Journal Dienstag, 19. September 2017 – Jagd nach Geburtstagsgeschenk
Mittwoch, 20. September 2017 um 6:07Am Montagabend hatte ich die Benachrichtigung vorgefunden, dass das Paket mit dem Geburtstagsgeschenk für Herrn Kaltmamsell bei einem Büro im Untergeschoß abgegeben worden war. Dieses Büro ist von etwa neun Uhr bis zum mittleren Nachmittag besetzt – also nur zu Zeiten, zu denen in dieser Woche sowohl Herr Kaltmamsell in der Arbeit ist (der es halt mit fest zugepressten Augen hätte abholen müssen) als auch ich es bin. Ich fuhr also mit dem Rad in die Arbeit und radelte in der Mittagspause schnell heim, um das Geschenk zu holen. Beide Strecken schaffte ich trocken; es war ein kalter, grauer Tag, an dem es ständig nach Regen aussah.
Nach Feierabend konnte ich dem Herrn endlich etwas zum 50. Geburtstag schenken: Eine professionelle Pastetenform und eine antiquarische Originalausgabe Das große Buch der Pasteten (mit Fotos des legendären Christian Teubner – Herr Kaltmamsell besitzt bereits einige Kochbücher von ihm). Es war lediglich die Form, die die Verzögerung verursacht hatte.
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Mir ist bewusst, dass ich hier eh zu den Bekehrten predige. Dennoch kann man gar nicht genug Argumente fürs Wählengehen sammeln, hier die von Texterella:
“Mach dein Kreuz! Weil unsere Demokratie dich braucht.”
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Aber: Vorsicht mit Vorurteilen. Auch gegenüber Menschen, die nicht wählen.
“Annas Eltern wählen nicht
‘Hartz IV nimmt dir deine Würde'”
Anna Mayr schreib über ihre eigenen Eltern.
Fünf Kinder, Hartz IV, Nichtwähler. Das sind Annas Eltern. Anna selbst war die beste Abiturientin ihres Jahrgangs, ist heute 23 und Journalistin. Und sie geht wählen. Weil ihre Eltern sie zu einem politischen Menschen gemacht haben.
Harter Tobak. Hilft mir aber bei der Erinnerung, immer, immer wieder den einzelnen Menschen wahrzunehmen – nicht nur als Teil der Gruppe, in die ich ihn automatisch einsortiere.
die KaltmamsellMit 16 habe ich meinen ersten eigenen Brief vom Jobcenter gekriegt. Ich solle doch bitte zu einem Beratungsgespräch kommen, um zu besprechen, was für eine Ausbildung ich jetzt mache. Wenn ich nicht erscheine, würden sie meine Hartz-IV-Bezüge kürzen. Ich habe den Brief nur halb gelesen. Dann habe ich geweint und meine Eltern angeschrien: Ihr seid arbeitslos, nicht ich. Dabei konnten sie ja nichts dafür. Das ist eben Standard in dieser Behörde: Kinder von Asozialen müssen spätestens nach der zehnten Klasse in eine Ausbildung gebracht werden, damit sie selbst nicht ganz so asozial werden. Mein Vater ist dann am nächsten Tag mit meinem letzten Zeugnis zum Jobcenter gegangen und hat die drum gebeten, mich erstmal Abitur machen zu lassen. Das war dann auch kein Problem.
5 Kommentare zu „Journal Dienstag, 19. September 2017 – Jagd nach Geburtstagsgeschenk“
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20. September 2017 um 7:28
Danke für den verlinkten Artikel über Anna und ihre Eltern.
20. September 2017 um 8:26
Vielleicht interessiert es Sie zu hören dass solche Texte wie der von Texterella in Luxemburg völlig überflüssig sind.
In Luxemburg (wir haben Gemeindewahlen Anfang Oktober) gibt es eine Wahlpflicht. Jeder Luxemburger und Ausländer der sich in die Wählerlisten hat eingetragen lassen, ist MUSS wählen. Es wird zwar schon lange darüber diskutiert die Wahlpflicht abzuschaffen, doch ich persönlich fände das falsch.
20. September 2017 um 8:54
Schwierig, Joël, das mit der Wahlpflicht. Mein Impuls ist durchaus wie bei Vielem, was mich fundamental stört: “There should be a law!” Doch dann wiederum gehört Freiwilligkeit für mich schon auch zur Demokratie. Schwierig.
20. September 2017 um 9:15
Ich weiß was Sie meinen, und ich verstehe auch die Gründe.
Ich bin mit der Wahlpflicht aufgewachsen und kenne es nicht anders. Aber jedes mal wenn ich mir vorstelle sie würde hier abgeschafft werden, fühlt sich das total falsch für mich an.
20. September 2017 um 10:28
Der Text von Anna Mayr ist wichtig, interessant und bewegend. Natürlich ist mein erster Gedanke, ob Annas Mutter nicht vielleicht verlockt werden könnte, gegen die Nazis zu wählen, aber dann haue ich mir doch gleich wieder auf die Oberlehrer-Finger. Zuhören, Klappe halten.