Abschließendes Englisches 2010

Mittwoch, 1. September 2010 um 6:52

Hier abschließend eine Zusammenfassungen von Trends, die ich während meines letzten Englandaufenthalts zu beobachten glaubte:

Futter

Sie waren uns bei vegetarischem Essen voraus, sie erkannten erheblich früher die Vorteile von Produkten regionaler Herkunft – mal sehen, wann es dieser neueste Futtertrend aus England in der Breite nach Deutschland schafft: Raw Food.

Zum ersten Mal las ich das Stichwort zwar bei der heimischen Frau Coolcat, doch in den Biosupermärkten Brightons ist Raw Food bereits Mainstream – zumindest bei süßen Riegeln. Etwa ein Viertel der Regalfläche an Riegeln werden durch raw-Produkte belegt. Das machte mich neugierig, und ich nahm mir eine Auswahl an Riegeln der Firma Nakd mit. Auch wenn es mich immer zum Kichern bringt1, wenn eine Verpackung detaillierter auflistet, was alles nicht drin ist als den tatsächlichen Inhalt. Die Aufschrift versicherte mir also, kein einziger der Bestandteile des Riegels sei irgendwie gekocht. Ergebnis: Die Riegel schmecken deutlich anders als die Frucht-Nuss-Riegel, die ich aus dem Basitsch kenne, und durchaus nicht schlechter. Was sich allerdings nicht mit dem raw-Konzept verträgt, ist Kakao: Enthielt der Riegel Kakao, schmeckte er staubig.

Zudem: Ein Deli in der St. James Street informierte per Plakat, dass an drei Abenden die Woche Raw Food serviert werde, mit sehr anregenden Menübeispielen.

Auch wenn jede nähere Recherche über Raw Food lediglich zu einer weiteren Ernährungsreligion führt, die ewige Jugend, Gesundheit und Glückseligkeit verspricht, klingt das Konzept reinschmeckenswert. Böte mir in einem Restaurant ein Raw Food-Menü an, probierte ich es gerne.

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Mode

Seit zwei Jahren lese ich darüber, jetzt habe ich es erstmals auf der Straße gesehen, mehrfach: Grau gefärbte Haare an jungen Frauen. Gewählt wird ein sehr helles, einheitliches Grau zu helmartigem Haarschnitt, mit ein wenig dunklem Haaransatz.

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Blödsinn

Bei aller Anglophilie kritisiere ich doch Einiges an englischer Kultur. Bis heute sind Mischbatterien am Waschbecken unüblich – und ich kann bis heute keinen Vorteil darin entdecken, zwei meist extrem kurze Wasserhähne zu installieren, einen für kaltes, einen für warmes Wasser. Das machen die doch mit Absicht, um uns Europäer fern zu halten.

Zudem enthält das Englische einige unakzeptable Wörter. Seinerzeit hielt ich meiner Mitbewohnerin im walisischen Studentenwohnheim eine Birne entgegen und fragte, wie diese Frucht denn auf Englisch heiße (tja, ich kannte mich damals eher im Romanenglisch des 18. Jahrhunderts aus). Den Laut, den sie äußerte, konnte ich auch nach Wiederholung nicht reproduzieren und habe bis heute das Gefühl, mich wie ein Spielzeugteddy anzuhören, wenn ich „pear“ sage. Im Zug nach Glynde ging es mir ähnlich: Die Zugansage informierte an jedem Haltebahnhof, das Ziel dieses Zuges sei Ore. That’s not a word!

Anderer Blödsinn wiederum ist niegelnagelneu. Zum Beispiel Fußgängerampeln auf Warteseite. Bis letztes Jahr blickte ich wie in Deutschland auf eine Fußgängerampel auf Höhe der Autoampel und auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Nun haben sich die Brightoner diese Alternative hingebaut.

Die Verwirrung ist heillos. Zumindest bei mir.

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Und dann noch ein Verdacht: Möglicherweise ist der Anteil an Cricketfans unter der britischen Bevölkerung ähnlich niedrig wie der Anteil an Stierkampffans unter Spaniern.

  1. Eigentlich zum Augenrollen, aber ich versuche hier, so sympathisch wie möglich zu erscheinen. []
die Kaltmamsell

17 Kommentare zu „Abschließendes Englisches 2010“

  1. suseganz meint:

    Habe einen verschrobenen Rohesser in der Bekanntschaft, dessen Essgewohnheiten – Obst und Gemüse unzubereitet roh, ein paar Nüsse – ich phantasielos, langweilig und ungesellig finde. Es gibt in der Szene aber ja richtig tolle Rezepte, wie die Links offenbarten. So ein Menü würde ich auch sehr gern mal genießen, ideologiefrei, möglichst.

  2. Buchfink meint:

    Ich stimme ein in das Klagelied über die fehlenden Mischbatterien. Vielleicht wollen die Briten wirklich unter sich bleiben.

  3. isabo meint:

    Dass die Briten uns ernährungsmäßig voraus wären, halte ich aber für ein Gerücht. Vielleicht die Brightoner. Die Schotten ziemlich sicher nicht. Symptomatisch: in Glen Isla gibt es sechs oder acht Fleischgerichte auf der Karte, meist Pies mit undefinierbarem Fleisch drin, die kosten alle 6,95. Dann gibt es ein Gericht, das nennt sich “Vegetarian option with side salad and fries” – was es ist, erfährt man nicht, und es kostet 9,95. Drei Pfund mehr! For no understandable reason.

    Aber dann gibt es auch Deep fried Mars bars, die reißen es natürlich wieder raus.

  4. Sanníe meint:

    Oh je, diese Rohkost/Urkost-Menschen sind seit einiger Zeit liebste Belustigung meines Liebsten…

    Guru ist Konz, ja der Konz, der die tausend Steuertricks geschrieben hat: http://www.esowatch.com/ge/index.php?title=Urkost

  5. sam meint:

    Die paar weniger guten Worte fallen nicht weiter auf in der Menge der ganz wunderbaren, “to believe” zum Beispiel, wieviel mehr transportiert das an Hingabe und Vertrauen als “glauben” – das klingt eher nach irgendeiner fettigen Nascherei. Oder der mainstream – der hat in seiner klanglichen Bildhaftigkeit (ja, da hammer sie wieder, die deutsche Wortnot) auch keine Entsprechung im Deutschen.

    Das Englische ists, das eben mal ein neues Wort zu einem neuen Umstand bildet und der Rest der Welt freut sich und übernimmts dankbar.
    Gruss, Sam

  6. barbara meint:

    Frau Kaltmamsell – was Wikipedia über den Konz und seine Urkost sagt – vor allem auch die Checkliste – sollte eine Steilvorlage für Sie sein, was darüber zu schreiben!
    Grüße vom “Primitivpack”.
    Wirklich wahr: made my day.

  7. Mareike meint:

    “das Gefühl, mich wie ein Spielzeugteddy anzuhören, wenn ich „pear“ sage”

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Genau!

    *******************************************************

  8. alicely meint:

    Ja, genau! Warum immer Kalt- und Warmwasserhaehne getrennt? Neulich war unsere WG-Dusche fuer ein paar Tage kaputt, und sich am Waschbecken ohne Mischbatterie zu waschen ist eine ganz tolle Erfahrung.

    Mein neues Lieblingswort ist seit heute uebrigens kerfuffle. Ueberlege noch, wie ich es am besten in einem Satz anbringen kann.

  9. tina meint:

    über diese raw food trend bin ich in letzter zeit auch öfter gestolpert. aber neulich hab ich auch mal wieder t.c.boyles “road to wellville” gelesen. fand ich besser :-)

  10. Gaga Nielsen meint:

    Mich beschäftigt die Frage, ob beim Frisurenfarbtrend Grau der Haaransatz absichtlich dunkel gefärbt ist oder dunkel naturbelassen bzw. eben einfach rausgewachsen. Und ob das Dunkle eine farbdramaturgische Funktion innerhalb der Frisur hat oder der Tatsache Nachdruck verleihen soll, dass es ja ‘nur gefärbt’ ist. Wahrscheinlich von allem ein bißchen. Grau als verspielter Kontrapunkt wird ja ganz anders verschubladet als ein kompletter Kopf in Naturgrau.

  11. kelef meint:

    zum haarefärben sag ich jetzt einmal nix, weil ich persönlich ja der meinung bin dass der grund für graufärben in der jugend ist: wenn die weiber dann älter sind, färben sie die haare dunkel oder rot oder blond und meinen, sie sehen wieder aus wie zwanzig. spielt es aber nicht im karltheater.

    ich hasse mischbatterien, und zwar in der küche, beim handwaschbecken, bei der dusche und bei der badewanne, und überall sonst auch. das wasser kommt hier nicht heisser aus der kombitherme als ich es will, weil das schon vorab so eingestellt wird. mit meinen arthrotischen pfoten habe ich zudem immer probleme die gewünschte wassermenge genau zu dosieren: entweder der hahn pinkelt wie ein prostatakranker, oder alles ist unter wasser. daher gibt es hier überall kreuzgriffe.

    wenn gott gewollt hätte dass der mensch sich von rohem zeug ernährt, hätte er das feuer nicht wachsen lassen.

    fussgängerampeln? finde ich ganz toll. die engländer sind ja aber auch sehr tierlieb, demnächst finden sich vielleicht auch noch ampeln für hunde, so ca. zwischen knöchel und knie. und welche ganz oben für die flugratten, damit die nicht gegen die stockautobusse düsen. giraffen kann man ja ausschliessen im strassenverkehr, hoffe ich mal.

    und weil sie das von den komischen worten sagen: persönlich kommen mir sehr viele worte komisch vor, wenn ich sie so zehn- oder zwanzigmal hintereinander laut sage, egal in welcher sprache. irgendwann passen sie dann einfach nicht mehr zu ihrer bedeutung, oder umgekehrt, oder in einer anderen sprache erscheinen sie passender, bis ich sie dann eben in dieser sprache auch x-mal laut sage, und voila, derselbe effekt. kennt das noch jemand in dieser form? mich hat im studium mal jemand auf diesen effekt aufmerksam gemacht, seither probiere ich das immer wieder, und es funktioniert.

  12. ilse meint:

    Rohfutter? mir reicht schon Salat. Und so weit ich mich erinnere, schert sich der Engländer als solcher sowieso nicht um Fußgängerampeln. Und die getrennten Wasserhähne sind, wie auch die luftzügigen Fenster, ein letztes Sich-Klammern an toughere Zeite, als heiß noch heiß war, und kalt noch kalt.

  13. Richard meint:

    mitte der 1950ziger jahre haben wir auch sehr aufblondiert und dann sogn. pastellfarben wie cendre, anthrazit u.d.g. eingefärbt aber dann wurden die haare toupiert das trugen junge frauen ach war das schön! nur die haare waren dann hin.

  14. adelhaid meint:

    es sind aber ja nicht nur diese wasserhähne. es sind doch auch die toilets in the pubs, die zwar schöne große türen haben, und man meint, da wird wohl viel platz sein, doch leider hat man dann mit der nach innen öffnenden tür und der toilette als solcher keinen platz mehr, so dass man sich in die eine oder andere ecke verrenken muss, um besagte tür wieder hinter sich zu schließen (um dann festzustellen, dass sie genau dies nicht tut: schließen.)

  15. rosa meint:

    Als Highlight des Pubwahnsinns empfinde ich ja immer noch, die meisten dieser Dinger mit Teppichboden auszustatten. Teppichboden! Da, wo sich allabendlich Horden von Briten betrinken! Gegen 11 war der Fußboden dann immer kaum noch von einem moorigen Sumpfgebiet zu unterscheiden.

    Und rohes Essen gab es in München eeeewig im recht tollen Saf-Restaurant im Zerwirk – das leider vor zwei Jahren zugemacht hat. Was ich da probiert habe, mochte ich sehr gerne. Meist habe ich mich aber ans (gekochte) vegane Essen gehalten.

  16. Schlosswiler meint:

    Also Mainstream würde ich ja mit Durchschnitt übersetzen, nur dass der Engländer offensichtlich wesentlich weniger Probleme damit hat, Durchschnitt zu sein…

  17. rip meint:

    Oh, ich sage. Danke eine Million, dass ich bin worden gebracht auf zum Datum.

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