Diätterror – die Serie (1)

Samstag, 15. November 2003 um 12:31

Unter meiner Avatarin hatte ich es angekündigt, mella erinnert mich zurecht daran: Die Serie über Diätterror aus der Sicht der Kaltmamsell.

Erst mal: 80 Prozent aller Frauen in der westlichen Gesellschaft, die nach 1960 geboren wurden, sind Ernährungsexpertinnen (Quelle: Kaltmamsells Lebenserfahrung). Wir können in Sekundenschnelle den ungefähren Kaloriengehalt jedes Nahrungsmittels und jedes Gerichts aus dem Ärmel schütteln. Denn wir sind allesamt Opfer des Diätterrors, den im deutschsprachigen Raum maßgeblich die Frauenzeitschriften anstießen, allen voran die liebe Brigitte (ob man sie dereinst vor den internationalen Gerichtshof in Den Haag stellen wird, muss sich noch erweisen).
Selbst Anti-Diät-Kampagnen, die es übrigens durchaus schon in den 80ern gab, haben sich ausgeleiert. Wieso also das Thema nicht einfach ruhen lassen?

Weil ich mir einbilde, dass meine persönliche Geschichte eine ganz besondere ist. Ein bisschen wie Anna Wimschneiders Herbstmilch, dann aber doch nicht.

Die kleine Kaltmamsell wurde nämlich bereits im Alter von vier Jahren in die Welt des Diätterrors eingeführt. Von der eigenen Mutter. Die beschloss, dass ihre Tochter zu dick sei (was übrigens durch jedes Foto aus dieser Zeit sehr einfach zu widerlegen ist). Und setzte sie fortan unter eine kaloriengesteuerte Ernährungskontrolle, die sie bis zu Kaltmamsells Verlassen des elterlichen Heimes im Alter von 19 Jahren aufrecht erhielt.

Das sah konkret zum Beispiel so aus:
– In der heimischen Küche lag meist ein Zettel, auf dem Mutter den täglichen Kalorienkonsum der Tochter Kaltmamsell verzeichnete.
– Bei Einladungen (egal ob eigene oder aushäusige) lagen Mutters Argusaugen erbarmungslos auf dem töchterlichen Teller: “Nein, Kaltmamsell, du hattest schon zwei Stücke. Es reicht!”
– Als Schulbrotzeit bekam die Kaltmamsell rohes Gemüse (Karotten Kohlrabi, Gurken) mit. Kein Witz! Glücklicherweise waren zarte Mitschülerinnen gerne bereit, ihre dicken Schinkenbrote dagegen einzutauschen. So mussten sie sie dann nicht ungegessen auf dem Heimweg in Abfallkübeln verschwinden lassen, um nicht ihrerseits Mutterschimpfe einzustecken.
– Mutter: “Du könntest sooo eine hübsche Figur haben, wenn du abnehmen würdest.”
– Mutter: “Wenn ich nicht auf deine Ernährung achten würde, wärst du so dick wie deine Tante Barbara.”

Fortsetzung folgt.

Übrigens, um es vorweg zu schicken: Nein, ich wurde nie anorektisch oder bulimisch. Meine psychische Pferdenatur war stark genug.

die Kaltmamsell

17 Kommentare zu „Diätterror – die Serie (1)“

  1. Zeitgenossen meint:

    Kommt grad Recht:

    Gespräch mit meiner Mutter am 30. Geburtstag, letzte Woche. Ich ein wenig geknickt und so beinah schon traurig, sie sieht mir fest in die Augen und sagt: "Weisst Du, was Dein Problem ist?" Spannungsgeladene Pause. "Du bist zu fett. Würdest Du abnehmen, wären all Deine Probleme verschwunden."

    Und ich war mal magersüchtig. Dachte sie wirklich, dieser Satz sei mir noch nie eingefallen?

    30 Jahre wird jeder Bissen kontrolliert, mit Blicken verfolgt, von "iss mit, ich hab ein schlechtes Gewissen, allein zu essen", Eifersucht auf die schlanken Töchter bis "hör auf zu Fressen, Dich wird nie ein Mann lieben" schon alles mitgemacht und durch Dich weiss ich jetzt: Die Frau hat echt ein Problem. Ich nicht. Danke meine Liebe.

  2. Zeitgenossen meint:

    Bei Dir kann man ja nichtmal seine Rechtschreibfehler korrigieren, keiff:-)

    Sie will nicht zum Psychiater, das versuch ich schon seit Jahren.

  3. Zeitgenossen meint:

    Wenn ich ein Mann wär, würd ich jetzt grad vor mir davonrennen, danke Mike, Du musst mir das nicht vorführen. (interna, bitte in 15 Min. alle Kommentare löschen Frau Kalt)

  4. Zeitgenossen meint:

    Tun Sie eigentlich nie, was man Ihnen sagt? Jetzt bekomm ich nieeee mehr einen ab. Und wenn ich jetzt noch sag, dass Mike eine Katze ist.

  5. die Kaltmamsell meint:

    "Du tust nie, was man dir sagt" ist der Text von meinem Papa, und damit eine andere Geschichte.
    Trotzem, liebe Zeitgenossin, bist Du NOCH schlimmer dran: Meine Frau Mutter bereut inzwischen. Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob sie das Richtige bereut.
    Und warum, bitteschön, sollten die Männer vor Ihnen mehr davonrennen als Frauen, hm?

  6. Phileas meint:

    Wenn ich das so lese bei Ihnen, diese Geschichte einer lang und systematisch angelegten Verhinderung von Lebenslust, wenn ich dazu überlege, wie viele Frauen (ja seltsamerweise nur Frauen) ich kenne, die im Detail zwar andere, im Prinzip aber sehr ähnliche Dinge erlebt haben wie Sie, die magersüchtig oder bulimarektisch waren/sind oder knapp dran entlang schramm(t)en, für die Ernährung auf jeden Fall immer ein Problem ist, für die auch andere Genüsse meistens ein Problem sind, dann
    – ja dann frage ich mich (einmal mehr): wieso tun Menschen (hier: Frauen!) sich so etwas an?! Sich selbst und einander?

    War/ist Ihre psychische Pferdenatur Reaktion auf Ihre Erlebnisse oder waren Ihre Erlebnisse so heftig, weil Ihre Pferdenatur so undurchdringlich war?
    Was meinen Sie?

  7. die Kaltmamsell meint:

    @phileas: Och, wegen der fiesen Depressionen, die ich seit Jahrzehnten habe, bin ich seit ein paar Monaten in Therapie. Will heißen: Meine Pferdenatur hat sich ein leistungskompatibles Ventil gesucht. Da all dieses schon extrem früh angefangen hat, sind Huhn und Ei nicht voneinander zu unterscheiden, denke ich.
    In Wirklichkeit handelt es sich um eine Verschwörung von naturschlanken Müttern, die sich als Gattung an die Spitze der Evolution setzen wollen, jawoll.

  8. Phileas meint:

    Naturschlanke Mütter ?!
    *Räusper* oder *großer Hustenanfall* – kann mich gerade nicht entscheiden.

    Aber vielleicht ist es ja auch hier so, daß es weniger Sinn macht, Ursachen spitzfindig zu ergründen, als vielmehr nach Möglichkeiten der Veränderung zu suchen.
    Es einfach anders und damit besser machen. Die ersten Schritte haben Sie ja schon gemacht :-)

  9. Zeitgenossen meint:

    @Kaltmamsell
    Aber das mea culpa ist nicht genug? Und es stimmt, Frauen rennen auch davon, aber die sindirgendwie höflicher, bei denen merkt man’s nicht so.

    @phileas
    Ich sprech mal ohne zu wissen, ob Frau Kalt das auch so sieht: Ach hörens doch auf. Da ist man jahrelang die supersouveräne Frau, die alles schafft und meistert, und plötzlich merkt man, dass man gezwungen ist über die Mutter zu lästern, damit man nicht total ausflippt, das ist doch schon entwürdigend genug. Da brauchts nicht den Ratschlag einiges anders zu machen, genau das will man ja. Aber nicht Alles. Die Mutter ehren und gleichzeitig zurückstossend nicht sie sein, das ist die Krux. Söhne werden das nie begreifen. Und wir werden immer finden: "Ja das mit meinem Papi, das ist eine ganz andere Geschichte."

  10. mella meint:

    Ja, Frau Kaltmamsell, wir sind wohl nicht nur optisch eineiige Zwillinge. Sind wir uns schon mal in einem früheren Leben begeget? Ich glaube ja nicht in Reincarnation, aber…
    One thing is for sure: Wir haben die gleiche Mutter. Obwohl, ich noch eins drauflegen kann. Zu mir hat sie mal in schwierigen Teenageralter gesagt, dass sich mich mehr lieben würde, wenn ich nicht so dick wäre. Die Nachwirkungen sind heute noch sichtbar, bzw. werden ebenfalls therapiert.
    Zum Glück war ich auch noch nie anorektisch bzw. bulimisch.
    Die Ambivalenz zwischen Essen als größter Freund und als größter Feind werd ich wohl nicht so schnell überwinden.

  11. Lyssa meint:

    Gutes Thema, schlechter Zeitpunkt, aber ich schließe mich gern mit persönlicher Leidensgeschichte an. Meine Mutter kann nämlich übergewichtige Menschen nicht leiden, was die Verlobte meines Bruders derzeit deutlich zu spüren bekommt.
    Mir hat das insgesamt 12 Jahre schwere Eßstörungen, davon sechs Jahre Magersucht eingetragen. Und selbst in dünnsten Zeiten sagte meine Mutter noch: "Du solltest mit Deinen Pferdebeinen keine kurzen Röcke tragen." Das sagte sie öffentlich, in einem Klamottenladen wohlgemerkt.
    Na ja, wenigstens habe ich kein Pferdegebiß, ist vermutlich auch schon was. Und ich schicke seit vier Jahren mit einem hämischen Grinsen meine Therapierechnung nach Hause. Erfreut mich alle drei Monate wieder ;-)

  12. L9 meint:

    Ahahaaaa :))
    Ja, Mütter, fürchterlich.
    Meine schenkt mir immer Weightwachers Tabellen und Trennkostkochbücher etcetc. Und wisst ihr was, ich hab noch NIE eine Diät gemacht! Meine Mutter hat immer Diäten gemacht. Ergebnis? Es handelt sich hier um meine persönliche Fallstudie mit der Laufzeit von bis heute 40 Jahren: Ich war im jeweiligen Alter nie dicker aber auch nie dünner als meine Mutter im jeweils leichen Alter.
    Ergebnis: Vergiss Diäten, iss was dir Spass macht.
    Das einzige was mich beunruhigt: dieses Weihnchten bin ich bei meiner Mutter, und sie will SUPPENFondue machen!!! Keines mit Öl!!! Weil das doch soo viel weniger Kalorien hat…

  13. Axel meint:

    hmph. Ich finde es frustrierend, wie viele Menschen sich selbst das Leben schwer machen und dann noch meinen, ihre Probleme auf ihren Nachwuchs projizieren zu müssen mit dem Vorwand "Du sollst es mal besser haben als ich."

    Dieser Schlankheits- und Schönheitswahn dem insbesondere der weibliche Teil der Gesellschaft verfällt, ist unerträglich. Ich seh das immer wieder bei meinen Schwägerinnen (den jungen Hühnern ;-) und es nervt mich echt. Wenn Werbung als Kunst gehandelt wird und die Kunst ist, die als Meßlatte an die Gesellschaft angelegt wird (bzw. die, an der sie sich selbst mißt), dann hat dieselbe Werbung und ihre Schaffenden auch jede Menge Verantwortung. Wird Zeit, daß sie sich selbiger auch stellen.

    Und für uns Leidende: ein bißchen Hedonismus hat noch niemandem geschadet.

  14. die Kaltmamsell meint:

    @Axel: Mit Hedonismus hat das meiner Meinung noch am wenigsten zu tun. Sondern mit mütterlichen Erwartungen. Und wenn Töchter ihre Kindheit und Jugend in der Gewissheit verleben, den Erwartungen der Mutter nicht zu entsprechen, macht das krank. Wenn sich die Erwartungen auf den eigenen Körper beziehen, kann diese Krankheit sogar zur physischen Selbstzerstörung führen.

  15. Axel meint:

    @Mamsell: der Hedonismus-Kommentar war mehr darauf gerichtet, sich selbst Zugeständnisse zu machen bzw. die eigene "Unzulänglichkeit" (gemessen an den angeführten Maßstäben) anzunehmen und dazu zu stehen. Mir hat das geholfen, mit meiner nicht ganz stromlinienförmigen Persönlichkeit zurecht zu kommen.

    Daß Mütter Eltern ihre Vorstellungen auch mit den perfidesten Methoden auf ihre Kinder projizieren wollen, steht außer Frage. Inwieweit sich die Kinder dann noch von diesem sozialen "Framework" lösen können: keine Ahnung. Aber ggf. hilft es, Situationen auch aus den unterschiedlichsten Perspektiven zu betrachten.

    Ich bin echt froh, daß meine Eltern mich nicht mit Schuldgefühlen belastet haben.

  16. walküre meint:

    Die eigentliche Frage ist ja jene, welche eigenen (verdrängten ?) Ängste Mütter bzw. Eltern in solchen Fällen auf ihre unglücklichen Kinder projizieren.

  17. Onyx meint:

    Ich selbst habe ein ziemliches Übergewicht – ein rotes Tuch für meine Mutter, permanent. Alle Probleme werden darauf projesziert – kein: Ist mein Körper, ich fühl mich ok, besser, als in der Zeit, als ich teilweise untergewichtig war, nichts gilt. Mein dünner bruder hat Diabetis – was mein vater nciht wissen darf, da er sie auch hat – aber mir wird immer wieder die Gefahr von Diabetis II vorgehalten. Meine Tochter ist schlank, aber eher sportlich – sie macht jede Menge Sport schon mit 8 und hat einiges an Musekeln, was sie halt nicht spindeldürr macht. Ich finde ihre Figur toll – die Oma sagt gerne Dinge wie: Nicht noch mehr Süßes (Gummibärchen Nr. 3 an einem Tag, hallo), du willst doch keine dicke Frikadelle werden… Oh Mannn….

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