Journal Donnerstag, 23. Februar 2023 – Das allmähliche Verstummen von “Everybody has a voice”

Freitag, 24. Februar 2023 um 6:36

Sehr tief und gut geschlafen, zehn Minuten vor Weckerklingeln erholt aufgewacht.

Diese Woche fühlt sich reichlich verschoben an, zum einen wegen der beiden freien Tage an ihrem Anfang, zum anderen wegen des Wochenend-Ausflugs zu einem Fest nach Bonn, den ich bereits Freitagmittag antrete. Ich musste mich am gestrigen Donnerstag immer wieder daran erinnern, dass dieser Freitagmittag bereits der Folgetag war.

In der Arbeit zackiges Wegarbeiten, da Termine den Tag strukturierten. Nach zwei menschlich intensiven davon war ich derart sozial erschöpft, dass ich eine Stunde Spaziergang herbeisehnte und zumindest ein paar Minuten aus dem Fenster schauen musste. Wo zum Teufel ist die Extrovert-Kaltmamsell von vor 30 Jahren geblieben?

Ich genoss nochmal mein warmes Büro, vormittags hatte die Sonne nochmal so schön hereingeschienen, dass ich nicht einmal eine Jacke brauchte. Doch es soll nochmal richtig kalt draußen werden, zurück zu Büro-Look mit Schneestiefeln und drei Lagen Oberteilen.

Mittags gab es eine Körnersemmel, dann Mango mit Joghurt.

Mehr intensive Arbeit am Nachmittag, diese Woche bin ich wirklich mein Geld wert.

Auf dem Heimweg ging ich über den Hauptbahnhof, um im dortigen bewährten Fotoautomaten Passfotos zu machen: Nächste Woche habe ich einen Termin im Bürgerbüro für neuen Ausweis und für neuen Reisepass. Alles ging gut: Sitz eingestellt, Variante Passfoto ausgewählt, Geld eingeworfen, vier Aufnahmen mit starrem Gesicht, der Automat bestimmte, welche Aufnahme die Passfoto-Kriterien erfüllte, “ok” tippen. Doch dann.

(Der Finger ist nicht meiner.)
“Ink ribbon and paper type do not match.” Es wurde kein Ausdruck erstellt.
Respekt, das hatte ich in all den Jahren Kampf mit Fotofix-Fotoautomaten noch nicht. Mein Reklamationsanruf bei der im Automaten angegebenen 24-Stunden-Nummer der Automatenfirma erreichte nur den Anrufbeantworter. Ich zahlte nochmal sechs Euro für Aufnahmen im leicht überbelichtenden Nebenautomaten, bekam hier einen Ausdruck und hoffe, dass die Bilder nächste Woche akzeptiert werden.

Daheim eine Runde Yoga, ich mobilisierte mich mal wieder mit Jessica Richburg durch.

Als Nachtmahl verarbeitete Herr Kaltmamsell den Rosenkohl aus eben geholtem Ernteanteil mit Orecchiette, Salzzitronen und Käse zu einem köstlichen Nudelgericht. Nachtisch Schokolade.

§

Zwar lebe ich weiterhin zu großen Teilen im Web (das heute so selbstverständlich zu unserem Leben gehört, dass praktisch niemand mehr vom “Internet” spricht), doch ich befasse mich nicht systematisch oder gar beruflich damit. Jemand, für die beides gilt, also Jahrzehnte Online-Leben und professionelle Analyse, ist Franziska Bluhm. In ihrem aktuellen Newsletter stehen kluge Gedanken, wohin wir uns mit dem Medium Web gerade bewegen:
“Zeitenwende in Social Media”.

In den vergangenen Jahren war eines der größten Argumente FÜR Social Media: Jeder hat eine Stimme und jeder hat die Möglichkeit gehört zu werden. Soziale Kontakte konnten entstehen – über große Distanzen hinweg. “Connecting the world”, nannte es Marc Zuckerberg. Jede Meinung, Story, jedes Thema hatte die gleiche Chance gehört zu werden. Nun ja. Alte Zeiten.

(…)

Jetzt könnten schon bald neue Regeln gelten: Wer gehört werden will, der kann ja dafür bezahlen. Oder wie Journalist Dennis Horn im Haken-dran-Podcast so schön formulierte: “Power to the people – with money”. Der, der zahlt, bekommt jetzt mehr Reichweite und Sichtbarkeit.

Können in solchen Zeiten Dinge wie “Me too” eine solche gesellschaftliche Relevanz entfalten? Können sich die Frauen im Iran noch organisieren und weltpolitischen Druck ausüben? Ist es noch möglich, schnell und unkompliziert Hilfe in Katastrophengebieten zu organisieren, wie wir es gerade in der Türkei erleben?

Eine Möglichkeit für “Everybody has a voice” war seit Beginn des Web und ist auch weiterhin der Betrieb kleiner, schraddliger, selbst-gehosteter Blogs wie meines hier. Doch ich profitiere genau von der Irrelevanz und überschaubaren Reichweite der Vorspeisenplatte: Keine Regierung wird den Zugriff darauf sperren wollen, niemand muss es bekämpfen. Das bedeutet aber auch, dass dieses Blog nie eine Massenbewegung transportieren wird ( UM GOD’S WUIN!). Zudem mag sich damals wie heute offensichtlich nur eine winzige Minderheit die (gar nicht große) Mühe machen, eigenen Webspace zu bewirtschaften.

die Kaltmamsell

1 Kommentar zu „Journal Donnerstag, 23. Februar 2023 – Das allmähliche Verstummen von “Everybody has a voice”“

  1. Beate meint:

    Wie immer wahr und klug gesprochen liebe Kaltmamsell!

    Vor ein paar Jahren hatte ich eine Unterredung mit einer sehr viel jüngeren Kollegin – es ging damals um “Porridge-Umrühr-Videos” bei Instagram. Auf das Thema “Blog” angesprochen meinte sie, das wäre so teuer, einen Blog zu betreiben – da hab ich an Sie denken müssen. Wenn man natürlich ein “Fashion-Blogger” oder “Influencer” werden möchte, oje ….

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