Journal Samstag, 26. Juli 2025 – Klatschnasser Wanderversuch am Starnberger See

Sonntag, 27. Juli 2025 um 7:49

Lang geschlafen, und als ich aufstand, war es draußen unter düsterem Himmel trocken: Wanderhoffnung!

Doch schon als ich nach Milchkaffee, Tee und Bloggen bereits in Wanderkleidung zu Änderungsschneiderin und Bäckerei ging, brauchte ich einen Schirm. Und die Wettervorhersage kündigte mittlerweile Regen bis auf Weiteres an, mindesten noch zehn Tage. Ach meia.

Schlechtes Wetter vs. falsche Kleidung: Ich war gespannt, ob die richtige Kleidung auch gegen die schlechte Laune half, die Sauwetter verursacht.

Eigentlich hatten wir uns auf den Tegernseer Höhenweg geeinigt: Ich stellte mir malerisch vor, bei Regen auf die Schwaden überm See und in den umgebenden Hügeln zu schauen. Doch Herr Kaltmamsell stellte fest, dass die Anfahrt nach Gmund gestern lang und umständlich war: Baustelle, Schienenersatzverkehr. Da fiel mir eine Wanderung am Starnberger See mit ähnlichen Features ein, nämlich von Starnberg über Leoni nach Berg und obenrum zurück. Dorthin fuhren wir mit der S6.

Und es ging gut los: Der leichte Regen war gar kein Problem, ließ sich mit Schirmmütze und Kapuze von der Brille fernhalten, feuchtete Jacke und Hose lediglich an. Plaudernd und einander immer wieder auf schöne Anblicke hinweisend wanderten wir vor uns hin.

Für mich sah gestern alles nach japanischem Holzschnitt aus.

Doch nach einer knappen Stunde wurde der Regen allmählich immer heftiger, bis er laut prasselte, meine Wanderhose klatschnass war und begann, in die Wanderstiefel zu sickern (die von außen das Wasser von Regen und Pfützen wunderbar abhielten) und meine Unterhose zu befeuchten. Nach einer guten Stunde Wandern gaben wir auf: Die restlichen vier Stunden der Runde konnten kein Vergnügen mehr werden, selbst bei schwächerem Regen, diese Nässe in der Kleidung würden wir nicht mehr wegkriegen. Also drehten wir um. Zur Bestätigung legte der Regen noch ein Schippchen drauf, ich konnte schier nicht mehr hören, ob hinter uns ein Auto nahte oder der Regen gerade noch stärker wurde.

Sie sehen es doch auch?

Bis dahin hatten wird durchaus etwas geboten bekommen: Wasservögel inklusive Haubentaucher und ungewöhnlich große Blässhühner, über die See-Oberfläche flitzten beruhigenderweise Schwalben.

Die S-Bahn für den Rückweg stand schon bereit. Ich legte meine tropfende Wanderjacke ab, um mich setzen zu können, ohne den Sitz zu durchnässen, allerdings wurde mir auf der endlos scheinenden Heimfahrt immer kälter. Tiersichtung: Ein schmales, zierliches Hirschtier neben den Gleisen.

Herr Kaltmamsell brotzeitete in der S-Bahn, ich hatte keinen Appetit und wollte nur ins Trockene, Warme. Frühstück also erst nach drei und daheim, ich hatte meine Wanderbrotzeit aus dem nassen Rucksack geholt: Apfel, Banane, ein Schnitz Körnerbrot, Kirschen. Vorm Fenster Schnürlregen. Ich aß in Jeans, Wollsocken, Kashmir-Hoody überm T-Shirt. Da meine Finger dennoch nicht warm werden wollten, nahm ich nach einer Weile Herrn Kaltmamsells Angebot an, mir eine Decke um die Schulter zu legen.

Er amüsierte sich über den Anblick und machte ein Foto.

Innerlich hatte ich da den Sommer bereits vorerst aufgegeben und auf Nicht-Sommer umgeschaltet, die frisch gewaschenen Baumwollkleidchen auf dem Wäscheständer erschienen mir albern.

Den restlichen Nachmittag verbrachte ich also statt mit Blicken über den Starnberger See mit Zeitunglesen, turnte dann eine lange Folge Yoga-Gymnastik.

Zum Nachtmal hatte ich mir schon vor Tagen Fleisch gewünscht, Herr Kaltmamsell briet ein Entrecôte perfekt, dazu gab’s Oldenburger Salzgürkchen, Zucchini-Creme, eingelegte Chilis, Körnerbrot. Das Fleisch schmeckte himmlisch, und von den Salzgürkchen bekam ich schier nicht genug. Im Glas ein angenehmer Côtes du Rhône, Nachtisch Schokolade.

§

Johanna Adorján, gebürtige Münchnerin und 1999 weggezogen (also genau in dem Jahr, in dem ich nach München zog), über die groteske Verdirndelung ihrer Geburtsstadt. (Ich weigere mich, diese Bayern-Uniform “Tracht” zu nennen.) – €:
“Guck mal, da kommt eine Lederhose”.

Es sind weniger die Abschiede, die mir München so fremd machen, als etwas neu Hinzugekommenes: Es sind die vielen Trachtenmodengeschäfte, die überall aufgemacht haben.

(…)

Und es sind ja nicht nur die Geschäfte: Die Ware wird auch getragen. Und zwar nicht nur, wie Weggezogene etwa um 2005 mit Befremden bemerkten, „von Stuttgartern und Hamburgern zur Wiesnzeit“, wo es früher überhaupt nie üblich war, Tracht zu tragen, jedenfalls nicht für Städter.

(…)

Man kann nicht U-Bahn fahren ohne Menschen, oft junge, Hand in Hand, in Tracht am Bahnsteig stehen zu sehen. Warum? Aus Sicht eines Nicht-Ortsansässigen sehen Menschen in Tracht nicht gut aus in sonst banal großstädtischer Umgebung. Vor den postgelben Wandpaneelen des U-Bahnhofs Sendlinger Tor sieht natürlich niemand gut aus. Aber Menschen in Tracht wirken im urban erschlossenen Untergrund einfach nur abwegig, um nicht zu sagen: vollkommen grotesk. Sie werden ja nach Besteigen der U2 nicht in einen Schuhplattler verfallen oder nach dem Aussteigen ihre Kühe von der Alm treiben.

(…)

Natürlich ist der grassierende Münchner Trachtenhabitus im Kern nichts anderes als Fasching. Eine Verkleidung, die sich Zugereiste, Durchreisende und seit einiger Zeit eben auch Hiergeborene zulegen, um nicht als ortsfremd aufzufallen. Dass man das in dieser Stadt offensichtlich dermaßen scheut, also als fremd aufzufallen, spricht natürlich nicht für diese Stadt.

(…)

Mit dieser Mode verbindet sich ja etwas unendlich Konservatives. Damit ist nicht die Verbundenheit zu einem Fleck auf der Erde gemeint. Geschenkt. München, Oberbayern, Bayern ist einfach mit das Schönste, was es gibt auf der Welt. Mit den Seen und den Bergen und nicht nur der Nähe zu Italien, sondern mehr noch der Entfernung zu Preußen. Aber die Volkstracht manifestiert ein ultra-tradiertes Geschlechterbild: Mannsbild und Weibsbild. Dazwischen nichts. Und in den Trachtenmodeläden, in die ich aus Recherchegründen guckte, hing weit und breit nichts, das mit den Geschlechterbildern gespielt hätte. Überall dieselbe binäre Garnitur. Lederhose, Trachtenweste, Lodenjanker in Grau, Blau oder Lodengrün für ihn. Dirndl, Dirndlbluse, taillierte Strickjacke für sie in Grau, Blau oder Lodengrün, mit modischen Ausreißern ins Babyrosafarbene oder Glitzernde. Es ist im Grunde, als gingen alle entweder als Stewardess oder als Steward.

Mir hat ja geholfen, dass irgendwann jemand diese Verkleidung als Cosplay einordnete – und das Oktoberfest als größten Cosplay-Con der Gegenwart. Allerdings wirkt das nicht gegen die Irritation über die zahllosen Kostümläden. (Am größten ist sie für mich beim Passieren von “Inntaler Tracht”: Erst wunderte ich mich über den Mut zu einer extrem spitzen Zielgruppe, denn wer kommt bitte schon vom Inn? Dann aber stellte ich an den dort angebotenen Dirndlkleidern, Lederhosen, Westen und Hemden keinerlei Unterschied zu den Verbayer-Gewändern anderer Anbieter fest, das Inntal scheint gar keine eigene Tradition zu haben.)

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Samstag, 26. Juli 2025 – Klatschnasser Wanderversuch am Starnberger See“

  1. Uschi aus Aachen meint:

    Eine Freundin, Rheinländerin wie ich, hat sich sehr kürzlich ein Dirndl gekauft, und der habe ich den vergnüglich zu lesenden Artikel von Johanna Adorján direkt mal geschickt. Danke für den Link.

  2. Uschi aus Aachen meint:

    (Eigentlich sind Aachener natürlich keine Rheinländer, aber wir bezeichnen uns gerne so. Für die grobe geographische und auch gesinnungsmäßige Einordnung.)

  3. Neeva meint:

    Ich werfe mal vorsichtig Frauen-Lederhosen und dazu passende Spitzenblüschen in den Ring. Die habe ich zumindest schon gesehen.
    Ansonsten aus Sicht einer 2003 Zugereisten: Dirndl sind halt die Chance ein Kleid zu tragen, das aber sehr vielen Figuren steht und noch halbwegs praktisch ist.
    Inklusive Träumen von idealisierter Vergangenheit. Cosplay trifft es schon. Tracht für die, die sich Mittelaltergewandung nicht trauen.

  4. Bleistifterin meint:

    Ich meine irgendwo gelesen zu haben, die Dirndl seien erst vor ca 150 Jahren von zwei Brüdern aus dem Ruhrgebiet erfunden worden und das freut mich dann immer für die antipreußischen Bayern. Oder sind es Baiern?

  5. Elke meint:

    In Köln gibt es etliche Geschäfte, die ganzjährig Karnevalskostüme verkaufen.

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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