Journal Donnerstag, 9. März 2023 – Wir waren zuerst da

Freitag, 10. März 2023 um 6:32

Gut geschlafen, kurz vor Wecker aufgewacht. Nach Entnahme meiner Ohrstöpsel hörte ich Sturm wehen und Regen prasseln. Meine emotionale Reaktion war die Zeit-typische Mischung aus “Endlich Regen, es ist viel zu trocken” und “Zefix, Scheißwetter, bei dem Wind bringt ja nicht mal Schirm was”.

Aber Wetterglück: Den auf Anraten von Herrn Kaltmamsell mitgenommen Regenschirm brauchte ich dann gar nicht auf dem Weg in die Arbeit, aus Regen war britisch vielfarbiger Himmel geworden.

Im Büro mit Turbo losgelegt, um vor anstrengenden Vormittagsterminen Dinge zu erledigen. Schnell dazwischen per Telefon den Zahnarzttermin nächste Woche verlängert, damit Zeit für den zerbrochenen Zahn ist. Jetzt kam sogar immer wieder die Sonne raus: Erschwerte Lichtverhältnisse in Videokonferenzen, aber warmes Büro.

Noch vor Mittag war ich so durch, dass ich beim Auftauchen eines Chatnachricht-Symbols zusammenzuckte (weil potenzielle Belastung durch Frage, Aufgabe, schieren Kontakt).

Mittags kurz raus, aber nur zur Apotheke, nicht genug für Erholung. Zumindest bekam ich so mit, dass der sonnige Wind schön mild war.

Mittagessen: Orange mit Joghurt (wie sehr ich es genieße, wenn ich nicht erst schälen und stückeln muss), Pumpernickel mit Butter.

Auch der Nachmittag turbulös, allerdings mit weniger Menschen. Leider nicht besonders produktiv: Mir war schwummrig, ich arbeitete wie durch Wasser.

Auf dem Heimweg war es mild und noch sonnig, der Wind hatte sich gelegt, ich genoss den Marsch. Zu Hause eine Runde Yoga mit Jessica Richburg, sehr wohltuend.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell aus dem eben geholten Ernteanteil mit Pastinaken, Sellerie, Karotten und Kartoffeln Ofengemüse gemacht, dazu gab’s Dips und Käse.

§

Texas-Jim blickt auf Jahrzehnte Bloggerleben zurück – und schreibt ein sanftes Gegenstück zu Claudia Haessys “Keine Lust mehr”:
“Einst haben wir das Netz dafür gemocht, daß es jedem ‘von uns’ eine Stimme gab.”

Erst kürzlich wurde mir in einem “Weißt du noch?”-Gespräch mit Herrn Kaltmamsell klar, dass das World Wide Web so angefangen hat: Als Werkzeug von und für echte Menschen. 1991 installierten Studis in Cambridge eine Kamera vor der Kaffeemaschine im anderen Stockwerk, die ihnen ihre Bilder übertrug, ab 1993 übers Web – so konnte man am Computer-Bildschirm sehen, ob gerade Kaffee durchgelaufen war. Es waren technikaffine Privatmenschen, die diese sensationellen neuen Möglichkeiten ausprobierten. Wenige Jahre später diskutierte ich in einem Forum des Magazins brandeins im Web über Politik und Wirtschaft und lernte faszinierende Menschen kennen, mit denen ich zum Teil bis heute Kontakt pflege. Herr Kaltmamsell bastelte sich in den 1990ern seine erste Homepage mit html (man kann sie übrigens immer noch besuchen – die Tür ist der Eingang).

Die kommerzielle Nutzung des Web kam erst danach. Als ich mir also irgendwann Anfang der 2010er von einem Werkstudenten erklären ließ, was “Web 2.0″ sein solle, schloss ich achselzuckend daraus:”Na ja, Internet halt.” – denn genau so war es für mich in erster Linie. Und so erzeugten auch die ausführlichen Warnungen vor der Nutzung und vor Entblößung und Sich-angreifbar-machen als Reflex der traditionellen Medien bei mir zunächst Befremdem. Erinnert sich hier noch jemand an Internet-Cafés? Als schon der Zugang zum Internet Thema war?

Ja ja, alles hat sich verändert, schon sehr lange dominieren große Unternehmen und kommerzielle Interessen die Online-Kommunikation. Ich erlaube mir aber ein gewisses “Wir waren zuerst da”.

die Kaltmamsell

4 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 9. März 2023 – Wir waren zuerst da“

  1. glumm meint:

    Dieses erstaunliche Mini-Sofa in der Ecke von Richburgs Turnzimmer. Ich stelle mir kleines Publikum vor, das darauf gelegentlich Platz nimmt, und hurra denkt.

  2. Carola meint:

    Oh ja, Internet-Cafés! Auf unserer Südamerikareise 2005 saß ich da regelmäßig, um per Rundmail Freunde und Familie über unser Wohlergehen zu informieren. Wenige Jahre später in Norwegen hatten wir nicht alles vorgebucht – kann man ja alles spontan im Netz machen. Auf den Lofoten gab’s leider kein Internet-Café, dafür WLAN an jedem Hüttchen – wir hatten nur noch keine Smartphones damals

  3. Dentaku meint:

    Das Herr-Rau-Wohnzimmer ist eine wunderschöne 90er-Jahre-Seite.

  4. Renate Dietrich meint:

    Dieses web 2.0 sollte auch andere Eigenschaften wie Barrierefreiheit mit sich bringen, also multimedial nutzbar sein. Durchlässig für Hör- / Seh- / Sprachbarrieren.

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