Journal Freitag, 18. Dezember 2020 – Weitere Corona-bedingte Veränderungen

Samstag, 19. Dezember 2020 um 8:12

Früher Wecker, aber noch früher aufgewacht. Dadurch hatte ich sogar einen gemütlichen Morgen, bevor ich zur Öffnung um sieben ins Reha-Zentrum fuhr.

Die Vorsichtsmaßnahmen für den Reha-Sportraum waren verschärft worden: Ich musste eine Liste von Verpflichtungen unterzeichnen (davor bestanden sie lediglich in Hinweisen des Personals), darunter Abstandsgebot, durchgehendes Tragen von Maske (hatte ich eh, doch es war erlaubt gewesen, an Geräten die Maske abzusetzen – was einige taten), Fernbleiben bei Erkältungssymptomen. Und ab sofort wird beim Betreten des Raums Temperatur gemessen.

Mir bleiben noch vier Termine Nach-Reha, und ich hatte mit dem Gedanken gespielt, nach einer Fortsetzung auf Selbstzahler-Basis zu fragen – schließlich stehen hier Hilfsmittel und Geräte zur Verfügung, die ich daheim nicht habe. Doch bei der derzeitigen Infektionslage (Münchens stetig steigende 7-Tage-Inzidenz liegt jetzt bei 274) halte ich Innensport für ein leicht vermeidbares Risiko.

Auf den (fast leeren) U-Bahn-Fahrten zum und vom Sport las ich die Titelgeschichte des gestrigen SZ-Magazins (€):
“An der Maschine”.

Auf einer Münchner Intensivstation liegt ein Patient mit Covid-19. Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte kämpfen um sein Leben, acht Wochen lang. Ihr wichtigster Helfer: das Beatmungsgerät SN41418. Eine Chronik.

Zunächst war ich skeptisch: Corona aus der Sicht der Beatmungsmaschine erinnerte mich an die Ideen, die ich als Zeitungsvolontärin für originell gehalten hatte (der Fußballbericht aus der Perspektive eines Maulwurfs im Rasen wurde zum Glück nie etwas). Aber dann war ich überrascht, wie gut das funktionierte. Die Maschine wurde nicht vermenschlicht/verniedlicht, statt dessen war durch die Perspektve die Sachlichkeit und Faktentiefe des Berichts gut motiviert. Auf dem Heimweg fesselte mich der Artikel von Roland Schulz so, dass ich im U-Bahnhof stehenblieb, um die letzten Absätze zu lesen. Unter anderem wird klar, welch ungeheuren Personalaufwand ein Covid-19-Fall auf einer Intensivstation verursacht, auch wenn er nicht ganze acht Wochen dort versorgt werden muss (im Gegensatz z.B. zu einem Herzinfarkt-Patienten).

Bevor ich zur Arbeit aufbrach, füllte ich noch schnell eine Maschine Wäsche. Die nach wenigen Minuten mahnend piepste und “F-17” anzeigte. Ich musste das Problem Herrn Kaltmamsell übergeben – der es, wie ich später erfuhr, durch Aus- und Einschalten behob.

Gut vier Stunden Arbeit ohne Überraschungen, zu Essen hatte ich eine rote Paprika und ein Stück Käse kleingeschnitten, dazu eine Scheibe selbstgebackenes Brot.

Das Wetter war herrlich sonnig, ich genoss den Fußweg nach Hause, auch wenn ich zum Abstandhalten zu Passanten in Paaren oder Gruppen immer wieder auf jenseits der parkenden Autos mitten auf die Straße ausweichen musste.

Im Westend entdeckt: Einen weiteren E-Roller-Parkplatz, nachdem ich vor einer Woche schonmal an einem vorbeigelaufen war.

Was ein Fehler war: Nach der Arbeit schnell das Abendessen einzukaufen. Wir hatten uns auf Artischocken mit Knoblauchmajo und Lammkoteletts geeinigt, beides musste besorgt werden (ich merke, wie verführerisch dieses Großstadtleben mit unbegrenztem Lebensmittelangebot ist – wir müssen selten mit dem auskommen, was im Haus ist, sondern können unseren Gelüsten folgen). Also machte ich eine Stippvisite beim Lieblings-Süpermarket. Eigentlich war nicht viel los, doch niemand hielt Abstand (vielleicht wurden die Boden-bedeckenden Aufkleber “Abstand!” “2 Meter!” als Ersatz fürs tatsächliche Abstandhalten angesehen), ich war sehr kurz davor, meine Einkäufe einfach abzustellen und den Laden zu verlassen. Doch weil ich auch dafür Schlangen ohne Abstand kreuzen hätte müssen, zahlte ich meine Einkäufe halt dazwischen. Den Laden muss ich leider bis Ende der Pandemie meiden.

Daheim setzte ich Brotteig und Sauerteige an (u.a. mal wieder Weizensauerteig für ein Brot zum geplanten Käsefondue an einem Weihnachtsfeiertag), las Internet und Zeitung. Herr Kaltmamsell reichte Brandy Alexander an.

Zum Abendessen die geplanten Artischocken von mir, Herr Kaltmamsell servierte die Lammkoteletts mir Süßkartoffel-Pommes aus dem Speisefön. Wein dazu ein Verdejo Quinta Apolonia Belondrade von 2014, der eher versehentlich ein paar Jahre bei uns gereift war: Das hatte ihn durchaus interessanter gemacht, ich nehme an, er hat auch durch das Holz die Alterung gut vertragen.

Im Fernsehen ließen wir Grease laufen, der auf sehr eigenartige Art veraltet wirkte.

Zefix! Meine wichtigtuerische Gebärmutter gibt sich nicht geschlagen: An Tag 181 nach der letzten Blutung meinte sie doch nochmal menstruieren zu müssen. Kläglich aber eindeutig.

§

Falls Sie ein weiteres Beispiel für kognitive Dissonanz brauchen:
“Die Wahrheit liegt auf der Straße”.

Die Münchnerinnen und Münchner wählen mehrheitlich grün – doch gleichzeitig steigt die Zahl der zugelassen Autos. Und SUVs sind besonders begehrt.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Freitag, 18. Dezember 2020 – Weitere Corona-bedingte Veränderungen“

  1. Nina meint:

    Der Artikel klingt interessant. In den Sozialwissenschaften sind durch diesen Fokus auf Technologien und Maschinen, nicht nur als Bestandteil unserer Welt, sondern als eigene handelnde Akteure, in den letzten Jahren eine Reihe sehr spannender Arbeiten entstanden, gerade in der Medizinsoziologie/-ethnologie. Da wurde durchaus schon die Perspektive etwa von Dialysemaschinen erforscht (Stichwort: Science and Technology-Studies, Actor-Network-Theory).

  2. Ulla meint:

    Der Artikel im SZ Magazine klingt nicht nur interessant, er ist sehr interessant. Er ging mir ziemlich an die Nieren.
    Schöne Festtage und guten Rutsch Frau Kaltmamsell.

  3. Elfengleich meint:

    29% von 49% sind ja gerade mal 156.000 Grünen-Wähler in München
    Wäre in der Tat interessant, ob die in vergleichbarer Zahl SUV fahren wie der Durchschnitt. Meine Annahme wäre, dass sie überhaupt seltener Autos besitzen.

  4. Frau Irgendwas ist immer meint:

    Wichtigtuerische Gebärmutter – ja, kommt mir bekannt vor – meine Gebärmutter und ich haben uns zum Glück schon vor 2 Jahren auf `mission complete` geeinigt. War ein langer Weg …

  5. Vera Sch. meint:

    Zum Stichwort ‘Intensivstation’:
    Wann ist eine Intensivstation voll? – Narkosearzt unterwegs.
    https://narkosearzt.wordpress.com/2020/12/16/wann-ist-eine-intensivstation-voll/

  6. Bee meint:

    Auch sehr eindrücklich ist die SWR-Doku: “Die Lebensretter – Klinikpersonal im Dauereinsatz gegen Corona” (in der Mediathek und YT), ohne Beatmungsgeräte geht es nicht.

  7. Beate meint:

    Scooterparkplatz….und im Hintergrund entdecke ich das Kyoto running sushi, das ich seit 3/20 sehr vermisse und hoffe, dass es den lockdown überstehen wird.

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