Journal Mittwoch, 1. Februar 2023 – Lebensabzweigungen, Selbstoptimierung, #Lindwurmessen bei Thang Long

Donnerstag, 2. Februar 2023 um 6:26

Kurz vor Weckerklingeln aufgewacht, blöderweise aber von einem Angst-Schub.

Januar rum. Diesmal war mir von Anfang an bewusst, dass das der längste Monat des Jahres ist, und ich litt nicht darunter. Aber die Rückkehr aus der Schweiz am 2. Januar fühlte sich gestern an, als hätte sie in einer anderen Jahreszeit stattgefunden.

Heftiger Wind. Schon auf dem Weg in die Arbeit fegte er beißend über die Theresienwiese, doch als ich vormittags beruflich auf die Straße musste, machte ich ungewollt erst mal einen ordentlichen Schritt zur Seite.

Mittagessen: Eine Portion Avocado-Gurken-Eiersalat vom Vorabend, ein Laugenzöpferl.

Nachmittags zackige Arbeit unter Einsatz von einiger menschlicher Energie, bereits weit vor Arbeitsende fühlte ich mich durch und durch erledigt und knochenweh. (Was meine Mutter in meiner Kindheit und Jugend mit “Wachstumsschmerzen” erklärte. Wenn man wie ich 55 ist, handelt es sich folglich um Schrumpfungsschmerzen?)

Nach Feierabend ging ich direkt nach Hause, turnte dort erstmal eine kurze Runde Yoga (eher meh). Dann zog ich mit Herrn Kaltmamsell zur nächsten Folge #Lindwurmessen:1 Der dritte von drei Schnellimbissen an der Kreuzung Poccistraße war dran.

Das Thang Long ist ein Asialaden mit einem Küchen-Kabuff (links) und ein paar Tischen, jeder freie Quadratzentimeter Wand und Fenster wird als bebilderte Speisekarte genutzt. Schon bei den letzten beiden Malen Vorbeispazieren hatten wir Gäste darin gesehen, gestern aß an einem großen Tisch eine fröhliche Gruppe junger Leute.

Nach ein paar Gyoza mit Kimchi-Füllung (ok) gab es ein Banh Mi mit Satefleisch und Erdnusssauce für Herrn Kaltmamsell, anständiges Pho Hanoi für mich. Unter Neonlicht, zwischen Regalen und Kasse. In einer Welt, in der Lokale damit werben „instagramable“ zu sein, hatte uns das #Lindwurmessen zum exakten Gegenteil geführt. Die Getränke nahmen wir uns aus dem Kühlschrank: ein Aloe-vera- und ein Roasted-Coconut-Drink (letzterer wirklich abgefahren). Insgesamt ein originelles Lokal, inklusive Personal fast schon Filmkulisse (die Durchreiche zur Küche besteht aus einem sehr tiefen Brett; da das abgestellte schmutzige Geschirr der Gäste meist für die Köchin von innen unerreichbar ist, angelt sie mit einem zurechtgebogenen Draht danach).

Zu Hause die gewohnten Süßigkeiten zum Nachtisch.

§

Jawls beantwortet in seinem Blog Leser*innenfragen. Diesmal:

Nehmen wir mal an, es gäbe Paralleluniversen und in einem anderen wärest Du an irgendeiner Stelle anders abgebogen. Wie wäre Dein Leben dort realistischerweise verlaufen? (keine Idealwunschvorstellungsbeschreibung)

Das ist eine spannende Frage.

Mir fallen zwei Momente ein, an denen eine andere Entscheidung möglich gewesen wäre (alle anderen Lebensentscheidung waren im Entscheidungsmoment alternativlos, z.B. Abbruch Promotion 1999, Aufgeben von Karriere 2012), die mein Leben in ein Paralleluniversum geführt hätten. (Und die mich aussehen lassen wie jemand, aus der eigentlich etwas hätte werden können. Ich habe da die Omma in Billy Elliot vor Augen: “I could have been a professional dancer!”)

1. Wie ich kein Radio-Star wurde
Am Ende des Rundfunk-Teils beim Ingolstädter Privatsender Radio IN meines Zeitungs- und Rundfunk-Volontariats, ich war 20, machte mir der Chef von Radio IN das Angebot, mein Volontariat abzukürzen und gleich als Angestellte bei diesem Radiosender einzusteigen, er halte mich für eine große Radio-Begabung. Ich lehnte ab.
(Viele Gründe, in diesem konkreten Moment vor allem der Umstand, dass der Mann bis zu diesem Angebot nur auf mir herumgehackt hatte, nie auch nur ein Detail gelobt, mir das Arbeiten dort so unangenehm gemacht hatte, dass ich die Tage bis zum Wechsel zurück in die Zeitungsredaktion runterzählte. Außerdem wollte ich nach dem Volontariat ja noch studieren.)
Mehrere Kolleg*innen aus dem Sender landeten später beim Bayrischen Rundfunk – woraus ich zwingend schließe, dass ich bei gegenteiliger Entscheidung im Radio ganz! groß! rausgekommen wäre.

2. Wie ich keine Professorin wurde
Am Ende meines Magister-Grundstudiums an der Uni Augsburg bot mir ein Gastprofessor von der Emory University, Atlanta, an, mit ihm nach Atlanta zu gehen und bei ihm zu promovieren; die Zwischenprüfung gehe dort als Graduation durch. Ich hatte in zwei seiner Proseminare Hausarbeiten verfasst, die sich seiner Meinung nach zu Dissertationen erweitern ließen. Ich sagte ab, weil ich a) von dem Angebot komplett überfordert war, b) gerade ein Stipendium des Lehrstuhls für Englische Literaturwissenschaft für ein Auslandsstudienjahr im walisischen Swansea bekommen hatte.
Sonst lebte ich jetzt in den USA – mehr Paralleluniversum kann ich mir nicht vorstellen.
(Möglicherweise wäre ich bei gegenteiliger Entscheidung durch diesen Professor allerdings nicht ganz groß rausgekommen.)

§

@dasnuf hat Kluges zu der Meldung gebloggt, dass auch Marie (Aufräumkönigin) Kondo mit drei Kindern das Thema Aufräumen anders sieht:
“Does it spark toy? Kids: Yes”

Den zentralen Satz daraus hat sie auf meinen Wunsch als wiederverwendbares inspirational quote ausgekoppelt (danke!).

  1. Wir futtern uns nacheinander durch alle Lokale an der Südseite der Lindwurmstraße von Sendlinger Tor westwärts bis Stemmerhof, dann an der Nordseite wieder zurück. []
die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 1. Februar 2023 – Lebensabzweigungen, Selbstoptimierung, #Lindwurmessen bei Thang Long“

  1. Gaga Nielsen meint:

    Der beste Abzweigungs-Ratgeber ist nach meinem Empfinden, das Aufeinandertreffen von äußerem und innerem Rückwind. Wenn Eckdaten von potenziellen Fort-Schritten rein rational als zielführend beurteilt werden (von einem selbst, aber auch Außenstehenden), aber ein diffuses oder sogar konkretes grummeliges Gefühl bei der Vorstellung vorhanden ist, jene Abzweigung einzuschlagen, ist irgendetwas nicht stimmig oder sogar faul. Oder das Schicksal hat einfach noch ungeahnte andere Schätze in petto. Zum Beispiel die Begegnung mit einem bestimmten Lebenspartner, die nur da und eben nur da, wo sie stattfand, hätte stattfinden können. Wissen tun wir es freilich alle nicht. Reine Mutmaßungen. Aber die Sache mit dem deutlichen Rückenwind-Empfinden fühlt sich schon ultimativ wie der Königsweg an. Ich glaube, wenn einem ein erfolgreicher Weg in irgendeinem Lebensaspekt, egal ob Liebesbeziehung, Beruf oder Familiäres in die Wiege gelegt ist, liegt es da auch fest verankert und wird sich früher oder später entfalten, unabhängig von systematischer Herangehensweise, ohne aggressive Zielsetzung. Heute kann man in so vielen, gerade kreativen Bereichen quereinsteigen. Wer den Willen und Biss und das entsprechende Talent hat, kann vielleicht nicht alles werden und nicht überall hinkommen, aber doch sehr, sehr weit. Zu jeder Zeit. Wo man tatsächlich mit einem sicheren Gefühl abgebogen ist, verdeutlicht auch, wo der stärkste Drang lag oder liegt. Ein Indikator. Mir ist mittlerweile bei vielen kreativ ambitionierten Menschen, die nicht in einer bestimmten Liga gelandet sind, klar, dass es nicht eine Frage von (mehr) Talent, sondern Entschiedenheit, starkem Willen gewesen wäre, eine bestimmte Erfolgsleiter zu erklimmen. Mit allem, was dazugehört, dem Netzwerken, der Öffentlichkeitsarbeit, den Konsequenzen, immer nachlegen zu müssen. Dieser doppelte Rittberger eben.

  2. Alexandra meint:

    Eine “Dratzieherin” in der Küche, soso … doch, ich seh’ den Film auch. Ein bisschen weird, aber sehr cool.

    Dass mit jeder Entscheidung ein Paralleluniversum entstanden sein könnte, denke ich auch manchmal. Irre, wie viele Verzweigungen es gibt, je nachdem, welche Schwelle ich wähle; also nicht den oberen, groß Richtung weisenden Bereich, sondern “Zieh’ ich heute den roten Pulli an oder das grüne Kleid?”, “Nehme ich diesen Weg zur Arbeit oder den anderen?”.

    Irgendwie bin ich da ganz schnell in Punxsutawney – und da war gestern ein Volksfest …

  3. Christine meint:

    Zwei gute Bücher zum Thema Lebensabzweigungen:

    Kate Atkinson, Life After Life
    Lionel Shriver, The Post-Birthday World

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