Journal Mittwoch, 13. März 2024 – Freier Tag mit Schwimmen, Mohnnudeln und dem Horror des hohen Alters in Liebe (Amour) an den Kammerspielen

Donnerstag, 14. März 2024 um 8:55

Sind Sie auch so gespannt, wie ich es zuvor war, was ich wohl mit meinem freien Tag anfangen würde?
Feste Programmpunkte waren lediglich Schwimmen, Mohnnudeln zum Abendessen machen sowie ein Theaterbesuch am Abend.

Ich wachte nach mittelgutem Schlaf von Weckerklingeln auf, denn ich wollte Herrn Kaltmamsell den gewohnten Milchkaffee servieren.

Gebloggt, nach Milchkaffee und Wasser ein wenig Haushaltliches getrieben, eine große Tasse Tee aufgebrüht. Dazu sah ich ausführlich Videoausschnitte der Oscarverleihung an (Dank an Herrn Kimmel fürs Schimpfen über ausufernde Filmlängen), klickte mich durch viele Fotos von Oscarverleihungs-Stylings. Ich sah großartige, schöne Roben, nur wenige Katastrophen – und die schlimmste hatte ich wirklich nicht von Diane Kruger erwartet.
Vielleicht DER zentrale Styling-Tipp:
“Just because you’re physically capable of placing an item onto your corporeal form, it doesn’t mean you SHOULD.”

Neuer Anlass, mich alt zu fühlen: Der Anblick all der alten Hollywoodstars, deren Karrieren ich seit ihrer Jugend im Kino verfolgt habe.

Draußen war es grau und regnerisch, das nahm mir die Lust zu radeln. Raus ins Olympiabad nahm ich also die U-Bahn. Wie erwartet war nicht viel los auf den Bahnen, allerdings geriet ich an unerfahrene Schwimmer, die mühsam zu überholen waren. Meine 3.000 Meter waren nur anfangs durch Schulterschmerzen links getrübt, bald gewöhnte ich mich daran. Auf dem Rückweg zur U-Bahn nieselte es.

Kurz vor der U-Bahn-Station Olympiapark, hinter mir Münchens größter dem Autogott geweihter Tempel.

Frühstück kurz nach eins: Ein wunderschöner Apfel, der nach fast nix schmeckte (gebt mir schrumpelige Lageräpfel, wie sie jetzt Saison haben!), Bagel aus der Gefriere mit Frischkäse und halbgetrockneten Tomaten in Kräuteröl. Dazu Zeitungslektüre. Ich bemerkte echte Bettschwere, legte mich für ein Stündchen Siesta ins Bett.

Danach mehr Lesen auf dem Sofa, nämlich den schmalen Band Eigentum von Wolf Haas aus (mir fällt noch keine Übertragung der Kürze auf das elektronische Medium ein). Herr Kaltmamsell kam aus der Arbeit, erzählte ein wenig.

Internetlesen, ich stellte fest: Oh Gott, die Bärlauchsaison ist auf allen Plattformen ausgebrochen. Dieses stinkige Grünzeug (beleidigen Sie mir bitte nicht den guten Knoblauch mit Vergleichen) hat sich mit einer Penetranz in der saisonalen Kulinarik ausgebreitet, die nicht mal der Spargel je geschafft hat. In welche bislang unbekannte Territorien wird er sich dieses Jahr bohren? Bärlauch Cinnamon Rolls?
Rhabarber mag ich ja auch nicht, aber der verfolgt mich nicht jedes Jahr wochenlang durch alle Kanäle und Speisekarten.

Eine Runde Yoga-Gymnastik, meine linke Schulter schmerzte mehr als vor dem Schwimmen.

Zum frühen Abendessen (weil Theater) gab es nochmal Mohnnudeln nach dem Rezept im Standard, aber diesmal machte ich sie – problemlos und in 75 Minuten ab Einschalten des Topfs mit Kartoffeln auf dem Tisch.

In leichtem Regen spazierte ich zu den Münchner Kammerspielen, auf dem Programm stand Liebe (Amour) nach dem Film von Michael Haneke.

Komplett ohne Jugendstil: Das Klo der Kammerspiele.

Der Zuschauerraum nichtmal halb gefüllt, dennoch wartete ich wieder bis kurz vor Vorstellungsbeginn, bis ich mich auf meinen Außenplatz setzte, denn ein Naturgesetz – oder Wahrnehmungsverzerrung – sorgt dafür, dass die Inhaber von Mittelplatzkarten immer als letzte eintreffen. So auch gestern. Und dann sah ich die Geschichte aus Hanekes Film, nur ohne die Möglichkeiten des Kinos (ich hatte ihn seinerzeit in den Münchner City-Kinos erwischt, im Gegensatz zu vielen anderen Kinobesuchen lebhaft in Erinnerung, weil mich während der Vorstellung eine Migräne angefallen hatte – zum ersten Mal bei Tag).

Nach dem eben abgeschlossenen Haas-Buch Eigentum und kürzlich dem Theaterstück Dankbarkeiten jetzt also ein weiteres Kunstwerk, das die letzte Lebensphase des Menschen in der westeuropäischen Gegenwart thematisierte, nun ist aber für eine Weile genug.

Zunächst saß ich eher ratlos in dieser Inszenierung, ich sah nichts, was die Filmversion bereicherte. Formal schon: Liebe (Amour) ergänzte Hanekes Filmstoff durch eine Gruppe echter sehr alter Menschen, die an einigen Stellen Rollen vertraten und in einem längeren Teil vor der Pause auf Stühlen am Bühnenrand saßen, neben sich die Projektion von Bildern aus ihrem Leben, einige erzählten von ihren Alterserscheinungen.

Erst auf dem Weg nach Hause (immer noch Regen) begann ich zu greifen, was mein Unbehagen verursachte, gerade im Vergleich zur Filmversion, zum Haas-Buch und zu Dankbarkeiten: Das Kammerspiel-Stück dreht sich nicht um Charaktere, Biografien, Persönlichkeiten, sondern einzig um Gebrechlichkeit im hohen Alter, um Körperlichkeiten. Es zeigte nicht Individuen, sondern Typen. Das fand ich nicht gut. Wir erfahren nahezu nichts darüber, welche Menschen Anne und Georges (gespielt von André Jung) sind – das wurde in Hanekes Film auch nicht direkt klar, aber man lernte die beiden zumindest über ihre Wohnung kennen, über die Dinge, die dort standen. Doch das karge und architektonische Bühnenbild (Muriel Gerstner), auf das ab der Hälfte immer mehr Graberde gehäuft wurde, reduzierte sie auf ihre Funktion: Alter französischer Mann pflegt seine alte Frau nach Schlaganfall.

Unterstrichen wurde das Typen-Spiel durch die Besetzung der Rolle Annes mit mehreren Personen: Katharina Bach spielte sie, wenn sie sprach (sie spielte auch die Tochter der beiden), außerdem wurde sie mal von Joel Small, mal von einem kleinen Mädchen, mal von jemandem aus der Gruppe alter Laien dargestellt – eben kein Individuum, sondern der Platzhalter “alte pflegebedürftige Frau”.

Thematisiert wurden Pflegenotstand und Sterbehilfe, der Teil mit den echten alten Menschen wägte ab, wie individuell persönlicher Lebenswille ist – doch auch hier lernte ich einzelne Persönlichkeiten eher indirekt kennen durch ihr echtes Sprechen, ihren unterschiedlichen Kleidungsstil, ihren rücksichtsvollen und zugewandten Umgang miteinander, nicht durch das Stück. Über allem lag die eindringliche Botschaft: Wir werden alle sterben, irgendwann, echt ehrlich wirklich! Und der letzte Abschnitt davor ist entsetzlich für alle Beteiligten.

Pause mit Jugendstil.

Im Vergleich zu dieser Horror-Show konnte ich mit Dankbarkeiten nach Delphine de Vigan mehr anfangen: Neben dem Verfall einer alten Frau hatte ich hier auch die Frau kennengelernt, das Geflecht an menschlichen Beziehungen und Emotionen, in dem sie lebte, dass sie Pralinen liebte. In Wolf Haas Eigentum wiederum fühlt sich die greise Mutter kurz vor ihrem Tod zum ersten Mal überhaupt gut und nicht verbittert. Doch von Anne weiß ich nach dem gestrigen Abend über ihre immer schwerer werdenden Gebrechen hinaus nicht mehr, als dass sie mal Klavier unterrichtete. Nur an wenigen Stellen gab es überhaupt eine Interaktion mit Georges. Alte Menschen bestehen doch nicht nur aus ihrem Alter und ihrer Hilfsbedürftigkeit?

§

Wenn ich zum Ausgleich Heiteres brauche, reiche ich es auch an Sie weiter.
Eine der lustigsten und souveränsten Reden, die ich je eine Tochter auf ihren Vater haben halten sehen: Die Laudatio von Zoë Kravitz für Lenny Kravitz, als er seinen Stern am Hollywood Walk of Fame bekommt.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 13. März 2024 – Freier Tag mit Schwimmen, Mohnnudeln und dem Horror des hohen Alters in Liebe (Amour) an den Kammerspielen“

  1. roswitha meint:

    schade dass mit dem theaterstück nur angst vor dem altwerden transpotiert wird. meine langjährige erfahrung mit altenpflege zeigte mir, dass es sehr wohl auch bereichernde momente gibt. inzwischen bin ich selbst alt und behindert, zähle mich aber keineswegs zu den menschen, die auf dem stuhl am rande des geschehens sitzen. unsere welt ist weiter geworden, auch durch elektronische kommunikation und rollator.

  2. Trulla meint:

    Zum Theaterstück kann ich eigentlich nichts sagen, mir scheint aber nach Ihrer Schilderung der Schwerpunkt allein auf der Gebrechlichkeit des Alters gelegen zu haben.
    Den Film dagegen kenne ich und fand ihn eindrucksvoll, wobei sich der Zustand der – nur – zwei alten Protagonisten schon durch pflegefähig und pflegebedürftig deutlich unterschied.
    Und so ist es auch im Leben, deshalb keine Angst:
    Alter ist eine Lebensphase, die genau so individuell abläuft wie jede der vorhergehenden.
    Wichtig aber finde ich die Diskussion, selbstbestimmt über den eigenen Tod entscheiden zu können, wenn mir der Zeitpunkt (auch hier individuelle Gründe) richtig erscheint. Und entsprechende Hilfe zu bekommen, diese Entscheidung in humaner Weise umzusetzen.

  3. Christin meint:

    Bärlauch – ich hasse BÄHlauch. Dagegen sind die ewigen Ingwer-Kürbis-Suppen ja nachgerade harmlos!
    Wie bei allen kulinarischen Trends prophezeite ich ja das baldige Ableben, sobald die Hauptzutat es in die (Dipp-, Nudel- und Frische) Regale der Discounter geschafft hat (Lachs. Eismeergarnelen. Trüffel, bzw. aromaölverseuchte schwarze Holzhobelspäne. Gin.) Dieses muffelnde Unkraut trotzt aber allen Untergangsgesängen, wenigstens kann man es inzwischen in Bio-Qualität(!) im Discounter erstehen, ich hoffe, dass jetzt weniger botanisch unbewanderte Gourmets durchs Unterholz robben und dann am Ende doch Herbstzeitlosen- und Maiglöckchenblätter ernten. Wobei, die stinken ja eigentlich nicht.
    Knoblauch hingegen würde ich lieber mögen, wenn ich ihn vertrüge. Aber irgendwas ist ja immer. Sorry für diesen wenig kulturell-geistreichen Rant, aber das brannte mir auf der Zunge (jaja).

  4. Hans-Georg meint:

    Meine Meinung schon immer: Bärlauch wird total überbewertet. Allein schon die Tatsache, dass es plötzlich auf allen Kanälen explodiert, macht es für mich uninteressant. Ich muss nicht das essen, was alle essen.

  5. Tanja meint:

    Danke für den link zur Rede von Zoè Kravitz für Ihren Vater.

  6. Croco meint:

    Mangold, Kürbis und Bärlauch haben für mich einen seltsamen Geschmack. Man kann sie gut durch Spinat, Süßkartoffel und Frühlingszwiebeln ersetzen ;)

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