Hillary Mantel, Beyond Black

Mittwoch, 22. Februar 2017 um 6:57

Unsereine kann sich aussuchen, was sie von Geisterbeschwörungen, Tarotkarten und Hellseherinnen hält. Alison, die Hauptfigur in Hillary Mantels Roman Beyond Black von 2005, hat diese Wahl nicht: Seit frühester Jugend lebt sie mit den Geistern von Verstorbenen, die jeden Bereich ihres Alltags beeinflussen. Wir sehen ihr dabei zu, wie sie unter diesen Umständen ihr Leben meistert. Als Erwachsene verdient sie zumindest ihren Lebensunterhalt mit dieser Last: Wir lernen sie auf einer Bühne im Süden Englands kennen, wo sie ruhig die Welt der Toten erklärt und im Publikum Ansprechpartner für die Geister sucht, die sie kontaktieren.
Schon Alisons Mutter war ein sensitive, also ein Medium, ständig im lauten Gespräch mit einer Gloria, die sonst niemand sehen konnte. Doch sie hielt sich als Prostituierte der untersten Kategorie über Wasser, etwas anderes konnte sie sich als Lebensunterhalt für sich und später für ihre vernachlässigte und geprügelte Tochter nicht vorstellen.

Es ist eine Art dreckiger magic Alltags-realism, in der der Roman geschrieben ist, und wie ich es von ihr gewohnt bin, schreibt Hillary Mantel großartig.

An Alisons Seite steht als personal assistant Colette (sie bevorzugt den Jobtitel manager), eine bittere und humorlose Buchhalterin, die Alisons Kundschaft verachtet, im Grunde auch Alison selbst. Alison und ihre Kolleginnen wissen, dass auch Colette eigentlich ein Medium ist, denn sie sehen Colettes spirit guide, doch ihr fehlt die nötige Offenheit. Überhaupt: Der Branchenzirkus des Hellsehertums. Er wird geschildert wie jede andere Verkaufsbranche auch, inklusive den resultierenden Lebenshilfebüchern (beim Bestsellertitel Self-healing through success musste ich sehr lachen).

Colettes Geschäftsidee ist ein Buch über Alisons Gabe/Last. Sie führt mit ihrer Chefin Interviews, die sie aufnimmt – doch auch diese Aufnahmen sabotieren die Geister, man hört statt Alison alle möglichen Geräusche und Stimmen darauf. Wir Leserinnen allerdings bekommen die Erzählungen ungestört in Buchstabenform. Sie erzählt von ihrer Kindheit, die von Anfang an von Geistern beeinflusst war – im Guten von einem alten Weiblein, das ihr Gesellschaft leistete, wenn sie mal wieder auf dem Dachboden weggesperrt wurde, vor allem aber im Übelsten, wenn boshafte Verstorbene im Klassenzimmer solchen Radau machten, dass sie (als Urheberin verdächtigt) vom Unterricht ausgeschlossen wurde, oder wenn schriftliche Prüfungen durch das Schubsen und Necken der Geister unleserlich waren. So kommt es unter anderem, dass Alison keinen Schulabschluss hat. Mehr über Alisons Vergangenheit erzählen Rückblicke, diese aber eher in Bilderfetzen, vagen Erinnerungen.

So verläuft der Roman in zwei Handlungssträngen: Der eine chronologisch im Jetzt, in dem Alison unter anderem ein Haus in einem abgelegenen Neubaugebiet kauft, um vielleicht doch ihren bösartigen spirit guide Keith loszuwerden, der immer mehr Gespensterkumpel anschleppt – Alison hofft, dass es der Bagage im gottverlassenen Suburbia zu langweilig ist. Der zweite in Alisons Kindheit und Jugend, unchronologisch, widersprüchlich, erst ganz am Ende mit genug Informationen, um genau diese Geistergesellschaft um sie herum zu erklären.

Eine wichtiges Element ist Alisons Körperfülle: Gleich am Anfang wird klar, dass Alison dick ist, zunächst in erster Linie eine imposante Erscheinung, die sich auf der Bühne gerne in leuchtende Farben und glänzende Stoffe kleidet. Doch die dünne Colette drangsaliert Alison deshalb immer mehr, beleidigt sie, zwingt sie zu Diäten (schmerzhaft realistisch geschildert: Mag in Colettes Leben auch sonst alles gescheitert sein – einer Dicken kann sie sich immer noch überlegen fühlen.)

Alles zusammen ergibt ein dichtes Erzählgewebe vor ungewöhnlichem Hintergrund – ein wenig zu lang (das kenne ich von Mantels Romanen) und mit unelegant abruptem Schluss, aber ausgesprochen lesenswert.
(Es dauerte übrigens eine Weile, bis ich das Buchcover als erfundene Tarotkarte erkannte – und ziemlich genial fand.)

die Kaltmamsell

1 Kommentar zu „Hillary Mantel, Beyond Black

  1. Leonie meint:

    Gleich auf die Einkaufsliste gesetzt. Ihre Buchkritiken sind immer so persönlich und nachvollziehbar, vielen Dank dafür.

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