Journal Mittwoch, 6. September 2023 – Wohnungswiderstand

Donnerstag, 7. September 2023 um 6:36

Gut und nahezu durchgeschlafen – eine Erleichterung, weil in mir gerade mal wieder düstere Wolken hängen und ich beim Einschlafen einfach keinen happy place fand. Naheliegende Erklärung wäre, dass mir die Lektüre der Herrndorf-Biografie nicht gut tut, doch mittlerweile weiß ich, dass erst die Stimmung da ist (Biochemie) und dann der Wahrnehmungsfilter.
(Dann wieder: Als mir vormittags ein Weg aus einer – kleinen, unwichtigen – Zwickmühle einfiel, trug mich der Erleichterungs- und Euphorie-Schub bis Mittag. Ich muss oft an die “mood organ” in Philipp K. Dicks Roman Do androids dream of electric sheep denken, die Stimmungsorgel, mit der die Frau des Protagonisten morgens immer ihre Gefühlslage für den Tag einstellt.)

Vielleicht ist diese Wohnung, in die wir vor zweieinhalb Jahren zwei Stockwerke nach oben gezogen sind, und nur diese Wohnung im Haus, dann doch auf einem ehemaligen Galgenopfer-Friedhof gebaut. Nach einer Wohnungstür, die sich seit einiger Zeit nur mit Kraftaufwand schließen lässt (Schlosser war mittlerweile da, ein Scharnier muss ausgewechselt werden), nach einer nassen Küchenwand (neues Unterputz-Ventil hat geholfen, muss nur noch das Loch verputzt werden), zeigten gestern beim Anschalten für Morgenkaffee zwei Platten des Induktionsherds die Fehlermeldung “E”. Kurze Recherche löste das in “Elektronikfehler” auf, Lösungstipp: Sicherungen ausschalten und wieder einschalten. Tat ich, ohne Veränderung, ich musste auch dieses Problem Herrn Kaltmamsell übergeben.

Beim Zeitungholen (seit einer Woche durchgehend vorhanden!) sah ich wieder ein Stapelchen unverteilter Briefe fürs Hinterhaus: Der/die aktuellen Postboten stellen Sendungen ausgesprochen erratisch zu. Dass Post für die eine Nachbarin mit ebenfalls spanischem Nachnamen gerne mal in meinem Briefkasten landet (und meine in ihrem), kenne ich seit Jahren (sehen ja auch alle gleich aus, diese Arriba!-Arriba!-Namen), doch derzeit steckt in meinem Briefkasten alle mögliche fremde Post, gleichzeitig warte ich vergeblich auf angekündigte Sendungen (darunter meine Wahlbenachrichtigung), und die Briefe fürs Hinterhaus werden gar nicht hingebracht, obwohl auf manchen sogar ausdrücklich “Rückgebäude” steht.

Herrlich sonniger Marsch in die Arbeit in für die Morgenfrische zu wenig Kleidung.

Da der erste Kommentar einer Kollegin seinerzeit auf diesen Sommerrock, “Hast du einen Liegestuhl überfallen?”, noch vor meiner Auszeit fiel, muss ich ihn mindestens zwölf Jahre besitzen.

Einen Mittagscappuccino gab es auch. Das eigentlich angesteuerte Café macht bis Mitte Oktober Ferien (Wiederkehr der Frage, die ich mir regelmäßig stelle: Wovon leben Inhabende dieser kleinen Tagescafés eigentlich?), ich ging ein Eck weiter und traf auf eine lange Schlange.

Bekam aber guten Cappuccino.

Mittagessen am Schreibtisch: Nachgereifte Mango (auch diese eher aus der Textil- als aus der Lebensmittelbranche), Hüttenkäse.

Emsiger Nachmittag, nicht nur Erfreuliches.

Herausgefunden, dass im Dantebad am 12. September der Winterbetrieb beginnt (das wäre eine schöne Antwort auf die Fragen des Besuchs von vergangenem Sonntag gewesen, was München besonders lebenswert macht: Die Bäder!), will heißen: Es gibt dieses Jahr wieder einen Winterbetrieb!

Nach Feierabend spazierte ich über ein paar Lebensmitteleinkäufe im Vollcorner nach Hause, nutzte die Zeit bis zum Eintreffen des Abendessen-Gasts für das Ansetzen des lange geplanten Trockenfrüchte-Rumtopfs und Lesen.

Für den Gast aus alten Zeiten hatte Herr Kaltmamsell groß und köstlich aufgekocht. Auf dem Teller vor mir der Knaller: Im ganzen im Ofen gebackener und in Scheiben nochmal gebratener Sellerie mit Sauce Café de Paris, außerdem aufgetafelt ofengebackene Süßkartoffelstreifen (so lala), Kichererbsen-Tarte (gut), Hummus mit Haselnusmus (sehr gut), Kohlrabisalat mit Kefir und Kräutern (super). Zum Nachtisch hatte er Kokos-Tapioka-Creme mit Mango vorbereitet, die ich schon kannte und mag.

Der Gast erzählte von beruflichen Veränderungen und missglücktem Urlaub, verließ uns bereits vor zehn. Ich las im Bett Tobias Rüther, Wolfgang Herrndorf. Eine Biographie aus.

§

Kid37 hat Urlaub in Brüssel gemacht, ein paar Wochen danach hat er sich genug gesammelt für Bericht:
“Brüsseler Spitzen #1”.

die Kaltmamsell

10 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 6. September 2023 – Wohnungswiderstand“

  1. lihabiboun meint:

    So ein toller Rock! Und so ein doofer Kommentar! Die einzige Antwort wäre da wohl: “Nee, ich BIN ein Liegestuhl!”
    Dass einem die Biografie von Herrendorf an die Nieren geht, kann ich sehr gut nachfühlen, ich habe seinerzeit sein Blog gelesen und war vollkommen erschüttert.
    Und dann muss ich wohl ENDLICH mal den Sellerie im Ganzen machen, das Rezept hängt schon sehr sehr lange rum und harrt der Verwirklichung.
    Wie immer danke und hellere Tage wünsche ich.

  2. Anke meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

    *******************************************************

  3. Joël meint:

    Aber das mit dem Rock ist doch völlig logisch! (Er sieht übriges in der Farbkombi sehr gut aus.)
    Man trägt schon lange nicht mehr Pelz, man trägt jetzt Liegestuhl. ;-)

  4. Daniela meint:

    Was für eine großartige Farbkombination, ich liebe alles daran!

  5. Irmela meint:

    Wie unterschiedlich Wahrnehmungen sind … ich habe im Gegensatz zur ersten Kommentator*in die Liegestuhl-Bemerkung als sehr humorvoll und pointiert empfunden, schallend gelacht und als Kompliment gesehen – natürlich ohne zu wissen, wie der damalige Tonfall der Kollegin war.

  6. Anne meint:

    Ich habe ein Kleid das wie ein Teppich aussieht und finde beide Assoziationen (Teppich und Liegestuhl) gar nicht doof, sondern lustig :)

    Würde mich über Links zu den Rezepten freuen, klingt köstlich, der Sellerie, Kichererbsen-Tarte, Hummus mit Haselnusmus, Kohlrabisalat …

  7. Alexa meint:

    Ich finde den Rock großartig und fand den Kommentar mit dem Liegestuhl spontan auch lustig.

    Aber das ist vielleicht wieder so eine Sache, bei der es schriftlich viel schwieriger einzuordnen ist, was wie gemeint war, weil da einfach Tonfall, Mimik usw fehlen. Das ging mir vor einiger Zeit in der Kommunikation mit einer Freundin so, die über sehr lange Zeit ausschließlich schriftlich erfolgte. Da fehlte dann einfach ein Teil der Botschaft und Sätze wurden unterschiedlich aufgefasst, was leider zu viel Frust führte.

  8. Ursula meint:

    Ich wäre nicht darauf gekommen, aber tatsächlich stimmt es: der Rock hat etwas von einem Liegestuhl und sieht beschwingt und klasse aus. Ein Liegestuhl ist in jedem Fall nur positiv besetzt. Verbindet man nicht Heiterkeit, Sonne und Freizeit damit? Daher bitte lange und gerne tragen! Die Umwelt freut sich darüber!

  9. Herr Kaltmamsell meint:

    @Anne: Sellerie hier, Kohlrabi da, Kichererbsen hier, aber besser: 100 g Kichererbsenmehl mit 200 ml Wasser, 20 ml Olivenöl, 1/2 TL Salz, Pfeffer, eventuell geriebenem Knoblauch verrühren, zwei Stunden in den Kühlschrank. Dann etwas Öl in Pfanne erhitzen, Masse dazugeben, auf Herd zu Ende backen, mit oder ohne Wenden.

  10. Anne meint:

    Danke, Herr Kaltmamsell!

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