Die beste Pizza meines Lebens

Samstag, 15. April 2006 um 8:59

Italien und ich, wir haben ein gestörtes Verhältnis. Das liegt an meiner nach Italien ausgewanderten, polenstämmigen Tante Barbara. Wegen ihr ist mein Italienbild geographisch von einer Gegend dominiert, die wegen ihrer Hässlichkeit und Unwirtlichkeit so lange unbesiedelt blieb, bis der große Diktator des 20. Jahrhunderts ein Besiedlungsprogramm ausrief: von den pontinischen Sümpfen. Der Wohnort meiner Tante, der für mich „Italien“ war, liegt südlich von Rom in der Provinz Latio und bestand zu meinen Kindertagen in ersten Linie aus Beton-Flachbauten. Zu diesem wenig attraktiven Italien gehört zudem die weitläufige angeheiratete Familie ihres Mannes, die aus hexenartigen Keifweibern mit bösem Blick und kleinen, ausgetrockneten Supermachos bestand, die vermutlich schon deshalb ungeheuer o-beinig liefen, um jederzeit mit der Hand bequem ans Gemächt zu kommen, das ohne regelmäßiges Zurechtrücken wohl aus der Form geraten wäre. Die große Ausnahme war meine Kusine Roberta, ein Jahr älter als ich, großgewachsen, stattlich und wunderschön, die im entsprechenden Alter mit mir stundenlang auf ihrem Mofa durch die staubigen Straßen fuhr und mit mir Kleider tauschte. Diesen evolutionären Ausreißer hat sich dann auch vor einigen Jahren der Leberkrebs geholt.

Und doch habe ich einen Schatz wundervoller Erinnerungen an unsere Italienaufenthalte bei Tante Barbara: das Essen!

Tante Barbara war schon immer dick und wurde mir von ihrer Schwester, meiner superschlanken und diätversessenen Mutter, von klein auf als Damoklesschwert über das Essverhalten gehängt: „Wenn ich nicht auf dein Essen achten würde, wärst du so dick wie Tante Barbara.“ Anderen Kindern wurde mit dem imaginären Schwarzen Mann im Keller gedroht, mir mit der konkreten Hässlichkeit einer abstoßenden Verwandten.
Doch es war ausgerechnet diese Verwandte, die die Zeit und die Geduld aufbrachte, mir als Mädchen ein bisschen Kochen und Warenkunde beizubringen. Vielleicht hoffte sie auch nur, dass ich tatsächlich dereinst ihre Formen annehmen würde, um in der Familie eine Verbündete zu haben. Egal.

Ich begleitete Tante Barbara zum Bäcker und lernte die Namen der vielen verschiedenen Weißbrotsorten kennen (nein, leider weiß ich keinen mehr). Am meisten faszinierte mich ein Brot aus extrem feinporigem Teig, das aus einem quadratischen, gefalteten Zentrum mit etwa 12 Zentimeter Seitenlänge und an den Ecken jeweils langen gedrehten Hörnern bestand. Geschmeckt hat es mir leider nicht besonders, weil ich es zu trocken fand. Auch in die Molkerei nahm mich Tante Barbara mit, wo wir frische Mozzarella in Lake kauften, in riesigen Schraubgläsern (vielleicht nicht wirklich riesig, ich war ein Kind), dutzendweise.

Diese Tante hatte hinterm Haus einen Zitronenbaum stehen, außerdem ein Bäumchen mit winzigen orangen Zitrusfrüchten, von denen sie behauptete, man können sie ganz essen. Bis mir die trockenen, bitteren Dinger schmeckten und ich lernte, dass sie „Kumquats“ hießen, musste ich allerdings erst erwachsen werden. Auch Hühner hielt die Tante Barbara, und so sah ich ihr nicht nur einige Male beim Hühnerschlachten zu, sondern lernte auch früh, wie Hühnerfleisch eigentlich und an sich schmecken kann. Tante Barbara brachte mir Nudelnmachen bei, inklusive der Fertigung von Ravioli und sogar Tortellini (die sie immer „in brodo“ servierte, also als Suppeneinlage).

Einer dieser Italienaufenthalte, ich war etwa 12 Jahre alt, verschaffte mir die Bekanntschaft mit der besten Pizza der Welt. Die Tante und ihr Mann hatten Freunde auf dem Land, eine Bauersfamilie. Und die lud uns alle zum Abendessen ein. Der Bauernhof passte zur unmalerischen Gegend, war funktional, mit Schrottteilen übersäht und leicht angegammelt. In der neonlichtbestrahlten Küche, vollverfliest, begrüßten uns die uralte und diabetesblinde Nonna, die kleine, kugelbäuchige Hausherrin jenseits der Wechseljahre und in Kittelschürze, ihre hübsche und schüchterne Tochter mit erstem Kind auf der Hüfte, sowie der vielköpfige Rest der Bauersfamilie, von dem mir nur ein (kleiner, ausgetrockneter) Mann in Fahrradkleidung in Erinnerung geblieben ist, der soeben sein Rennrad in die Küche getragen hatte und die Sportkleidung den ganzen Abend nicht ablegte.

Als wir im ersten Abendrot ankamen, begann gerade erst die Vorbereitung des Abendessens. In der Küche herrschte Trubel, es war ein Kommen und Gehen mit viel lautstarker Unterhaltung und viel Gelächter. Mangels Italienischkenntnissen verstand ich kaum etwas davon, aber in der Atmosphäre fühlte ich mich wohl. Überall standen Schälchen und Tellerchen mit Oliven, Käse und Schinken herum, von denen im Vorbeigehen schnabuliert wurde.

Bald verteilten die jüngeren Frauen des Haushalts Pizzateig auf große schwarze Bleche. Mir fiel auf, dass sie, wie schon bei anderen Essensbereitungen, kaum Werkzeug noch Geräte verwendeten, sondern alles mit den Händen machten. Die junge Frau des Hauses bemerkte meine neugierigen Blicke und begleitete ihre Handgriffe mit erklärenden Worten (laut, langsam und gestenreich, so verstand ich auch das fremde Italienisch): Dass sie sich erst die Hände mit Olivenöl glitschig machte, um den Teig besser auf dem Blech ausstreichen zu können. Lieber sogar mit noch ein bisschen mehr Olivenöl. Dass der Teig nicht zu dick und nicht zu dünn sein dürfe (was an superdünnem oder gar „knusprigem“ Pizzateig so toll sein soll, habe ich bis heute nicht begriffen). Und dabei glitschte sie mit sinnlichen Bewegungen über den Teig, bis er gleichmäßig in alle Ecken des Bleches verteilt war. Dann holte sie einen Topf vom Herd, in dem mit Kräutern gewürzter Tomatensugo heißgemacht worden war. Mit einem Holzlöffel klatschte sie etwas von der Soße auf den ölglänzenden Teig, verteilte sie wieder mit den Händen. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab, nahm zwei Bleche und forderte mich mit einer Kopfbewegung auf, ihr zu folgen. Sie ging raus und zu einem winzigen Häuschen – das sich als Backhäuschen entpuppte. Darin stand, schwitzend, mit hochgekrempelten Ärmeln und rotem Kopf, eine weitere Frau im Jungmutteralter, die anscheinend die gemauerten Öfen befeuert hatte. Sie räumte mit einem Eisenschieber die glühende Asche heraus, und wir schoben unsere Pizzableche hinein. Hinter uns kamen bereits weitere Frauen mit den restlichen Blechen.

Nach wenigen Minuten war die Pizza fertig und wurde zurück in die bevölkerte Küche getragen. Dort zeigte mir meine neue Freundin, dass man diese Pizza nicht nur mit den Händen zubereitete, sondern auch aß: Sie schnitt sie in Stücke und forderte mich auf, sie von unten zu nehmen, zusammenzuklappen und so in den Mund zu schieben. Ich habe nie wieder eine solch köstliche Pizza gegessen. Der ein wenig zähe Teig schmeckte nach Rauch und Brot, der einfache Belag nach der Quintessenz des Sommers. Wieder und wieder griff ich zu, ließ mich weder von den strafenden Blicken meiner Mutter zügeln, noch von der wohlmeinenden Mahnung meines Vaters, dass das eigentlich Abendessen doch erst noch komme.

Der Hauptgang kam ebenfalls aus dem Backhäuschen und bestand in Hähnchenteilen, mit Knoblauch, Rosmarin und Weißwein aromatisiert. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich davon auch nur kosten konnte. Sicher weiß ich wieder, dass wir beim Aufbruch zu später Nachtstunde als Abschiedsgeschenk riesige Gläser voll eingemachtem Tomatensugo mitbekamen. Doch Pizza bereitete meine Mutter damit leider nicht.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Die beste Pizza meines Lebens“

  1. Gabriela meint:

    Mmmhhhmmm – danke für das kulinarische Miterleben, ich kann sie riechen und schmecken und nachvollziehen, wie sehr ein solches Ereignis prägt für kommende Genüsse.
    Meine erste Pizza war genau das Gegenteil : als etwas Neues in einem der ersten italienischen Restaurants von Freunden empfohlen, kämpfte ich mit Messer und Gabel mit einem harten Stück Teig, das sich meiner Portionierkunst heftigst widersetzte und ein Stück davon landete eine Etage tiefer. Zumindest erzielte ich einen Lach – jedoch keinen Geschmackserfolg und es dauerte einige Jahre, bis ich mich wieder überzeugen liess, dass es auch wohlschmeckende Varianten dieser Spezies gibt.
    Genussvolle Grüsse von Gabriela

  2. kecks meint:

    *hunger*

    Und Sie haben vollkommen recht, knusprig dünner Pizzaboden wird vollkommen überschätzt.

  3. die_lou meint:

    mmmmh. die mozzarella. eben noch im büffel gewesen und schon auf dem teller. nur mit salz und pfeffer. wahnsinn.

  4. mutant meint:

    danke, jetzt habe ich hunger (und zum gleuck noch tortellini in brodo da).

  5. zorra meint:

    Wunderschöner Text, der Lust nach Italien und Pizza macht! Danke.

  6. Pizzasauce meint:

    Wunderbar! Pizza auf Korsika ist aber auch ne Wucht! Hab dazu was auf meiner Seite traum-pizza.de geschrieben, schau einfach mal rein!

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