Journal Samstag, 24. September 20022 – San Sebastián 9: Markt im Regen, baskische Kultur und Kunst

Sonntag, 25. September 2022 um 10:08

Zu einem Regentag aufgestanden.

Nach Bloggen mit Morgenkaffee (es war eine wirklich gute Idee, die Cafetera zu kaufen) und Internetlesen machte ich mich fertig zu einer Laufrunde. Es regnete zwar immer wieder leicht, und ich hatte zur Schirmmütze keine Laufjacke dafür eingesteckt, doch dann würde ich halt nass.

Ernsthaft angeregnet wurde ich dann nur auf dem ersten Abschnitt – was bei Temperatur knapp unter 20 Grad wirklich nicht schlimm war. Ich machte mir lediglich um mein Smartphone etwas Sorgen, weil ich es mit kurzen Ärmeln nicht schützen konnte (bei langen lasse ich den Ärmel einfach über Hand und Telefon fallen).

Beim Vorbeilaufen sah ich, dass an diesem Samstag keine Marktstände auf der Plaza bei der Kirche San Ignazio aufgestellt waren, wie schade.

“Und was hast du auf Filmfestival in San Sebastián gemacht?”
“Ich bin dreimal morgens über den roten Teppich gejoggt.”
(Gestern Abend wurden die Preise verliehen.)

Folge des schlechten Wetters: Wenig Leute unterwegs, herrlich.

Herr Kaltmamsell recherchierte nach mercadillos in San Sebastián, also Märkten mit Ständen im Gegensatz zu denen in Gebäuden, wurde aber erst fündig, als er der Spur des großartigen Käsekuchens folgte und Verkaufsstellen fand, außerdem auf den Überblick eines Hotels stieß: Die paar Marktstände, die wir am Samstag zuvor an der Kirche San Ignazio gefunden hatten, wandern samstagsweise (“Mercado Itinerante de Productos”): Gestern fand der mercadillo auf der anderen Seite von San Sebastián statt, im Stadtteil Antiguo. Also marschierten wir zackig La Concha entlang eine halbe Stunde dorthin (Markt nur bis 14 Uhr).

Dass ich mit dem Regen bei meinem Lauf Glück hatte, merkte ich, als wir zu Einkäufen aufbrechen wollten: Es schüttete aus Kübeln, wir warteten lieber zehn Minuten.

Ein Schwarm Stehpaddler*innen.

Am Gemüsestand erkannten die Standler mich grinsend wieder, ich bekam einen Salatkopf dazugeschenkt, bat um Tomaten (grüne zum Nachreifen hatte er diesmal keine mitgenommen), milde Zwiebeln. Verabschiedet wurde ich mit “chavala” (in etwa “Burschin”), nahm ich einfach mal als Sympathiebekundung.

Foto: Herr Kaltmamsell.

Am Kuchenstand orderte ich neben tarta de queso auch pastel vasco, ein Viertel klassisch mit Creme gefüllt, ein Viertel mit Schokolade.

Foto: Herr Kaltmamsell.
(Ja, ich hatte die Papiertüte vom letztwöchigen Einkauf dabei.)

Herr Kaltmamsell kaufte Chistorra zum Braten fürs Abendessen.

An einem Stand mit Äpfeln, der die Woche zuvor nicht dabei war, sah ich interessante Sorten. Unter anderem war das Centerpiece ein gigantisches Exemplar mit einer mir unbekannten Apfelform. Auf den deuteten wir als Erstes – und bekamen vom Standler gleich mal eine Wette angeboten: Wenn wir das Gewicht des Apfels korrekt schätzten, bekämen wir ihn geschenkt. Wir schätzten, Standler und seine junge Mitarbeiterin schätzten ebenfalls – die Waage ergab 540 Gramm, der Standler hatte am nächsten gelegen. Auf meine Frage erzählte er, dass es sich um die französische Sorte Jumbo handle, er habe die jungen Bäume zum Einpflanzen selbst aus Frankreich geholt. Die Bäume seien klein und pflegeleicht, trügen riesige Früchte. Er griff hinter sich nach einem weiteren solchen Kawenzmann und schnitt Schnitze zum Probieren runter: Ausgezeichneter Geschmack. Von dem guten Dutzend weiterer Sorten in seinem Angebot kaufte ich dann noch ein Kilo Renetten.

Das war alles sehr aufregend, ich fühle mich bei solchen Transaktionen auf Spanisch alles andere als souverän.

Im jetzt wieder heftigen Regenguss huschten wir unter unseren Schirmen in ein nahe gelegenes Café auf einen café con leche. Die Dame hinter der Theke begrüßte mich gleich mal als bonita – ich habe hier ohnehin ständig Brighton-Flashbacks, dort wird man als Kund*in ja gerne mal mit “love” angesprochen. (Nein, das würde im Deutschen nicht funktionieren.) Um uns herum war das dominante Smalltalk-Thema das Wetter, dass es so regnerisch und kalt bleiben soll, nächste Woche tendenziell noch schlechter.

Zurück in die Ferienwohnung spazierten wir gemütlicher, gingen auch neugierig nach links oder rechts zum Gucken. Schirm brauchten wir aber für die ganze Strecke, zum Teil kübelte es heftig. Wir kamen entsprechend nass trotz Schirm an.

Ich hängte erst mal Wäsche auf, nach drei gab es Frühstück für mich: Roggenbrot mit Butter, die restlichen Feigen aus Saint Jean de Luz (wunderbar) mit Joghurt.

Trocknend und eingemümmelt in eine Decke gelesen.

Programm für den späteren Nachmittag war das Museo San Telmo, das zum einen baskische Geschichte zeigt, zum anderen eine viel beachtete Sonderausstellung, die Werke der Basken Jorge Oteiza and Eduardo Chillida aus den 1950ern und 1960ern einander gegenüberstellt.

Trocken angekommen.

Wir starteten mit der Sonderausstellung (in der man nicht fotografieren durfte). Unter anderem gelernt:
– Wer in den spanischen 1950ern abstrakte Kunst mit religiösen Themen begann, tat sich einfach mit Reduktion – die christliche Ikonografie war so bekannt und Teil der Kultur, dass ein erkannbares Detail genügte, um verstanden zu werden.
– Zwei Künstler kamen aus komplett unterschiedlichen Absichten und Haltungen (wenn die hochintellektuellen bis verquasten Erklärungen in der Ausstellung zutrafen) zu verwechselbar ähnlicher Kunst.

In der einstigen Klosterkirche sahen wir die Dauerausstellung “Von Kloster zu Museum”: 1932 war das damals schon lange aufgegebene Kloster als Ausstellungsort für die Auftragsarbeiten von José María Sert wiedereröffnet worden, riesige, in den Kirchenraum eingepasste Ölbilder.

Sie alle zeigen Errungenschaften des Baskentums (darin exakt eine Frau: im Bild Hexenprozesse), ich fand dieses unhinterfragte Denkmal für Nationalismus sehr seltsam.

Das obere Stockwerk stellte sich als Heimatmuseum für baskische Geschichte und Traditionen heraus – das wiederum hochinteressant, der Bogen wurde bis zu erfolgreichen baskischen Marken wie die Limonade Kas geschlagen. Gelernt: Frauen gab es in der baskischen Geschichte erst ab ihrer Einforderung des Wahlrechts, vorher ausschließlich Männer.

Wir kamen erst nach acht zurück in die Ferienwohnung, wieder trocken. Abendessen bestand aus Salat mit Tomate, Zwiebel und einer roten Paprika, gebratener Chistorra. Dessert war das lokale Kuchen-Trio.

Die baskischen Kuchen kein Vergleich mit dem Gateau basque aus Saint Jean de Luz (gute Hausmacher-Qualität vs. Spitzen-Patisserie), aber die tarta de queso war auch diesmal exzeptionell.

Dazu guckten wir wieder Fernsehen. Festhaltenswert ist die aktuelle TV-Kampagne der Regierung, die Zukunft nicht immer nur negativ zu sehen und sie sich wieder besser vorzustellen:
#Bastalasdistopías

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https://youtu.be/oqv_P-QU7sA

(Kann ich in keiner Weise einordnen, dazu kenne ich mich in spanischen Regierungs- und Kommunikationsgewohnheiten viel zu wenig aus.)

§

Katatonik gibt Einblicke in universitäre, in akademische Welten, die sich dann doch sehr vom Planeten Freie Wirtschaft unterscheiden. (Und mir unter anderem klarer machen, warum in meiner Arbeitsumgebung an der Schnittstelle zwischen beiden Systemen so viele ganz eigene Spannungen entstehen.)
“Wochensprünge”.

Stelle mir jetzt eine Gesprächsrunde aus @Hystri_cidae, katatonik, @adelhaid und @2or8isok vor – alle vier sehr verschiedene Menschen, verschiedene Fachgebiete – aber alle vier Geisteswissenschaftlerinnen und Bewohnerinnen dieser deutschsprachigen Uni-Welt. Dabei wäre ich sehr gern Mäuschen unterm Tisch.

§

Es gibt eine Branche, die in dieser Covid19-Pandemie minutiös mitverfolgt, welche Maßnahmen gegen Infektion/Verbreitung am effizientesten sind, und sie beinhart und konsequent umsetzt – nicht aus wissenschaftlichem, sondern aus kaltem kapitalistischen Interesse, weil so richtig viel Geld auf dem Spiel steht. Also eben nicht die Gesundheitsbranche, sondern – die Film- und Fernsehindustrie: Schauspieler*innen dürfen wirklich, wirklich nicht ausfallen. Ein Twitter-Thread mit Details und Beispielen.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Samstag, 24. September 20022 – San Sebastián 9: Markt im Regen, baskische Kultur und Kunst“

  1. rum meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

    *******************************************************

  2. Usul meint:

    Mein Gedächtnis (und zur Sicherheit eine fixes Recherche über die Blogsuche) sagt mir, dass Anfang des Jahres das Smartphone (iPhone) von einem 6er auf was neueres aktualisiert wurde. Die Dinger können Regen alle problemlos ab:

    https://support.apple.com/de-de/HT207043

    Also im Regen entspannen, kein Grund zur Sorge. Das Wissen darüber, was das eigene Smartphone in der Hinsicht ertragen kann, hilft auch in anderen Situationen, z. B. der Klassiker eines verschütteten Getränks, wo man früher gefühlt einen kleinen Herzkasper bekommen hat.

  3. Frau Schmidt meint:

    War es schlechtes Wetter – oder war es nasses Wetter?

    Vielen Dank für die Reiseberichte, ein bisschen, als würde man selbst hineinreichen.

  4. Kuchenschwarte meint:

    @Schauspieler:innen und Corona:
    Kann ich bestätigen und wir haben nur Imagefilme gedreht. Crew erzählt, dass die Sportproduktionen (die machen sonst viel Handball und Radsport) nochmal krasser sind.

  5. Sebastian meint:

    Hm, ohne den Text zu verstehen wirkt bastadedistopias bis zum Ende recht schwer und düster – und danach die Sintflut?

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