Journal Montag, 13. Oktober 2014 – neue Nachbarschaft

Dienstag, 14. Oktober 2014 um 6:34

Morgentliches Strampeln auf dem Crosstrainer, das Lilarosa der Sonnenaufgangswolken in den Fenstern des Instituts gespiegelt, die meinen Fenstern gegenüber liegen.

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Arbeitslast entzerrt genug, dass ich eine richtige Mittagspause machen konnte, den Ernteanteilfenchel mit Orangen zu Salat schnippeln, Manouri drüberkrümeln.

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Nun wohnen wir hier mehr als 15 Jahre und hatten ein ideales Auskommen mit den Nachbarn: Man ließ einander in Ruhe, bei den seltenen Begegnungen grüßte man freundlich, in ganz seltenen Fällen kam es zu ein wenig Small Talk. Dieses Ideal habe ich möglicherweise zerstört.

Als mir die Idee einfiel, mich mit ein paar Kekslein aus der neuen Küche für das Ertragen des Baulärms zu bedanken, hatte ich noch überlegt, ob ich auf dem angehängten Zettel meine E-Mail-Adresse hinterlassen sollte: Mir war bewusst, dass einige Beschenkte sich würden wiederum bedanken wollen. Ich verwarf den Gedanken, weil das wie eine Aufforderung hätte wirken können.

Mit dem Bedürfnis nach Rückmeldung hatte ich allerdings recht: Gestern lag in unserem Briefkasten eine selbst gemachte Postkarte mit einem handschriftlichen Dank, der auf hohes Alter schließen ließ (ich bin in diesen 15 Jahren keineswegs allen 15 Parteien im Haus persönlich begegnet), außerdem ein ausgedruckter Brief eines Nachbarpaars mit nicht nur Dank, sondern einer Essenseinladung für November. Das habe ich nun davon.

Ich versuche das als großes Abenteuer zu sehen, öfter mal was Neues etc. pp. Nur rumort es in meinem Gemüt: Freunde aus dem, im und übers Internet haben ja den Kern ständiger Freiwilligkeit – das Band ist lose, man muss regelmäßigen zupfen, um es für beide Seiten spürbar zu machen, die Verbindung ist immer mit Willen und Aktion verbunden. Dafür reicht ein reines Unterlassen von Kontaktieren und Aktion für einen geordneten und höflichen Rückzug ohne größere Schmerzen.
Eine Nachbarschaft aber bleibt, bis dass ein Umzug uns scheidet. (Nachtrag: Wobei in diesem Haus ja sogar weniger weggezogen wird als eher weggestorben – so lange wohnen die Leute hier.) Man ist greifbar und physisch nahe – für mich eigentlich nicht die ideale Grundlage menschlicher Interaktion.

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Abends Leserunde zu Abasse Ndione, Margret Millischer (Übers.), Die Piroge. Sehr unterschiedliche Reaktionen auf dieselben Facetten des Texts. Das ungelenke, aufgesetzte und flache Erzählen ohne Figurenführung mochten die einen, die anderen (ich) sprachen ihm jede Literarizität ab. Wir waren uns allerdings einig, dass der deutsche Untertitel “Roman” ein Missgriff ist. Und freuten uns alle über die Kürze des Texts.

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Den ganzen Tag über war es mild und wolkig, wurde aber kühler. Beim Heimradeln von der Abendverabredung regnete es sanft.

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Pia Ziefle war zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse und begegnete nicht nur sich selbst in Großformat am Arche-Stand:
“Buchmessereise”.

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Montag, 13. Oktober 2014 – neue Nachbarschaft“

  1. Sebastian meint:

    “Die besten Partien enden mit der Küche”

  2. Trulla meint:

    @Sebastian
    Ich zähle mich leider nur zu den begeisterten Essern, weniger zu den guten Köchen. Dieses Manko deckt zum Glück mein Mann ab. Deshalb möchte ich Ihren Satz abgewandelt auf uns so anwenden: die besten P a r t i e s enden immer i n der Küche.

    Und die freundlichen Nachbarschaftsgeister haben Sie, liebe Kaltmamsell, wirklich durch besondere Höflichkeit selbst hervorgerufen. Da müssen Sie nun durch. Einfach locker bleiben.

    Ich finde eher seltsam, seine Nachbarschaft nicht oder kaum zu kennen. Berichte über total vereinsamte Menschen oder gar unbemerkt verstorbene Nachbarn sind mir eher unverständlich. Auch da liegt doch eine Verantwortung des Einzelnen.

  3. Ulla meint:

    Wir feiern gerade 35 Jahre mit unserer Hausgemeinschaft, davon noch 5 seit dem ersten Einzug. Einmal im Jahr trifft sich diese Gruppe zum Kaffee trinken, was meistens mit Wein und Knabberei endet. Gerade gestern war es wieder soweit und wir haben spontan beschlossen uns jetzt zu duzen. Schließlich sind wir zusammen alt geworden!

  4. New Number 2 meint:

    München: Die Stadt der gesichtslosen Anonymität. 15 Jahre in ein und dem selben Haus und man kennt die Leute nicht? Das ist Fluch und Segen zugleich. Als wir in den 70ern auf’s Land zogen (Reihenmittelhaus=Oberspießertum) waren alle im Umkreis gleich “kumpelste Kumpel”. Keine drei Jahre später würdigten sich 95% der Nachbern keines Blickes mehr wegen diverser Spießerstreitereien (wer hat wieder die Mülltonne mehr als 5 Sekunden nach der Leerung draußen stehen lassen, wer hat um 5:32h am Sonntag Morgen noch nicht Schnee geräumt, wer wagt es nach 22:00h mit seinem Auto einzuparken und auch noch die Autotüre zu schließen?).
    Wie gesagt: Stadt vs. Land: 1:1.

  5. Susann meint:

    Ich bin auch eher eine Freundin der freundlichen Distanz, aber das mag daran liegen, dass ich meine Sozialkontakte bei Familie, “auf Arbeit” und bei Hobbies habe. Wenn jemand alt und/oder nicht mehr so mobil ist und die Familie weit weg wohnt, bleibt die Nachbarschaft – insofern zahlt es sich wahrscheinlich aus, rechtzeitig Sozialkontakte in der Nachbarschaft zu pflegen. Aber freundliche Distanz fühlt sich momentan einfach besser an.

  6. Sebastian meint:

    Ich nehme mein Haus wie die Kiste vom Kartoffelkombinat und lebe mit dem, was drin ist. Mit manchem sehr gut. Allerdings ist es auch so gut bestückt wie dieses Kiste – was ich erst richtig durch Überschreiten der Distanz herausgefunden habe.

    Rückzug und Distanz gibts trotzdem weiterhin, was ja besonders gut geht, wenn man nur kleine Schritte macht. Eine Tüte Kekse nach 15 Jahren – seeeeehr klein. Eine Gegeneinladung zum Abendessen – seeeeeehr groß. Bin gespannt, wie sich das ausbalanciert.

  7. frauziefle meint:

    wie ich das kenne! Nachbarschaftsdistanzundnähefragen. Aber wissen Sie was?
    Dieses “Distanz” aus dem Internet, und auch dieses “Nähe”, das lässt sich hervorragend nachstellen an so einem Abendessen, nehmen Sie das mit – Sie bewerben sich um nichts, genauswenig wie hier.
    Gehen Sie hin, essen Sie, trinken Sie, so wie Sie in einem Blog stöbern, hören Sie Anekdoten, schweigen Sie, erzählen Sie, wonach Ihnen ist, es ist keine Prüfung (haha, das sage ich! ausgerechnet!), und danach überlegen Sie, ob Sie diese Nachbarn in Ihren feedreader übernehmen oder nicht. Fertig.
    Nur äußerst distanzlose, übergriffige und nonsensible Menschen verstehen nicht, dass ein anderer Privatsphäre braucht und ziehen sofort zu einem in die Küche und auf die Couch. Das ist allerseltenst.
    Die allermeisten halbwegs normal getaktenen Menschen respektieren das. Sie werden sehen.
    Ich fiebere mit.

  8. Frank meint:

    Ist doch schön, wenn man mit den Nachbarn mehr als nur ein bisschen Smaltalk hällt. Ich hab auch ein super Verhältnis zu vielen Nachbarn und wir treffen uns gerne mal zum essen, quatschen und man hilft sich auch gegenseitig.

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