Archiv für August 2017

Journal Mittwoch, 2. August 2017 – Besserung

Donnerstag, 3. August 2017

Das mit der Krankmeldung war eine gute Idee: Nach gutem Nachtschlaf wachte ich erfrischt auf und war definitiv wieder arbeitsfähig. Es hatte schon am Vorabend und dann in der Nacht immer wieder gewittert und geregnet, ich packte Schwimmzeug ein und radelte über nasse Straßen in die Arbeit.

Tatsächlich war es mir aber nachmittags zu schwül-heiß und mein Arm schmerzte zu sehr (eingeklemmter Nerv im Nacken, Sie erinnern sich), ich hatte doch keine Lust zum Schwimmen. Also verbrachte ich den Feierabend in der kühlen Wohnung und ließ mir von Herrn Kaltmamsell Schperripps (Spare Ribs auf Bayerisch) servieren.

Journal Dienstag, 1. August 2017 – Krankgemeldet

Mittwoch, 2. August 2017

So. Einmal zu oft auf dem Zahnfleisch in die Arbeit geschleppt, gestern ließ ich das einfach mal bleiben und meldete mich krank. Denn wem will ich damit eigentlich etwas beweisen? (Nicht antworten, ich habe selbst ziemlich konkrete Verdachte.) Als ich im Morgengrauen merkte, dass ich mich wieder komplett durch den Fleischwolf gedreht fühlte, stellte ich den Wecker vor (der auf halb sechs stand, damit ich vor der Arbeit Zeit für Langhanteltraining haben würde) und meldete mich morgens im Büro für den Tag ab. Denn eigentlich hatte ich mir irgendwann als Grenze fürs Durchhalten gesetzt: Wenn es mir so schlecht geht, dass ich ernsthaft mit dem Gedanken spiele, mich unter den Schreibtisch zu legen (nur für ein paar Minuten, wenn ich die Bürotür schließe, merkt es doch keiner), bin ich krank, aus. Und über diesen Grad des Schlechtgehens hatte ich mich jetzt einmal zu oft hinweg gesetzt.
Diesmal blieb ich zu Hause und ruhte mich aus.

Erkenntnisse auf dem Balkon:
– Ich hatte vergessen, wie laut es unter der Woche ist (Großbaustelle schräg gegenüber, Kleinbaustelle an Nebengebäude).
– Es gibt wieder eine Meisengeneration mit der Fertigkeit, auf dem Markisenführungsdraht sitzend den Meisenknödel mit der Kralle heranzuziehen und so bequem und ohne Herumgeschaukel zu picken.
– Während die Herren von der Müllabfuhr vorbei rumpelten: Selbst frisch geleerte Tonnen haben einen typischen Sommergeruch.

Es wurde ein sehr heißer Hochsommertag, schon vormittags schloss ich alle Fenster und zog mich ins kühle Drinnen zurück.

Als palate cleanser nach dem heftigen Kennedy-Roman ließ ich mir von Herrn Kaltmamsell einen Terry Pratchett mit Schwerpunkt City Watch geben (Thud!) und amüsierte mich über Handlung und weise Pointen.

Erst jetzt beim Bloggen fällt mir ein, dass man als Krankgeschriebene den ganzen Tag auf dem Sofa liegen und fernsehen muss, schlechte Sendungen und Serien schauen. Die Gelegenheit habe ich also mal wieder verpasst.

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Jeanne Moreau war am Montag gestorben – eine sehr interessante und faszinierende Figur, eine große Künstlerin (man mag sich nicht vorstellen, wie vergessenswert sie durch chirurgische Angleichung ans Schönheitsideal ausgesehen hätte). Und offensichtlich ein gutes Mittel, schreibende Männer ihrer Geschlechtertypen und ihres Frauenideals zu überführen, die der Gleichberechtigung im Weg stehen. So zum Beispiel die von Alexander Gorkow und Tobias Kniebe, die in ihrem Nachruf (Seite 3 der gestrigen Süddeutschen) von Moreaus Catherine in Jules et Jim schreiben, sie sei

die Inkarnation der vollendeten Frau – fragil, verhängnisvoll, schlau und übermütig, frei und unabhängig ihrem Begehren folgend.

Soso: “vollendete Frau”. Kein Wunder, wenn man so jemandem keinen Vorstandsposten zutraut.

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Johnny Häusler hatte ein sehr unangenehmes Erlebnis beim Gassigehen:
“Zwei Hunde kämpfen und ein Handy wird zur Waffe”.

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Ein bisschen gefernseht habe ich ja doch, allerdings in der ZDF-Mediathek und eine ausgezeichnete Doku:
“Hacker, Freaks und Funktionäre
Der Chaos Computer Club”
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Beim Gucken gedacht: So eine unabhängige Institution bräuchte man auch für die Automobilindustrie. Als Herr Kaltmamsell vorschlug: “ADAC?”, lachten wir beide erst mal Tränen, dann formulierte ich meinen Gedanken um: Nicht einfach für die Automobilindustrie, sondern fürs Verkehrs- und Transportwesen.

Journal Montag, 31. Juli 2017 – A. L. Kennedy, Paradise

Dienstag, 1. August 2017

Nachts um zwei aufgewacht. Irgendwann war klar: Ich würde nicht wieder einschlafen. Also schlüpfte ich in meinen Bademantel und setzte mich mit A. L. Kennedys Paradise ins Wohnzimmer. 30 Seiten vor Ende des Buchs war ich immer noch nicht sehr müde; dann war’s eh schon wurscht, ich las das Buch aus.

A.L. Kennedy schätze ich, seit ich über ein Granta Best of Young British Novelists auf eine Kurzgeschichte von ihr stieß. Bislang scheiterte ich nur an einem ihrer Romane: In Day von 2007 kam ich nicht über die ersten Seiten hinaus, weil ich überhaupt nichts mit dem inneren Monolog dieses Soldaten im zweiten Weltkrieg anfangen konnte.

Paradise erschien 2004; der Klappentext verheißt eine launige Frauengeschichte.

Hannah Luckraft knows the taste of paradise. It’s hidden in the peace of open country, it’s sweet on her lover’s skin, it flavours every drink she’s ever taken, but it never seems to stay.

Almost forty and with nothing to show for it, even Hannah is starting to notice that her lifestyle is not entirely sustainable: her subconscious is turning against her and it may be that her soul is a little unwell. Her family is wounded, her friends are frankly odd, her body is not as reliable as it once was. Robert, an equally dissolute dentist, appears to offer a love she can understand, but he may only be one more symptom of the problem she must cure.

From the North East of Scotland to Dublin, from London to Montreal, to Budapest and onwards, Hannah travels beyond her limits, beyond herself, in search of the ultimate altered state – the one where she can be happy, her paradise.

Tatsächlich könnte der Roman nicht weiter von dieser Zusammenfassung entfernt sein (mal wieder Verdacht, dass die Klappentextschreiberin das Buch nicht gelesen hat – andererseits ist die Gattung “Klappentext” sehr wahrscheinlich in der Marketingabteilung angesiedelt und nicht im Lektorat eines Verlags; soll also einen bestimmten Markt ansprechen, nicht etwa das Buch charakterisieren).

Wir haben eine Ich-Erzählerin, deren Name sich eher später als Hannah herausstellt. Der Einstieg der Geschichte wirft uns in genau die Konfusion, in der sich die Hauptfigur wiederfindet: Sie steht vor dem Frühstücksbuffet eines Hotels, wegen des Filmrisses einer vorhergehenden Volltrunkenheit weiß sie nicht, in welcher Stadt sie ist, wie sie hierher gekommen ist und wer der Familienvater neben ihr ist, mit dem sie möglicherweise die Nacht verbracht hat. Nichts daran ist komisch, auch wenn Hannah die Situation verhältnismäßig gelassen nimmt – wir lernen schnell, dass sie diese Alkohol-induzierten Filmrisse gewohnt ist.

Im Folgenden blicken wir ein wenig in ihre jüngere Vergangenheit zurück, lernen ihren Liebhaber Robert kennen, Zahnarzt und alkoholabhängig wie sie, Hannahs unerquickliche berufliche Situation, ihren Alltag. Sie ist sich immer wieder der Groteske und Absurdität ihrer Situation bewusst – und versucht doch im nächsten Atemzug wieder, sich in die eigene Tasche zu lügen (Aussetzer hat doch jeder mal, nicht wahr?).

Hannahs Betrachtung ihrer Trunksucht hat durchaus Charme. Mit ihrem Liebhaber systematisiert sie die verschiedenen Formen von Betrunkenheit, je nach auslösendem Getränk und Tagesform. Oder sie beschreibt typisches Säuferverhalten, z.B. the drinker’s smile. Ihr ist auch bewusst, dass ihre Art zu trinken (im Pub, in Gesellschaft) zutiefst unweiblich ist:

This is how a man drinks and, therefore, inappropriate for me. I should have been at home behind my curtains with the methylated gin.

Es folgen interessante und schmerzlich scharf beobachtete Details des typisch weiblichen Trinkens.

A. L. Kennedy konstatiert in diesem Roman, ohne zu urteilen oder zu psychologisieren. Es wird kein äußerer Anlass für Hannahs Alkoholismus seit Jugendtagen angeführt. Im Gegenteil: Immer wieder erzählt sie von ihrem liebevollen Elternhaus, von ihrem wundervollen Bruder, der ihr bis in die Gegenwart die Stange hält. Es gibt keine dunklen Geheimnisse, die sich im Lauf der Geschichte herausstellen könnten – die dunkle Seite der Familie ist Hannahs Trinksucht. Sie denkt durchaus darüber nach, dass sie halt nicht so war, wie sie sein sollte – doch das wird keineswegs als Ursache für ihren Alkoholismus angeführt; eher bringt ihr Trinken sie dazu, dass sie sich unpassend benimmt.

Gleichzeitig ist Hannah bewusst, welche Zerstörung ihre Krankheit in ihrer Familie anrichtet – sie weiß, dass das Leben ihrer Eltern und das der Familie ihres Bruders davon dominiert ist. Und sie hat ein brüllend schlechtes Gewissen deshalb. Die Tragik der Geschichte liegt darin, dass diese Erkenntnis zu keiner Veränderung führt. Immer wieder sieht Hannah ganz klar, was sie sich und anderen antut. Um gleich wieder ihre Ausfälle klein zu reden.

Das Ende der Geschichte ist offen, Hannahs Phantasien (oder Delirium) sind nicht mehr unterscheidbar von der realen Handlung. Aber es sieht nicht gut aus.

In meinem derzeitigen Tief nahm mich das beschriebene Gefangensein besonders mit. (Was ja auch bedeutet, dass ich noch in der Schmerzphase der großen Schwärze bin, vor der totalen Taubheit.) Auch wenn die Lektüre fast eine Qual war, geht von der Meisterschaft des Romans ein Sog aus; ich bin nicht die einzige, die Elfriede Jelineks Klavierspielerin assoziiert.

Mir fällt es schwer, ihn zu empfehlen: Seien Sie sich darüber im Klaren, was Sie sich damit antun. Wenn Sie noch nichts von Kennedy gelesen haben, fangen Sie besser mit Everything you need an.

Interessant fand ich die seinerzeitige Rezension im Guardian:
“Life seen through a glass darkly”.

Like all drinkers, Hannah is a collage of contradictions. She is often self-loathing, but also self-justifying; self-knowing and self-deceiving; she is both loving and energetically selfish, remorseful at the pain she causes her tirelessly patient parents, yet unwilling to change.

Ein schöner Überblick über A. L. Kennedys Werk in der London Review of Books (Vorsicht: mit Spoilern über Paradise):
“Intimate Strangers”.

I’ve never been entirely persuaded by the notion that severe psychic pain is worse than the physical kind, that souls can be hurt worse than soles (they’re not easy to compare, for a start), but you have to allow it to Kennedy, not least because she describes the physical kind so unpleasantly well.

Und für die Freundinnen des biografischen Interpretationsansatzes: Ein Autorinnenporträt aus dem Veröffentlichungsjahr von Paradise:
“A writer’s life: AL Kennedy”.

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Wohl wegen des wenigen Schlafs ging’s mit körperlich gar nicht gut. Ich hätte mich wahrscheinlich krank gemeldet, wäre es nicht Montag und damit Putzmanntag gewesen. Also schleppte ich mich in die Arbeit, bis in die Knochen erschöpft, und hangelte mich von halber Stunde zu halber Stunde. (Möglicherweise kämpft mein System gerade mit einem grippalen Infekt, der in meiner Umgebung umgeht, ohne dass er ausbricht.) Wie ich es erwartet hatte, ging es mir ab frühem Nachmittag besser, ich konnte endlich systematisch Dinge abarbeiten.

Auf dem Heimweg setzte mir allerdings die schwüle Hitze zu, zum Glück war die Wohnung kühl. Herr Kaltmamsell kochte uns zum Nachtmahl aus dem Brathähnchensaft des Vortags und Ernteanteil-Mangold ein Risotto.

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Morgens wieder Mauersegler gesehen.

Sam Shepard ist gestorben. Als Homo Faber hat er für mich Rollkragenpullis zu einem erotischen Kleidungsstück gemacht.