Anders

Montag, 7. August 2006 um 15:41

Der kleine Bub in der Regionalbahn auf der anderen Seite des Ganges ist schon besonders lebhaft – doch auf eine Art und Weise, die nicht mal mich Kinderhasserin stört. Etwa drei Jahre ist er alt, schwarzlockig, rundgesichtig, dunkelbraunhäutig. Er plappert in erstaunlich frühreifem Hochdeutsch Beobachtungen auf seine zarte, alabasterhäutige Mama ein. Sie lässt ihn gewähren, hat dennoch immer ein Auge auf ihn.

Jetzt hat er entdeckt, dass in der Sitzgruppe hinter ihm plaudernde Kinder sitzen, zwei blonde Mädchen im Grundschulalter. Der Bub stellt sich auf den Sitz, seine Mama hält ihn, und er lugt zwischen den Kopflehnen zu den Mädchen. Sie bemerken ihn und binden ihn sofort in ihre Plauderei ein. Der Bub juchzt.

Die Mädchen stellen ihm Fragen: „Wie heißt du?“ „Wie alt bist du?“ „Magst du mal beißen?“ Ein wenig schüchtern antwortet er zwischen den Lehnen hindurch, aber sorgfältig und wohl artikuliert, um ihr Wohlwollen bemüht, über ihre Aufmerksamkeit erfreut. Ein paar Mal geht der Austausch hin und her. Doch dann schweigt der Kleine ratlos, immer noch lächelnd; er weiß nicht, was jetzt von ihm erwartet wird.
Eines der Mädchen hat gefragt: „Und aus welchem Land kommst du?“

die Kaltmamsell

15 Kommentare zu „Anders“

  1. Plattenfan meint:

    …da muss sich der Kleine dran gewöhnen…
    Ich bin auch hier geboren und aufgewachsen – trotzdem fragen mich auch nach 30 Jahren immernoch Leute, woher ich “ursprünglich” komme – und schauen dann belämmert, wenn ich sage:” Aus dem Ruhrgebiet – aber aufgewachsen bin ich in Hessen.”

    Jaja – es wird noch dauern bis in den Hirnen ankommt, dass “deutsch sein” nichts mehr mit Hautfarben zu tun hat.

  2. Jean-Luc meint:

    Ja weiß nicht. Dann sagst Du Hessen. Dann weiß man schon, wie das gemeint ist.

    Ich seh das ja anders. Mich interessiert schon, wenn jemand von woanders herkommt, woher. Ist doch interessant, vielleicht hat er was interessantes zu erzählen. Weitgereiste haben meist mehr zu erzählen, als Leute von hier.

    Der Punkt ist doch, was ist denn schlimm daran, nicht von hier zu sein, nicht hautgleich zu sein. Das ist doch normal, daß manche Leute weit reisen, andere weniger, daß Leute auswandern oder flüchten, andere nicht. Das hat nix mit Deutsch sein zu tun, sondern Völkerwanderung – das gibts, seit es Menschen gibt.

    Wenn ich als Weißer andere Kontinente bereise, fragt auch jeder wo man herkomme, und dann zählen sie die Städte auf, die sie hier kennen oder so.

    Hat es vielleicht damit zu tun, daß dieser Frage hier manchmal eine subtile Wertung inne liegt?

  3. creezy meint:

    @Jean-Luc
    Ja. Hat es.

  4. marion meint:

    das bin ich auf dem Spielplatz von türkischen Kindern gefragt worden, die waren ganz enttäuscht, als ich “von hier, von Deutschland” antwortete. Komische Frage.

  5. Schluesselkind meint:

    Eine Bekannte sollte an einer neuen Schule ihren fremdländisch klingenden Vor- und Nachnamen erst wiederholen, dann buchstabieren. Bei der Frage nach ihrem Geburtsort wurde sie gebeten, den doch besser gleich zu buchstabieren. Ohne mit der Wimper zu zucken buchstabierte sie langsam M-u-e-n-c-h-e-n.

  6. hb meint:

    Mein Süsser wird ja, wenn nicht im Anzug, sondern in Jeans unterwegs – von 75% aller Kassierer, Ladenbesitzer, Hausmeister, Kontrolleure etc. grundsätzlich geduzt.

    Mit Ende 30, so als Inder.

  7. Sebastian meint:

    In orientalischen Ländern fragt man beim Kennenlernen zwar als erstes “Woher kommst Du”, bei uns aber “Was machst Du?”. Dumme blonde Mädchen, müsst noch viel lernen.

  8. Plattenfan meint:

    @Jean-Luc.
    Sehr sonnig der Herr…
    Wenn ich diese Antwort gebe, kommt danach meistens ein – Neeeee! Ich meine, doch wo du WIRKLICH herkommst!
    Und wenn ich dann nochmals Hessen sage, dann endlich gesagt, dass man wissen will, warum ich eine dunklere Hautfarbe habe… DAS widerum könnte man auch gleich haben.

  9. die Kaltmamsell meint:

    Ach ja, Frau Plattenfan, das erinnert mich an eine alte Nummer von Django Asül. Diesem Niederbayern sieht man die entlegeneren Gene auch sehr an, und so erzählt er aus seinen Tagen als Bankkaufmann-Lehrling im Einsatz am Schalter. Von den alten Mutterln, die ihn gefragt hätte, wo er den herkomme. “Aus Deggendorf.” Nein – wo er geboren sei. “Ach so. In Deggendorf.” Dann halt seine Eltern! “Ach so. Ja, die war’n auch dabei.”

  10. die Kaltmamsell meint:

    Und dann fällt mir ein, dass mich in solchen Momenten ja immer der Teufel reitet. Beispiel aus meiner Agenturzeit: Antrittsbesuch bei einem neuen Kunden, der geldgebende Abenteuerkapitalist ist auch dabei. Der Herr liest meine Visitenkarte mit dem deutlich ausländischen Namen und fragt, woher ich komme. “Aus Ingolstadt,” sage ich wahrheitsgemäß. Und da schnauzt er mich an: “Also, DAS wollte ich jetzt nicht wissen.”

  11. Sebastian meint:

    Also ich bleib bei der sonnigen Neugier darauf, wo jemand und seine Familie herkommt und wie er hierher kommt. Das finde ich schon innerhalb Deutschlands mit seinen vielen Unterschieden interessant, ganz besonders in München, wo man das „anders” schon als Hesse schnell zu spüren bekommt und sich trotzdem gerne am Erreichen der bayrischen Lebensart abmüht.

    Und treffe ich jenseits der Arbeit eine IT-Frau mit türkischem Vornamen und Vorfahren, kann ich mit ihr ein Globalgespräch wie mit vielen führen oder ein interessantes, wenn sie den über ihr Herkommen reden mag – denn es stimmt, es kann auch nerven, wenn es immer nur um eins geht.

    Übrigens mag ich an Ihrer Seite genau das, Frau Kaltmamsell, dass sie über Ihre Familie und ihr unterschiedliches Herkommen so selbstverständlich reden.

  12. Mademoiselle Diff meint:

    Vor ein paar Jahren sass ich im Bus, als ein Rentner sich neben mich setzte.Er begann mit mir zu plaudern und fragte mich in einer sehr eigenwilligen Mischung aus Mundart und Hochdeutsch fragte, wie lange ich denn schon in der Schweiz lebe. “17 Jahre”, war meine Antwort. Wir unterhielten uns ein paar Haltestellen und als ich ausstieg meinte er, ich könne aber gut Deutsch. Ach ja!
    Auch sonst passiert es, dass mich Leute als Ausländerin ansehen (Interessant, wie man öfters gleichzeitig als leicht zurückgeblieben behandelt wird…).
    Ja, ich habe beinahe schwarze Haare und ausgeprägte Augenbrauen. Meine Haut ist aber eigentlich so gebräunt nicht.
    Und soweit ich weiss, bin ich, rein bluttechnisch, einwandfreie Schweizerin…..Hmm…..

  13. die Kaltmamsell meint:

    Aber ja, Sebastian, ist das interessant, alles Äußere erzählt Geschichten.
    “Ist der Name spanisch?”
    “Ihren Dialekt haben Sie aber nicht von hier, oder?
    Das sind Nachfragen, die einfach Aufmerksamkeit und Interesse signalisieren – keineswegs Vor-Urteile.

    (Hatte ich zwar schon länger nicht mehr, kenne ich aber: “Sie sprechen aber gut Deutsch!” Meine Reaktion immer: “Danke! Sie aber auch!”)

  14. Jean-Luc meint:

    Frau Plattenfan, das liegt aber nicht an der Frage. (Wie man sieht. Ja, wieso hat man dunklere Hautfarbe. Was wollen die denn hören.) Wenn sie diese Frage nicht fragen, dann eine andere. Ich glaube ja, daß die deutsche Gesellschaft das nicht gewohnt ist. Und daß man (Sie) deswegen öfter komisch angesehen wird. Dann sagen Sie: “Ich bin WIRKLICH aus Hessen.” Fertig. Wenn Sie penetrant werden und unsensibel, muß man Ihnen Paroli bieten. Freche Fragen zurück stellen, und die mal ausfragen. “Ist das ein Verhör?” Jemand willkürlich ausfragen ist kein Gespräch auf Gegenseitigkeit – das müssen diese Menschen noch lernen.

    Das Problem ist vielleicht, daß die nicht locker lassen und Deinen Lebenslauf abfragen wollen. Und daß sie bei einem Weißen das nicht wissen wollen. Und daß dazu kommt, daß die mit der Antwort der Ethnie gar nix anfangen können. Die Antwort interessiert sie vielleicht nure, um sich bestätigt zu sehen, einen Unterschied zwischen Euch festschreiben zu können. Subtil im Unterbewußten. Aber das liegt am Gegenüber, nicht an der Frage und nicht am Thema.

    Kleinigkeit nebenbei, bei meinem Vornamen fragen auch viele Leute wo der herkommt odre können den nicht schreiben, hätten sie noch nie gehört. Aber an dem Beispiel sieht man auch, daß das fließend ist und nicht immer was schlimmes dahinter steht…

    Und eben, wenn man bei dunklem Haar schon begutachtet bekommt, man spräche gut Deutsch, dann unterstreicht das auch, daß die Leute es nicht gewohnt sind, daß Deutschland ein Einwanderungsland ist.

  15. Jean-Luc meint:

    Oh, ich habe den Sinn des einen Satzes ganz kaputt korrigiert Sie=sie, Ihnen=ihnen… auweia… Hier kann man seinen gedruckten Text gar nicht korrigieren wie bei Antville.

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