Archiv für Dezember 2020

Journal Samstag, 5. Dezember 2020 – #WMDEDGT im Dezember

Sonntag, 6. Dezember 2020

An jedem Fünften im Monat fragt Frau Brüllen: “Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?”, kurz #WMDEDGT. Ich schätze diese Aktion sehr, da sie genau die (gerne auch langweiligen) Alltagsabläufe sammelt, die Historikerinnen beim Blick zurück so oft fehlen. (Was wäre das toll, hätte man solche Schilderungen aus dem Rom im Jahr 133 n.Chr.!)

Ausgeschlafen – und zwar mit Herrn Kaltmamsell in seinem Bett. Er hat schon seit einigen Monaten einen neuen Lattenrost (war dringend nötig), den ich noch nicht belegen hatte: Sehr gut, endlich rollt man nicht mehr in die Bettmitte.

Ausführliches Bloggen, mittelausführlicher Heimsport – auf dem Crosstrainer musste ich mich bremsen, zu den Reha- und Kraftübungen wiederum überwinden. Nach dem Duschen cremte ich sogar mein Gesicht ein, ich hatte aufgeplatzte Hautstellen, ich vermute wegen der Kälte draußen. Kleidung des Tages: Das schwarze Wollkleid, das so unansehnlich ist, dass ich es nur noch daheim trage, mit dicken Ringelstrumpfhosen.

An die frische Luft für eine kurze Einkaufsrunde – ob ich es endlich schaffe, mich da zu disziplinieren und die fremden Menschen in geschlossenen Räumen von Supermärkten durch gezielte Einkaufsplanung zu reduzieren? Gestern war es besonders voll, gesunder Abstand unmöglich. Mit Mütze (es war kalt und regnerisch) setzt sich die Maske noch umständlicher auf und ab.

Zum mittäglichen Frühstück gab es Käse, Kürbisreste vom Vorabend, eine Scheibe selbst gebackenes Roggenmischbrot.

Ich telefonierte mit meinem Vater, der in seiner Reha im Alleinsein verwelkt: Die Hygieneregeln machen Freizeitkontakte unter den Patientinnen und Patienten unmöglich – und er lernt doch so gerne Leute kennen. Eine Woche muss er noch durchhalten.

Mit Füßehoch im Bett und Decke über den Beinen las ich die Wochenendzeitung, freute mich an den beiden offenen Briefen im Feuilleton von Gerhard Polt (€): “Betr.: Nikolaus”. Einer ist gerichtet ans bayrische Kultusministerium, der andere ans Finanzamt München Nord, “Antrag auf Entschädigung” für einen selbständigen Nikolaus.

Seine Qualitätsnikolausität versteht sich erwiesenermaßen nicht nur als folkloristisches Element der Glühweinbranche, sondern stellt eine unabdingbare Säule der Zivilisierungsbildung des Volkes dar.

Nachmittagssnack war ein großes Stück Panettone, das ich sehr genoss. Die kandierten Früchte darin sind besonders grobe Stücke, da sie aber weich und aromatisch sind, hatte ich nichts dagegen.

In derselben Haltung guckte ich in der ZDF-Mediathek die dritte Folge Vienna Blood, “Der verlorene Sohn”, die mir bei aller Freude an der Ausstattung so mittel gefiel. Fasziniert bin ich weiterhin von Hauptdarsteller Matthew Beard: So wenig ich dicke Frauen in tragenden Rollen gewohnt bin, deren Dickheit nicht thematisiert wird, so überrascht bin ich von diesem mageren und zarten männlichen Darsteller – und merke daran, dass man das sonst nicht hat. (Doch auch er muss Faustschläge austeilen können.)

Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell eine schottische Räucherfischsuppe “Cullen Skink”, die Lauch, Kartoffeln und eine Pastinake aus Ernteanteil verwertete und sehr gut schmeckte (Ernteanteil-Kresse kam unorthodox drüber). Vorher hatte ich uns Green Monkeys gemixt, zum Nachtisch gab’s Schokolade.

Im Bett begann ich eine neue Lektüre: Eva Meijer, Hanni Ehlers (Übers.), Das Vogelhaus.

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Erinnern Sie sich an “Keine Panik, aber bitte nicht verkacken” von Mai Thi Nguyen-Kim? Den ersten Teil haben wir prima hinbekommen, beim zweiten sauber versagt – Infektions- und vor allem Todeszahlen sind auf einem neuen Höchststand im 7-Tage-Mittel. Die New York Times hat daraus eine wunderbare und deprimierende interaktive Geschichte gemacht.
“Europe’s Deadly Second Wave:
How Did It Happen Again?”

Ergebnis der Analyse, wie wir (Europa) es verkackt haben:
1. Zu frühe Öffnungen im Frühsommer (Rettung der Wirtschaft!) und Reisefreiheit für Sommerurlaub (Rettung der Fremdenverkehrsbranche!).

“Europeans wanted it all,” said. Prof. Devi Sridhar of the Edinburgh University Medical School. “In Europe people are still wondering ‘Is it worth it, should we protect people or the economy?’,” she said, adding that experience shows this is a false dilemma.

Economic forecasts from Europe indicate that the small gains made during the summer months have been wiped out in the second wave, as the spike in economic activity coinciding with the summer months quickly plummeted.

2. Der Beginn der zweiten Welle wurde ignoriert, in manchen Ländern sogar geleugnet, die Regierungen ergriffen zu spät Gegenmaßnahmen und setzten/setzen sie nur halbherzig durch.

Die Kurzzeitprognose der zitierten Expertinnen und Experten: Die Lockerungen über Weihnachten und für die Skigebiete werden eine dritte Welle verursachen. Vielleicht doch Zeit für Panik?

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Das Münchner Stadtmuseum kann seine Ausstellung “Welt im Umbruch” wegen der Corona-Schließung nicht zeigen und hat daraus eine Online-Bildersammlung gemacht, “Von Otto Dix bis August Sander – Kunst der 20er Jahre”.

Meine beiden Favoriten:

Willhelm Heise, Der Stiglmaierplatz in München bei Nacht, 1935.

Karl Hubbuch, Marianne Beffert im Schwimmbad, Rheinstrandbad, Rappenwöhrth, nach 1929.

Journal DonnerstagFreitag, 4. Dezember 2020 – Widerwillen gegen Inneneinrichtung

Samstag, 5. Dezember 2020

Um halb sechs aufgestanden, um die leeren anderthalb Stunden nach Öffnung des Reha-Zentrums um sieben nutzen zu können; das klappte. Auch das Training selbst lief gut, Frühsportlerin halt. Draußen hatte sich der wenige Schnee vom Dienstag gehalten, trotz Sonne.

Auf der Rückfahrt stieg ich zwei U-Bahn-Stationen früher aus, nämlich am Odeonsplatz, um durch die leere Fußgängerzone heim zu spazieren. Wobei – wirklich leer war sie gar nicht: Es fühlte sich sehr großstädtisch an, um 8.45 Uhr die ruhige Geschäftigkeit von Lieferwagen, Briefträgerinnen, illegalen Radlerinnen und Radlern, sehr wenigen Menschen mit zielgerichtetem Schritt zu beobachten. Wer ausgestorbene Innenstädte sehen möchte, muss in die Provinz gehen.

Ausführliches Duschen und Pflegen, zweiter Milchkaffee. Mittägliches Frühstück war später aufgetautes, selbst gebackenes Roggenmischbrot mit Käse.

Ich widerstand dem Drang ins Draußen (mal wolkig, mal sonnig, immer kalt), denn ich war genug für einen Tag herumgelaufen, und die Lebensmitteleinkäufe hatte Herr Kaltmamsell erledigt. Nachmittags schnitt ich den Panettone an, den ich bei Eataly gekauft hatte: Natürlich kein Vergleich mit dem Bäcker-Panettone von Forno Roscoli in Rom, aber deutlich saftiger und besser als die Fabrik-Panettones in fliederfarbener Schachtel aus dem Supermarkt.

Nachdenken über meinen seltsamen Widerwillen bei Wohnungseinrichtung. Ich wohne überdurchschnittlich gern, auch im Urlaub, interessiere mich aber unterdurchschnittlich für Inneneinrichtung, Raumausstattung und Heimwerken. Das scheint eine ungewöhnliche Kombination zu sein, denn als ich auf Twitter äußerte, dass ich textile Wandbespannung attraktiv finde, ob das wohl aufwändig/teuer sei, bekam ich hauptsächlich Tipps und Erfahrungen zum Selbermachen. Nein: Bevor ich irgendwas an Wohnungseinrichtung selbst mache, gebe ich lieber den Wunsch auf (außer man kann es stricken, häkeln oder backen) – ich habe ja eh keine innigen Wünsche. Doch ich lerne im Moment, dass ich bei Wohnungseinrichung zumindest überraschend heftige Abneigungen habe.

Grobe Renovierarbeiten wie Abspachteln von Wand- und Deckenfarbe, auch über Kopf, oder Wändeeinreißen, auch Weißeln habe ich zumindest früher ganz gern gemacht. Feines Heimwerken, das eigentlich Basteln ist – nein, nie. (Dazu gehört auch die Auswahl von Farbe, fürchte ich.)

Wenn überhaupt, denke ich beim Einrichten in Funktionalität (wo möchte ich sitzen, um den schönsten Ausblick zu haben?), nicht in Ästhetik (wo muss das Sofa stehen, um am besten zu wirken? welche Farbe sollte die Wand dazu haben?). Am besten lasse ich mir von meiner innendesignenden Mutter einen Stapel Wohnzeitschriften mitbringen, die sie so gerne liest – als Info, was es überhaupt gibt und wie es heißt. Wie groß meine Wissenslücken sind, merke ich im Vergleich zu Bekleidung: Kleidung interessiert mich, es macht mir Spaß, sie auszuwählen und zusammenzustellen, ich lese gern über Herstellungsweise und Geschichte, kann zahlreiche Stoffe, Webarten, Schnitte, Farben, Besonderheiten erkennen und benennen, auch Epochen zuordnen.

Mit Herrn Kaltmamsell feiert ich den Anbruch des letzten Wochenendes im Krankenstand mit Cosmopolitans und einem wundervollen glücklichen Entrecôte an Ernteanteil-Kürbis (Herr Kaltmamsell servierte ihn mit einem Tahini-Sößchen nach Ottolenghi).

Abends trafen wir uns per Videokonferenz mit unserer Leserunde zu Alina Bronsky, Der Zopf meiner Großmutter. Das Buch hatte alle vier, die es gelesen hatten, enttäuscht weil zu klamaukig auf Kosten von Figurenhintergrund und interessanter Themen. Schön war aber das Zusammenkommen mit diesen Menschen, die ich nun doch sehr lange kenne und in der SITUATION vermisse.

Im Bett las ich Mark Holt, Munich ’72. The Visual Output of Otl Aicher’s Dept. XI zu Ende, das ich im April angefangen hatte und zwischendurch zur Seite gelegt (u.a. weil man das Riesenviech nicht unterwegs lesen kann).

Ein wirklich umfassendes Werk über alles, alles, was die Gestaltungsabteilung unter Otl Aicher für die Olympischen Sommerspiele in München 1972 geschaffen hat, mit an Wahnsinn grenzendem Vollständigkeitsehrgeiz. Fotos von allem, was in dieser Abteilung produziert wurde, dazu Protokolle des Verwaltungshintergrunds. Mark Holt hat aufwändig und gründlich recherchiert, stellt Bezüge her, hat viele Teammitglieder von damals interviewt (auch zu Otl Aicher als Person, der ja bereits 1991 gestorben ist). Auch die Illustrationen sind umfangreich, Holt hat viele Fotos aus der Zeit verwendet (immer wieder spannend: die Bauphasen des Olympiageländes, damals noch Oberwiesenfeld – um das es aber nicht geht), unter anderem den Design-Guide abfotografiert und übersetzt, den Merchandise-Katalog, die Cover der Regelheftchen für alle Sportarten. Ein Anhang listet nochmal alle Mitarbeitenden der Abteilung XI auf, inkl. Biografien (und alle Crowdfunder und Crowdfunderinnen – ich komm auch drin vor!).

Mich hatte ja schon vorher die einzigartige Gestaltung dieser Olympischen Spiele 1972 fasziniert (sonst wäre mir die Umsetzung von Mark Holts Buch-Idee kein so großes Anliegen gewesen); die Lektüre bestätigte mir die Einzigartigkeit, erklärte mir Wurzeln und Umstände – und ließ mich dazwischen immer wieder im Web nach Memorabilia recherchieren (doch noch ein Waldi? oder eines der Sport-Plakate?).

Kritisch betrachtet gibt es zwei Stolpersteine des Werks (auch wenn ich sehr froh und dankbar bin, dass Mark Holt sich diesen enormen Aufwand angetan hat): Zum einen hat es als Ergebnis eines (wirklich bewundernswerten) Einzelkämpfers keinen redaktionellen oder wissenschaftlichen Filter, ist als Basis für weitere Forschung sicher unersetzlich, aber nicht wirklich belastbar.

Zum anderen muss sich der erfahrene Grafiker Mark Holt gefallen lassen, dass ich an die Gestaltung des Buchs besonders hohe Ansprüche habe. Und auch wenn diese ebenso aufwändig ist wie der Inhalt, offensichtlich angelehnt an die Gestaltung von München ’72, ist es in einer Weise leserunfreundlich/unfunktional, wie es Otl Aicher sicher nicht hätte durchgehen lassen.

Ich spekuliere, dass Mark Holt bislang eher Broschüren und Magazine gemacht, aber nie Buch.
– Immer wieder lässt er über viele Seiten zwei Texte parallel laufen, z.B. in einem schmalen Streifen oben ein Interview und auf dem unteren Rest der Seite andere Texte über mehrere Seiten. So kann man nicht lesen.
– Neben sehr kleiner, dünner Schrift wird immer wieder silberner Text verwendet: Wenn die Leserin anfängt, ein Buch in verschiedenen Winkeln zum Licht zu halten, um Buchstaben zu erkennen, ist etwas schief gelaufen.
– Die Paginierung ist fast nicht zu finden: Um 90 Grad gedreht und für jede Doppelseite nur links.

Doch ich kann mir vorstellen, dass diese Punkte den meisten Lesern und Leserinnen gar nicht aufstoßen. Man kann das überwältigende coffee table book immer noch bei Mark Holt kaufen, ich empfehle es von Herzen.

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Mir ist in den vergangenen Jahren immer klarer geworden, wie einzigartig der Rassismus in den USA ist, in einem Land, das auf Sklaverei und Segregation gebaut wurde. Richard Frishman hat die Spuren fotografiert, die heute noch sichtbar sind – wenn man sie sehen will.
“Hidden in Plain Sight: The Ghosts of Segregation”.

All human landscapes are embedded with cultural meaning. And since we rarely consider our constructions as evidence of our priorities, beliefs and behaviors, the testimonies our landscapes offer are more honest than many of the things we intentionally present.

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Der nordenglische Schäfer und Landwirt James Rebanks über die kürzlich veröffentlichte neue britische Landwirtschaftspolitik:
“Brexit will ruin Britain’s farms”.

Ich bin auch deshalb interessiert an seiner Einschätzung, weil es Rebanks um Lösungen geht, nicht um Schuldzuweisungen und Polarisierung. Er schaut immer aufs Gesamtbild:

You might ask why governments need to interfere in farming and land management at all, but you’d be about two thousand years too late. States have always manipulated farming to regulate food supplies, cheapen food for the poor, make food safe, avoid famines and food shortages, and encourage domestic production for times of war and national crisis. The Bible is full of pharaohs storing grain, or passing decrees about food to achieve one thing or another.

(…)

The problem for me as a farmer is that despite being blessed with wonderful TV adverts telling me to plan for a “no deal Brexit,” I haven’t a clue what to plan for. I don’t know what to produce, or what I will be paid for. My options at 1,100ft above sea level on a pasture-based rocky farm are limited. I also know that the main market for what we produce is the EU — worth £14.5 billion — and if we leave without an agreement then British farm products will go from zero tariffs to a 62% on lamb, 85% on beef, 45% on cheddar cheese and 51% on barley. The National Farmers’ Union projects farm incomes would crash by 60-80% in a no-deal scenario. It would be catastrophic.

Donnerstag, 3. Dezember 2020 – Wohnungsaufregung

Freitag, 4. Dezember 2020

Mit Wohnungsaufregung eingeschlafen, mit Wohnungsaufregung aufgewacht. Den ganzen Tag beschäftigte es mich, das Projekt wird aufwändig, teuer und kompliziert – doch ich bin mir mit Herrn Kaltmamsell einig, dass es wirklich, wirklich sinnvoll ist (Details, wenn offiziell). Im Moment fallen mir vor allem die zu lösenden Probleme ein.

Morgens telefonierte ich mit meiner Mutter, der persönlichen Innenarchitektin: Sie hat sich bereit erklärt, uns mit ihrer Kreativität, ihrem Vorstellungsvermögen und ihrer Gestaltungskraft zu unterstützen – und mit ihrer Erfahrung: Ich kenne ja nicht mal die Wörter für Einrichtungsdinge, die mir nicht gefallen oder gefallen, von verschiedenen Putz-Arten bis Möbelnamen.

Es war frostig, den ganzen Tag über, morgens war das Wasser in unserer kleinen Vogeltränke durchgefroren.

Nächste Runde Stollenbacken, diesmal verschränkt mit Frühsport: Bank- und Seitstütz, Crosstrainer, Reha-Übungen, Rumpfgymnastik, Dehnen. Machte viel Spaß im gestern sonnendurchfluteten Wohnzimmer. Ich kam erst um eins zum Frühstücken (Porridge mit Kaki und Orange sowie restliche Sirup-Quitten), während die beiden Stollen im Ofen buken. Auch diese brauchten 35 Minuten länger als die angegebenen 55 Minuten Backzeit, ich bewahrte sie durch Alufolienbedeckung davor zu dunkel zu werden.

Die Sonne stand schon recht tief, als ich zu einer Einkaufsrunde losging – jetzt sind halt die Wochen mit den kürzesten Tagen im Jahr, die Sonne hebt sich nicht sehr weit über den Horizont. U.a. fand ich weitere Weihnachtsgeschenke und freute mich über freundliches und kundiges Verkaufspersonal, das mich zwar enttäuschen musste – nein, das führen sie nicht – , aber einen Tipp hatte, wo ich es bekommen könnte. Und richtig lag.

Daheim gab’s Zeitung und einen Becher Hüttenkäse als Nachmittagssnack. Füßehoch, das war gestern wieder viel Rumrennen.

Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell Bunte Spiralnudeln mit Butternut-Kürbis (Ernteanteil), Salbei und Gorgonzola.

Zu Bett gegangen mit dem unangenehmen Gefühl, den Tag verplemplert und nichts geschafft zu haben.

Journal Mittwoch, 2. Dezember 2020 – Change ahead

Donnerstag, 3. Dezember 2020

Genug geschlafen, aufgewacht zu einem grauen und kalten Tag, der nie wirklich hell wurde.

Herr Kaltmamsell unterrichtete von daheim aus eine quarantänisierte Klasse. Das wäre meine Chance gewesen, Informatik auf gymnasialem Oberstufen-Niveau zu osmotisieren – doch nach den ersten Sätzen schloss er seine Zimmertür.

Einkaufsrunde in Innenstadtgeschäften u.a. erste Weihnachtsgeschenke; an einem Wochentag kurz nach Ladenöffnung ist es da noch herrlich leer und infektionssicher. Wir haben jetzt Ersatz für unsere 17 Jahre alte elektrische Zahnbürste: Das neue Modell wurde uns von Freunden empfohlen und ist derart high-tech, dass es vermutlich auch zur Mondlandung eingesetzt werden kann.

Ich kam mit Frühstückssemmeln heim, es gab Frühstück.

Nachmittags nahm ich eine U-Bahn zum Reha-Sport. Wieder lief der sehr gut; ich könnte für die zweite Hälfte meiner Nach-Reha nach einem neuen Programm fragen, das derzeitige kann ich ja.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell unser liebstes Comfort Food Shakshuka. Dann hatten wir einen Abendtermin, denn: große Veränderungen am Horizont. Unsere Wohnung wurde seit Hauserbauung Ende der 1950er nie renoviert, vor allem Bad und Parkettboden kippen mittlerweile von unansehnlich zu unputzbar eklig. Jetzt zeichnet sich eine deutliche Verbesserung ab.

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Die Nachrichtenagentur AP hat ihre Pressebilder des Jahres zusammengestellt:
“In 2020, AP photographers captured a world in distress”.

via @CucinaCasalinga

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Satanische Botschaften, wenn man Heavy-Metal-Platten rückwärts abspielt, waren gestern (Rrrrippsche mit Kraut?). Heute tragen die satanischen Botschaften Anzug, man muss nur noch ein bisschen Heavy-Metal-Musik drunterlegen.

Journal Dienstag, 1. Dezember 2020 – Erster Schnee

Mittwoch, 2. Dezember 2020

Derzeit sind meine Nächte wieder durch Wälz- und Sorgestunden unterbrochen, noch schlägt das aber nicht auf die Gesamtbefindlichkeit.

Als das Tageslicht langsam den Morgen erhellte, fiel der erste Schnee dieses Winters, erst als Griesel (Geräusch wie Besen auf Snare Drum), dann als kleinflockiger Leiserieseltder.

Bürokratischer Kontakt mit zwei aufeinander angewiesenen Stellen, die eine sorgte durch Nicht-Erfüllen ihrer Aufgaben dafür, dass ich mich überhaupt mit dem Vorgang beschäftigen musste, die andere war wie erwartet freundlich professionell. Künftig werde ich ich alles Postalische zu diesem Vorgang per Einwurf-Einschreiben abwickeln, zur Sicherheit.

Eine kleine Einheit Rehasport daheim mit Crosstrainer und Bodenübungen.

Als ich zu einer Einkaufsrunde aus dem Haus ging, stellte ich fest, dass der hübsche Schnee aus Matsch bestand. Lebensmittel beim Vollcorner, ums Eck dort gesehen, dass der Saturn Theresienhöhe schließt.

Mittägliches Frühstück war der Rest Linsensalat (ich habe derzeit erhöhten Gieper auf Linsen) und eine Scheibe Schokoladenbrot.

Was Sie ja durch Corona-bedingtes Home Office bereits seit März üben, mache ich erst seit meiner Rückkehr aus der Reha-Klinik: Wochenlang am Stück das Haus hüten, mit lediglich kurzen Unterbrechungen. Das ist sehr lehrreich. Zum Beispiel weiß ich jetzt, dass Herr Kaltmamsell, der auch ohne Pandemie viel daheim arbeitet, der Päckchenannehmer des Hauses ist, dadurch eng bekannt mit dem DHL-Mann, von dem er nicht nur weiß, dass er aus Portugal stammt, sondern noch mancherlei andere Details. Zudem wurde ich vertraut mit dem akustischen Tagesrhythmus des Hauses, habe Sensoren für die Ankunft der Post entwickelt (meist deutlich nach Mittag, sowas gab’s früher nicht).

Den Großteil des Nachmittags verbrachte ich auf meinem Bett mit Internet- und Buchlesen (neues Zeitreise-Wunschziel: München irgendwann in den Monaten vor Start der Olympischen Spiele 1972). Dazwischen Telefonat mit der Arbeit in Vorbereitung auf meinem Start nächsten Montag, dazwischen Kochen von Spanischem Milchreis als Teil des Abendessens (wurde viel zu suppig, von diesem konkreten Reis hätten es ruhig 150 Gramm sein dürfen).

Erster Teil des Abendessens wurden in Semmelbröseln gebratene Auberginenwürfel mit Pinienkernen, dazu Minzjoghurt aus der Hand von Herrn Kaltmamsell.

Telefonat mit meinem Bruder u.a. zur Planung von Weihnachten.

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Auch wenn ich selbst ein paar Jahre Querflötenunterricht hatte (armer Instrumentallehrer Gutsche), wusste ich nicht, dass es Altquerflöte gibt.

Aktivieren Sie JavaScript um das Video zu sehen.
https://youtu.be/Ea6NrFHdNso

via @ankegroener

(Oder: Was hochklassigen Orchestermusikerinnen in der SITUATION so einfällt, weil sie ja nicht arbeiten dürfen.)

Journal Montag, 30. November 2020 – Ausflug in den Olympiapark mit Aussicht

Dienstag, 1. Dezember 2020

Beim nächtlichen Klogang gesehen, dass das Wohnzimmer vom Vollmond hell erleuchtet wurde. Gestörter Schlaf diesmal in den Stunden vor Weckerklingeln.

Ganz früher Reha-Sport: Frostige Sonne, wunderschönes Licht. (Wenige Reha-Patient*innen.)

Endgegner Wackelbrett: Ich muss darauf mit einem Fuß im Ausfallschritt stehen und dann freihändig ganz langsam das hintere Bein zu einem Knee-up nach Vorne führen.

Daheim Duschen – ich kann mich wieder komplett im Stehen anziehen, olé!

Zum (für mich) frühen Frühstück gab es zwei Scheiben Schokoladenbrot 60 Prozent mit Butter: Ausgezeichnet! Die Schokolade darin roch ich mehr als dass ich sie schmeckte, das war sehr gut.

Der Plan zur Putzmannflucht: Alter Nordfriedhof, an dem ich schon unzählige Male vorbeigeradelt bin, den ich aber noch nie besichtigt hatte. Hoffentlich würde die Physis das mitmachen.

Der Alte Nordfriedhof stellte sich dann als überraschend überschaubar heraus: Um alle, wirklich alle Wege gemütlich abzuspazieren, inklusive Krähengucken und Infoschilder lesen, reichte eine halbe Stunde. (Ich kannte die Friedhofsmauern durchaus vorher, ging aber irgendwie von einer übersehenen Erweiterung aus.) Sollten Sie also den Alten Nordfriedhof bezaubernd finden: Kommen Sie unbedingt rüber zu unserem Alten Südfriedhof. Bringen Sie viermal so viel Zeit mit.

Also fuhr ich weiter zum Olympiapark, ich hatte Lust, vom Olympiaberg runterzuschauen. Das stellte sich als ausgezeichnete Idee heraus: Das Wetter wechselte zwischen Sonne und Wolken, ich bekam Weite zu sehen, Ausblicke auf die ganze Stadt und auf die atemberaubende Olympia-Architektur, in der Nase Novemberfeuchte mit Laub und Erde (Wander-Erinnerungen und -Vorfreude), ganz oben auf dem Olympiaberg segelte sogar ein Wanderfalke an mir vorbei.

Links die Piktogramm für EiskunstlaufKunstturnen und Handball, in Orange (wie ich eben gelernt habe), weil diese Wettbewerbe 1972 in der Olympiahalle stattfanden, an denen sie befestigt sind.

Ich lese gerade Mark Holts Monumentalwerk Munich ’72. The Visual Output of Otl Aicher’s Dept. XI weiter, in dem er wirklich, wirklich erschöpfend die Erarbeitung des Designs um die Olympischen Spiele in München rekonstruiert; u.a. ist das 42-seitige Design-Manual abfotografiert und ins Englische übersetzt, u.a. beschreibt Holt die Entwicklung der bis heute verwendeten Icons für Sportarten, hat auch den Schöpfer Gerhard Joksch interviewt. Joksch war eigentlich Karikaturist und beschreibt, wie monatelang für jede Sportart auf Fotos eine charakteristische Bewegung oder Haltung gesucht wurde, die zum Vorbild für seine Piktogramme taugten (Holts Buch zeigt auch Vorstudien). Hier ein Interview mit Gerhard Joksch von 2013, an dessen Ende es auch darum geht, warum er nicht als Schöpfer der Piktogramme bekannt ist.

Zurück nahm ich die U-Bahn, stieg aber schon am Marienplatz aus, weil ich in zwei Läden nach einem dunkelblauen Kleid suchen wollte. Ich fand eines in tintenblauem Breitcord, doch die Filiale führte meine Größe nicht. Die freundliche Verkäuferin erkundigte sich in einer anderen Filiale: Ja, hatten sie, man legte mir das Kleid zurück. Mit der Folge, dass ich gestern deutlich länger zu Fuß unterwegs war als geplant.

Daheim bekam ich Schimpf von Herrn Kaltmamsell, ruhte mich umgehend mit Füßehoch aus. Gegen den Hunger gab es Linsensalat vom Sonntag.

Ich erledigte Bürokratisches. Schlechte Nachrichten aus der Arbeit, besäufniserregend.

Bis zum Abendessen stellte ich die Lieblingstweets des Novembers zusammen, dann gab es Nudeln mit den Entenresten vom Samstag in Entensoße. Und ein entspannendes Glas Rotwein.

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Was bei all den Corona-Sorgen fast untergeht: Es gibt ja auch noch Brexit. Für die ARD berichtet Annette Dittert: “Der Brexit-Parkplatz in Kent”.

Zudem: Als Bürger eines Nicht-EU-Lands dürfen Briten ab 1. Januar höchstens drei Monate am Stück in der EU verbringen – auch wenn sie ein Ferienhaus in der Provence oder einen Altersruhesitz in Spanien besitzen. So war die Regel natürlich schon immer, aber die britischen Tabloids stellten das gestern als extra Gemeinheit der EU gegen Briten dar, “EU’s new post-Brexit travel rules”.

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“How to make an AC/DC song in 30 seconds”.

via @holgi