Journal Freitag, 15. September 2023 – Fröhlichkeitsdefizit

Samstag, 16. September 2023 um 8:59

Eigentlich gut geschlafen, nach einem Aufstehen um drei allerdings zweimal geträumt, mein (immer stumm geschaltetes) Handy schlüge Alarm (nicht der Weckerton, sondern sowas wie SMS-Eingang) und davon ein wenig aufgewacht. Bei Check am Morgen keine Spur, das war wirklich nur ein Trick meines unruhigen Hirns.

Draußen einheitsgrauer Herbsthimmel, aber weiterhin nicht herbstkalt.

Nur noch ein Tag.

Im Büro Querschüsse von links und rechts, außerdem vorhergesehen Menschliches: ein trauriger Abschied. Stress-Kopfweh, das auch mit Ibu nicht zu vertreiben war.

Mittags gab es Apfel, Pumpernickel mit Butter, Tomaten. Nachmittags mehr Querschüsse, leider auch vor meinem Urlaub nicht erledigbare – was durch professionellere Zusammenarbeit sehr wohl möglich gewesen wäre. Mir war der Start ins Wochenende versaut, mein Gemüt noch einen Tick düsterer.

Um drei sah ich hoch – und wurde mit blauem Himmel und Sonne überrascht.
Mehrfach hörte ich einen der Falken am Hochhaus, sah ihn aber nicht.

Feierabend nicht ganz so pünktlich wie geplant, auch schon wurscht, Buckelrutschen. Heimweg über ein paar Lebensmitteleinkäufe und an der kurz vor Ausbruch brodelnden Theresienwiese vorbei (vor dem Eingang waren bereits die Fernsehkameras aufgebaut).

Herr Kaltmamsell war beruflich aushäusig, ich hatte ein strammes Abendprogramm: Zwetschgenstreusel backen (dieses Rezept abgewandelt), Ofengemüse vorbereiten, eine besonders lange Folge Yoga-Gymnastik, dazwischen hatten meine Eltern sich angekündigt: Die lieben brachten neu getopfte Hakenlilien für den Balkon.

Das funktionierte alles (auch wenn meine Eltern wegen heftigen Autoverkehrs verpätet und recht gestresst eintrafen – wie so Bahnreisende), doch um gut 50 Minuten Yoga-Gymnastik unterzubringen, musste ich schummeln und bei abgelaufenem Timer dazwischen kurz von der Matte aufspringen für Kuchen-raus-aus-, Gemüse-rein-in-den-Ofen.

Meine Yoga-Runde fiel genau in den Sonnenuntergang, ich turnte in immer dunkler golden ausgeleuchtetem Wohnzimmer und fühlte mich superluxuriös. Auch diesmal wieder langsame Bewegungen, die bei aller Einfachheit in diesem Tempo anstrengten. Und gut taten. (Außerdem finde ich sehr niedlich, dass Adriene 2016 noch schiefe Zähne hatte.) (Ganz im Ernst, das ist kein verstecktes Lästern: Ich finde gerade an Frauen schiefe Zähne manchmal hinreißend.)

Die gekauften Zwetschgen erwiesen sich als sehr gut, nur eine wurmige dabei.

Zum Abendessen gab es aus Ernteanteil Fenchel und Karotten aus dem Ofen (Salz, Pfeffer, Olivenöl, Thymian) mit einer Dose gekochten Linsen vermischt. Ich genoss es und schaffte es, nicht alles aufzuessen und mich so nicht zu überfressen. Nachtisch Schokolade.

Auf Alkohol hatte ich allein keine Lust, ich bin in so vieler Weise SO weit weg von Eva Biringers Dauerbesäufnissen. Viel getrunken habe ich eh nie, mir bereits Sorgen gemacht, wenn ich eine Woche täglich Alkohol getrunken hatte (immer in übersichtlichen Mengen von bis zu zwei Gläsern Wein, bis zu drei Cocktails). So richtiges Betrinken hat bei mir noch nie funktioniert, weil ich seit meinem ersten Drink im Leben diesen einen Moment habe, in dem mir plötzlich der Alkohol nicht mehr schmeckt, ich ihn widerlich finde – was mir durchaus peinlich sein kann, wenn er auf einer Party nach den zweiten Schluck einer eben geöffneten Bierflasche eintritt. Bis heute kommt es reglmäßig vor, dass ich beim heimischen Nachtmahl mein zweites Glas Wein nach der Hälfte zu Herrn Kaltmamsell schiebe. Alkoholexzess bedeutet bei mir eine Weinbegleitung im Restaurant, die sich zu 0,5 bis 0,6 Litern läppert. Und ich habe nie einen blöden Spruch erlebt, wenn ich in Geselligkeit mit Alkohol selbst keinen wollte.

Wichtig: Ich halte mich deshalb keineswegs für moralisch überlegen, nur sind mein Leben und mein Erleben dadurch fundamental anders als die von Eva Biringer. Auch meine Menschenkontakte und Beziehungen unterscheiden sich fundamental von ihren, vielleicht gebündelt in ihrer rhetorischen Frage: “Wollten wir nicht alle sein wie Carrie Bradshaw?” und meinem von Herzen kommenden “NEIN!” darauf. (Allerdings war ich schon bei Veröffentlichung der Serie Sex and the City überrascht, dass sie als “wie Frauen wirklich sind und Freundinnen wirklich miteinander umgehen” verkauft wurde, weil: NEIN! Heftiger Verdacht, dass dominante Medienschaffende schlicht ihre Welt als repräsentativ ansahen.)
Mal sehen, ob ich Biringers Buch durchhalte: Geschichten, die von Rauschbeschreibungen leben, langweilen mich eigentlich schon lang.

Seit Tagen plagt mich die operierte Hüfte mit Schmerzen: Ich hatte mich mit Karacho an einem Tisch-Eck angehauen, dieses wie so oft umgehend verdrängt. Als ich mir langsam Sorgen um mein Inplantat machte, dämmerte allerdings eine Erinnerung, ich sah dann doch mal in den Spiegel. Jawoll, deutlicher Tisch-Eck-förmiger blauer Fleck, keine Sorge ums Gelenk angebracht.

§

Weil gestern wieder großer Protesttag von Fridays for Future war, hier eine Analyse, die mich vor allem vor dem Hintergrund des Gezeters, Protestklebende würden der Sache schaden, besonders interessiert:
“Welchen Einfluss haben die Klimaaktivisten?”

Silvia Klesz von der “Letzen Generation” sagt, die Gruppe sei sich darüber bewusst, dass ihre Aktionen nerven und dennoch: “Es ist ein erfolgreiches Mittel und deswegen nutzen wir es.” Doch mindern solche radikalen Formen eher die Zustimmung für Klimaschutz innerhalb der Bevölkerung? Nein, sagt Protestforscherin Hunger: “Wir haben dazu eine Studie durchgeführt und sehen, eigentlich macht es keinen Unterschied. Die Leute finden Klimaschutz immer noch genauso wichtig, unabhängig davon, ob sie eben mit diesen Aktionen konfrontiert sind.”

Es sei jedoch fatal die Aktivisten von der “Letzten Generation” als “Klima-RAF” zu bezeichnen, wie es CSU-Politiker Alexander Dobrindt gemacht hat, unterstreicht Hunger. Solche und ähnliche Aussagen würden eher zu einer größeren Gewaltbereitschaft gegen die Aktivistinnen und Aktivisten führen. Diese Aussagen seien “sehr gefährlich” sagt auch Politikwissenschaftler Wilkens vom CLICS: “Wir sehen nicht nur in Deutschland, sondern auch global, eine zunehmende Kriminalisierung von Klimaaktivisten und -aktivistinnen. Das ist ein großes Problem.”

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Freitag, 15. September 2023 – Fröhlichkeitsdefizit“

  1. Anke meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

    *******************************************************

  2. Eva meint:

    Guten Morgen,
    mich als knapp Mittfünfzigerin hat das Verhalten von Dobrindt/der bayrischen Justiz eher dazu gebracht, mich mit der letzten Generation zu solidarisieren und Geld für juristische Verfahren als Unterstützung zu spenden.
    Ich verzweifle eher so langsam an unserem System und dem Umgang bzw. der Auslegung von Schuld und Strafe bei Präventionsmaßnahmen, während Geld verschleudern (Wie beispielsweise bei der Maut oder bei der total vorhersehbaren Kostenexplosion von Stuttgart 21) mit keinerlei persönlicher Haftung einhergeht.
    Seit einiger Zeit wünsche ich mir für solche Entscheidungen eine persönliche Mithaftung der Entscheider*innen, die es natürlich nie geben wird. Vieles würde doch völlig anders entschieden, wenn es den eigenen Geldbeutel beträfe.
    Und da schließt sich doch wieder der Kreis: die Jungen haften mit ihrer persönlichen Habe und eventuell einer für manche Berufe verbauten Zukunft durch Strafe im Lebenslauf, während Politiker*innen dann halt Aufsichtsrät*innen werden.
    Liebe Grüße,
    Eva

  3. Nadine meint:

    Glückwunsch! Vielleicht wird man nach dem Nichttrinken nicht gefragt, wenn man ab und zu Alkohol trinkt?
    Ich bin nämlich schon unzählige Male gefragt worden, und es ist einfach sehr deutlich, dass ich die Abkehr von der Norm bin… Meinem Mann und meiner Schwägerin ergeht es genauso.
    Ich freue mich daher wirklich über diesen Nüchtern-Trend, auch weil ich auf coole, nicht süße Getränkealternativem hoffe. Immer nur Limo ist blöd, allerdings mag ich den meisten Alkohol einfach nicht und die nicht-Alkoholischen Alternativen auch nicht. Macht es etwas kompliziert.

  4. Croco meint:

    Menschen mit schiefen Zähnen mag ich auch sehr. Das Lächeln wird so besonders. Und ich bedaure es manchmal, dass es das heute kaum noch gibt. Die Kinder tragen Spangen, bis alles in der Norm ist.
    Und Sex in the city hat mich schon immer genervt. Die Freundinnen sind keine, sie schauen sich nicht mal an beim Sprechen. Ich weiß bis heute nicht, wo sie sich kennen gelernt haben und was sie verbindet.

  5. mareibianke meint:

    Auf den Punkt. Danke, Eva!

  6. Die Toni meint:

    Ich habe oft den Eindruck, dass es als Störung empfunden wird, wenn man keinen Alkohol trinkt. Ich thematisiere das von mir aus Null und habe keinerlei Sendungsbewusstsein, muss es aber häufig im Laufe eines Abends immer wieder erklären. “Wirklich gar nicht???” Ich fühle mich seit wenigen Jahren einfach wohler ohne, damit ging einher, dass mir jeglicher Alkohol plötzlich einfach nicht mehr so recht schmeckte. Und irgendwann habe ich es halt gelassen. Aber in bestimmten Freundeskreisen ist das nicht so richtig in Ordnung, “Ach komm, sei nicht so langweilig…” Naja, ich darf trotzdem noch mit. :-)

  7. Karin meint:

    Auch muss mich öfter für Abstinenz ohne triftigen Grund („Wie, du bist nicht der Fahrer – aber warum willst du dann keinen Alkohol?“) rechtfertigen, allerdings nur bei Menschen, die ich noch nicht so gut kenne. Der Freundeskreis akzeptiert es ohne Nachfragen.
    Ursache bei mir: ich mag Alkohol eigentlich durchaus, habe aber seit einigen Jahren das Problem, zum Teil sogar auf winzige Mengen mit Kopfschmerzen und Katersymptomen zu reagieren. Darauf habe ich nur selten Lust.

  8. Bobbie meint:

    Eva, ja genau! Und zum Schreien…

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