Archiv für Oktober 2024

Journal Montag, 7. Oktober 2024 – Arbeitsleben halt

Dienstag, 8. Oktober 2024

Mittelunruhige Nacht, die Aussicht auf Arbeitsleben so bedrückend wie schon lange nicht mehr.

Ich rüstete mich mit Wollkleid und Kaschmirstrumpfhosen gegen die Bürokälte, mit glitzernden roten Mary Janes gegen Trübsal. Der nächtliche und morgenliche Regen hatte aufgehört, mir kam sogar die Luft leicht mild vor.

Was dank der Vorarbeit am Wochenende klappte: Ich hit the ground running. Allerdings hatte ich schon wieder vergessen, dass ich von solchen Hochdruck-Arbeitssituationen Stresskopfweh bekomme und mich wie ein eingesperrtes Tier mit Fußfessel fühle, am liebsten mein eigenes Bein abgenagt hätte, um mich zu befreien. Und da war noch nicht mal einkalkuliert, dass in meiner Abwesenheit auch Fehler passiert waren – schlicht menschliche, für die ich mir aber erstmal eine Lösung überlegen muss (gestern war mir noch nichts eingefallen, beim verursachenden Dienstleister Rabatz zu schlagen, würde nichts lösen; allerdings darf ich nicht vergessen, ihn darauf hinzuweisen, kostet schon wieder Zeit).

Ich haute Zeug weg für drei Arbeitstage, weil musste halt, war nach dem ersten Arbeitstag überrascht, dass es erst 11 Uhr war. Vor dem nächsten ging ich also zu einem schnellen Mittagscappuccino zu Nachbars. Die Luft war tatsächlich mild, trotz der Schlacht am Schreibtisch bekam ich mit, dass der Tag sogar sonnig wurde.

Aufsicht auf eine Kiste mit Quitten

Um den späteren Mittag erschien meine Quittenfee, beschenkte mich reich und verwandelte mein Büro in eine Duftkammer. Spätes Mittagessen: Apfel, zwei dicke Scheiben Roggenvollkornbrot.

Nach dem zweiten Arbeitstag gegen 15 Uhr war mir schlecht und ich hing schwer in den Seilen. Aber half immer noch nichts, es war etwas vor Plan hereingeschneit, und von meinem Einsatz hing ab, dass andere Leute ihre Arbeit machen konnten.

Während des dritten Arbeitstags konnte ich sogar das Fenster im Büro gekippt lassen, es kam von draußen warm herein. Aber jetzt war ich durchaus so durch, dass mir graute: Morgen muss ich hier ja wieder her. (Zudem ich bin ganz kurz davor, mir mal eine echte Nachrichtenpause zu gönnen. Einfach eine Weile gar nichts mehr von Politik und Weltgeschehen mitbekommen, vor ein paar Jahrzehnten konnte ich das doch auch.)

Irgendwann hatte ich Feierabend.

Blick von unten auf einen neo-gotischen Kirchturm vor knallblauem Himmel

St. Paul ohne Oktoberfesties-Belästigung.

Heimweg durch sehr angenehme Luft und schönes Licht. Ich brachte lediglich Energie für einen kurzen Abstecher in den Drogeriemarkt auf (den durchlief ich allerdings dreimal bis ich die zwei benötigten Produkte gefunden hatte – es ist ein Wunder, wie unterschiedlich individuelle dm-Läden arrangiert sind).

Zu Hause holte ich den kleinen Koffer aus dem Keller, mit dem ich am Dienstag die Quitten heimbringen würde. Yoga-Gymnastik, für meinen gestrigen Bedarf zu kurz.

Herr Kaltmamsell servierte den Ernteanteil-Wirsing auf meine Bitte mit zugekauften gebratenen Champignons; da er den ebenfalls erbetenen Räuchertofu nicht gekommen hatte, verwendete er vorrätigen Guanciale – schmeckte insgesamt ausgesprochen gut. Nachtisch Schokolade.

Früh ins Bett zum Lesen, viel erschöpfter als nach einem Wandertag mit über 20 Kilometern und über 30.000 Schritten.

Journal Sonntag, 6. Oktober 2024 – Familienfeier zu rundem Geburtstag

Montag, 7. Oktober 2024

Lang geschlafen, das war schön. Es wurde Tag zu sowas wie Sonnenschein, ich sah sogar blaue Flecken am Himmel. Das hielt aber erstmal nicht lange.

Vormittags zogen wir uns fesche Sachen an und machten uns mit einem Topf Blaukraut und mit Tamales plus Condimente auf den Weg nach Ingolstadt zur Familienfeier. Weil antizyklisch, war der Zug völlig frei von Oktoberfestierung.

Durchs ZUgfenster gesehen gelbe abgeernetete Felder, im Hintergrund leerer Hopfengarten und ein Windrad, Regenstimmung

In der Holledau abgeernteter Hopfen, aber der Mais stand noch.

Trocken im Elternhaus eingetroffen (aber es war ganz schön kalt), Eltern geherzt und geküsst.

Eine lange, festlich gedeckte Tafel für 12 Personen mit Blumenschmuck

Es trafen ein: Die Nichte, die lieben Schwiegers, die restliche Bruderfamilie mit einer weiteren Schwieger. Es gab Sekt zum Anstoßen auf die Jubilarin, dann auch ein Ständchen auf sie (Gitarre, Harmonika, Rhythmusschüttelding).

Das Festessen startete mit einer (veganen) Pilzcremesuppe, ging weiter mit Rehrücken und viel drumrum. Dazu ein Glas Chianti.

Porzellan-Teller auf gedecktem Tisch, darauf Rehrücken, grüner Spargel, Rosenkohl, Blaukraut, dahinter ein Glas Rotwein

Die vegane Alternative: Tamales, diesmal fotografiert.

Auf gedecktem Tisch ein weißer eckiger Teller mit Tamales, drumrum Schüsselchen mit Korianderblättern, roter Salsa, schwarzen Bohnen, eingelegten Jalapenos

Dazu reger Austausch über Urlaube, Krankenhauserlebnisse, Styling-Prioritäten, Sportschuhe – ach egal: Das sind halt so Leute, von denen mich erstens alles interessiert, mit denen mich aber zweitens auch freuen würde, gemeinsam das Telefonbuch durchzugehen (ich brauche einen aktuelleren Vergleich – die AGB von Facebook?).

Auf einem Kuchenteller ein Stück Torte aus vielen Schihcten Teig und Buttercreme, Schokohülle

Und dann gab’s auch noch TORTE! (Prinzeregententorte, ganz großartig, forever Team Buttercreme.) Ebenfalls erfreulich: Ich konnte aussortierte Dinge aus meinem Haushalt in neue Hände geben.

Abschied mit Hoffnung auf viele weitere solche Feiern.

Ereignislose Heimreise, es war deutlich milder geworden. Allerdings rückten mir Gedanken an den anstehenden Arbeitsanfang immer näher an die Kehle. In München der letzte Kilometer zum letzten Mal für dieses Runde durch Oktoberfestreste. Daheim Häuslichkeiten, Yoga-Gymnastik (ah, wie ich das genieße). Trotz Festmahl hatte ich Abendessen-Hunger: Herr Kaltmamsell servierte Tamales-Reste, Nachtisch Schokolade.

Journal Samstag, 5. Oktober 2024 – #WMDEDGT

Sonntag, 6. Oktober 2024

Herr Kaltmamsell guckte mich am Freitag irgendwann an und stellte fest: “Du bräuchtest jetzt Urlaub.”

Eine unschätzbar positive Seite an #WMDEDGT, dem Tagebuchbloggen-Projekt von Frau Brüllen an jedem 5. des Monats (hier die Sammlung für Oktober): Ich muss mir keine Überschrift für den Blogpost des Tages einfallen lassen.

Gut geschlafen, erfrischt aufgestanden. Häuslicher Tagesanfang: Geschirrspüler ausräumen, viel Wäsche aufhängen (Waschmaschinen sind SO SUPER!). Draußen war es grau und kalt: Ich hatte keinerlei Lust auf Frieren, drehte also die Heizung im Wohnzimmer auf, kombinierte Schlumpfhose und warmes Sweatshirt mit dicken Socken und dicker Wolljacke.

Mit dem Bloggen ließ ich mir Zeit, ich hatte keine Termine und nicht viel geplant. Telefonat mit Mutter, am Sonntag feiern wir bei ihr einen runden Geburtstag, die Beiträge von Herrn Kaltmamsell und mir abgesprochen.

Weiterhin gemütlich machte ich mich zu einem Isarlauf fertig, auf den ich mich freute. Zwar war für den Tag graues, trockenes Wetter angekündigt, ich startete dennoch vorsichtshalber den Regenradar (Schirmmütze einstecken oder nicht?). Bevor die Seite fertiggeladen hatte, hob ich den Blick – und sah vorm Fenster feinen, dichten Regen. Der laut Regenradar auch nicht so schnell aufhören würde. Also wechselte ich in meine Lauf-Regenjacke (die nicht wirklich wasserdicht ist, aber bei leichtem Regen völliges Durchnässen verhindert) zu Winter-Laufhose und langärmligem Lauf-Shirt und setzte die Kappe auf.

U-Bahn zum Odeonsplatz, noch nur vereinzelte Oktoberfest-Cosplayer*innen. Um elf startete ich in den Hofgarten und von dort in den Englischen Garten, begleitet von leichtem Regen. Der wurde in den folgenden gut anderthalb Stunden mal heftiger, mal weniger, etwa eine halbe Stunde bekam ich sogar Regenfreiheit geschenkt. Ich genoss den Lauf dennoch, war sehr dankbar für den dabei gut mitspielenden Körper – dachte aber immer wieder daran, wie viel schöner das Ganze ohne Regen wäre.

Gartenanlage in französischem Stil, rechts ein Pavillon, der Himmel dunkel, die Wege mit Pfützen

Parkanlage mir leicht herbstlichen Bäumen, ein gepflasterter Weg führt nach unten zu einem Tunnel

Erhöhter Blick auf eine weitläufige Parkanlage in englischem Stil in Regendunst, im Vordergrund links eine Säule, daneben steht eine Krähe

Im Regen rechts ein hölzerner Pagodenturm, links vier Menschen unter Regenschirmen, vor dem Türm helle Sonnenschirme

Plakat auf einem Vereilerkasten an der Straße: Jüdisches Neujahrskonzert 5785

Links befestigter Weg, rechts schlammfarbener Fluss, dazwischen leicht herbstliche Bäume, feuchter Schleier über dem Bild

Man sieht dem Foto an, dass der Regen hier bereits durch die Tasche der Regenjacke gedrungen war, in dem das Handy lag – natürlicher Hamilton-Filter.

Leicht stilisierte Bronze-Statue eines Bischofs vor Bäumen, zwischen seinen segnenden Händen ein Apfel

Jemand hatte dem Heiligen Emmeram einen Apfel zum Halten gegeben. Sehr nüdlich.

Bewachsenes Brückengeländer über Kanal, am gegenüberliegenden Ufer leicht herbstliche Bäume, dahinter erahnt man einen eckigen alten Kirchturm

Drei Baumstämme, die aus dem Boden wachsen, auf halber Höhe abgesägt, zu eckigen Gesichtern geschnitzt, dahinter Laubbäume

Blick über steinernes Brückengeländer auf schäumendes grünbraunes Flusswasser, die Ufer von leicht herbstlichen Bäumen gesäumt

Herbstlich bunte Bäume, durch die man Fluss erahnt

Ich beendete meinen Lauf auch am Odeonsplatz. Die U-Bahn in die Gegenrichtung, nämlich zum Oktoberfest, war dann bereits ordentlich voller Verkleideter.

Auch wenn ich nicht fror, war ich nahezu rundum nass und kalt: Ich ließ mir eines der seltenen Vollbäder ein (Vollbäder nehme ich sonst ja im Schwimmen) (Brüller). Gute Regenkleidung: Zumindest meine Unterhose war trocken geblieben.

Frühstück um zwei war Roggenvollkornbrot: Eine Scheibe mit Butter, eine mit Butter und Honig, eine mit…

Glasteller mit viereckiger Brotscheibe, darauf helle und dunkle Creme gestrichen, Messer mit Creme daneben, hinter dem Telle ein Glas mit der Creme, auf dem „Nocilla“ steht

Na gut, EINE Sache habe ich mir dann doch aus Mallorca mitgebracht. (Und das von jemanden, die seit Jahrzehnten nichts mit Nutella o. Ä. anfangen kann.) Dann schnitt ich die letzte Melone aus der Crowdfarming-Lieferung im August an: Sie duftete zwar immer noch nicht reif, bekam aber schon braune Stellen. Schmeckte nach wenig.

Kücheneinsatz: Fürs Familienfest am Sonntag war ich mit der Zubereitung von Blaukraut beauftragt worden. Der einzige Blaukrautkopf, den ich am Freitag beim Vollcorner bekam, war mächtig. Es wird also viel Blaukraut geben. Fürs Rezept griff ich diesmal zum Bayerischen Kochbuch: Mit Zwiebeln und Äpfeln, und ich spickte zum ersten Mal eine halbe Zwiebel mit Nelken – das machte man früher wohl gerne, ich nehme an, weil sich die Gewürznelken so aus dem fertigen Gericht entfernen lassen.

Als das Kraut köchelte und ich die Utensilien für die Zubereitung gereinigt/verräumt hatte, startete ich den Arbeitsrechner für die Vorbereitung meines ersten Arbeitstags nach Urlaub am Montag, denn am Sonntag würde ich keine Zeit dafür finden. (Es ist doch normal, dass man “This is going to hurt” beim Einloggen sagt?)

Waren gut investierte zwei Stunden, unterbrochen vom Abschmecken des fertigen Blaukrauts: Ich sortierte meinen Posteingang bis auf unter 100 zu berarbeitende E-Mails, weiß jetzt, was am Montag zu tun ist. Und ich weiß, dass ich wegen einiger am Montagmorgen sofort zu erledigenden Dinge diese zwei Stunden nie aufgebracht hätte, sondern den ganzen Tag panisch dem Wichtigsten hinterher gejagt hätte.

Yoga-Gymnastik war eine eher kurze Einheit, hauptsächlich Dehnen, ich amüsierte mich mal wieder über meine “kurze Taille” (Schneiderinnen-Sprache): Bestimmte Dehnungen gehen bei mir nur ganz wenig, z.B. im Sitzen zum seitlich ausgestreckten Bein, weil der unterste Rippenbogen halt auf den Hüftknochen an dieser Seite stößt – weiter geht physikalisch nicht ohne Knochenbruch, da bewirkt auch Üben nichts.

Dann hatte ich meine verrückten fünf Minuten und kaufte Tickets fürs Jüdische Neujahrskonzert 5785 (nach Rücksprache mit Herrn Kaltmamsell). Wussten Sie, dass es im allerersten Tonfilm der Welt, The Jazz Singer von 1928, um einen jüdischen Kantor geht?

Herr Kaltmamsell hatte den Nachmittag in der Küche verbracht: Sein Job für die Familienfeier war eine vegane Alternative für den Veganiker am Tisch, und er nahm das zum Anlass, endlich mal Tamales zu bauen (getrocknete Maisblätter übers Internet gekauft). Die lohnen sich nur in großen Mengen, also gab es die Test-Portion als unser Nachtmahl, einige davon auch mit gekochtem Rindfleisch gefüllt.

Vollgestellte Küchenarbeitsfläche, unter anderem Flaschen Zuckersirup, Grenadine, Champagner, Calvados, Brandy, dazu Cocktailshaker, Messbecher, zwei Gläser mit rot-orangen Drinks

Als Aperitif machte ich uns aus dem restlichen Champagner vom Vorabend Cocktails: French 68 nach Charles Schumann. Wurden ganz ausgezeichnet, allerdings bin ich sicher, dass es dazu keinen Champagner braucht, sondern anderer trockener Schaumwein seine Rolle ebenso gut erfüllt.

Die Tamales schmeckten wirklich gut, dazu reichte Herr Kaltmamsell Tomatenwürfel, Koriander, Sauerrahm. (Wir vergaßen beide zu fotografieren.) Nachtisch geschmacksarme Melone und Schokolade.

Ins Bett wieder mit Ohrstöpseln und geschlossenen Fenstern, vorletzte Nacht des Oktoberfest-Grauens.

Journal Freitag, 4. Oktober 2024 – München mit kaltem Regen und Oktoberfest-Armageddon

Samstag, 5. Oktober 2024

Nicht so lange geschlafen, wie ich gerne hätte, die erste Nacht zurück im eigenen Bett immer seltsam. Aber so hatte ich mehr vom Tag.

Der Arbeitsrechner, den ich zur Sicherheit mit heim genommen hatte (mögliche Pandemie, E-Mail-Check am letzten Urlaubstag), diente nicht sofort zur Überbrückung, bis ich das neue Ladekabel für mein MacBook für das in Mallorca vergessene hatte: Nach drei Wochen Pause musste er erstmal eine knappe Stunde Updates fahren. Währenddessen packte ich meinen Koffer aus, startete die erste Waschmaschine, verräumte den Koffer im Keller, machte es mir warm, schaute in den düsteren, kalten Schnürlregen vorm Fenster (greisliches Wetter bedeutete zumindest Aussicht auf weniger Oktoberfest-Radau).

Beim Kofferauspacken stellte ich fest, dass von den zwei einzigen Mitbringseln (für meine Arbeits-Vertretung, deren Job das nach der Umorganisation eigentlich nicht mehr gewesen wäre) eines trotz zahlreicher Sicherheitsmaßnahmen unbrauchbar war: Der Schraubdeckel des Glases Orangenmarmelade aus Sóller, fest eingewickelt in mehrere Teile Schmutzwäsche und in eine Plastiktüte, hatte sich geöffnet, die Flüssigkeit der Marmelade war ausgelaufen – wirklich ärgerlich. Bleibt nur noch ein lahmes Mitbringsel.

Schon während des Bloggens traf die Nachricht von Apple ein: Netzteil abholbereit.

Sehr gefreut hatte ich mich auf eine Schwimmrunde, dass ich dafür mit Schirm losziehen musste und die U-Bahn zum Olympiabad nehmen, schmerzte mich wenig. Das Schwimmen war dann leider eher anstrengend und vergnügungsarm, dann schmähte mich auch noch jemand, der in mich reingeschwommen war, ich hätte fast vorzeitig weinend das Becken verlassen.

Was mich zu Nachdenken über den Rat führte, sich verbale Attacken “nicht zu Herzen zu nehmen”. Geht das denn? Verletzung ist Verletzung: Auch wenn ich das Hängenbleiben am Tischeck ignoriere, bleibt davon ein schmerzender blauer Fleck. Auch wenn der Pöbler Unrecht hat, bleibt der Schmerz des Angriffs und der Demütigung.
I bruise easily

Auf der Heimfahrt stieg ich an der Münchner Freiheit aus, um in der Clemensstraße Espressobohnen-Nachschub zu besorgen.

Vor verregneten Altbaufassaden ein Brunnen mit Bronzefigur eine kurvigen Frau mit Krönchen

Mal wieder Freude über das Denkmal für Bally Prell – die Schönheitskönigin von Schneizlreuth, die im dahinter liegenden Haus gewohnt hat. Hinweis für Auswärtige: Auch in München gab es mal Zeiten von Volkskunst ohne Dirndl.

Espresso bekam ich nicht: Geschlossen wegen Urlaub (Oktoberfestfluchtverdacht).

Am Marienplatz holte ich im Apple Store mein Netzteil ab: Er war gepackt voll, und zu meiner Verdutzung fand ich mich in einer 30-köpfigen Abhol-Schlange wieder (es werden derzeit wohl Neuester-heißer-Scheiß-Produkte von Apple beworben) – doch das Ausgabesystem ist dort so gut organisiert (etwa vier gut gelaunte Angestellte kümmerten sich um Einlesen von Liefernachricht und Aushändigen schon in der Schlange), dass ich nach zehn Minuten auf dem Heimweg war.

Frühstück deutlich nach drei. Appetit hatte ich immer noch nicht, aus Vernunftgründen aß ich frisch gekauftes Roggenvollkornbrot mit Butter und Tomate / Butter und Honig.

Dann eine weitere Runde draußen durch den Regen: Lebensmitteleinkäufe beim Vollcorner – und ich Dummerchen vergaß, dass mich der Weg dorthin durchs Oktoberfest-Armageddon führt. Wie ich mir schon in der vorhergehenden Nacht auf dem (Theresienwiesen-nahen) Heimweg dachte: Wer’s nie erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen. Die Süddeutsche richtet ihren Lokalteil dieses Jahr ja ganz aufs Oktoberfest-Bejubeln aus (?) – wie wäre es mit einer Bilderstrecke “24 Stunden rund um die Theresienwiese”?

Fenster hinaus in einen verregneten Park, auf der Fensterbank eine Glasvase mit zwei großen, knallpink blühenden Gladiolen und vier dicken altrosa Rosen

Herr Kaltmamsell hatte zur Begrüßung mein Schlafzimmer geschmückt (sind das die pinkesten Gladioen ever oder was?), im Wohnzimmer standen wunderschöne Hortensien.

Ebenfalls sehr gefreut hatte ich mich auf Yoga-Gymnastik: Großes Vergnügen und wohltuend.

Währenddessen mühte sich Herr Kaltmamsell in der Küche mit dem Abendessen – Mühe, weil sich unser Zerstörer, der Pürierstab, endgültig verabschiedet, mittlerweile hält der Einschaltknopf nur mit Kraft in der Eingeschaltet-Position. Anlass für mich, endlich den längst recherchierten Nachfolger zu bestellen. Wenn auch der über 30 Jahre hält, lohnt sich die Investition, zumal ich mit dem Vorläufer-Gerät dieses Herstellers sehr zufrieden war: Einmal sogar das Kabel ersetzt, weil das Original auf einer heißen Herdplatte verschmurgelt war, das Gehäuse ließ sich gut öffnen.

Abendlicher Alkohol war erstmal ein Glas Champagner: Ich hatte endlich rechtzeitig daran gedacht, den Pommery Brut royal (ein Weihnachtsgeschenk) kalt zu stellen – schmeckte mir sehr gut.

Nachtmahl in zwei köstlichen Gängen:

Bast-Tischsets, darauf Glasteller mit Schnitzen Roter Bete mit hellbraunen er Sauce und Schnittlauch

Rote Bete (Ernteanteil) lauwarm mit Haselnuss-Ingwer-Sauce, Schnittlauch, schwarzem Sesam – ganz wunderbar und zufällig vegan (Originalrezept mit Erdnussbutter, Haselnuss machte sich aber sehr gut).

Weißer Teller auf Bastset, darauf brauner Brei mit Kürbisstücken, Orangen Öl, geriebenem Parmesan

Grünschaliger Hokaido (Ernteanteil) mit Polenta und Frischkäse als Brei, darauf gebratene Kürbiswürfel und Chili-Öl. Zwei Portionen für mich. (Originalrezept verwendet Butternut-Kürbis.) Dazu ein baskischer Txakoli. Nachtisch Schokolade.

Im Bett neue Lektüre: Dörte Hansen, Altes Land – darüber hatte ich viel Interessantes, vor allem aber extrem unterschiedliche Urteile gehört, jetzt wollte ich selbst mal (gab’s nicht in der Stadtbibliothek, kaufte ich also). War schonmal angetan vom Erzähltempo: In den ersten 10 Prozent steckt so viel Inhalt, da machen andere ganze Fernsehserien draus.

§

Lorenzo Annese kam 1958 als junger Mann aus Apulien nach Niedersachsen und wurde der erste ausländische Betriebsrat der Bundesrepublik. Mit 87 erhielt er jetzt das Bundesverdienstkreuz – eine spannende Lebensgeschichte:
“Der Zusammenschweißer aus Italien”.

Journal Donnerstag, 3. SeptemberOktober 2004 – Zweiter Tag Heimreise mit Lehrreichem

Freitag, 4. Oktober 2024

Der zweite und letzte Tag Rückreise verlief weniger anstrengend als befürchtet. Zwar war ich durchgehend angespannt, doch nicht mal die letzten beiden Stunden Zugfahrt Stuttgart-München fühlten sich wirklich elend an, und ich traf noch vor Mitternacht daheim ein.

Der Schlaf im Barceloneser Hotel war ok und genug gewesen. Ich finalisierte so stromsparend wie möglich den Blogpost, recherchierte und kaufte online ein Ladekabel für mein zehn Jahre altes MacBook Pro, das angeblich schon heute zur Abholung im Apple Store bereit liegen würde (da Spezialkabel für nicht mehr produziertes Modell, verließ ich mich nicht auf Vorrätigkeit). Zudem hatte ich ja mein Arbeits-Notebook daheim, mit dem konnte ich überbrücken.

Spiegelselfie einer Frau mit kurzen weißen Haaren und Brille in einem kleinen Aufzug, sie trägt weiße Jacke, Messenger-Bag, vor ihr ein großer Koffer

Geduscht, gepackt, Hotelaufzug nach unten.

Der Spaziergang zum Bahnhof (auch dieser von Baustellen umgeben, der Hindernislauf erweckte wieder Heimatgfühle) war schön, ich ging inmitten von Eltern, die ihre Kinder zur Schule begleiteten, in fröhlicher und gemeinschaftlicher Stimmung und nur wenig mehr Frauen als Männer.

Große Kreuzung in einer Großstadt in Morgensonne, ein langer Bus biegt gerade um die Ecke

Barcelona gefiel mir weiterhin gut, ich mochte die Großstadtstimmung, das Viertel La Bordeta fühlte sich wohnenswert an (Einmerker für eigentlichen Barcelona-Urlaub).

Im Bahnhof kaufte ich eine große Flasche Wasser: Das Leitungswasser in Barcelona schmeckte so greislich, dass auch ich es mir nicht antun wollte, gechlort und modrig. Also füllte ich nicht wie sonst die für die Reise mitgebrachten Sportflaschen (in Esporles und Valldemosa hatte das Leitungswasser sogar besonders köstlich geschmeckt), sondern erzeugte Plastikmüll.

Vor dem Bahnsteig zu meinem Zug Sicherheitsschleuse wie am Flughafen: Ticket-, Gepäck- und Körperkontrolle mit entsprechenden Warteschlangen. Hier könnte Söder noch aufrüsten, in bayerischen Fernbahnhöfen kann man einfach so in die Züge ins Ausland spazieren.

Lehrreiche Fahrt nach Paris:
1. Auch TGV kann Verpätung. Wir fuhren 10 Minuten nach Fahrplan von Barcelona ab, bis Paris hatten wir bis zu 30 Minuten Verspätung.
2. Auch TGV kann keine Internetverbindung. Da sich erwies, dass auch Spanien und Frankreich weitläufige Funklöcher können, haschte ich wie in Deutschland immer wieder irgendeiner Art von Verbindung.
3. Wie schon auf der Hinfahrt waren die spanisch gemeinten Versionen der Durchsagen vor lauter französischem Akzent und Genuschel komplett unverständlich. (Mir ist diese kindliche Taktik zu Verschleierung von Unkenntnis nicht fremd.)
4. Im TGV-Zugrestaurant bedeutet “Cappuccino” schlichten Kakao. Das musste ich feststellen, als ich einen solchen nach ausdauerndem Schlangestehen als Mittagscappuccino geholt hatte und reklamierte, das sei doch aber chocolate: Die wirklich freundliche Angestellte hinter der Theke verstand nicht, was es zu reklamieren gab, ich hätte doch Cappuccino bestellt, und das sei spanisch “chocolate”.

Blick aus Zugfenster auf Landschaft mit Binsenwiesen und Wasserflächen, im Vordergrund ein Fensterbrett, darauf ein Becher, auf dessen Inhalt man Milchschaum sieht

Dabei wäre die Aussicht dazu gerade herrlich gewesen. So kippte ich das Getränk halt ins Zugklo, auf Kaba hatte ich wirklich keine Lust. Brotzeit um zwei: Apfel, zwei gut durchgequetschte Eiweißriegel aus dem Wanderproviant.

In diese Richtung brauchte der Zug Barcelona-Paris fast eine Stunde weniger als hin: Er hielt auf der französischen Seite nicht an jeder Strandhütte. Doch die halbstündige Verspätung bis Paris (die beharrlich als 15 Minuten durchgesagt wurde) machte mich ein wenig unruhig, obwohl sie mir weiterhin über eine Stunde für den Wechsel zwischen Gare de Lyon und Gare de l’Est ließ: Der Zeitaufwand des Transfers zwischen den Bahnhöfen in Paris liegt nicht in den eigentlichen Fahrten und Übergängen, sondern im Fahrkartenkauf an den Automaten. Daran lange Schlangen ungeübter Touristen, da dauert der Ticketkauf schnell mal 20 Minuten (gestern mitgestoppt). Trotzdem fand ich am Gare de l’Est noch Zeit für die Besorgung eines Abendessens inklusive Wasserkauf (noch mehr Plastik).

Mauer mit Graffiti vom Zug aus gesehen, darüber wolkiger Himmel

Nach den ersten 20 Minuten der Fahrt Paris-Stuttgart hatte dieser TGV bereits 10 Minuten Verspätung. Diesmal saß ich auf einem Fensterplatz, ich sah hinaus in die französische Landschaft, solange das Tageslicht noch etwas erkennen ließ. Um acht packte ich mein Abendessen aus: Körner-Baguette mit Tomate, rohem Schinken, Mozarella, außerdem ein Pain au raisins, beides bereitete mir Vergnügen.

Die immer größere Verspätung beunruhigte mich weniger: Mit nur (heutzutage) elf Minuten Umsteigezeit würde ich in Stuttgart zwar meine gebuchte Verbindung verpassen, doch um diese Zeit gab es überraschend viele ICEs nach München. So nahm ich dann auch einfach den nächsten, Platz hatte dieser ohnehin genug.

München empfing mich sehr kühl: Schon in Paris hatte ich zu Jacke und T-Shirt einen Pulli angezogen, jetzt wickelte ich meinen Schal um den Hals. Und dann fuhr ich um halb zwölf mit meinem Koffer Slalom nach Hause um Wiesnpizzen, Rikscha-Rowdies und viele, viele torkelnde Oktoberfest-Cosplayer*innen. Ich muss künftig meine Oktoberfestflucht besser mit genau diesen 16 Tagen parallelisieren.

Reiseunterhaltung an diesem zweiten Tag war Elif Shafak, Michaela Grabinger (Übers.), Ehre, die letzten Seiten noch im Bett vor dem Einschlafen. War mir als eine der in der Türkei meistgelesenen Autorinnen empfohlen worden, und bei türkischer Literatur habe ich eh eine böse Lücke. Auf Deutsch hatte ich es gekauft, weil ich von einem türkischen Original ausgegangen war: Irrtum, das hat Shakaf auf Englisch geschrieben, aber jetzt war’s schon egal. Las ich gestern sehr gern, Details später.

Journal Mittwoch, 2. Oktober 2024 – Erste Etappe Rückreise bis Barcelona

Donnerstag, 3. Oktober 2024

Gut geschlafen, bei Unterbrechungen aber bereits Alltags- und Berufsängste einströmen gefühlt.

Über einer dunklen Altstadtgasse Morgenhimmel mit rosa Wolken

Eos winkte zum Abschied aus Alcúdia.

Besuch beim Pensionsfrühstück, café con leche, Plausch mit Pensionswirtin unter anderem über Filmmusik (sie ließ gerade den Soundtrack von The English Patient laufen).

Gemütlich fertig gepackt. Es gab zwar eine Busverbindung zum Hafen, doch mir war eine gute halbe Stunde Bewegung lieber.

Frau mit kurzen weißen Haaren und Brille fotografiert sich in Spiegel, hinter ihr eine dunkle Holztür, sie trägt ein rotes Oberteil, darüber schräg der breite schwarze Riemen einer Tasche

Unterwegs blieb ich an einem Biosupermarkt stehen, der die typisch spanischen Honigmelonen anbot, piel de sapo – von denen ich mich seit Jahren wundere, dass es sie in Deutschland nie auch nur halbwegs reif zu kaufen gibt. Ich testete diesen Stapel stichpunktartig: Ebenfall keine einzige essreif. Die werden einfach nicht mehr reif geerntet, warum nur? (Bleiben ja trotzdem gut transportierbar.)

Im Hafengebäude noch ein wenig Lesen, Blick aufs… Rollfeld.

Blick durch großes Fenster auf Hafenbecken, am Rand Palmen, im Hintergrund Yachten und Hügel

Blick von überdachter Gangway auf die Fähre, weiß und türkisblau mit der Aufschrift "Balnearia"

Diesmal ging’s mit einer langen Gangway aufs Schiff. Die Reederei hatte mich über WhatsApp unter anderem informiert, dass mein Sitz die Klasse “Sirene” habe. Ich hoffte ich auf ganz viele Odyssee-Zitate auf dem Schiff (Cafeteria Kirke?) – doch nichts war’s.

Erhöhter Blick durch trübes Fensterglas auf Hafenmole mit türkisblauem Wasser, im Hintergrund ein Ort und Hügel

Ablegen. Mein Platz 9U bestand aus einem riesigen Ledersessel am Fenster, das zwar recht trübe angelaufen war, aber zumindest Überblick ermöglichte.

Die sechs Stunden Fahrt bis Barcelona vertrieb ich mir mit einem Mittagessen im Selbstbedienungsrestaurant (gedünstetes Fischsteak mit Pommes und Salat – na ja), Musikhören mit Wassergucken auf Deck (die Luft warm und nur wenig windig), Zeitung- und Romanlesen.

Interessante Erfahrung beim Lesen drinnen im breiten Ledersessel: Die leichte Bewegung und die Maschinengeräusche (Gasturbinen, stand außen auf dem Schiff) fühlten sich an wie im Flugzeug.

Blick über eine weiße Reling, an der ein roter Rettungsring hängt, auf dunkelblaues Meer

Blick über Reling aufs Meer, in dem sich trübe die Sonne spiegel, der Himmel ist verschieden grau

Ich las Roxane Gay, Hunger: A Memoir of (My) Body aus: Eine sehr kluge und sehr, sehr dicke Frau in ihren 40ern schreibt über ihren Körper. Wie es kam, dass sie als schlanke Zwölfjährige, die älteste Tochter erfolgreicher Einwanderer aus Haiti nach USA, immer mehr aß, wie es ist, damit nicht aufhören zu können, wie der Alltag damit aussieht. Nichts davon las sich wirklich überraschend, und doch ging es mir sehr nahe. Gay befasst sich mit vielen Details: Sport, Kleidung, die Bestürzung der Veranstalter, wenn sie als noch unbekannte Autorin zu ihrem ersten Bestseller, aber halt mich diesem ihrem voluminösen Körper auf Lesungen auftauchte, die Bemühungen ihrer Familie (wobei sie klarmacht, dass ihre wirklich liebevollen Eltern, die sie bedinungslos unterstützen, sie nicht vor ihrer Lage bewahren konnten), ihre Zerrissenheit als Feministin zwischen Selbsthass und Selbstbestärkung. Aus all dem wurde eine Autobiografie entlang ihres Körpers, so offen und sachlich wie ihr möglich formuliert, ich merkte einerseits die schreiberische Routine, andererseits das Ringen.

Das (E-)Buch überbrückte gut, dass es an Bord zwar ein super WLAN gab, dieses aber keine Internetverbindung hatte. Als ich mit Hunger durch war, hatte ich auch wieder Mobilfunksignal.

Durch verschwommenes Fenster Blick auf Meer mit Mole

Blick durch trübes Fensterglas auf eine anliegende riesige weiße Yacht mit futuristischer Form

In Barcelona schlechtes Wetter, die dunkelgrauen Wolken sahen nach Regen aus. Die Fähre legte weit außerhalb im Containerhafen an. Das bedeutete, dass wir Passagier*innen (nur ein Dutzend ohne Pkw oder Motorrad) in einen Reisebus stiegen, der eine ganze Weile bis zum Gebäude fuhr, in dem ich auf der Hinreise eingecheckt hatte.

Wieder hatte ich zwar eine Verbindung mit Öffentlichen Verkehrsmitteln zum Hotel recherchiert, ging aber lieber die knappe Stunde zu Fuß, zumal der Boden zwar nass war, es aber nicht regnete.

Kurz vor neun kam ich in meinem Hotelzimmer an.

Kleines weißes Hotelzimmer mit hellora zugezogenem Vorhang

Spartanisch, dafür teuer (Kriterien waren Empfehlung und Laufweite zum Bahnhof gewesen). Zum Nachtmahl aß ich meinen Koffer leichter: Äpfel, Mischnüsse, Trockenfeigen, Schokolade. Dabei bloggte ich, mangels Tisch mit dem Laptop auf einem Kissen auf dem Schoß, meine Standardhaltung auf Stuhl (es gab einen Stuhl!) ohne Tisch.

Als ich den Laptop vorm Zähneputzen und Zu-Bett-Gehen zum Aufladen anstecken wollte, stellte ich zu meiner Bestürzung fest: Ich hatte das Ladekabel im Hotel in Alcúdia vergessen. Vor Abreise hatte ich alle Regale, Schubladen und Schränke sorgfältig gecheckt, doch das Kabel ringelte sich noch gut getarnt auf den gemusterten Fliesen. In jeder anderen Unterkunft unterwegs hätte ich das Kabel mit ein wenig Orga wiederholen können (super Busverbindungen auf Mallorca), doch hier nicht. Hektisches Nachdenken: Zuschicken lassen würde zu lange dauern, so lange will ich nicht ohne eigenen Rechner sein. Also so schnell wie möglich Ersatz kaufen. Zefix.

§

Eigener Beitrag zum Thema Körper, aber eher #Internalisierung #Dysmorphie #Depression: Wenn’s in mir dunkel wird, möchte der Selbsthass-Coach immer noch wie seit Jahrzehnten “und dick bist du auch noch!” ätzen – aber das stimmt halt echt nicht, der Reflex belustigt mich. Ich warte aber darauf, dass der Coach irgendwelche Körperstellen findet, an denen noch eine Fettschicht sichtbar ist. (Rücken zwischen BH-Gurt und Hosenbund, selbstverständlich weiß ich das längst.)

Journal Dienstag, 1. Oktober 2024 – Spaziergang mit letztem Sonne- und Farbetanken / David Schalko, Schwere Knochen

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Gut geschlafen, wenn auch nicht lang genug. Draußen blauer Himmel, der einen warmen bis heißen Tag versprach. Ich brachte dennoch keine Lust für Strand auf, die Zeiten sind wohl einfach vorbei (merken fürs nächste Packen).

Statt dessen beschloss ich, die andere Meer-Seite, nördlich von Alcúdia, zu erkunden. Beim Frühstück tauchte ich gleich gar nicht auf, das schien mir das Einfachste. Ich packte Brotzeit und ging durch schon wieder Straßenmarkt Richtung Bonaire.

Ausblick aus sonniges Meer, im Vordergrund Felsstrand, im Hintergrund Hügel

Schnell stellte ich fest, dass es im Norden zwar interessante Felsküste gab, aber keinen Fußweg, auch nicht die Straße entlang. Ich kehrte um, zumal ich unterwegs ein Hinweisschild mit Wandersymbol zu einem Weg nach Refugi del Coll Baix gesehen hatte, anderthalb Stunden Gehzeit – den wollte ich machen. Zumal ich mich ja wieder auf Vorrat bewegen musste, Mittwoch und Donnerstag werden Reise- also Sitztage.

Im Hotel wechselte ich die Schuhe von Sandalen zu Turnschuhen und machte mich auf den Weg. Es war ein einfacher Spaziergang hauptsächlich auf Straßen und begleitet von Autoverkehr, aber ich genoss die Sonne in vollen Zügen, das Licht und die Farben, genoss nochmal den Duft von Pinien und Rosmarin, genoss die Bewegung. Auf dem letzten Stück waren viele Menschen unterwegs: Es gab einen Parkplatz, von dort kam man wohl zu Fuß zu einer Badebucht. Ich hörte erstaunlich viel Polnisch, zum ersten Mal wiederholt auch Österreichisch.

Außerdem bekam ich nochmal eine kleine Tierschau: Esel, Ziegen, erstmals freilaufende Schweine, außerdem Gänse – es war also tatsächlich Gänsequaken, was ich meine ganze Wanderung über immer wieder gehört und was mich reichlich verwirrt hatte (gestern fiel mir ein, dass in Bayern gerade die Gänsebratenzeit beginnt, Erntedank, St. Martin etc., umgehende Gelüste). Schon auf meiner ersten Spazierrunde morgens hatte ich einen Wiedehopf gesehen, zwar nur von hinten auffliegend, aber unverkennbar.

Wanderwegschilder mit Zielen und Gehzeiten

Schmaler asphaltierter Weg in der Sonne, daneben Trockenmauern und Bäume

Esel zwischen Bäumen hinter einem Zaun

Zwei hellrosa Schweine im Schatten unter einem Baumstamm, durch einen Zaun fotografiert

Schmale Straße bergauf zwischen sonnigen Bäumen

Sonnenbeschienene braune Ziegen zwischen Bäumen

Schmale Straße bergauf zwischen sonnigen Bäumen, die auf der Straße Schattenmuster werfen

Oben am Refugi war ein Rastplatz, um halb zwei machte ich Brotzeit: Vollkornsemmel mit Jamón, eine Papaya. Und ich bekam Besuch von den frei herumlaufenden Ziegen, ebenso wie andere Brotzeiter*innen am Rastplatz: Meine Wasserflasche und mein Gesicht wurden beschnuppert (Ziegen klettern ja gern). Zum Glück hatte ich schon aufgegessen und wurde nicht zum Teilen gedrängt.

Sonniger Weg bergab zwischen Bäumen, darauf Spaziergänger und ein Radler

Zwischen Nadelbäumen Blick aufs sonnige Meer

Zurück im Hotel setzte ich mich in den Innenhof zum Lesen, bis die Sonne doch zu direkt schien.

Telefonat mit Herrn Kaltmamsell, der mir versicherte, alle Heizkörper der Wohnung seien betriebsbereit, er habe das geprüft (für Freitag sind 11 Grad Höchsttemperatur angekündigt).

Beim Abendessen räumte ich auf: Es gab den restlichen Käse mit, ha!, getrockneten Feigen, die ich als Notnahrung mitgenommen hatte und wirklich nicht gesamt wieder zurückschleppen wollte. Nachtisch spanische Fabrikpralinen, gar nicht so schlecht.

Neue Lektüre: Roxane Gay, Hunger: A Memoir of (My) Body, nicht gerade ein Laune-Heber.

§

David Schalko, Schwere Knochen, ist ein Roman von 2018, der in der kriminellen Nachkriegszeit in Wien spielt, als auch Wien – das ist den meisten Deutschen nicht bewusst – in Besatzungssektoren aufgeteilt war, was so manche Korruption und kriminellen Machenschaften erst ermöglichte. Dazu der Zoo und seine Tiere, grotesker Sex, groteske Bordelle, noch groteskere Todesfälle – ich fühlte mich an John Irvings allerersten Roman erinnert: Setting free the Bears. Aber das war schon die einzige Wiederholung: Der Schauplatz, vor allem aber der Tonfall von Schwere Knochen sind ausgesprochen originell.

Die Klammer des Romans ist der Tod seiner Hauptfigur Ferdinand Krutzler, der mit seinen Freunden vor dem zweiten Weltkrieg in Wien Verbrechen begeht, mit ihnen wegen eines Hassadeurstücks ins Konzentrationslager deportiert wird, dort eine weitere Verbrecherkarriere absolviert, nach dem Krieg in Wien systematisch schmuggelt, zuhält, Schutzgelder erpresst, mordet. Alles an dieser Handlung ist eine Parallelwelt, in der eigene Regeln gelten, nichts kann vorausgesetzt werden. Die Erzählstimme tut gut daran, zwar sehr hörbar zu sein, aber nichts zu kommentieren, sie ist reine Lakonie. Was hervorragend zum Personal passt, das auch eher nicht redet (und dessen Worte fast ausschließlich in indirekter Rede wiedergegeben werden). Am deutlichsten sichtbar wird die Erzählstimme im Foreshadowing: “Dass dieser Jemand ausgerechnet der Wesely sein würde, konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.” Nur dass das Foreshadowing manchmal gar nicht stimmt – auch darauf sollte man sich nicht verlassen.

Es entsteht ein unangenehm lebendiges Bild einer Zeit, die gerade wieder neu literarisch aufgearbeitet wird. Die Haltlosigkeit in diesem rechtsfreien Raum ist sehr nachvollziehbar. Lese-Empfehlung, auch wenn der zweiten Hälfte Straffung durch energisches Lektorat gut getan hätte.

Mir gefällt die Besprechung in der Süddeutschen von Burkhard Müller:
“Splatter-Stoizismus nach Wiener Art”.

Der Roman bekommt durch seinen Ton und seine Haltung in den Griff, was sonst als quirliges Panoptikum nach allen Seiten auseinanderspritzen müsste wie das viele Blut, das freizusetzen die Erdberger niemals zögern. Es ist ein Ton, den man so noch nie gehört hat, und eine Haltung, die man vielleicht am besten als Splatter-Stoizismus bezeichnet.