Journal Dienstag, 2. Oktober 2018 – Westerwald 5: Marienthal-Wyerbusch (im Sauwetter)

Mittwoch, 3. Oktober 2018 um 8:02

Am Montag hatte ich dem Taxler noch erklärt, dass das doofste Wanderwetter für mich heftiger Regen mit Wind ist: Weil man dann nur noch nach unten gucken kann und überhaupt nichts mehr von der Umgebung mitbekommt.
Et voilà.

Um sachlich zu sein: Die gestrige Etappe enthielt auch ein paar (wenige!) Waldstücke, die Windschutz boten. Und manchmal (selten!) schwächte sich der Regen auch in Niesel ab. Aber spätestens nach dem ersten Drittel schaffte ich nicht mehr mir einzureden, dass das alles doch ganz ok war. Ich fröstelte, ich sah kaum etwas – zum einen wegen des Regenschleiers, zum anderen wegen der nassen Brille -, die Wanderung zog sich elendiglich. Ich war knatschig. Dann war das halt eine Sporteinheit, die ich hinter mich bringen musste.

Der Regen hielt mich auch davon ab, den Weg im Wanderbüchel mitzulesen und mir dort Zusatzinformationen zu Sehenswürdigkeiten und Geschichte zu holen: Zwar sind die Seiten wasserabweisend beschichtet (super Sache!), aber die gestrige Feuchtigkeit war ihnen doch zu viel.

Ich steckte das Büchl regengeschützt weg und folgte stumpf den Markierungen.

Außerdem hatte ich zwei ungute Begegnungen mit Hunden (die mir bislang auf der Wanderung fast ausnahmslos unangeleint begegnet sind). Erst mit einem großen Wuschelhund an Schleppleine an altem Mann: Ich sah schon von Weitem, dass der Hund völlig fasziniert und stocksteif auf mich wartete. Sein Herrchen1 hielt ihn nicht davon ab, an mir hoch und um mich herum zu springen (ich musste mich aus der Schleppleine wickeln), kommunizierte überhaupt nicht mit dem Hund, erklärte lediglich entschuldigend, der sei noch ganz jung, erst acht Monate. “Oh, er macht sie ja ganz schmutzig.” Ich blieb freundlich und ging weiter.

Nicht mehr so freundlich blieb ich bei der nächsten Hundebegegnung: An einem Ort kreuzte an Rinderweiden ein unangeleinter großer Schäferhund mit alter Frau meinen Weg, sprang mich an und biss mich in die Hand, die ich zum Glück wegen der Kälte in den Jackenärmel gezogen hatte. Frauchen schimpfte ein bisschen und lachte verlegen, der sei halt erschrocken, hielt das Tier aber nicht davon ab, mich nochmal anzuspringen. Da musste ich dann doch fragen, ob sie die örtliche Försterin sei, weil sie den Hund unangeleint laufen lassen dürfe. Doch, doch das dürfe sie, meinte das Frauchen. Ich ging rasch weiter, wollte nur weg aus der Situation. Die Hand schmerzte auch nicht sehr.

Die letzte Stunde der Wanderung war die längste (von der Karte wusste ich, dass ich sie hätte abkürzen können, denn dieses Schlussstück führte im Halbkreis um den Zielort Weyerbusch herum – aber das wäre unsportlich gewesen). Nach gut 18 Kilometern und viereinhalb Stunden (mit einer Pause in einer Schutzhütte) kam ich in meine Unterkunft, versorgte die nasse Ausrüstung (das ist nämlich bereits die Zweitwanderhose), wärmte mich (Zentralheizung ist toll!). Diese letzte Stunde nasser Wanderung hatte ich ständig an die tea and coffee making facilities denken müssen, die in britischen B&Bs Standard sind – und hurra! Auf meinem Zimmer stand eine Senseo-Maschine.

Mit heißen Bliemchenkaffee im Bauch, nach einer Brotzeit aus Nüssen und Apfel, warm und mit Internet fühlte ich mich wieder muckelig und entspannt.

Der Apfel war übrigens das Geschenk der Hoteliersfamilie in Marienthal. Ich hatte mit Blick auf eine Wand mit Jagdtrophäen sehr ordentliches Frühstück bekommen (den Orangensaft stehen lassen…), beim Aufbruch dem Senior noch ein Gespräch über die Hitze und die Trockenheit dieses Jahres entlockt sowie über den Zustand und die Geschichte des hiesigen Waldes: Der Borkenkäfer in den Kiefern macht vor allem bei Trockenheit Probleme, viele müssen geschlagen werden. Und ich erfuhr, dass es sowas wie Waldranddesign gibt (mein Ausdruck): Die Ränder von Kieferngehölzen sehen nach einigen Jahrzehnten nicht schön aus, da die unteren Meter kahl und ohne Grün sind. Dehalb hat man laut Herrn Hoteliersenior an den Rand des ans Hotelgrundstück angrenzenden Kiefernwalds eine Reihe Buchen gepflanzt: Die sind auch nach vielen Jahren noch schön.

Nebenbeobachtung: Der hiesige Zungenschlag wird deutlich rheinisch. Das finde ich besonders bezaubernd auf dieser Wanderung: Dass ich die Veränderungen des Dialekts erwandere, vom völlig unglaubwürdigen Lahn-Dill-Kreis (Dank an Kommentatorin Liv für den Link zu diesem Hörbeispiel) über hesischsten Hesisch (tut mir leid, das kann im Original nicht mit Doppel-S geschrieben sein) bis zum rheinischen Einschlag. Ich bin gespannt, ob ich die nächsten Tage noch Helmut-Kohl-Pfälzisch höre.

Zu Abend aß ich im Restaurant des Hotels, wohl das feine Lokal am Platz: Im Nebenraum wurde Omas runder Geburtstag gefeiert.

Rehragout mit Knödel und einer Scheibe Bratapfel, dazu einen Pfälzer Cabernet Sauvignon.

Sonst waren nur wenige Tische besetzt. Anscheinend hatte ich allerdings Glück, anstandslos etwas zu essen zu bekommen. Andere Hereinschneiende belehrte der Wirt: “Sie müssen reservieren! Sie bringen sonst alles durcheinander!” (Bekamen aber einen Tisch und zu essen.)2

Kloster Marienthal: Hier wird wallgefahren.

Open Air Gottesdienst Facilities.

Recruiting – the Catholic way.

Joah, Wald kann er, der Westerwald.

Und Regen.


Raiffeisenturm. Gehn’Se rauf,

könn’Se runterschaun. Aber gestern halt nicht weit.

Wanderlaune: Nicht so gut.

§

Wie Frauen (Töchter, Schwestern, Partnerinnen) bis heute die Männer zu schützen versuchen, die ihnen am nächsten stehen:
“Dear dads: Your daughters told me about their assaults. This is why they never told you.”

I have been thinking lately about taboos, and how many of them exist because women don’t want to make men uncomfortable with lady pain — a broad spectrum that includes cramps, breast-feeding, the viscera of childbirth, the achiness of menstruation.

Some grown men still react to tampons as if they’re grenades, and as a result, many grown women still furtively pass them between ourselves in shadowy corridors, so nobody else feels awkward.

It’s silly, and we must know this at some level. But if the mention of Tampax makes a man need a fainting couch, is it any wonder we decide he’s not ready to hear messier stories?

§

Dieser Lieblingstweet zu Lokaljournalismus und dem Vorwurf “Lügenpresse”?
Stellt sich heraus: Es ist im Lokaljournalismus schon viel weiter und viel schlimmer.
“Die Fahrrad-Verschwörung”.

via @MlleReadOn

  1. Ich habe durchaus mitbekommen, dass Hundebesitzerinnen und -besitzer sich inzwischen als “Mami” und “Papi” ihres Tiers bezeichnen, aber das bringe ich nicht fertig, weil ich es gruslig bis eklig finde. []
  2. Dieses “Sie müssen XY, Sie bringen sonst alles durcheinander.” merke ich mir. An SO vielen Stellen in der Arbeit einsetzbar. []
die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Journal Dienstag, 2. Oktober 2018 – Westerwald 5: Marienthal-Wyerbusch (im Sauwetter)“

  1. Chris Kurbjuhn meint:

    Grundvoraussetzung für das Beherrschen des hessischen Dialekts ist die Meisterung des stimmhaften Doppel-S.

  2. Ulla meint:

    Schon wegen der Hunde, würde ich nie alleine wandern. Es fehlte mir auch der Gedankenaustausch mit dem Wanderpartner.

  3. Pippilotta meint:

    Ohne das geschilderte Verhalten der Hundehalter, die ihre Tiere offensichtlich nicht unter Kontrolle hatten, beschönigen zu wollen: Es gibt nicht überall eine Leinenpflicht für Hunde im Wald. Mit freilaufenden Hunden muss man also ggf. rechnen, nicht aber natürlich damit, angesprungen und sogar gebissen zu werden. Wobei der Ärmel einen ernsthaften Biss kaum abgehalten hätte.

    Hunde können wesentlich besser hören als sehen. Erfahrungsgemäß reagieren sie daher oft irritiert auf “vollverkleidete” Menschen, also z.B. solche mit Regenkleidung und Kapuze, weil sie sie aus der Ferne nicht als Menschen erkennen, was sich dann in stocksteifem Stehenbleiben, Anstarren und ggf. Anbellen äußert. Die beste Methode, dies aufzulösen ist, den Hund und den Halter laut hörbar anzusprechen, sich dadurch als Mensch zu erkennen zu geben und darum zu bitten, den Hund an die kurze Leine zu nehmen. Und hoffen, dass man nicht auf einen der leider auch existierenden völlig ignoranten Hundehalter trifft…

    Weiter viel Freude beim Wandern und besseres Wetter!

  4. Defne meint:

    In letzter Zeit habe ich es auch sehr häufig beobachtet dass Hundeerziehung nicht mehr in Mode ist. Den Hundehaltern ist es ziemlich egal was ihre Tiere machen und denken dass alle, die sich sonst noch im Freien aufhalten, das toll finden.
    So bin ich einer Hundehalterin begegnet die dann gemeint hat ich solle doch zuhause bleiben wenn ich mit ihrem Hund nicht zurecht komme. Ungefragt mag ich einfach keinen Körperkontakt mit Mensch und Tier. In der Trambahn gab es eine Situation dass der Hund die Passagiere gehindert hat durch den Gang zu gehen um zum Fahrkartenautomat zu gelangen.
    Anscheinend befinde ich mich in einer Minderheit, welche dieses Verhalten nicht billigt.

  5. martin bast meint:

    https://kurier.at/wissen/neue-medikamente-koennen-migraeneattacken-verhindern/400135031
    vielleicht was für Sie
    mfg m.b

  6. Berit meint:

    Ach bei ihren Geschichten mit unerzogenen Hunden möchte ich als ehemalige Hundebesitzerin aber auch gern mal mit dem Krückstock fuchteln. Darf ich mir Ihren leihen?

    PS: Ich finde da muss man auch nicht freundlich bleiben. Als das letzte Mal beim Joggen im Park so eine Fußtröte ins Bein beißen wollte hab ich die Besitzer auch ziemlich angeschnauzt. Hatte jetzt null Erfolg, aber mir ging es besser danach.

  7. Sandra meint:

    Also als wir in Südengland 2x unangeleinten Hofhunden begegneten (einer allein, blieb da wo er war und bellte nur, war aber sichtlich grantig, auf einem anderen Hof kam eine lustige Gruppe von 6 Kerlen, kleine und große, die uns umkreisten-zum Glück nur, um uns kennenzulernen), hätte ich auch zu zweit extrem Angst und wir hätten uns gegenseitig keine große Hilfe sein können.
    Bei alleine wandern denke ich eher an andere Gefahren, die ich aber auch beim Alleine Joggen sehe. Man muss einfach großes Pech haben und meist hat man ja Glück.

  8. Karin meint:

    “Ich bin gespannt, ob ich die nächsten Tage noch Helmut-Kohl-Pfälzisch höre.” Nicht so lange sie östlich des Rheins und nördlich der Lahn bleiben. Helmut-Kohl-Pfälzisch gibt es nur in der Vorderpfalz. Grob zwischen Worms und französischer Grenze (westlich des Rheins).
    Nicht angeleinte Hunde und disziplinlose Hundehalter, die gar nicht verstehen warum man nicht von ihren Hunden angesprungen, gebissen, verdreckt, etc. werden will sind auch hier ein großes Ärgernis. Vor allem im Wald. Aber ich käme im Traum nicht darauf deshalb meine Waldspaziergänge (manchmal auch alleine) einzustellen.

    Vielen Danke für die Wanderberichterstattung! :-)

  9. Daniela meint:

    Auch als Hundebesitzer ist man von solchen hirnbefreiten Egomanen genervt. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die Hundebesitzer schon von etwas weiter weg mit energischer Stimme anzurufen sie sollen ihren Hund an die Leine nehmen. Auch wenn es unmöglich ist dass man dazu gezwungen wird.

  10. Eva meint:

    Unangeleinte Hunde — da fang ich gern mal an zu knurren! Nee im Ernst, Ihre Coolness & Contenance haette ich wohl nicht gewahrt.

  11. Bobbie meint:

    Hund eindeutig Stopp zeigen mit Stimme und Körperhaltung. Hat schon mehrmals Wirkung gezeigt.

  12. stattkatze meint:

    Alles Gute und möglichste Aufwärmung. #jessas

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