Journal Freitag, 20. Januar 2017 – Mir fällt zu Trump nichts ein

Samstag, 21. Januar 2017 um 8:18

Gestern Abend hatte Herr Kaltmamsell Gäste geladen. Der angeregte Abend mit ihnen hielt mich von akuter Verzweiflung über den Machtwechsel in Washington ab.

Ich möchte Obama nicht idealisieren, aber gerade angesichts seines Nachfolgers ist das mühsam. Zumindest versuche ich das Detailgeschrei über die Machtübergabe skeptisch zu betrachten: Zwei Tage vor Amtsantritt haben nur ein Drittel des neuen politischen Personals security clearance? Vielleicht ist das immer so, ich kann die Information nicht einordnen. Der neue Energieminister wusste beim Annehmen des Jobangebots nicht, dass er für die Wartung des Atomwaffenarsenals zuständig sein würde? Vielleicht ging es dem einen oder anderen Vorgänger auch so; bevor ich über dieses Detail Haare raufe, möchte ich das erst mal geklärt haben.

Doch ich merke, dass ich schon lange nicht mehr über Trump-Witze lache. Zum einen ist es zu einfach, über eine komplette Witzfigur Witze zu machen. Zum anderen dominiert in meiner Wahrnehmung seit den US-Wahlen die Erkenntnis: Es ist egal. Seine Wählerinnen und Wähler haben eine so andere Weltsicht, dass er ihnen nicht als Witzfigur erscheint. (Hatten wir uns nicht immer gewundert, warum die Massen im Dritten Reich die Lächerlichkeit des Führungspersonals nicht sahen? Obwohl sie doch so offensichtlich war, dass man sie fast ohne Übertreibung zur Hollywood-Komödie machen konnte?)

Mir ist zudem bewusst, wie viele seiner Wahlversprechen Obama nicht eingehalten hat (wenn auch sehr oft durch die Blockade der Republikaner-Mehrheit im Kongress) und dass er die digitale Bespitzelung in ungeahnte Höhen getrieben hat.

Doch dann kommt halt wieder sowas:
“To Obama With Love, and Hate, and Desperation
Over eight years, through millions of letters, the staff of the White House mailroom read the unfiltered story of a nation.”

Zu Beginn seiner Amstzeit legte Obama fest, er würde jeden Tag zehn Briefe lesen, die US-Bürger an den Präsidenten der Vereinigten Staaten schreiben. Jeanne Marie Laskas berichtet für die New York Times über den personellen und bürokratischen Aufwand hinter dem Mailroom des Weißen Hauses, zitiert viele Beispiele, beschreibt den Prozess von Posteingang bis in die Mappe mit den zehn Briefen für den Präsidenten und hat sich mit ihm darüber unterhalten. Alles weist darauf hin, dass Obama wirklich wissen wollte, was die Menschen da draußen umtreibt. Schon wird die Aussicht auf die Zukunft ohne ihn als US-Präsidenten sehr trübe.

Aber: Den Mailroom wird es auch unter Trump geben. Hoffentlich mit ebenso empathischem Personal.

§

Welche Blüten PokémonGO auch treiben kann: In einem Facebook-Thread (Aufklappen von Einzelschritten nicht vergessen) wird in in verschiedenen klassischen Formen der internationalen Weltliteratur darüber gedichtet.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Freitag, 20. Januar 2017 – Mir fällt zu Trump nichts ein“

  1. creezy meint:

    Was Du immer alles in diesem Web für uns findest! <3

  2. Micha meint:

    Nicht, dass ich sonderlich politisch ambitioniert wäre, aber was mich gerade sehr Wunder nimmt, ist die Tatsache, dass der eine Politiker (Obama) direkt mit Amtsbeginn den Friedensnobelpreis verliehen bekommt während der andere (Trump) ebenso direkt zum Teufel erklärt wird – nur als Beobachtung.

    Wirklich gruselig finde ich hingegen, dass ausgerechnet eine Nation, in der seit vielen Jahren bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen, sich zur einzigen selbsternannten Supermacht hochgeschwungen haben (http://www.jetzt.de/usa/statistik-anzahl-der-toten-durch-schusswaffen-in-den-usa-hoerer-als-zahl-von-kriegsopfern). Und kaum beschäftige ich mich mit Politik, habe ich schlechte Laune. Dann folge ich wohl lieber noch Ihrem Pokémon-Link….

  3. Susann meint:

    Trump. Es ist wirklich übel.
    Ich verfolge die nerdcasts auf Politico, und es blieb mir der Mund offen stehen über der offensichtlichen Vulgarität, Lügnerei und den Opportunismus des neuen president. Möge er es maximal zu einer Amtszeit bringen.
    Und mögen alle bitte ganz schnell aufwachen, die ihn in dem Glauben gewählt haben, dass die orange Gefahr rein, lauter und völlig selbstlos zum Besten seiner Landsleute agieren werde.

  4. Sabine meint:

    Also Rick Perry, der neue Energieminister, ist wirklich legendär doof. Seine Vorgänger waren in letzter Zeit alle Physiker.

  5. Elfe meint:

    Der NYT-Essay über den Mailroom von Obama hat mich sehr bewegt, vielen Dank für diesen Fund! Wäre wirklich interessant, wenn jemand in einem Jahr aus dem Trump-Äquivalent berichten könnte. Unwahrscheinlich natürlich; außerdem fürchte ich, Trump wird sich nicht jeden Tag zehn Bürgerbriefe vorlegen lassen – und wenn, dann liest er vermutlich nur Lobhudeleien …

  6. Susann meint:

    Nach allem, was man so hört, ist Trump nicht der große Leser vor dem Herrn. Vielleicht liest er ein paar Twitterfeeds aus dem “Volk”, und das wars dann.

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