Vier Tage Berlin in Schnippseln

Dienstag, 10. Januar 2006 um 13:06

In Berlin ist Heilig Drei König kein Feiertag, wie wunderbar! Kann ich gleich am Freitag noch ein paar Einkäufe erledigen. (Ich glaube, „Shopping“ heißt das nur, wenn man ohne Ziel und Liste unterwegs ist, oder? Was man früher „Einkaufsbummel“ nannte?)
Also in der Friedrichstraße in den Lush-Laden, weil es in München keinen gibt und die Grönerin so von dem Zeug darin schwärmt. Eine sehr junge Frau bügelt mich mit ihrem Enthusiasmus für die Produkte ihres Arbeitgebers fast nieder, hält mir zahllose Töpfe und Flaschen aus Plastik unter die Nase, deren Inhalte größtenteils nach Baumarkt plus sehr starkem Aroma riechen. Schön und tatsächlich gut riechend finde ich Badeschaum und Badekugeln, nehme einige mit (ok, drei Fläschchen habe ich mir zudem aufschwatzen lassen, die auch im Bad noch nach Blendi-Kinderzahnpasta rochen / weiße Bröckelchen hinterließen / lila Spuren auf das Hotelhandtuch färbten).
Dann in die Nahrungsmittel-Abteilung der Galeries Lafayette, eine Runde Käse zum Abendessen im Hotelzimmer holen. Ich kann kein Französisch, und die Käseverkäuferin stutzt sichtlich, nachdem ich meine Wünsche geäußert habe. Nach einem Sekundenbruchteil Nachdenken bringt sie mir aber genau das, was ich wollte. Auf dem Heimweg grüble ich, was die Frau sich wohl tagein, tagaus so alles an miesem Französisch anhören muss, und ob sie wohl abends als Gegenmittel Charles Aznavour auflegt.
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Wie schön, dass es mir egal sein kann, welche Museen in Berlin ich noch nicht gesehen habe (fast alle). Und dass ich deshalb nach einem Lauf durchs morgengraue Berlin (endlich mal unter der Charité durch!) einfach nochmal ins Pergamon-Museum gehe. Weil zu Zeiten, als es noch zwei Berlins gab und umtriebige Provinzler dort die Erfüllung all ihrer Träume von Subversion und alternativem Lebensstil zu finden hofften, für mich Berlin immer Pergamon-Museum bedeutete. Dem Tor von Milet geht’s gar nicht gut, erfahre ich. Ich glaube, die Farben des Ishtar-Tores wären eine Alternative zu meinen weißen Wänden, in denen ich wohnen möchte. Ja, meine Arbeitskollegin hat tatsächlich den Körper einer Pallas Athene. Und für mich wird das archaische Lächeln auf dem Gesicht eines Kouros immer viel cooler wirken als der grimmige Ausdruck einen Rappers.

Treffen mit Lesebloggern in einem Lokal namens Wohnzimmer, in das ich – zermürbt von der scheinbaren Komplexheit des örtlichen Straßenbahnsystems – zu Fuß gehe. Werde daran erinnert, dass „Ausgehen“ bedeutet, sich in übervollen, dunklen, lauten Räumen nicht unterhalten zu können. Freue mich aber ungeheuer über das Kennenlernen einiger neuer und das Wiedersehen einiger bekannter Menschen. Fange mir für den Heimweg eine Straßenbahn.
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Meine kleinen Abenteuer: In eine fremde Muckibude gehen, in Berlin! Ganz souverän, leichthin, selbstverständlich. Mich gleichzeitig aber nicht trauen, fürs Training ein Handtuch aus dem Hotelbad mitzunehmen, weil in meiner Abwesenheit das Zimmer geputzt wird und das Personal denken könnte, ich hätte das Handtuch gestohlen. Statt dessen ein zweites T-Shirt verwenden.

Die armen Sicherheitsbeamten an der Schleuse zur Neuen Synagoge, die sich durch die gammligen Sportklamotten in meiner großen Tasche wühlen müssen. Endlich mal hinter die mächtige und unmoderne orientalische Fassade gucken. Und zum Abschluss der Führung gibt’s koschere Gummibärchen.

Kaltkaltkalt, das Draußen lässt sich wirklich nur joggenderweise ertragen.

Zuhören und vorlesen im Lasst und Freunde bleiben machen viel Vergnügen, auch wenn es elendiglich eng ist. Stelle vorher fest, wie wenig ich mich als Gastgeberin einer solchen Veranstaltung eigne, als ich einem superaufgeregten Co-Leser erkläre, er könne doch einfach die Rolle „Loser des Abends“ übernehmen, allein schon, um mich besser aussehen zu lassen. Mindere seine Aufregung dadurch nicht. Nach der Lesung neue persönliche Bekanntschaften, die mich vor Freude komplett wuschig machen. Die wunderbare und glatte Organisation umfasst auch einen frühen Veranstaltungsbeginn, mit dem Ergebnis, dass ich gefühlsmäßig in den Morgenstunden ins Bett komme, es tatsächlich aber wenig nach Mitternacht ist.

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In einem Café Anne Fadimans Ex Libris begonnen und schon nach den ersten Sätzen gewusst, dass meine Mitpassagiere im ICE nach München regelmäßiges Gekicher und gelegentliches Prusten werden ertragen müssen. Vergeblich versucht, einen mittelkleinen Hund auf das Verschlingen schreiender Babys abzurichten.

 

 

die Kaltmamsell

11 Kommentare zu „Vier Tage Berlin in Schnippseln“

  1. Darla meint:

    Liebe Frau Kaltmamsell,

    nachdem ich Sie ja am Sonntag persönlich gesehen habe und schwer begeistert war (ich bin die, die Ihnen von Frau Lyssa vorgestellt wurde und die in der Pause aufgrund eines akuten Klaustrophobieanfalls ins Adlon zu Austern und Stillem Wasser geflüchtet ist), hab ich mir dann doch mal ihre Seite angeschaut.

    Seeeeeeeeeeeeeeeeeeehr lecker – und die Rouladen in Sauce werden morgen ausprobiert!

    Wollte ich nur mal gesagt haben!

  2. Anke meint:

    Das Lush-Erlebnis ist nur komplett, wenn man danach die Badewanne putzen muss. Zu sehr entspannend wollen wir uns dann ja auch nicht.

  3. buchstabenpolizei meint:

    Lush – mir wird da ja regelmäßig schlecht, wenn ich alle heilige Jahre mal an den Hackeschen Höfen rumlaufe und schon kilometerweit diese Überparfümierung riechen muss. Selbst im Butlers nebenan wabert das noch durch die Geschirrregale. Und penetrantes Seifenaroma in der Luft während man gerade ein Currywurst isst, finde ich auch ziemlich sehr eklig…
    Bleib mir weg mit Lush. Billigware.

  4. The Exit meint:

    Da in Mitte sind die Straßenbahnen auch verwirrend (die zudem linientechnisch Metrotram heißen, aber diese rollenden gelben Dinger muss man trotzdem (auch wenn es in München anders [besser] ist) Straßenbahn nennen. Tram führt zum Volksaufstand)… wo war ich? Ja, die Linienführung ist seltsam, nur durch Er- oder Abfahren schlüssig.

    Aber es freut zu lesen, wenn es Ihnen in der Hauptstadt gefallen hat.

  5. croco meint:

    Mir geht das Herz auf! Muss schön gewesen sein bei und mit Ihnen.

  6. zonebattler meint:

    Der (für mich) funkelndste Diamant der Kaltmamsell’schen Berlin-Impressionen hat rein gar nix mit der Hauptstadt zu tun. Es ist vielmehr die wunderschöne Definition von »Ausgehen« (sich in übervollen, dunklen, lauten Räumen nicht unterhalten zu können). Man möchte -vielmehr muß- den Adjektiven meist noch ein weiteres hinzufügen, nämlich »verrauchten«. All’ das hat meiner einen zum passionierten Wohner gemacht, der sich sehr genau überlegt, ob der Anlaß das Ausgehen, das Verlassen der eigenen Kuschelspäre also, wirklich wert ist… Vielleicht hat’s auch was mit dem Älterwerden zu tun, denn viele Freunde empfinden das ähnlich…

  7. Lu meint:

    lush ist – in homöopathischen dosen genossen (jetzt hab ichs wieder gesagt ;-)- geil wie brause, und ich bedauere es mal wieder, nicht dort gewesen zu sein. sie hätt ich gleich am bein geklammert und angestrahlt.

  8. die Kaltmamsell meint:

    Oh Lu, wir zwei beide finden uns noch ganz sicher, und klammern einander am Bein, gell?

  9. Indica meint:

    Es war mir ein überaus großes Vergnügen, Ihre und meine Handschuhe einander vorzustellen. Schön, Sie persönlich kennen gelernt zu haben!

    Sie wissen ja, Sie müssen öfters kommen. Dann könnten wir uns auch mit gehäkelten Sommerhandkleidern begrüßen. Zum Beispiel. Das Gästesofa steht bald auch im wilden Osten für Sie bereit und die Hauptstadt freut sich weiterhin über Ihren Besuch.

  10. Noga meint:

    Mir sind die Lush-Produkte auch zu penetrant – empfehle eher die Produktion des Seifenladens in der Sophienstrasse in Mitte und wen das jüdische Berlin näher interessiert, findet hier Basis-Infos unter:
    http://www.berlin-judentum.de

  11. Loreley meint:

    Ups …… was hab ich denn da auf der Suche nach ‘nem Rezept für mousse au chocolat entdeckt ? Mit Seife hab ich nicht soviel am Hut – eventuell mit dem seifigen Geschmack von gutem Cognac ….

    jedenfalls ist Kaltmamsell schon mal bei den Favoriten gespeichert ….

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