Vom großen Vergnügen, Chefin zu sein

Donnerstag, 2. Oktober 2003 um 14:48

Als dominante Persönlichkeit mit dem etwas sperrigen Charme eines Bulldozers geriet ich ganz von alleine schon früh in Führungspositionen. Und von Anfang an habe ich das genossen.

Daran wurde ich gestern Abend erinnert, als ich mit einem früheren Mitarbeiter ausging. Er hatte in meinem damaligen Agentur-Team als Praktikant angefangen – schon nach knapp zwei Tagen war klar, dass der junge Mann ein Goldstück war. Ich wieselte zur Geschäftsführung und bettelte darum, den Herrn als Trainee behalten zu dürfen. Schon bald nannte ich ihn vor Dritten nur noch „Wonderboy“. Über ein Jahr hatte ich das Vergnügen, von Wonderboy zu profitieren und ihn zu fördern. Jetzt arbeiten wir beide längst an anderen Stellen, aber er haut mich bei jeder Begegnung wieder damit um, dass er meine kühnsten Erwartungen an ihn weit übertrifft.

Schon in meinem ersten Leben als Jungredakteurin wurde mir der journalistische Nachwuchs überantwortet. In der kleinen Regionalredaktion leitete ich als Urlaubsvertretung ein Ressort mit Praktikant oder Volontär. Ich fand es klasse, die Verantwortung für zwei ganze Seiten zu haben, Entscheidungen zu fällen und mein Wissen so weiterzugeben, dass ich auch jemanden mit wenig Erfahrung nutzen konnte.

Begeisterung wecken, Begabungen fördern – das waren auch die beiden Aspekte, die mir während meiner Zeit als Uni-Dozentin für Englische Literaturwissenschaft Vergnügen bereiteten. Als Grünschnabel ohne akademische Sporen bekam ich natürlich zunächst nur den Einführungskurs. Um mir wirklich motivierte Kurteilnehmer zu sichern (es gab drei Einführungskurse), setzte ich meinen Kurs um 8.30 Uhr an – also außerhalb des studentischen Raum-Zeit-Kontinuums. Diese Rechnung ging einigermaßen auf, mehr als ein Drittel der Kursteilnehmer war brauchbar.

Ganz hinten, fast bis unter den Tisch gerutscht, saß Birgit. Mit verschränkten Armen und halbgeschlossenen Lidern beobachtete sie mich unter ihren kurzen wuschligen Blondhaaren und war zum Umfallen cool. Aus ihren schriftlichen Hausaufgaben (oho, es war nicht einfach, bei mir einen Schein zu kriegen!) und ihren Seminarbeiträgen schloss ich schnell, dass Birgit nicht nur überdurchschnittlich begabt war, sondern sich auch eigentlich extrem für Literatur interessiere. Es war ein großes Vergnügen, sie über das Semester hinweg zur Einsicht zu verführen, dass es an der Uni durchaus cool sein kann, sich für sein Studienfach zu begeistern. Daraufhin startete Birgit mit voller Kraft durch und brillierte. Über das Internet verfolge ich seither ihren weiteren Weg und hoffe, dass sie die akademische Karriere machen wird, die ich nicht durchgehalten habe.

So richtig ging’s aber los mit dem Dasein als Chefin (bitte mit langem eeee gesprochen), als ich mich ins Agenturleben stürzte. Zunächst bekam ich nur Praktikanten und Trainees, von denen ich keinen selbst ausgesucht hatte. Schmerzhaft lernte ich, mich durch meine Geschäftsführerin nicht in meinem eigenen Eindruck des neuen Personals irre machen zu lassen: Die Damen und Herren waren durch die Bank Knallköpfe und flogen innerhalb kurzer Zeit aus der Kurve, so dass ich zusätzlich zum Agentur-Vietnam alle paar Wochen von vorne mit Anlernen beginnen musste. Stück für Stück nahm ich die Auswahl meiner Team-Mitglieder selbst in die Hand. In einem Fall drückte ich die Übernahme einer Praktikantin ins Volontariat sogar gegen die Einschätzung der Geschäftsführerin durch (Sie abschließend: „Dir ist klar, dass ich an Deinem steigenden Umsatz sehen will, ob du recht hattest.“). Ich fühlte mich sehr wohl in der Projektierung, Terminierung, Delegation, Förderung von Mitarbeiterinnen. Anlernerin vom Dienst blieb ich allerdings. Denn sobald auch die Geschäftsführerin begriff, dass ich ein Juwel gefunden hatte, zog sie mir die Mitarbeiterinnen in schwächere Teams ab.

Auf dem nächsten Posten in der nächsten Agentur hatte ich dann ein richtig schön großes Team. Mittlerweile traue ich mich ja nicht mehr so laut wie früher zu behaupten, ich sei durch und durch teamfähig – vielleicht bin ich nämlich in Wirklichkeit nur teamleitungsfähig… Aber das erstklassig, wirklich! Es macht mir ungeheuer Spaß, Dinge zu ermöglichen, das Beste aus Mitarbeitern herausholen. Selbstverständlich erzielte ich dabei die besten Ergebnisse, wenn ich Ziele vorgab und nicht Detailschritte, wenn ich den Leuten Deadlines vorgab, aber sie nicht überwachte. Allerdings habe ich es noch nie geschafft, einen unmotivierten Nichtskönner hochzupäppeln. Will ich auch gar nicht, dann hätte ich ja gleich Schullehrerin werden können.

Erst in den diversen Führungspositionen hat sich übrigens ergeben, dass ich Kollegen und Mitarbeiter gerne mit Kosenamen anspreche, unter anderem „Purzel“, „Schnäuzelchen” und „Schnucki“. Aber nur die, die ich wirklich schätze. Keine Ahnung, ob meinen Mitarbeitern das gefällt. Aber ich fühle mich gut damit.

Mit der Art und Weise, wie mir das Chefinnen-Dasein gefällt, erkläre ich mir auch, warum ich noch nie Ambitionen hatte, „mein eigener Chef“ zu sein. Dann könnte ich mich ja viel zu wenig um Inhalte und Mitarbeiter kümmern. Nein, ich habe am meisten Spaß, wenn es noch eine Eskalationsstufe über mir gibt, und wenn mir zudem Buchhaltungs- und Personalabteilungen lästigen Kleinmist abnehmen.

Ach ja… Es ist nämlich so, dass ich da, wo ich seit eineinhalb Jahren sitze, keine Chefin mehr bin. Ich bin schon wichtig, aber weil wir eine Drei-Personen-Truppe in der Funktion einer Stabstelle sind, ist nur Platz für einen Oberchef – der ich auch gar nicht sein will. Geht mir schon ab, das Führen…

die Kaltmamsell

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