Journal Montag, 4. November 2019 – Spinnerte Kirchenglocken

Dienstag, 5. November 2019 um 7:05

Ein überraschend strahlender Morgen.

Weil ich vor der Arbeit noch einen Arzttermin um 8.15 Uhr gleich ums Eck hatte, musste ich später aus dem Haus. Ich nutzte die zusätzliche Zeit für das Kneten von Pizzateig, den Herr Kaltmamsell zum Nachtmahl verarbeiten würde (Gehen im Kühlschrank), und zum Pflanzengießen.

Beim Verlassen des Hauses fiel mir wieder auf, dass derzeit die Glocken von St. Matthäus verrückt spielen. Da ich seit Jahrzehnten keine Armbanduhr trage und in bayerischen Innenstädten wohne, kalibriere ich mein Zeitgefühl mit dem Schlagen von Kirchturmuhren und nehme es entsprechend stärker wahr als die Durchschnittsbürgerin. Doch schon am Wochenende, als ich beim Schlagen von St. Matthäus mitzählte, war klar, dass die vier Schläge am Morgen nicht der Morgendämmerung entsprechen konnten (St. Matthäus schlägt immer nur die Anzahl der Stunden und zur halben Stunde zweimal – anders als andere Kirchturmuhren in entfernterer Hörweite, z.B. St. Paul, die mit einer Glocke die Viertelstunden schlagen und mit einer hörbar anderen die Anzahl der Uhrzeitstunden). Gestern Morgen nun schlug eine Glocke von St. Matthäus um acht Uhr irgendwas verzagt Unregelmäßiges. Die Hund gassiführende Nachbarin, die mir vorm Haus entgegen kam, war sich mit mir einig: Jetzt gerät die Welt völlig aus den Fugen.

Beim Arzttermin wurden die Fäden an meiner OP-Wunde entfernt, Befund der Wucherungsuntersuchung war ohne solchen.

Tram und U-Bahn in die Arbeit.

Etwas verwirrende Bahnhofs-Deko: Das Siegestor rechts ist sicher nicht hier. Nachtrag: Bei nochmaliger Begegnung wurde mir klar: Das ist auch gar nicht das Siegestor, sondern das Portal zum Alten botanischen Garten – das hier tatsächlich direkt drüber liegt.

In der Arbeit reichlich Arbeit, aber nichts Schlimmes. Mittags ein mächtiges Butterbrot aus dem selbst gebackenen, nachmittags Granatapfelkerne. Das Wetter wurde grauer, es regnete hin und wieder, manchmal musste ich aber die Jalousinen gegen Sonnelicht herunterziehen.

Den Heimweg trat ich wegen Einkaufsplänen zu Fuß an. Der erste Kilometer ging wie meist gut, dann bremste mich die Hüfte. Abstecher zum Vollcorner – die elektrische Kuh mag immer noch nicht.

Daheim wollte ich dringend Alkohol, bekam einen Purple Haze (irgendwas mit Cranberrysaft, Gin, Blauem Bols, Tonic Water).

Herr Kaltmamsell hatte die vereinbarte Pizza mit Radicchio, Käsen und Walnüssen zubereitet – sehr gut.

Spätes Entspannungsbad, weil ich noch eine abends gestartete Maschinenfüllung aufhängen musste.

§

Hande hat die Untersuchung von Kate Long in Italien wiederholt: Sie hat in einem Bekleidungsgeschäft fotografiert, mit welchen Aufschriften Shirts kleinster und kleiner Kinder von Anfang an Geschlechterrollen festlegen (von wegen “sind nunmal verschieden”). Hier das Ergebnis als Twitter-Thread.

die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Journal Montag, 4. November 2019 – Spinnerte Kirchenglocken“

  1. Defne meint:

    Bei der Haltestelle Karlsplatz meine ich dass das dargestellte Tor das Karlstor ist. Durch dieses bin ich ja und viele andere damals regelmäßig mit der Straßenbahn durchgefahren.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Bin gerade nochmal davor gestanden, Defne: Abgebildet ist das Portal zum Alten botanischen Garten – das ja tatsächlich gleich drüber steht.

  3. Roland B. meint:

    Für mich sieht das Tor aus wie der Arc de Triomphe – und ich hoffe, daß ich in der Haltestelle nie mit einem kräftigen Schwips stehe und dann denke, daß ich mich völlig verfahren habe.

  4. Philine Meyer-Clason meint:

    Dieses aus dem Ruder gelaufene Glockenläuten kenne ich von St Joseph: wie mir mal der Küster erklärte, sind das die Glockentöne, wenn das Geläut neu justiert wird.

  5. Frau Klugscheisser meint:

    Auf die Kirchenglocken hören – auch so eine Reminiszenz an meine Kindheit (war wichtig, wegen auf der Straße spielen und dann heimgehen müssen).
    St. Joseph scheint mir aber doch recht zuverlässig. Kann es sein, dass die Justierung nur einen Tag oder eine Stunde dauert?

  6. Annie meint:

    Ich würde all den Punkten zustimmen, was Neutralität – oder auch nicht- bei Baby – und Kinderkleidung angeht, wenn ich nicht meine eigenen erlebt hätte. Ein bisschen was bringen sie auch mit. Jedes Kind etwas, und ob es nun verstärkt oder gebremst wird, lebt sicher an vielen äußeren Faktoren.
    Bei uns, das Mädchen, was trotz zahlreicher “Jungenkleidung” als Baby (wenn die Eltern noch studieren und sich über alles freuen…) und zahlreichen Stunden auf Fußballplätzen von Mutter oder Vater ab drei nur noch rosa trägt. Während der kleine Bruder sich aus allem vorhandenen (überwiegend dann schon “mädchenhaftem”) Spielzeug ab 6 Monaten gezielt nur Autos oder Bälle sucht. Und der nächste Kleine lieber ein Mädchen wäre, weil er dann alles könnte, und sich nicht auf “Jungssachen” beschränken muss. Und nein, muss er nicht, aber die Kommentare kommen schon im Kindergarten, wenn die Hausschuhe pink sind, und die Schultüte ein Einhorn.

    Ich selbst habe übrigens auch rosa geliebt, hingebungsvoll mit meinen Puppen und Barbies gespielt und trotzdem Physik studiert.

  7. Herr Kaltmamsell meint:

    >Ein bisschen was bringen sie auch mit.

    Sicher. Aber ausgerechnet das “ab drei nur noch rosa trägt” hat nun wahrscheinlich überhaupt nichts mit dem zu tun, was sie mitbringen. Bis in die 1920er Jahre war blau eine Farbe eher für Mädchen, rosa eher für Jungen. Wenn sich heute Mädchen mit drei für rosa entscheiden (und das sollen sie, wenn sie wollen, nichts gegen rosa, da sind meine Nichten auch durch), dann hat das wohl nur etwas damit zu tun, dass die Gesellschaft ihnen rosa andient. Und dieses Angebot nehmen sie natürlich an. So viel Jungenkleidung kann die Familie gar nicht bereitstellen, wie die Gesellschaft mit rosa dagegenhält.

    Zugegeben: Tatsächlich wäre es auch möglich, dass bis in die 1920er Jahre die Gesellschaft auf die falsche Farbe gesetzt hatte, und dass die willkürliche Entscheidung für rosa einen genetischen Nerv getroffen hat. Aber das halte ich für wenig wahrscheinlich.

  8. Hauptschulblues meint:

    >Ein bisschen was bringen sie auch mit.
    Da gibt es derart viele Einflüsse der Umwelt, dass die Kinder nur in Ausnahmefällen anders reagieren können.

  9. Neeva meint:

    MIt den Kinderklamotten gibt es noch einen Aspekt, der das Ganze auf die Spitze treibt: Es ist möglich Kinderkleidung in neutralen, bunten Farben zu kaufen. Auch die Idiotie der Sprüche darauf hält sich dann stark in Grenzen.
    Als Marke steht dann halt Jako-o, Landsend oder Vaude dran. Und es kostet ca. dreimal soviel.
    Es ist also ein finanzielles Privileg, Kinder anzuziehen, ohne sie sofort in eine Schublade zu stecken. (Außer natürlich in die Schublade “die Eltern halten sich für was Besseres”…)

    Eine halbwegs rühmliche Ausnahme ist H&M, die stehts rosa, hellblau und gelb/braun/beige anbieten.

  10. Gaga Nielsen meint:

    Was geht mit Schwarz? Eine neutrale Farbe, die jedem steht. Ich kenne mich nicht mit Kinderkleidung aus, aber Rammstein hat da ein paar Sachen im Angebot. Wenn die Eltern den Kindern übergriffig kitschige Kleidung verpassen, kann das schon traumatisierend wirken. Ich wollte zwischen ungefähr dreizehn und dreiundzwanzig keine Kleider und Röcke anziehen, von Farben reden wir da noch gar nicht. Manche Kleider zog ich als Kind und Halbwüchsige gerne an, auch Geblümte, sofern nach meinem Geschmack, in den Achtzigern musste es dann aber Schwarz und cool sein, mittlerweile geht wieder alles, auch gerne Rosa. Man muss als Eltern auch ein Gespür haben, ob das Kind mehr so cool und modern oder eher altbacken ist. Es gibt auch reaktionäre Kinder. Die bringen nämlich ganz schön viel mit, wenn ich mir die kleinen Persönlichkeiten im Kinderwagen so anschaue.

  11. Neeva meint:

    Schwarz gibts vereinzelt auch. Und beim Babystrampler isses wirklich wurscht, den ziehen die Eltern an.
    Aber man unterschätze nicht die altbackenheit der Kindergärten. Nichtmal die mir bekannte Fan-Mutter, die ihre Söhne Till und Paul genannt hat, zieht die beiden schwarz an.
    Und in dem Alter 3 – 8/9 wollen Kinder sich identifizieren und dazugehören. Da mit Kleidung rauszustechen macht die echt massiv unglücklich.
    Deshalb *wollen* die mit drei Rosaglitzer oder TarnfleckDunkelblau wie Herr Kaltmamsell und Hauptschulblues auch schon erwähnten.

  12. Gaga Nielsen meint:

    Ich finde die Kinder sollten bestimmen, welche Farbe und welcher Stil für sie gekauft wird, und wenn es dann Mainstream ist mit rosa Glitzer-Einhorn, dann ist es eben so. Sehr aufgesetzt fände ich, wenn Eltern einem kleinen Mädchen um jeden Preis ein rosa Shirt ausreden wollten. Das sind eh alles nur Phasen. Wenn ein Kind die Persönlichkeit für Rebellion in sich trägt, macht sich das sowieso irgendwie bemerkbar. Ich war dann halt bei meinen Eltern unbeliebt und galt als störrisch. Kinder orientieren sich an den Kindern, die sie selbst am liebsten mögen, wenn die dann mit irgendeiner Marke angeben, setzen sie diese blöden kostspieligen Trends. Das ist schon nervig. Aber viele Erwachsene spielen das Spielchen ja auch mit und leben es vor.

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