indianern in Amerika. Also zu Besuch bei der Navajo Nation, wo auch gerne im allerprivatesten Kreis sweat lodges (dt. Schwitzhütten) abgehalten werden, in so Erd-Iglus (“Hogans”) und wo es ein absoluter Tabubruch gewesen wäre, sich nackt, ohne Badeanzug, zumal wenn Männer und Frauen nicht getrennt sind, einzufinden. Nacktheit war ein großes Tabu. Von wegen “wilde, nackige Indianer” vs. verklemmte Teutonen. Also, auch danke von mir für den Hinweis auf diesen sehr, sehr sehenswerten Film im BR. (Ich bin ja auch für ‘links gehen, rechts stehen’ auf der Rolltreppe! Urbane Notwendigkeit! Zwecks Flow. Und den wollen wir doch alle.)

  5. maz meint:

    Das passt perfekt. Gerade heute machten wir uns zu Hause lustig darüber, dass zu den türkischen Hochzeiten eigentlich zwei Einladungen verschickt werden müsse. Wir lachten nuns seinerzeits tot darüber, als der türkische Organisator der Feier meiner Schwester (mein Schwager ist Deutscher) in Panik anrief : “Eure ganzen Deutschen sind alle hier und sitzen, was soll ich machen? Ich habe gerade erst den Salon aufgemacht!” Es gilt bei uns halt als schicklich, dass man etwa ein bis anderthalb Stunden Zeit lässt, bevor man da erscheint. Ist ja keine behördliche Vorladung. Da reichten wohl die fünfzehn Minuten :-)

  6. die Kaltmamsell meint:

    Dieses Pünktlichkeitsding ist möglicherweise wirklich zentral für unsere Kultur. Zum einen als Symbol für unaufdringlichen Anstand: “Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige.” Ich sorge damit dafür, dass man sich auf mich verlassen kann, dass ich keine Umstände bereite, und ich beweise, dass ich meine Pläne nicht über die der anderen Beteiligten stelle – Pünktlichkeit kann eine Demutsgeste sein.
    Die Kehrseite ist der Anspruch an die Pünktlichkeit der anderen, der herrisch und unflexibel sein kann, gerne sogar passiv-aggressiv Unpünktlichen unterstellt, sie hielten sich wohl für etwas Besseres: Wenn du mir diese Demutsgeste nicht erweist, bin ich beleidigt.

  7. smilla meint:

    danke für den filmtip, made my evening!

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