Archiv für August 2024

Journal Samstag, 10. August 2024 – Die Hochzeit in Essen

Sonntag, 11. August 2024

Eine gute Nacht.

Zechengebäude im Gegenlicht, hinter dem gerade die Sonne aufgeht

Sonnenaufgang über Zeche vor Hotelzimmerfenster.

Meine Hoffnung auf Frühstückshunger erfüllte sich nur so halb. Als wir (sauber, aber noch ungestylt) runtergingen, konnte ich Brot, Butter, Käse, Obst zwar ohne Widerwillen essen, aber leider auch ohne Begeisterung. Begeisterung dann aber über den erbetenen negativen Corona-Test. (Auf der abendlichen Feier blieben tatsächlich ein paar Stühle leer: Es hatte auch positive Testergebnisse gegeben.)

Große Freude: Ich traf auf die vom Joggen rückkehrende Braut und konnte sie schonmal vor dem großen Hoo-ha in die Arme nehmen. Außerdem bekam ich den bislang unbekannten Bräutigam zu Gesicht, sah ihn seine Freund*innen begrüßen – und merkte mir diese, denn: Es war sehr unwahrscheinlich, dass ich ihn selbst bei dieser Gelegenheit würde kennenlernen können; aber ich konnte mir von seinen Freund*innen über ihn erzählen lassen.

Wen ich auch zu sehen bekam: Den Rabbi und seinen ganz entzückenden Hund.

Blick aus einer Hotel-Lobby durch die Tür nach draußen, gleich vor der Tür sitzt angeleint ein kleiner weißflauschiger Hund.

Es stellte sich nämlich heraus, dass die Chuppa doch erst in der jüdisch-protestantischen Trauung am Nachmittag stattfand: Freitagabend war ein Shabbat-Dinner mit einem anderen Teil der Zeremonie gewesen (Brit Ahava).

Eigentlich hatte ich gehofft, den Vormittag für einen Besuch des Red Dot Design Museums gleich gegenüber nutzen zu können, doch es öffnete erst um elf – das hätte mir nur eine knappe Stunde darin ermöglicht, war mir zu wenig.

Also setzte ich mich mit Laptop in den Salon-Bereich auf der Galerie des Hotels und las (bequemer als im Hotelzimmer, wo es nur einen Hocker gab, außerdem wollte ich dem Zimmerservice Gelegenheit für seinen Einsatz geben). Es war aufregend, in jedem Menschen, der vorbeilief, einen möglichen Hochzeitsgast zu sehen.

Unangenehm voller Bauch, mein Körper kann das mit diesem Frühstücken einfach nicht mehr.

Als die Lobby sich mit immer mehr offensichtlichen Hochzeitsgästen (weil glitzernd oder in Smoking) füllte, machten wir uns ebenfalls fertig und saßen noch eine Weile in vollem Ornat herum. Mittlerweile hatte sich draußen das angekündigte prächtige Sommerwetter entwickelt, wir spazierten zum Bergmannsdom, der Kirche am Kartenberger Markt.

Herr Kaltmamsell im Smoking.

Frau mit kurzen Haaren und in langem, silbernen Abendkleid vor Backsteingebäude

Mein Outfit im Wind.

Turm einer alten Backsteinkirche zwischen Bäumen vor blauem Himmel, einige festlich gekleidete Personen gehen darauf zu

Der Bergmannsdom.

Am Eingang bekamen wir eine wundervolle Broschüre zur Trauung, die die protestantischen und jüdischen Teile verständlich und sehr Brautpaar-nah (also witzig) erklärte. Beim Warten auf den Beginn der Zeremonie lernten wir gleich mal Gäste kennen – und sahen prächtige Outfits: Sehr viele Gäste waren dem Wunsch des Brautpaars gefolgt und trugen die ganz großen Kleider / Smoking, sogar mit schicken Varianten.

Altarraum der Kirche schräg seitlich aufgenommen, darauf ein offenes Holzgerüst mit Blumenschmuck

Die Chuppa im Altarraum. Es war eine magische und bezaubernde Zeremonie, sehr detailliert und liebevoll geplant, mit der Dauer, die das Verbinden zweier Religionen nunmal erfordert.

Draußen wartete eine kleine Marching Band auf die Hochzeitsgesellschaft, es gab Getränke und erste Snacks. Gratulationen ans Paar, viele fröhliche Unterhaltungen, Kennenlernen, Genießen des schönen Wetters. Dann der Versuch, alle Hochzeitsgäste auf ein Foto zu bekommen.

In aller Gemütlichkeit machten wir uns auf den Weg zur Fest-Location, dem Erich Brost Pavillon auf dem Dach des Besucherzentrums Zeche Zollverein.

Blick aus einem hohen Dachgeschoss auf die grüne Essener Zechenlandschaft, sonnenbeschienen

Blick aus einem hohen Dachgeschossfenster auf die grüne Essener Zechenlandschaft, sonnenbeschienen, man sieht davor Festgäste

Und dann wurde mit dieser sensationellen Aussicht gefeiert.

Blick von hinten oben auf den ikonischen Förderturm Zeche Zollverein, zu dessen Fuß auf Rasen im Sonnenlicht ganz klein das Brautpaar

Wenn Sie genau hinsehen, finden Sie auf dem Rasen das Brautpaar beim Fotografiertwerden.

Wiedersehen mit Bekanntschaften von ganz früher, Kennenlernen von Freunden des Brautpaars, wundervolles Essen mit dem Höhepunkt eines sensationellen Dessert- und Kuchenbuffets, das örtliche Familie und Freunde hergestellt hatten. (Alkohol ließ ich lieber fast ganz bleiben.) Zu später Stunde Tanz, Herr Kaltmamsell und ich kamen zu ein paar Foxtrotts. Und um Mitternacht noch eine Runde Currywurst!

Nächtlich beleuchteter Förderturm Zeche Zollverein von hinten oben

Dem können Sie entnehmen, dass ich und sogar Herr Kaltmamsell da noch wach und essbereit munter waren, wir kamen tatsächlich erst um eins ins Bett. Mein Kleid stellte sich so bequem wie erwartet heraus, die Riemchensandaletten sogar als unerwartet bequem: Ich schlüpfte erst für den Heimweg (und dazwischen für den Weg von Kirche zum Feiern) in die Ersatzschuhe.

Journal Freitag, 9. August 2024 – Weniger Essen

Samstag, 10. August 2024

(Wie lang man wohl aus Essen schreiben muss, bis die Lust an der Doppeldeutigkeit versiegt?)

In der Nacht auf gestern also einmal Migräne mit allem – fast: Ich konnte die spät einsetzende Übelkeit überzeugen, dass aus diesem Magen echt nichts zu holen war. Sie startete nachts gegen halb drei, in den darauffolgenden Stunden verhandelte ich mit mir, wie lang ich wohl schlafen konnte, um doch an der Stadtführung im Bus teilzunehmen, die das Brautpaar liebevoll organisiert hatte und die um 9:45 Uhr startete. Wenn ich den Kaffee wegließe. Wenn ich auf Bloggen verzichtete.

Doch es ging mir immer schlechter statt besser. Triptan-Nasenspray gehört nach der langen Migräne-Pause nicht mehr zu meiner Grundausstattung, ich besitzte nicht mal mehr eines; und Ibu ist bei meinen Migränen selbst gegen die Kopfschmerzen wirkungslos. Als Herr Kaltmamsell sich aufbruchfertig machte, konnte ich ihn nur bitten, mich zu entschuldigen und das “Bitte nicht stören”-Schild an die Hotelzimmertür zu hängen. Ich schlief in Abschnitten, zwang mir hin und wieder einen Schluck Wasser rein.

Als ich um Viertel nach zwei aufwachte, hatte ich noch die Option, wenigstens die Zechen-Führung um drei zu schaffen. Ich beschloss, dafür fit genug zu sein und ging unter die Dusche. Auch wenn ich noch nicht richtig geradeaus sehen konnte, spielte mein Körper mit, absolvierte anstandslos alle Bewegungen, die für Körperhygiene und gesellschaftlich akzeptiertes Erscheinen in der Öffentlichkeit nötig waren.

Ich ließ mir vom freundlichen Hotelpersonal den Weg zum Besucherzentrum Zeche Zollverein weisen, begegnete unterwegs einigen Schafen, die ich davor durch Schilder erahnte hatte, die vor ihrer Fütterung warnten. Nach Abstimmung mit Herrn Kaltmamsell traf ich auf die restliche Gruppe Hochzeitsgäste, die am Tagesprogramm teilgenommen hatte. Und dann wurde es wie vorhergesehen sehr spannend. Für mich als Oberbayerin ist Steinkohlebergbau ohnehin exotisch, und schon die beiden vorherigen Tage mit vielen Wegen zwischen den alten Zeche-Bauten waren faszinierend gewesen. Unser Guide (offensichtlich bereits an der Umwandlung der Zeche in ein Denkmal beteiligt) erklärte die Gesamtanlage, führte uns durch ein paar Schritte der Kohlenförderung und -verarbeitung anhand der Originalausstattung, lieferte Hintergründe zu Bau, Architektur und Technik dieser Zeche, ging auf deren Auswirkungen auf die Arbeitsbedingugen ein. Und berichtete über das Ende der Kohlenförderung, wie seither mit der Anlage umgegangen wurde und wird. Wirklich empfehlenswert, aber das wussten Sie vermutlich eh.

Konservierte Zechengebäude in sachlichem Stiel aus Backsetin und Industrieglas, dazwischen orange angestrichene Rohre

Als wir zurück zum Hotel kamen, sah ich gerade Teile der jüdischen Hochzeitsgesellschaft aufgebrezelt Autos besteigen: Gestern Abend war die Chuppa des protestantisch / orthodox jüdischen Paars. Korrektur: Sie fuhren zum Shabbat-Essen, die Chuppa fand am nächsten Tag statt.

Auf dem Zimmer musste ich gegen halb fünf doch mal was essen. Herr Kaltmamsell hatte mir ein Lunch-Paket vom Ausflug mitgebracht, ich aß Apfel und Käsesemmel. Mein Bauch war nur mittel einverstanden damit, aber dann hätte er vorher halt nicht hungrig schmerzen sollen. Ich ließ mir von Herrn Kaltmamsell die Details der Stadtführung erzählen: Margarethenhöhe und Alte Synagoge hatte ich ja schon gesehen, nur die vielfach empfohlene Villa Hügel hatte ich verpasst.

Ich holte den Blogpost vom Vortag nach, dann zog es mich aber nochmal nach draußen: Eine Essen-stämmige und schon lange in Berlin lebende Freundin hatte herausgefunden, dass unser Hotel in Fußweite (3 km) des Hauses lag, in dem sie ihre Kindheit verbracht hatte. Sie war schon sehr lange nicht mehr dort gewesen, also ging ich an ihrer Stelle hin und machte Fotos. Aus der benachbarten Halde, von der sie schrieb, sie sei damals gefährlich und abgesperrt gewesen, hatte man wie aus vielen Essener Halden einen wundervollen Park gemacht.

Vordergrund Wiese und Busch, hintergrund Industriebau Kokerei, rechts modernes Universitätsgebäude

Ehemaliger Industrieturm aus Holz im Gegenlich vor blauem Himmel

Fußweg durch sonnigen Park unter blauem Himmel

Während es auf der Zechenführung ein wenig geregnet hatte, wurde das Wetter jetzt immer schöner – und gegen Abend wärmer. Für die Hochzeit am Samstag ist perfektes Wetter angesagt: Sonnig, aber nur bis zu 25 Grad warm.

Ich bekam doch nochmal Hunger, die gesalzenen Erdnüsse aus dem Lunch-Paket waren genau richtig. (Bereits leise Hoffnung, dass ich nach dem wenigen Essen am Samstagmorgen Frühstückshunger aufbringen könnte.)

Blöd: Wegen Migräne den Großteil des Urlaubstages verloren. Praktisch: Migräne blockiert bei mir auch Gefühle, ich ärgerte mich also nicht mal.

Journal Donnerstag, 8. August 2024 – Geballte Ladung Essen

Freitag, 9. August 2024

Veröffentlichung mit reichlich Verspätung, weil sich der letzte Programmpunkt mit einer heftigen Migräne rächte.

Recht gut geschlafen, erst mal mit dem Kapselmaschinchen im Hotelzimmer sowie mitgebrachtem Milchschäumer und Hafermilch Cappuccino gemacht. Draußen der angekündigte bedeckte Himmel.

Für den Blogpost musste ich nur noch die Fotos bearbeiten und einstellen, dann machte ich mich fertig und begleitete Herrn Kaltmamsell zum Frühstück (ich hatte versäumt, nur Übernachtung ohne Frühstück zu buchen).

Das Frühstücksbuffet war sehr liebevoll, zudem wirklich üppig und besonders, Herr Kaltmamsell bereitete sich amerikanische Pancakes zu und probierte unter anderem auf meinen Wunsch das saftige Rosinenbrot. Selbst holte ich mir noch einen Cappuccino – und kam gleichmal wieder ins existenzielle Grübeln.

Chromglänzende Riesenkaffeemaschine auf Schubladen-Kommode, darauf bunte Tassenstapel

Ein Hotelkaffeemaschine, deren Optik (Chrom) und Mechanik (Hebel) eine Siebträgermaschine imitiert, die de facto (Knöpfe, Nespresso-Pads) aber ein Kapselautomat ist, der nicht mal die Bohnen frisch mahlt wie ein Vollautomat. Das bedeutet doch irgendwas für unsere Kultur.

Programm für gestern, unserem einzigen wirklich frei verfügbaren Tag in Essen: Alte Synagoge, Margrethenhöhe, feines Abendessen. An der Zeche Zollverein hatte ich Fahrrad-Wegweiser “Essen Zentrum” gesehen, die auf kleine Wege im Grün wiesen. Die wollten wir zu Fuß gehen.

Asphaltierter Weg im Grünen, der alte Schienen eingearbeitet hat

Asphaltierter Weg im Grünen, am Ende ahnt man eine rote Eisenkonstruktion

Und tatsächlich waren das ganz wundervolle Wege, nur immer kurz an großen Straßen entlang, sonst durch wildes Grün und hintenrum durch alte Wohnstraßen.

Asphaltierter Spazierweg mit eingearbeiteten Schienen durch alte museale Industriekonstruktion

Die Alte Synagoge in Essen ist gar nicht mal so alt (1913 fertiggestellt) und hat doch eine bewegte Geschichte; sie wird heute als Haus der jüdischen Kultur genutzt, mit (ein wenig windigen) Vitrinen und Erklärungen zum jüdischen Jahreskreis und Leben. Mich interessierten aber vor allem das Gebäude selbst und seine Geschichte.

Alte Synagoge Essen in Baugerüst und mit Polizeiauto davor

Den Anblick, auf den ich mich nach Schilderungen einer aus Essen stammenden Freundin besonders gefreut hatte, bekam ich nur durch Baugerüste gestört. Später entnahm ich dem Audio-Guide, dass einst ein großer Vorhof Teil des Ensembles gewesen war: Er stand dem Autoverkehr im Weg und musste weichen. Essen ist ohnehin sichtlich Autostadt, wir kreuzten immer wieder riesige Kreuzungen und vielspurigen Autoverkehr. Ich frage mich naiv: Wenn sie es geschafft haben, den Öffentlichen Nahverkehr unter die Erde zu verlegen – warum dann nicht auch den Autoverkehr?

Dunkle Holztür mit Glaseinsatz und dezenter Jugendstil-Verzierung zwischen hellen Steinsäulen

Riesiger Thora-Schrein in der Essener Synagoge

Blick vom Obergeschoß neben dem Thora-Schrein auf den großen Synagogen-Innenraum mit Kuppel

Das Innere der Synagoge wurde nur so ungefähr rekonstruiert, doch die Details weisen ganz klar auf dieselbe Entstehungszeit wie die Augsburger Synagoge hin.

Zum nächsten Programmpunkt, Margarethenhöhe, gingen wir ebenfalls zu Fuß, eine gute Stunde hintenrum durch kleine Straßen. Hin und wieder zeigte sich die Sonne, wir sahen heimisches Leben, passierten in der Gemarkenstraße einen interessanten (Wochen-?)Markt, kamen wieder durch unerwartete Grüngebiete.

Blick von der Straße zum Eingangstor zur Margarethenhöhe vor eher dunklem Himmel

Hier die informative Website zur ersten Gartenstadt.

Den deutlichsten Unterschied im Vergleich mit den historischen Aufnahmen sah ich in der heutigen Dominanz geparkter Autos. Da mag Margarthe Krupp an fließend Wasser gedacht haben, an moderne Heizung und Bäder, an Einkaufsgelegenheiten und sonstige Infrastruktur (Schule, Kirche) – doch sie konnte nicht wissen, dass einst jeder und jede ein eigenes Auto haben wollen würde. Anlass für Nachdenken mit Herrn Kaltmamsell, wie das wohl kam. Vorläufige Thesen: Enorm gewachsener Wunsch nach Mobilität (früherTM blieben die Leute viel mehr daheim), enorm gewachsener Konsum weil gewachsener Wohlstand auf Kosten der Herstellungsländer (sinn- und nutzlose Käufe um des Kaufens und Habens willen, fast jedes “Shopping” ist mit einer Autofahrt verbunden, Dinge halten auch nicht mehr so lange und machen Ersetzen häufiger nötig).

Am kleinen Markt setzte ich mich kurz nach eins mit Herrn Kaltmamsell auf eine Bank (mit Blick auf geparkte Autos; wenn kein Markt ist, wird der Platz keineswegs als Piazza genutzt, sondern als Parkplatz), brotzeitete unterwegs gekaufte Aprikosen und Körnersemmeln.

Fassade des Gasthauses Margarethenhöhe mit durchegehendem Balkon mit Geranien, davor Autos

Zweigeschoßiges Backsteinhais mit Giebeldach

Zweigeschoßiges Haus mit grün-weißen Fensterläden, die Fassade völlig überwachsen, davor Autos

Kleineres Haus mit Portico, davor Autos

Erkerhäuschen mit riesigem Baum, davor ein Auto

Schmale Straße mit alten malerischen und identischen Reihenhäuschen, gesäumt von parkenden Autos

Seite eines alten Hauses, zum Teil überwachsen, davor Autos und ein Wohnwagen

Theoretisch wäre nach unserem ausführlichen Spaziergang noch Zeit vor dem feinen Abendessen gewesen, ins Museum Folkwang zu schauen, lag auch gar nicht weit weg – doch wir waren nicht mehr aufnahmefähig. Statt dessen schaukelten wir mit Tram und Bus gemütlich zum Hotel auf der Gegenseite der Stadt und ruhten uns aus.

Fürs feine Abendessen folgten wir einer Empfehlung (der wir dann auch beim Essen begegneten!) und fuhren mit zwei Straßenbahnen nach Rüttenscheid. Da wir hier sehr wahrscheinlich nicht nochmal (so schnell) herkommen würden, gaben wir uns alle fünf Gänge Überraschungsmenü. Als Wein bat ich um Französisches, weil ich mich damit sehr schlecht auskenne.

Ein Viererbild: Drei gefüllte Teller, eine Weinflasche

Ein Scamorza-Salätchen, gebratene Wachtelbrust mit Bohnensalat.

Ein Viererbild: Drei gefüllte Teller, eine Weinflasche

Gambas-Pepperoncino-Pasta, Steinbutt mit Pfifferlingen, Sauerampfer-Sorbet.

Ein Viererbild: Zwei gefüllte Teller, eine Weinflasche, ein gefülltes Süßweinglas

Kalbskotelett, Ahornmousse.

Wir wurden sehr herzlich und freundlich versorgt, aßen sehr gut, sprachen unter anderem über Kinderreime, bekamen wirklich spannende Weine zum Essen – allerdings deutlich zu viel davon. Wie geplant nahmen wir ein Taxi zurück zum Hotel, doch ich fühlte mich vor allem betrunkener, als angenehm gewesen wäre.

Journal Mittwoch, 7. August 2024 – Essen also

Donnerstag, 8. August 2024

Früher als Arbeits-früher Wecker, weil unser Zug bereits um 7:20 Uhr ging, bis dahin hatte ich gut geschlafen.

Wir machten die Wohnung Hitze-resistent, rollkofferten zum Bahnhof, beim Passieren der Portalklinik wünschte ich ein herzliches “Happy Birthgiving!” der von dort oben mit eindeutigem Auslöser brüllenden Frauenstimme. Der ICE Richtung Hamburg Altona fuhr pünktlich ab – wie der Zugchef bei seiner ersten Durchsage froh verkündete. (Verspätung hinter Köln erschien schon jetzt im Reiseplan, weil Baustelle.)

Selfie einer Frau mit kurzen Haaren, Brille, rot geschminktem Lippen im Zug, neben ihr ein Mann, der nach unten schaut

Wir verließen München bei sommerlichem Sonnenschein, ab Ulm zog der Himmel immer weiter zu. Ich freute ich mich, dass der ICE am Rhein entlang die Panorama-Strecke fuhr und nicht durch die ICE-Tunnels, so konnte ich mal wieder Retro-Deutschland und Burgen gucken.

Blick auf gegenüberliegende Rheinseite mit Ausflugsschiffen, Ort unter Weinbergen unter düsterem Himmel

Rheinlandschaft von der egegenüberliegenden Seite mit Weinbergen, oben Burg, unten Örtchen entlang dem Fluss

Rheinschleife mit Hügel und Ort mit Kirche

Meinen Mittagscappuccino hatte ich mir schon kurz hinter Mannheim im Speisewagen geholt (Zug mittlerweile dicht besetzt, aber nicht überfüllt). Brotzeit gegen eins: Aprikosen und Birne, Hüttenkäse. In Köln hatten wir die ersten zehn Minuten Verspätung eingefahren.

Blick von unten durch die Streben eines durchsichtigen Dachs, dahinter die Türme des Kölner Doms

Großstadtfluss mit Brücken

Das Sitzen war mittlerweile anstrengend geworden, aber half ja nichts, ich machte ein paar Dehn-Übungen. Nach gut sieben Stunden Fahrt stiegen wir in Essen aus, hurra, laut Google wär’s mit Auto auch nicht schneller gegangen. Der Essener Bahnhof ist gerade gründlich Baustelle, ich fühlte mich wie daheim.

Tram (fährt hier zu großen Strecken unterirdisch) zur Zeche Zollverein und unserem dortigen Hotel, wir bezogen unser Zimmer mit Förderturmblick (im Ernst, das betonte die freundliche Angestellte am Empfang).

Es war sehr warm im Zimmer (27,5 Grad), das würde ein geöffnetes Fenster allein nicht runterkühlen. Also wandten wir uns an die Klimaanlage des Zimmers.

Kleine digitale Anzeige mit Klimaanlagensymbol, „16 Grad“, „OFF“, darunter Touch-Symbole + o -

Nicht zum ersten Mal: Zwei Technik-affine Menschen touchen sich am Display einen Wolf, können alles mögliche einstellen, finden aber nicht das simple „ON“. Bis sich herausstellt: Dafür gibt‘s oben eine mechanische Taste. (Wir sind mit dem UX-Fail nicht allein.)

Es ist immer wieder überraschend, wie fertig viele Stunden Sitzen machen können, Herr Kaltmamsell und ich mussten erstmal eine Weile blöd schaun. Doch dann wurde ich schon wieder wepsert und schlug vor, die Tram zurück nach Essen zu nehmen und den Teil zu erkunden, der in Google Maps als “Stadtkern” bezeichnet wird. Das machten wir auch.

Fußgängerzone, an einer Häuserwand große, realistische Streetart eines bärtigen Manns mit Brille und Schiebermütze

Man hat hier Streetart und weitläufige Fußgängerzonen (mit einigem Leerstand – wie in allen deutschen Städten).

Eingang eines alten Kinos "Lichtburg" mit Neonlichtern und viel Messing

Man hat hier aber auch schöne alte Kinos und reichlich Theater.

Im wiederaufgebauten Dom (Essens Innenstadt wurde im Zweiten Weltkrieg durch Bombenangriffe nahezu komplett platt gemacht, was hier alt aussieht, ist rekonstruiert) gefielen mir besonders die modernen Fenster von Wilhelm Buschulte.

Modernes Buntglasfenster in Beige- und Blautönen

Modernes Buntglasfenster in Blau- und Rosatönen

Nach weiterem Spaziergang waren wir hungrig und fuhren zurück in die Nähe unseres Hotels: Die Speisekarte eines mediterran orientierten Lokals hatte vertrauenswürdig ausgesehen. Mein gemischter Salat und meine Tagliatelle mit reichlich Garnelen und Lachs waren in Ordnung, dazu ein Glas Grauburgunder, auf das ich mich sehr gefreut hatte.

Spaziergang zum Hotel unter düsterem Himmel.

Riesiger alter Kohleförderturm vor Backsteingebäuden mit der Aufschrift "Zollverein"

Alte museale Industrie-Backsteingebäude, dazwischen gepflegte Rasenfläche und Wege

Renovierte Backstein- und Glasgebäude einer alten Zeche

Schon ein bissl Hunger Games. (Jaja, ich weiß, dass District V ja der Bergbau-District ist, in diesen Fall wurde die Assoziation durch die Kombination mit dem Geschleckten hervorgerufen.) Aber auch idyllisch.

Wege durch lichten Laubwald vor bedecktem Himmel

Bevor wir ins Bett gingen und das Fenster öffneten, kühlte ich das Zimmer nochmal mit Klimaanlage runter. Verrückt.

§

Während es mich immer noch nicht reizt, anderen Menschen beim Sporttreiben zuzusehen (Ausnahmen bei ästhetischen Komponenten -> Turnen, Synchronschwimmen, Skateboard; aber Menschen dabei zusehen, wie sie rennen oder Dinge ganz weit weg werfen?), auch nicht jetzt bei den olympischen Spielen, finde ich so manche Technik dahinter spannend. Zum Beispiel dass ich am Wochenende von den Vereins-schwimmenden Nifften erfuhr, dass bei 50 Metern Kraulen tatsächlich gar nicht mehr geatmet wird. Oder dass Grundlagenmathematiker Ken Ono bessere Bewegungsabläufe für das olympische Schwimmteam der USA gefunden hat:
“US-Schwimmerinnen sind dank Mathematik schneller”.
(Ich begrüße ausdrücklich den Seitenhieb des Autors Reinhard Kleindl gegen die Floskel “keine Raketenwissenschaft” im Englischen.)

Journal Dienstag, 6. August 2024 – Reise-Countdown in Hochsommer

Mittwoch, 7. August 2024

Zerhackte Nacht, doch zwischen den Aufwachen bekam ich genügend Schlaf. Aufgestanden zu einem herrlichen sonnigen und frischen Sommermorgen. Gestern hatte ich volles Programm vor der Abreise nach Essen.

Blick über einen Balkontisch hinweg auf Park mit blauem Morgenhimmel

Balkonkaffee mit Strickjacke, vor der angekündigten Hochsommerhitze des Tages war es noch frisch. Bald wurde ich gestört: Die Straße vorm Haus wird mal wieder aufgerissen (ich muss aber zugeben, dass das seit vielen Jahren das erste Mal ist), gestern war ein normaler Werktag, es wurde sehr laut. Ich dachte fast sehnsüchtig an die Ruhe in meinem Büro, fing mich aber rechtzeitig wieder.

An die Witwe des verstorbenen Freundes der Familie schrieb ich einen Beleidsbrief, weil ich nicht zur Beerdigung kann.

Erster echter Programmpunkt: Schwimmrunde im Dantebad. Ich radelte gemütlich hin. Noch standen am Radlparkplatz kaum Fahrräder, aber diesmal war ich schlau genug, meines an einem Außenparkplatz anzuketten: Bei den letzten Schwümmen bei Freibadwetter war ich beim Verlassen des Dantebads von Idioten eingeparkt worden, die die Durchgänge zur Straße zugestellt hatten.

Meine 3.000 Meter Schwimmen waren sehr schön in glitzerndem Wasser, ich fühlte mich kräftig und ausdauernd, Geräteschwimmer gab es erst in der zweiten Hälfte auf meiner Bahn. Danach sonnencremte ich mich neu und legte mich in die Sonne, neue und spannende Musik auf den Ohren. Es wurde schnell heiß, ich hatte bald genug.

Auf dem Heimweg kaufte ich Frühstück ein, das gab es daheim gegen zwei: Körnersemmeln mit Butter und Tomaten.

Beauty-Nachmittag wie so ‘ne Sex-and-the-City-Darstellerin: Beine enthaaren bei der feurigen Sardin, dann Pediküre und Gesichtspflege bei meiner geschätzten Kosmetikerin, letzteres mit viel Gesichtmassage und Zwischenruhen, sehr entspannend.

Daheim Umsetzung der Pack-Pläne, die sich in meinem Hirn in den Tagen davor formiert hatten: Rauslegen von Dingen, erstes Packen. Unsere Hochzeitskleidung würden wir in Kleidersäcken transportieren, auch deshalb wollte ich sehr gerne eine Zugverbindung ohne Umsteigen.

Meine tägliche Yoga-Gymnastik, Vor-Reise-Coronatest (für die Teilnahme an der Hochzeitsfeier selbst wird um einen weiteren gebeten, es ist alles für die Gäste organisiert – sehr löblich).

Ergebnis-Kästchen eines Covid-Tests mit negativem Ergebnis

Ist wie Radlfahren, verlernt man nicht.

Zum Nachtmahl servierte Herr Kaltmamsell ein kleineres Shakshuka. Nachtisch Schokolade.

Abendunterhaltung: Eine arte-Doku über Esther Williams.
“Esther Williams: Hollywoods Meerjungfrau”.

Als Kind liebte ich Esther-Willams-Filme mit ihrer irrealen Wasser-Glamour-Ästhetik – und brachte Mitschülerinnen dazu, im Schwimmunterricht zumindest das Seitlich-hintereinander-ins-Becken-Springen daraus zu versuchen (wobei mir nicht klar war, welche Rolle die Kameraperspektive bei diesem Wunder spielte). Dass Esther Williams das ganze Genre erfand, Wasserballett begründete und die einzige Hollywoodkünstlerin mit dieser Spezialität war und blieb – das ahnte ich damals ja nicht.

Journal Montag, 5. August 2024 – #wmdedgt von Herrsching nach Dießen

Dienstag, 6. August 2024

Am 5. jedes Monats sammeln sich geneigte Tagebuchblogposts um die Frage von Frau Brüllen: “Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?”, #wmdedgt, im August 2024 hier.

Nach guten Schlaf früh aufgewacht – das freute mich trotz Urlaub, weil ich mich als Morgenmensch im ersten Drittel des Tages immer am lebendigsten fühle.

Dichte und hohe Stangenbohnen auf einem Balkon

Stangenbohnen auch schon fit.

Trotz düsterem Himmel setzte ich mich zum Morgenkaffee auf den Balkon, doch nach eben diesem zog ich mich fröstelnd zurück ins Drinnen.

Mein Plan für diesen Urlaubstag war schon lange eine Wanderung mit Herrn Kaltmamsell gewesen; diesmal dachte ich halbwegs rechtzeitig daran, ihn darüber zu informieren, nämlich bereits einige Tage vorher. Mit Hoffnung auf wenige andere Menschen wollten wir ein wenig um den Ammersee herum gehen, nämlich von Herrsching nach Dießen. Die Anreise war einfach: S-Bahn nach Herrsching. Zurück würden wir von Dießen ein Stück Schienenersatzverkehr benötigen – aber wir hatten ja beide frei.

Die S-Bahn war angenehm wochtäglich dünn besetzt. Zeitunglesen (ich habe für die Urlaubswoche wieder auf online umgestellt) wurde allerdings zunächst verhindert, weil sich die SZ-App nicht mehr an mich erinnerte und ein frisches Log-in haben wollte, die im Handy gespeicherten Daten aber als falsch deklarierte. Meine (verschlüsselt notierte) Passwort-Liste hatte ich natürlich nicht dabei. Also erstmal Passwort zurückgesetzt etc. trallala, dann endlich Zugriff. Am Abend stellte sich heraus, dass die gespeicherten Daten korrekt gewesen waren, die Online-Verwaltung der Süddeutschen ist also weiterhin ein Saftladen. (Dass es sich um ein derartiges Cookie-Monster handelt, dass ich im ganz normalem Firefox nicht mal an die Reklamations- oder die Urlaubs-Funktion rankomme und nur dafür jedesmal Chrome starte, erwähnte ich?)

Beim Aussteigen in Herrsching am Ammersee war das Wetter Vorhersage-gemäß bedeckt und mild, es ging ein leichter Wind: Perfektes Wanderwetter, und ich war in ärmellosem Oberteil genau richtig gekleidet. Dazu trug ich eine lange Hose, um vor dem Wachsenthaar-Termin Kratzer und sonstige Wunden zu vermeiden. Diesmal ging ich möglichst wenig Risiko ein und besprühte mich gleich nach dem Aussteigen und noch am Bahnsteig gründlich mit Mückenspray, ich finde Mückenstiche wirklich, wirklich unangenehm, empfinde sie eher als Schmerz denn als Jucken.

Ich hatte mir Brotzeit eingepackt, Herr Kaltmamsell brauchte noch eine: Dafür und für einen überraschend guten Cappuccino steuerten wir in Herrsching die Bäckerei Kasprowicz an.

Stehtisch in einer Bäckerei, darauf zwei Bäckereitüten und zwei Tassen Cappuccino, im Hintergrund eine schicke Bäckereitheke mit Verkäuferinnen und Kundschaft

Das erste Stück am Ammersee entlang, eine knappe Stunde, kannte ich von unseren Wanderungen Richtung Andechs und Starnberger See, darauf freute ich mich schon.

In einem großen See steht ein Pfahl, darauf steht eine kleine Möwe, im Hintergrund ragt ein Steg in den See

Renovierte Gründerzeit-Villa zwischen alten Bäumen, zum Spazierweg ein moderner Metalllzaun

Ein altes Haus mit spitzem Dach ragt ins Bild bis an den See

Leuchtend rose Blütenstände in einer hohen Wiese, im Hintergrund ein Streifen See, in dem ein schwarzer Hund steht

See mit einem Baum im Vordergrund, weit weg am gegenüberliegenden Ufer ein Ort mit sehr großer Kirche

Blick auf unser Ziel Dießen.

Ab dann wurde es spannend und neu, zunächst eine Weile weiter am See entlang. Außer uns praktisch keine anderen Fußgänger, auf dem Weg wurde geradelt – gerademal nicht so viel, dass wir nicht ständig auf der Hut sein mussten.

Aus niedrigem Wald ragen zusammengeimmerte Bretter, über die Wasser fließt, links davon ein Schild "Wasserbaustelle"

Wasserbaustelle

Jetzt ging es allerdings fast eine Stunde eine Straße entlang, dann auch auf einer Straße.

Schmaler bräunlicher Fluss längs, von Bäumen und Büschen gesäumt, darüber dunkle Wolken

An der namensgebenden Ammer links, wir verließen den See.

Blick über eine nahezu eingewachsene Rastbank auf schmalen Fluss, der hier über ein paar Steine fließt, darüber dunkle Wolken

Eine Rastbank neben großem Baum und vor ebener Landschaft

Nach zweieinhalb Stunden machten wir Pause, wir trafen fast auf die Minute auf ein passendes Bankerl mit Blick auf Raisting. Ich hatte eingeweichtes Muesli mit Joghurt dabei, außerdem eine hervorragende Nektarine (diese zu Herrn Kaltmamsells Amüsement im Schraubglas tranportiert, doch ich wollte sehr gerne Plastiktütenmatsch verhindern). Die Wolken wurden immer weniger, immer mehr Sonne schien – und machte sofort sehr warm

In Dießen kamen wir wenige Minuten vor Abfahrt am Schienenersatzbus an. Das waren etwa 14 Kilometer in knapp vier Stunden mit einer Pause – fast alles brettleben und ausschließlich auf breiten Wegen, viele davon asphaliert, das geht halt schnell.

Selfie von einem älteren Männer- und Frauengesicht, beide mit kuren Haaren und Brille

Der Bus schlängelte sich über teils erstaunlich schmale Straßen und viele Halte (darunter Sankt Ottilien, zu dem mir seine Geschichte als jüdisches Krankenhaus und Sammelort für Displaced Persons 1945-48 einfiel, da wollte ich ja unbedingt mal eigens hin – es gibt sogar öffentliche Rundgänge) bis Geltendorf, dort Regionalbahn nach München Hauptbahnhof. Ich machte mich direkt auf den Weg zu Lebensmitteleinkäufen, Herr Kaltmamsell ging kurz nach Hause zum Frischmachen, holte dann den Leih-Smoking für die Hochzeit ab.

Ich freute mich auf gründliche Säuberung unter der Dusche, stellte allerding beim Ausziehen wie befürchtet fest: reichlich Wanderkrätze an beiden Unterschenkeln. Ich baue darauf, dass sie in den fünf Tagen bis zur Hochzeit verschwunden ist. Ja, die gestrige Strecke hätte ich auch in Turnschuhen sicher gehen können, doch die Wanderstiefel erleichtern das Gehen mit ihrem Halt und verteilen die Anstrengung über mehr Beinmuskulatur. Nach Dusche und herrlich frischer Kleidung las ich ein wenig auf dem Balkon, ging dann zu einer Einheit Yoga-Gymnastik rein – tat wieder SO gut.

Fürs Nachtmahl hatte ich ein Rezept aus der Wochenend-Süddeutschen aufgehoben, Thema Tomaten, vor allem aber zum Aufbrauchen des letzten Stück Ernteanteils: Salbei.

Ein Teller mit Spahetti, hellen Tomatenstücken, Semmelbröseln, frittiertem Salbei

Schmeckte ganz hervorragend: Die Tomaten in dieser Zubereitung intensiv und gemüsig, ich mag Salbei, der Knaller aber war der Parmesan für Arme, also die gerösteten Semmelbrösel (die das Gericht zufällig vegan machten), herrlich knusprig. Nachtisch Schokolade.

Nachtrag: Die gebuchte Supersparpreis-Zugverbindung zur Hochzeit nach Essen gibt es seit einigen Wochen nicht mehr, die Nachricht der Bahn, “Fahrplanänderung”, verwies auf eine “Reiseempfehlung” mit zweimal Umsteigen, unsere Platzreservierung existierte nicht mehr. Gestern entdeckte ich eine wesentlich bequemere Alternative München-Essen, stellte sicher, dass die “Fahrplanänderung” auch wirklich eine Aufhebung der Zugbindung bedeutete und zahlte nochmal eine Platzreservierung für eine Fahrt ohne Umsteigen. Die Rückreise gibt es ebenfalls nicht mehr, in diesem Fall folge ich aber der Empfehlung, die auch die Platzreservierung übernommen hat. Alltag des Bahnreisens in Deutschland.

Im Bett las ich weiter Helena Adler, Die Infantin trägt den Scheitel links, freute mich am nächsten Kapiteleinstieg:

Meine Mutter rastet nicht, habe ich immer geprahlt. Und wenn sie rastet, rastet sie aus.

§

Bericht über den ersten Bundeskongress der Omas gegen Rechts.
“Widerstand statt Ruhestand”.

Journal Sonntag, 4. August 2024 – Früher Isarlauf, großes Grillen bei Elterns

Montag, 5. August 2024

Etwas unruhige Nacht, früh zu Ende – was mir sehr recht war, weil Pläne. Wir waren gestern bei meinen Eltern zum Grillen eingeladen, auch eingeladen waren die Familie meines Bruders und meine Schwiegereltern. Und vorher wollte ich noch eine Runde Laufen.

Draußen war es kühl und düster nach nächtlichem Regen, wieder kein Morgenkaffee auf dem Balkon. Eng getimet mit einer Maschine helle Wäsche machte ich mich lauffertig. Es war trocken und angenehm, nach fast einer halben Stunde kam ich auch mal wieder ein wenig in den Fluss.

Unter anderem Nachdenken über eine Geschichte im Granta 168, Significant other, vor allem über diese Passage:

Being recognized as part of a couple thrilled me; I felt legitimised.

Das fehlte mir immer schon komplett. Ich verliebte mich, manchmal war eine Folge, dass ich Teil eines Paars wurde – doch damit haderte ich. Bis ich erkannte, dass ich das eigentlich lieber nicht war. Herr Kaltmamsell musste hohe Hürden meistern, um mich zu überzeugen: Er war die Ausnahme. Erst kürzlich hatte mich eine Diskussion über Online-Datingportale zur Erkenntnis gebracht: Ich war noch nie auf Partnersuche. Neben meinem frühen und intensiven Nicht-Kinder-Wunsch wohl ein zentrales Stück Privileg und Freiheit in meinem Leben.

Blick auf eine zugewucherte Gärtnerei, im Vordergrund am Boden dunkle Gärtnereifolie, im Hintergrund werden Beete bewässert

Über der Flaucher-Gärtnerei zeigte sich erster blauer Himmel.

Dicht zugewachsene Flusslandschaft mit steinigem Flussbett

Liegender Grabstein in dichtem Grün, bei aller Verwitterung kann man die große Inschrift lesen: "Georg Simon Ohm"

Am Alten Südfriedhof sagte ich Herrn Ohm hallo – dem großen Widerstandskämpfer. (Eine physikalische Einheit nach sich benannt zu bekommen, ist schon sehr weit oben auf der Coolheits-Skala.)

Zug nach Ingolstadt, pünktlich und problemlos. Große Freude über Wiedersehen meiner Eltern, meiner Schwiegereltern, der lange nicht mehr gesehenen Bruderfamilie. Wir saßen auf der Terrasse des Elternhauses, vor der meist scheinenden Sonne mit einem riesigen Schirm geschützt, Blick auf den hochsommerlich zugewucherten Garten. Viele hochspannende Neuigkeiten von den Nifften (unter anderem Einblicke in den Medizinertest, der ganz anders ist, als ich gedacht hatte). Vom Grill (den meist mein Bruder bediente, damit meine Eltern sich um ihre Gäste kümmern konnten) gab es Garnelen, Tintenfisch, Rinderfilet, Schweinskotelett, Schweinebauch, Tofuspieße, vegane Würschtl, Tomaten, Champignons, Brot, dazu Salate. Nach einer Anstandspause Kaffeeundkuchen, und zwar Marzipantorte (von der Gastgeberin selbst gekauft).

Am späten Nachmittag nahm ich mit Herrn Kaltmamsell einen Zug zurück, dieser sehr dicht besetzt. Daheim eine wohltuende Runde Yoga-Gymnastik (dass ich weder crow pose noch half moon je erleben werde, habe ich mittlerweile überwunden), dann hatte ich wieder Hunger (mittags vor Aufregung gar nicht so viel gegessen): Zwei frisch gepflückte elterliche Tomaten als Salat mit Flachpfirsich, Basilikumblättern und Olivenöl, außerdem Käsereste, hartgekochtes Ei, danach noch reichlich Schokolade.

Meg Rosoff, The Great Godden ausgelesen, bis zum lahmen Schluss beleidigt über die Flachheit der Geschichte, doofes Buch. Meine nächste Lektüre muss das ausgleichen: Helena Adler, Die Infantin trägt den Scheitel links (war in der Münchner Stadtbibliothek gerade verfügbar). Das schaffte dieser Roman der Anfang des Jahres jung verstorbenen Österreicherin sofort. Er beginnt:

Home Sweet Home

Nehmen Sie ein Gemälde von Pieter Bruegel.

Wir essen schwarze Regensuppe zum Nachtmahl. Der grüne Kachelofen brütet in der Ecke, in der Stube dampft es, doch mir ist kalt. Die Bewohner des Hauses haben sich im Parterre versammelt. Nicht oft verlassen die Urgroßeltern den ersten Stock. Sie sind die Urgesteine hier am Hof und wer sie bewegen will, beißt auf Granit. Wir, die Eltern, die Schwestern und ich, wohnen bei ihnen, nicht sie bei uns.

Zack: Wenige Zeilen, doch schon ist der Ton gesetzt, die Szenerie aufgebaut. Jetzt freute ich mich wieder aufs Lesen.

§

Eine lesenswerte Perspektive aufs Thema privates Fliegen von Bernhard Ötter in der taz:
“Wir unperfekten Menschen”.