Gedankenfutter

Mittwoch, 16. Mai 2012 um 10:39

Lustig gemacht haben wir uns vermutlich alle schon mal über die Menschen, die vor allem das Fernsehen für Einschätzungen aktueller Begebenheiten heranzieht und in der Bauchbinde als „Experte“ ausweist. Und wahrscheinlich hatten wir regelmäßig den Verdacht, dass eine Bezeichnung wie „Terrorexperte“ keine Qualifikation darstellt.

Wie berechtigt dieser Verdacht ist, untersucht ein Beitrag des Deutschlandradios Kultur. Hier gibt es das Transkript der Sendung. Zum Beispiel wird darin darüber nachgedacht, wozu ein Wissenschaftler nützen kann und wozu nicht. Erleuchtend unter anderem die Warnung vor unzulässiger Übertragung eines Expertentums in scheinbar überlappende Fachgebiete:

„Wenn Sarah Wiener über das Kochen redet, dann ist das in Ordnung – weil, da ist sie Expertin. Die kann besser kochen, als wir alle zusammen. Nur problematisch wird es, wenn Sarah Wiener als Ernährungsexpertin auftritt.“

Dazu kommt, dass nach dem Gesetz der Medien der telegene Experte dem fachlich überlegenen vorgezogen wird. Und der alarmistische dem nüchtern abwägenden.

Wissenschaft ist selten definitiv, selten endgültig. Und selbst wenn ein Experte entsprechend vorsichtig formuliert – ist noch nicht gesagt, dass dies in den Medien auch so rüberkommt, meint der Professor für Wissenschaftsjournalismus Holger Wormer:
O-Ton 18 (Holger Wormer):
„…dann kommen sie als Hörfunkjournalist und sagen ,na, fünf Sekunden muss ich noch rausschneiden’ – dann schneiden sie garantiert den Satz raus, wo gesagt wird ,na ja, das ist noch ne sehr vorläufige Studie’ und so weiter.“

Der Beitrag macht aber durchaus auch klar, in welchen Zwängen des journalistischen Alltags die Medien bei ihrer Suche nach Expertenaussagen stecken.

Genau diese Hintergründe gehören dringend zur viel geforderten Medienerziehung. Mit der Konsequenz, sich eine wache Skepsis zu bewahren und Darstellungen von Komplexität eher zu vertrauen als bequemen Vereinfachungen.

via bildblog

§

Vermissen Sie Flickr auch so wie ich? Ich hatte sogar ein bezahltes Pro-Konto. Und ich erlebte hier die ersten Ansätze einer Web-Umgebung, die heute social genannt wird, mit Vernetzung, abgestufter Öffentlichkeit von Bildern, Benachrichtigungen über die Aktivitäten von Flickr-Freunden. Was ist nur aus dieser einst sensationellen Plattform geworden, die ich zeitweise sogar beruflich nutzte – nicht etwa zur Veröffentlichung von Bildern, sondern um verschiedene Formate in exzellenter Qualität für die Firmen-Website herzustellen. (Die billige Bildbearbeitungs-Software der Firma produzierte beim Runterrechnen der Bilder auf Miniaturen für Online-Bildergalerien unansehnlichen Matsch. Also lud ich die hochauflösende Version in mein Flickr-Konto, das sie automatisch in fünf verschiedene Formate umwandelte, alle gestochen scharf und bunt. Die kleinste holte ich mir per rechter Mouse-Taste zurück für die Bildergalerie.) Als die neue Mutter Yahoo etwa zwei Jahre nach der Übernahme alles andere an Flickr dominierte, stieg ich aus – mir war allein schon unwohl gewesen, dass ich plötzlich ein Yahoo-Konto für die Nutzung anlegen musste. Heute ist mein Blog der einzige Ort, an dem ich meine Bilder zeige.

Dieser Gizmodo-Artikel erzählt ausführlich, wie Flickr 2002 überhaupt entstand und wie Yahoo es kaputt gemacht hat (ich empfehle die Lektüre des gesamten Artikels; danach wissen Sie nicht nur mehr über die Fallstricke von Firmenübernahmen, sondern auch über allgemeine Internetgeschichte):
How Yahoo Killed Flickr and Lost the Internet

via @sixtus

die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Gedankenfutter“

  1. kid37 meint:

    Was der Flickr-Artikel, so weit ich es sehe, neben den technischen Aspekten nicht erwähnt, sind die inhaltlichen Restriktionen, die Yahoo alsbald bei Flickr einführte. “Nipplegate” hat damals bei alteingesessenen Benutzern sowohl in Europa als auch in den USA zu ziemlichen Unmut geführt und ließ Flickr plötzlich als “altbacken”, langweilig und bigott darstehen. Ein paar meiner Lieblingsfotografen auf Flickr wurde plötzlich der Account gesperrt, weil einzelne Bilder nicht korrekt jugendfrei/jugendgefährdend (Pfff) getaggt waren. Manche haben weitergemacht, manche, gerade einige der ambitionierteren, fähigeren hat es zu alternativen Anbietern getrieben. (Wohlgemerkt, es ging ja nicht um Pron.)

    Flickr wirkt seither ein wenig wie eine alte Tante, wo es zwar weiterhin regelmäßig bunte Bonbons gibt, wo es aber auch ein wenig komisch riecht. Ein hübsches Lehrbeispiel, wie Dinosaurier langsam ausbluten.

  2. walküre meint:

    Was flickr angeht: Ungern gelesen.
    Nutzt aber nix, denn dieser Umstand ändert nichts an den traurigen Tatsachen.

  3. Katrin meint:

    Der Artikel zu Flickr ist sicher gut recherchiert und in großen Teilen richtig, trotzdem muss ich widersprechen: Auch heute gibt es auf Flickr noch eine Community, auch heute gibt es extrem gute Fotografen und kreative Geister auf dieser Plattform. Dass Flickr sich nicht weiter entwickelt, finde ich – wenn ich mir Facebook so anschaue – ehrlich gesagt gar nicht so schlecht. Ich jedenfalls habe auf Flickr eine Community voller gleichgesinnter Menschen rund um die Welt gefunden, die ich weder über mein Blog, noch über Twitter, noch über Facebook (hust) jemals “kennengelernt” hätte.

  4. Gaga Nielsen meint:

    Als die letzte Republica losging, guckte ich neugierig bei Ipernity nach aktuellem Bildmaterial. Ergebnis: tote Hose. Nichts. Flickr: jede Menge Bilder. Und auch der Republica-eigene Fotostream ist auf Flickr. Nirgendwo sonst. Nicht, dass ich wüsste. Ich habe vielmehr den Eindruck, seit User von Flickr nach Ipernity abgewandert sind, ist die Dichte der geposteten Bilder stark zurückgegangen. Wie passt meine Beobachtung zur Kaltmamsellschen Beobachtung? Ist irgendwie nicht ganz kompatibel. Flickr scheint mir am wenigsten tot unter den Bilder-Hostern.

  5. Gaga Nielsen meint:

    P.S. zur Illustration:
    Stand 17. Mai 2012 11:25 Uhr,
    4.251 Uploads auf flickr mit dem tag #rp12.

    Selbe Suche auf ipernity, Stand 17. Mai 2012 11:29 Uhr,
    0 Uploads auf ipernity mit dem tag #rp12

    Aber vielleicht müssen die ipernity-User ihre vielfältigen Eindrücke noch sacken lassen und laden demnächst hoch. Immerhin findet man auf ipernity Bilder von der Republica 2008 und früheren. Oder Bilder taggen wird bei den Usern nicht so gepflegt. Für die tags Republica oder re:publica findet man dort auch nur uralten Krempel. Nicht, dass ich nicht alles versucht hätte. Wenn man von zweieinhalb Leuten weiß, dass sie dort waren und einen ipernity account haben, kann es schon mal sein, dass man fünf Bilder findet, aber nach großer community-Pflege sieht mir das nicht aus.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Sicher gibt es auf flickr Communities, Katrin, der Artikel behauptet keineswegs das Gegenteil. Es gibt ja auch noch Aktivität auf myspace. Und Menschen mit aol-Mailadressen.

    Der Überhang zur re:publica, Gaga, ist sehr wahrscheinlich der Auforderung der Organisatoren geschuldet, re:publica-Bilder zu flickr hochzuladen. Mit instagramm kenne ich mich nicht aus, dort müsste es auch ohne Aufforderung eine Menge Bilder von den re:publicas geben.

  7. Gaga Nielsen meint:

    Sind Republica-Besucher folgsame Schafe, die auf Aufforderung flickr-accounts anlegen, die Sie sonst nicht hätten oder pflegen würden? Das ist doch mit Verlaub Unfug. Herr Sixtus flickert munter weinter und auch die meisten anderen hierzulande bekannten alten Internet-Haudegen. Da hat keiner seinen flickr account gelöscht. Man spricht da nur nicht mehr so laut darüber. Die Aktivitäten sind insgesamt in dem Bereich geringer, von Spielkram wie den durchaus dekorativen instagramm-Geschichten oder auf twitter Handybildchen posten rede ich an dieser Stelle nicht. Das ist der kleine Hamburger für zwischendurch, aber kein Ersatz. Ich beobachte in bestimmten Ecke immer noch unverändert starke Community-Aktivitäten, mir fällt das gerade deshalb so auf, weil ich mich aus dem Gruppendings immer zurückgehalten habe, das würde mich zuviel Zeit kosten, aber es wäre leicht zu kultivieren. Wer diesen flow haben will, muss nur loslegen und fleißig woanders kommentieren und favorisieren, schon geht es rund. Wie gehabt. Nur vielleicht nicht mit denselben Personen wie vor zehn Jahren.

  8. die Kaltmamsell meint:

    Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass der Autor des Artikels die Zahlen und Entwicklungen erfunden hat, Gaga. (Anecdotal evidence zählt nicht, da sind wir uns hoffentlich einig.)

  9. Gaga Nielsen meint:

    Manch einer findet ja bekanntlich für jede Lösung ein Problem.
    Muss man aber nicht automatisch zu seinem eigenen erheben.
    Sicher wird der gute Mann die Welt auch teilhaben lassen, wenn er die eierlegende Wollmilchsau entdeckt hat, die im übrigen auch manche gar nicht so dringend brauchen. Viel interessanter finde ich beim flickr-Thema, wieso so viele der alten User das Hintertürchen aufgelassen haben, nachdem mit großer, politisch korrekter Empörung zum Boykott aufgerufen wurde und die Herde brav nach Ipernity gewandert ist. Seinerzeit. Ich bin ja nun kein fanatischer Fan der Benutzeroberfläche, aber für mich stellt sie immer noch “das geringere Übel” dar. Bei Ipernity sind einige Funktionen minimal anders und das macht komischerweise einen wichtigen Unterschied. Flickr ist für mich ein relativ bequemer alter Ohrensessel mit viel Platz, weil man ja zulegt im Alter. Back up-Ohrenbackensessel. Man muss das alles gar nicht gegeneinander aufrechnen. Schön, wenn jeder etwas Schönes und Passendes für sich findet. Nur das Lamento mit dem Trauerflor entspricht nicht meiner eigenen Wahrnehmung. So, genug Lanze für Flickr gebrochen. Ich möchte nur ungern als nekrophil gelten, mit meinen 25.000 Bildleichen.

  10. Sanníe meint:

    Wegen Flickr: Ich war nur zu bequem, diese dumme YahooID auch noch zu löschen.

    Und auch bei StudiVZ ist noch Restleben. Von einer lebendigen Community (und einem Wert von 100.000.000 Euro) kann man da aber nicht mehr sprechen, sondern eben nur noch vom baldigen Tod. http://wannstirbtstudivz.com/
    Es ist den Noch-Nutzern dieser Portale zu wünschen, daß sie ihre Daten rechtzeitig in Sicherheit bringen können.

    Mir stellten sich die Nackenhaare auf, als in dem Artikel der Satz fiel “Integration Is The Enemy of Innovation”, denn daran arbeite ich seit Monaten (und laut Projektplan auch die nächsten): Unser Portal mit seinen Müttern zu verschmelzen. Hier habe ich mein Unwohlsein und ständiges Genöle “Wir machen gar nichts Neues mehr, schaffen keinen Mehrwert für den Nutzer” in einem vermutlich allgemeingültigen Satz wiedergefunden. Die Zeit und die Nutzer, die man verliert mit sowas, holt man nicht wieder auf. Scary.

  11. smilla meint:

    Zum Thema Experte hab ich mal einen schönen Artikel in der Zeit gelesen:
    hier bitte sehr
    Terrorismusexperte – Der letzte echte Männerberuf

  12. die Kaltmamsell meint:

    “Der Beruf des Terrorismusexperten ist von einer stark schwankenden Auftragslage gekennzeichnet. Deshalb haben die meisten Experten sich ein zweites oder sogar mehrere weitere Standbeine geschaffen. ”
    Herrlich, smilla, vielen Dank!

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