Journal Samstag, 1. Juni 2024 – Der Regen macht ernst, richtig ernst

Sonntag, 2. Juni 2024 um 8:20

Der gestrige Tag verlief sehr anders als geplant. Ging aber verhältnismäßig gut aus.

Das lag am Wetter: Über Nacht war das Regenprasseln sogar heftiger geworden, die Gullis, die ich von der Wohnung aus sehen konnte, standen voll Wasser.

Aber ich hatte die Attacke Lippenherpes anscheinend erfolgreich abgewehrt. Oder der schmerzende Stecknadelkopf in der Oberlippe war Fehlalarm – egal: Kein Lippenherpes.

Blick durch großes Fenster auf den Baum davor, das Glas ist vor Regentropfen fast blind

Geplant hatte ich eine Laufrunde. Ja, auch bei Regen, denn ich dachte daran, dass ich sogar schon an einem 24. Dezember bei Regen an der Isar Laufen gewesen war. Allerdings schüttete es an Heilig Abend nicht seit 36 Stunden wie aus Kübeln. Zudem sahen die Isarwege auf der Webcam dann doch recht überschwemmt aus.

Webcam-Aufnahme von Fluss in Stadt, hellbraunes Wasser, die Uferwege sind überschwmmt

9:43 Uhr

Telefonischer Check bei meinen Eltern, ob ihr Keller noch trocken ist (ja). Kein Ende des heftigen Regens auf viele Stunden abzusehen, ich war dann doch vernünftig (grrrr) und turnte nach Langem mal wieder Hanteltraining von Fitnessblender. Kraft und Durchhalten waren kein Problem, neu war allerdings Warnschmerz plus Wirbelrumpeln. Und ich hatte vergessen, wie sehr ich bei dieser Art Sport schwitze, deswegen auch kein Stirnband umgebunden, sondern tropfte auf Matte und Parkett.

Ein paar Kleinigkeiten brauchte ich noch für den Abend und die nächste Woche, ab Mittag war ein Nachlassen der Regengüsse angekündigt. Nur dass irgendwer mal wieder die Anweisungen nicht bekommen hatte, es regnete weiter in der Stärke, bei der man sich draußen sonst kurz unterstellt, bis es ein wenig nachlässt.

Half ja nix, unter einem großen Schirm ging ich raus zum Einkaufen beim Vollcorner und in der Bäckerei. Unterwegs kämpfte ich mit dem zusätzlichen Handicap von Windböen. Ich kam mit nassen Schuhen, Socken, unteren Hosenbeinen heim, die Einkäufe hatte ich trocken halten können.

Webcam-Aufnahme von Fluss in Stadt, hellbraunes Wasser, die Uferwege sind noch überschwemmter

13:36 Uhr. Meldestufe 1 des Isarpegels war da bereits überschritten.

Frühstück kurz vor zwei: Ein Schüsselchen restliche Linsen mit Spinat und Ziegenkäse vom Vorabend, Balkanbrot mit Butter, Scamorza vom Tölzer Kasladen (Obacht: verdirbt zuverlässig für alle anderen Scamorzas).

Am Vortag hatten unsere Abendgäste per WhatsApp gescherzt, es möge bitte weniger regnen, sonst müsse der Keller des Hotels des einen Gastes leergepumpt werden. Jetzt fragte ich besorgt, ob Hilfe benötigt werde. Und tatsächlich kam ein Anruf: Ob wir das Essen eventuell um einen Tag verschieben könnten, sie seien tatsächlich am Pumpen, kein Ende abzusehen. Ich schlüpfte also in Funktionskleidung und Gummistiefel und ging mit Eimer in der Hand rüber zum nahegelegenen Hotel in der Altstadt.

Die Lage: In das 2. Untergeschoß drückte das Grundwasser, klar und sauber, die eingebauten Pumpen waren überfordert. Zwar gab es zusätzliche Pumpen, doch das Wasser musste ja noch an die Oberfläche gebracht werden (ohne ausreichend langen Schlauch und die Power für den nötigen Druck), das beschäftigte meine Freunde und einige Hausangestellte seit 11 Uhr: Sie nutzten für den Abtransport bei meiner Ankunft Plastikwannen, die mit dem Aufzug hochgefahren wurden.

Ein wenig konnte ich mich nützlich machen. Bald kam die alarmierte Feuerwehr zwei Mann hoch, vor allem mit Feuerwehr-tauglicher Pumpe und langem Schlauch. Da das Wasser aber weiter von allen Seiten in den Keller drückte, kein Ende abzusehen, und die Profi-Pumpe lediglich eine Eskalation verhinderte, brauchte es eine andere Lösung. Anweisungen für Baumarkt-Einkäufe, Handgewerk, Ausprobieren, immer wieder neue Ansätze, es waren spannende Stunden (ich schob dabei meist nach Anweisung Wasser, fassungslos, dass es einfach nicht wirklich weniger wurde). Schließlich kam auch das Technische Hilfswerk THW zu Hilfe: Die Herren waren noch beeindruckender ausgerüstet als vorher schon die Feuerwehrler, sie brachten eine Pumpe samt Schlauch zum vorläufigen Dalassen mit, sie sollte den Grundwassertransport bis an die Oberfläche schaffen.

Ich verabschiedete mich, denn jetzt konnte ich nur noch im Weg stehen – das wollte ich unbedingt vermeiden. Als Resultat ein Tipp “Mit der Klimakatastrophe leben”: Besorgen Sie sich Gummistiefel, wenn Sie noch keine haben. Und sei es, damit sie anderen helfen könnnen.

Daheim Blick auf den Stand der Isar:

Aufnahme von Fluss in Stadt, hellbraunes Wasser, das sichtlich weiter gestiegen ist

19:34 Uhr. Meldestufe 2 war noch vor 18 Uhr überschritten worden.

Bemerknis: “Jahrhunderthochwasser” ist kein journalistischer Superlativ, der mittlerweile etwas Lächerliches hat. Sondern eine Messgröße. Aber ich sehe, dass immer mehr Berichte vorsichtshalber andere Fomulierungen verwenden, zum Beispiel “Pegelstände, wie sie statistisch gesehen nur einmal in hundert Jahren erreicht werden” wie hier der BR-Bericht zur Lage am Sonntagmorgen.

Herr Kaltmamsell servierte zum Nachtmahl ein wenig Fleisch aus der Pfanne, Tomaten, Balkan-Brot, Scamorza, überzähligen Einladungsnachtisch, Schokolade.

Das war zwar erst das zweite Mal innerhalb eines halben Jahres, dass lang befreute Geselligkeit durch Extremwetter verhindert wurde (der große Schnee im Dezember 2023, so erfuhr ich gestern, hatte beim Abschmelzen besagten Keller schonmal geflutet), doch ich versuche mich darauf einzustellen, dass das künftig einkalkuliert werden muss.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Journal Samstag, 1. Juni 2024 – Der Regen macht ernst, richtig ernst“

  1. Sabine meint:

    Tja, und ich plane gerade eine Reise, bei der quasi jede Station unter Vorbehalt ist, weil es ja dort brennen könnte.

    Aber das hat es ja alles immer schon gegeben. Not.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Ähnlich hier, Sabine, mit meiner Mallorca-Wanderung: Wird es im Oktober eigentlich zu heiß zum Wandern sein? Oder wird Mallorca wie so oft in den vergangenen Jahren gerade in Regenfluten untergehen? “Schon immer” my foot.

  3. Rainer meint:

    Vielen Dank für deine Unterstützung!! Moralisch, körperlich und überhaupt!!!

  4. die Kaltmamsell meint:

    Rainer hat die Nacht überlebt! <3<3<3

  5. Kuchenschwarte meint:

    Eigentlich ist es nur eine Frage der (kurzen) Zeit, bis das Sätzchen mit “statistisch gesehen nur alle hundert Jahre” auch überholt sein müsste. Wird es dann “vor 20 Jahren zwar statistisch gesehen nur alle hundert Jahre, aber seit 1995 schon alle zehn bis 15 Jahre” werden?

  6. Christin meint:

    Nicht nur als Berichterstattende nicht nur der Ahrflutkatastrophe vor fast drei Jahren kann ich leider nur konstatieren, ja, die Einschläge kommen näher, sie werden häufiger und der Einschlagort kann immer weniger präzise vorhergesagt werden. In Wiesbaden ist das Nerotalfest Freitag wegen zu erwartender Regenmassen abgesagt worden, es kam: fast nichts. Dafür haben die Winzer heute Morgen den Stand an der Fähre in Mittelheim abgebaut, weil der Leinpfad vollläuft. In den Weinbergen droht wegen Nässe und (kommender) Wärme ein Szenario wie 2016, als Peronospora zuschlug – wir haben damals am Mittelrhein genau: 0 Trauben geerntet.
    Aber der menschengemachte Klimawandel existiert nicht, durfte ich mir gerade gestern wieder anhören. Von jemandem, der noch nie die Folgen zu spüren bekommen hat.

  7. Norman meint:

    Unsere Antwort auf den Klimawandel: Gummistiefel!

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