Bachmannpreislesen, Tag 1

Donnerstag, 24. Juni 2010 um 16:56

Richtig schlecht fand ich keinen der fünf Texte von heute. Ich konnte lediglich mit einem überhaupt nichts anfangen (allerdings fallen mir zwei Leser ein, denen er gefallen könnte) und musste mich über sprachliche Ungelenkheiten eines anderen aufregen.

Aus der Jury spricht mir am ehesten Burkhard Spinnen aus dem Herzen. Immer interessant ist, was Literaturwissenschaftlerin Hildegard Elisabeth Keller zu sagen hat – und was sie gerne viel öfter tun könnte. Meike Feßmann, von der es in der Vorstellung hieß, sie schreibe hauptsächlich für die Süddeutsche Zeitung, deren Namen ich darin aber in 22 Jahren Abo nie wahrgenommen habe, ist am weitesten von meiner Wahrnehmung der Texte entfernt, will heißen: Sagt für meine Ohren nur Blödsinn.

Meinen ersten Tag endlich vor Ort beim Bachmannpreislesen verbrachte ich im Veranstaltungsstudio selbst (für die letzten drei der fünf Texte von heute erjagte ich sogar einen Stuhl). Ich kann mir gut vorstellen, dass es im Garten vor dem ORF-Gebäude und im Pressecafé lustiger zugeht und vermisste es durchaus, mich über Texte und Diskussionen sofort austauschen zu können, aber noch übt das In-Echt-Dabeisein den größeren Reiz aus.

Die Texte wurden direkt vor dem Vorlesen als Ausdrucke verteilt. Ich las dennoch nicht mit, sondern hörte nur den Autorinnen und Autoren zu (was meine Wahrnehmung sicher beeinflusst hat). Die Texte sind jeweils in meinen Überschriften verlinkt.

Sabrina Janesch, „Katzenberge“ (vorgeschlagen von Alain Claude Sulzer)
Das filmische Kurzportrait hatte sich um Janeschs deutsch-polnischen Familienhintergrund gedreht. Die Geschichte erzählt entlang einem „Großvater sagte“, beschreibt aber streckenweise auch einen Janeczko. Beim Zuhören brauchte ich eine Weile um zu begreifen, dass die beiden Männer identisch waren.
Mir gefiel die Geschichte sehr gut, den zugehörigen Roman will ich lesen. Ich fand zwar, dass der Wechsel zwischen direkter und indirekter Rede manchmal holperte, sah aber genau darin die Erzählerstimme, die die Jury gerne deutlicher gehabt hätte. Dass die Jury unoriginelle Metaphorik und Erzähltechnik zum Evozieren der Schrecken bemäkelte, zielte meiner Meinung nach völlig am Umstand vorbei, dass das die Techniken und Erzählmuster des Großvaters sind.
Mehr Enkelin als Filter und Kanal der Großvatergeschichte hätte ich mir aber auch gewünscht.

Volker H. Altwasserx, „Letzte Fischer“ (vorgeschlagen von Meike Feßmann)
Fand ich reizvoll in genau dieser Lesereihenfolge: Nach einer historischen Situation ein brandaktuelles Setting. Doch dann kam gleich eine erzählerische Unbeholfenheit, die sich durch die ganze Geschichte zog: Beschreibungen der Figuren durch telling statt showing: „Der junge, ehrgeizige Mann…“ Das will ich vorgeführt bekommen, nicht behauptet. Die folgenden detaillierten und ziemlich langweiligen Fischbeschreibungen erinnerten mich an Moby Dick weit bevor der Name Ishmael gefallen war. Kein gutes Zeichen (mich hat der Roman bei beiden Leseversuchen in den Schlaf gelangweilt). Außerdem leidet Altwasser an schwerer Synonymitis: „Das aufgeregte Gesicht seines jungen Verwandten“ für Enkel, und um nicht immer den Namen eines der Protagonisten Rösch zu verwenden, geht es von „Verarbeiter“ über „Seefledermausspezialist“ bis zu „der Kurznasenseefledermausspezialist“. Und die zeitgenössische und eigenartige Kostruktion „von xy her“ ist nun auch im Roman angekommen: „Vom Verstand her…“
Diese sprachliche Unzulänglichkeit machte die gesamte Geschichte für mich uninteressant. Hat aber Potenzial zum Flughafen-Bestseller.
Die Jury sprach davon nichts an, vielleicht handelt es sich um meinen persönlichen Knacks.

Christopher Kloeble, „Ein versteckter Mensch“ (vorgeschlagen von Alain Claude Sulzer)
Ich mochte von Anfang an die elegante indirekte Informationsvermittlung, mit der die Geschichte ihr Setting aufbaute. Weil dieses sich als ausgesprochen abgefahren herausstellte, hatte ich allerdings eine Zeit lang Probleme herauszufinden, ob nun Fred oder Albert der ältere war – was zur Geschichte wiederum passte, die sich angenehm langsam entfaltete. Ich konnte beide Figuren gut nachvollziehen, fand die sprachlichen Mittel zurückhaltend und angebracht. Auch hieraus soll ja ein Roman werden – will ich lesen.
Dass ausgerechnet Feßmann, die den sprachlich herausgeforderten Altwasser als Kandidaten vorgeschlagen hatte, Kloeble vorwarf, er habe sich „verkrampft“ ausgedrückt, fand ich frech. Zudem konnte ich (zumindest beim Zuhören) keine Verkrampftheit entdecken.
Erstaunt war ich über die wiederkehrende Diskussion der Jury über die Wirklichkeitsübereinstimmung sachlicher Inhalte (hier: Kann ein geistig Kind gebliebener Mann Lexikoneinträge lesen?). Im Präzisen kann man von einem Autor schon Sorgfalt erwarten, doch für die großen Bögen muss er auf die suspension of disbelief bauen können, die man zum Lesen von Fiktion einfach braucht.

Daniel Mezger, „Bleib am Leben“ (vorgeschlagen von Burkhard Spinnen)
Der Texteinstieg ließ mich „Oh nein, Kunst“ denken, doch das war nach spätestens einer Seite dieser soliloquy vorbei. Am Ende standen mir Tränen in den Augen. Ich fand die Textsorte (Spinnen beschrieb soliloquy korrekt als „Position am Rande der Bühne“, „aus der Situation herausgetreten“) ideal, impressionistisch die Tragik und Pein dieser Beziehungssituation darzustellen. Dass für Feßmann schwere Depressionen gleichzusetzen sind mit Erpressung der Umwelt, hat mich scharf Luft einziehen lassen. Keller merkte an, dass die Wirkung des Textes beim Hören eine sehr andere als beim Selbstlesen sei – kann ich mir vorstellen. Fleischanderl vermisste Originalität in den Bildern, Beschreibungen, Vergleichen – nun gut, ein ordentlicher conceit hätte den Text vielleicht verbessert. Vielleicht aber falsche Aufmerkamkeit erregt. Als Feßmann zum wiederholten Male kritisierte: „Wenn jemand gehen möchte, wird er nicht flehen!“ wurde zum einzigen Mal heute das Publikum hörbar protestierend unruhig.

Dorothee Elmiger, Einladung an die Waghalsigen (vorgeschlagen von Paul Jandl)
Das war der eine Text, der völlige Ratlosigkeit bei mir hervorgerufen hat. Allerdings dachte ich sofort an Frau Modeste: Das könnte ihr gefallen. Und dem Mitbewohner. Nicht, dass ich ihn schlecht fand – ich wusste nur nicht, wohin mit all den explodierenden Fragmenten. Sulzer sprach mir aus der Seele, als er den drei Jurykollegen, die sich bis dahin begeistert über die Geschichte geäußert hatten, herzlich dankte: „Ich bin froh, das mir der Text erklärt wurde.“ Wenn er das bedeutet, was Fleßmann sagte („Apokalypse als Spielfeld“), was Winkels lobte (Kontextualisierung der Inhalte der aufgelisteten Bücher), was Fleischanderl gefiel (Zeitdiagnose in apokalyptischer Situation, junges Mädchen auf der Suche) – dann ist er vermutlich ziemlich gut. Hilfreich war für mich auch Spinnens Beobachtung, dass der Text Techniken der Computerspielprogrammierung aufweist. Er interessiert mich trotzdem nicht.

Und jetzt schaue ich, was der Rest meiner Internetwelt über die heutige Leserei geschrieben hat.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Bachmannpreislesen, Tag 1“

  1. Liisa meint:

    Dieses Jahr werde ich die Bachmann-Tage nicht wie in den vorherigen Jahren mitverfolgen können und so bin ich doppelt froh, dass Sie diesmal sogar direkt vor Ort sind und berichten! Ich hoffe, wenigstens die Videos mit den Lesungen und Jury-Gesprächen nach und nach anschauen zu können aber falls nicht, weiß ich dank Ihnen ja zumindest grob, was passiert ist.

    Was “Katzenberge” angeht, so bin ich auf diesen Roman, von dem ich an anderer Stelle schon kurz gehört hatte, ebenfalls sehr gespannt und hoffe ihn nach Erscheinen lesen zu können.

    Ihnen weiterhin viel Freude vor Ort!

  2. Sturmwarnung meint:

    Mir geht’s leider genau wie Liisa, ich kann diesmal nicht einmal live fernsehen. Daher danke für die Möglichkeit zum konzentrierten Nachlesen!

  3. Nathalie meint:

    Ich konnte die guten Kritiken für Frau Elmiger auch nicht nachvollziehen … und Frau Meßmann fand ich einfach nur rechthaberisch.
    Mein Favorit war heute Kloeble.

    Viel Spaß noch! (Morgen früh muß ich aussetzen, aber ab nachmittags bin ich dann wieder bis zum Ende mit dabei.)

  4. André Thiele meint:

    Herr, Du GOtt der Verleger, bewahre mich davor, jemals an diesen Ort des Grauens zu müssen!

    Ich bewundere Sie, dass Sie das durchhalten. Ihr Dauerlaufen ist wahrscheinlich das richtige Training für diese Sorte Kunsteunuchengeschwätz.

  5. André Thiele meint:

    Andererseits, vielleicht sollten nur solche Verleger über Klagenfurt schimpfen, die schon Autoren in Klagenfurt hatten; was Frau Passig hier sagt (http://www.zeit.de/kultur/literatur/2010-06/klagenfurt-passig?page=1) ist ja keinesfalls dumm.

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